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Arbeiter, Arbeitereliten und das Problem der Arbeit
Anmerkungen zu Michael Seidmans “Gegen die Arbeit”
Im Verlag Graswurzelrevolution ist – gerade noch rechtzeitig zum 75. Jahrestag der Ereignisse – ein Buch erschienen, das die beiden wohl wichtigsten Klassenkämpfe Europas der 1930er Jahre zum Thema hat:
die spanische Revolution (1936-39) und die Welle der Fabrikbesetzungen in Frankreich (1936-1938), die beide in Volksfrontregierungen der Linken mündeten. Der Autor, der US-amerikanische Historiker Michael Seidman, untersuchte das Verhalten der ArbeiterInnen in den kollektivierten Fabriken bzw. den Betriebsbesetzungen und ihre Reaktionen auf die veränderten Machtverhältnisse am Arbeitsplatz. Er kommt, das sei vorausgeschickt, zu einem ernüchternden Ergebnis: letztlich seien sowohl die spanische Revolution als auch die Volksfront in Frankreich am anhaltenden Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit gescheitert.
Der Produktivismus der Arbeitereliten
In Barcelona sah sich die anarchosyndikalistische CNT unmittelbar nach der Revolution in eine Rolle gezwungen, die sie zuvor energisch bekämpft hatte. Beim Versuch, die kollektivierten Fabriken wieder in Gang zu bekommen und für die Erfordernisse des Krieges zu reorganisieren, warf sie so manches Prinzip über Bord. Führende Vertreter revidierten ihre kritische Einstellung gegenüber der kapitalistischen Produktionsmaschinerie und wandelten sich zu Verfechtern einer teilweise recht kruden Arbeitsideologie. So zum Beispiel Diego Abad de Santillán, einer der herausragenden anarchosyndikalistischen Theoretiker und 1936/37 katalanischer Wirtschaftsminister, der noch 1931 vertrat, dass der “moderne Industrialismus nach dem Muster von Ford [
] reiner Faschismus” und wie dessen staatliches Pendant zu bekämpfen sei. Nur wenig später pries er denselben für seine produktivitätssteigernden Potentiale. Er plädierte nun dafür, die “technische Organisation der kapitalistischen Gesellschaft” zu übernehmen, da sich durch die Vergesellschaftung “das Wesen der Produktion oder die Produktionsmethode nicht” ändere. Er vertrat ein geradezu protestantisches Ethos, getreu der Maxime “wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen” und hoffte, dass der Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit nur vorübergehender Natur sei. [81ff.]
In den kollektivierten Betrieben wurden zunächst von der Belegschaft gewählte Räte installiert, die ein weitgehend demokratisches System der Arbeiterkontrolle einführten. Vielerorts wurden Arbeitszeiten gekürzt, Löhne erhöht und Arbeitslose eingestellt. Die Produktivität ließ merklich nach – und die Gewerkschaftsführungen suchten dem schon bald entgegenzusteuern. Sie appellierten an die ArbeiterInnen, ihre Leistungen zu erhöhen und drohten den “faulen Parasiten”. Schon bald entwickelte sich eine “neue Elite der Gewerkschaftsaktivisten”, die “alte und neue Zwangsmethoden [nutzte], um die Arbeiter zu härterer Arbeit und gesteigerter Produktion zu bewegen.” [154] Sie pries die Gewerkschaftsföderation als “die Form schlechthin, die ein Maximum an Effizienz und Arbeitsleistung von ihren Mitgliedern abschöpfen” könne. [251-252] Die in der Folge der Revolution eingeführte 40-Stunden-Woche wurde als “konterrevolutionär” [148] bekämpft, die gerade abgeschaffte Akkordarbeit wieder eingeführt und von einigen CNT-Vertretern gar der sowjetische Stachanowismus [1] als Methode zur Produktionssteigerung propagiert. [155]
Damit unterschied sich die Rolle der CNT in dieser Hinsicht kaum mehr von der der Bolschewiki in Russland. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft wurde de facto obligatorisch, Gewerkschaftsversammlungen wurden zu Propagandaveranstaltungen zur Erhöhung der Arbeitsdisziplin. Der Versammlungsbesuch und die Bereitschaft, Beiträge abzuführen, war entsprechend mäßig. [152] Ende 1936 wurden unter der Ägide des CNT-Justizministers Juan García Oliver sogar Arbeitslager (campos de trabajo) für die “Feinde des Volkes” eingerichtet. [158-161] Offensichtlich hatten diese Methoden kaum Erfolg.
Die bürgerlichen Wurzeln des “Arbeitsplatzutopismus”
Soweit Seidmans Darstellung der Situation in Barcelona.[2] Zu welchem Fazit kommt der Autor? Er nimmt für sich – im Gegensatz zu seinen Historiker-KollegInnen – in Anspruch, den Blickwinkel der einfachen ArbeiterInnen einzunehmen. Er sieht, dass diese in ihrer Mehrheit auch den neuen Regimes von Anfang an skeptisch gegenüberstanden und sehr schnell in einen Widerspruch zu den Arbeiteraktivisten, den Gewerkschafts- und Parteifunktionären, gleich welcher Couleur, gerieten. Die meisten Chronisten der spanischen Revolution hätten, so Seidman, immer nur die politisch-ideologischen Auseinandersetzungen in der spanischen Republik ins Zentrum der Betrachtung gestellt und “das zentrale Problem [
], nämlich die Scheidung zwischen Aktivisten einerseits [
] und Arbeitern andererseits” vernachlässigt. [257]
Seidman sieht zwar die politischen Differenzen etwa zwischen AnarchistInnen und KommunistInnen/SozialistInnen, unterstellt ihnen aber allen eine Ideologie der Arbeit(sverherrlichung). Dieser “Produktivismus” resultiere aus einem in der bürgerlichen Aufklärung wurzelnden “Arbeitsplatz-Utopismus”. Die ArbeiterInnen sollten, nachdem sie die Produktionsmittel übernommen hatten, das Werk der Bourgeoisie, die Modernisierung der Wirtschaft, weiter vorantreiben und eine auf der Arbeit als “größte[r] Quelle des Stolzes der befreiten Arbeiter” beruhende Gesellschaft errichten. [141] Damit gerieten sie von Anfang an in einen unauflösbaren Konflikt mit den ArbeiterInnen, in deren “Utopie” der Arbeit kein Stellenwert eingeräumt wurde. [39-40]
Letztlich waren die Funktionäre der Arbeiterorganisationen gezwungen, sich der Hilfe des Staates zu bedienen, um die ArbeiterInnen zum Arbeiten zu bringen, woran schließlich sowohl die Revolution, als auch die Volksfrontregierung in Spanien gescheitert sei: “Die vielleicht grundlegendsten und schwierigsten Probleme der Volksfronten erwuchsen ihnen nicht im Lager ihrer erklärten Feinde, sondern unter jenen, die sie angeblich vertraten.” [391] Seidman folgert daraus, dass eine Emanzipation der ArbeiterInnen nur auf Grundlage einer hochgradig automatisierten Wirtschaft zu haben ist – in einer Gesellschaft, in der die Arbeit nur noch einen sehr geringen Teil der Lebenszeit der Menschen in Anspruch nimmt. Alle anderen Versuche müssen daran scheitern, da sie allesamt ohne den Staat als Mittel zur Durchsetzung des Arbeitszwanges nicht auskommen können.
Syndikalistische Arbeitsauffassungen
Im Jahre 1936 hatte die Linke jedoch andere Probleme, die eine solche Perspektive als Luxus erscheinen lassen mussten. Die führenden Vertreter der spanischen Republik – und mit ihnen die AnarchosyndikalistInnen – waren angesichts des Bürgerkrieges dazu gezwungen, maximale Produktionsleistungen aus den Fabriken herauszuholen – sie konnte bei Strafe ihres Unterganges gar nicht anders handeln. Das zweifelt Seidman auch nicht an, allerdings legt er anhand zahlreicher Beispiele dar, dass die dazu notwendige Begleitmusik bereits von vornherein in den Ideologien sämtlicher Arbeiterorganisationen angelegt gewesen sei. Das ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen, dennoch gab es gerade im Anarchosyndikalismus ein durchaus gespaltenes Verhältnis zur kapitalistischen Produktion. Einig war man sich, dass die ArbeiterInnen bereits im Kapitalismus sich vorbereiten müssten, um später einmal die Produktion auch in Eigenregie weiterführen zu können. Inwieweit dabei die Produktionsmaschinerie unangetastet bleiben soll, darüber gab es unterschiedliche Auffassungen.
Anders als SozialdemokratInnen oder KommunistInnen sahen die meisten der Theoretiker des Anarchosyndikalismus im monopolisierten Kapitalismus mit seinen tayloristischen Produktionsmethoden keine Vorstufe auf dem Weg zum Sozialismus. Im Gegenteil, es gibt zahlreiche Belege in der einschlägigen Literatur für ein deutlich kritisches Verhältnis zur “modernen” Industrie und zur kapitalistischen Rationalisierung. So wies der deutsche Sozialhistoriker Werner Sombart bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts darauf hin, dass die syndikalistischen Theoretiker “in die Schäden unserer Kultur zweifellos tiefer hineinleuchten als irgendeine andere sozialistische Doktrin. Wo insbesondere die Altmarxisten Lösungen oder – gar nichts sehen, sieht der Syndikalismus erst Probleme: So wenn er [
] die Kulturwidrigkeit und Menschenunwürdigkeit unseres auf Differenzierung und Integrierung der einzelnen Arbeitsleistungen aufgebauten Systems der Arbeit hervorhebt.” Er belegt das mit etlichen Zitaten zeitgenössischer Syndikalisten, die schon vor der Taylorisierung auf die schädlichen Wirkungen des Fabriksystems mit seiner “geisttötenden Arbeitsteilung” hinwiesen und dieses “durch die wieder durchgeistigte Vollarbeit des individuellen Produzenten” ersetzen wollten.[3] Sie bezogen sich dabei nicht zuletzt auf Kropotkin, der in der zunehmenden Arbeitsteilung ein Hindernis für die Entfaltung der Produktivität des Menschen und in der “Vielseitigkeit [
] die beste Gewähr für eine hohe Entwicklung der Produktion”[4] sah, genauso, wie ihm die “stete Verfeinerung der Maschine und der technischen Hilfsmittel” das beste Mittel zu “einer Dezentralisation der Industrien” sein sollte.[5]
Der deutsche Syndikalist Karl Roche betrachtete die Lohnarbeit als die Quelle der Arbeitsunlust der Arbeiter, was ihn die “Faulheit als politisches Kampfmittel” propagieren ließ. Nur auf Basis der “Übergabe der Arbeitsmittel an die Arbeiter” und der Beseitigung der “kapitalistischen Fundamente der Produktion” lasse sich der Sozialismus errichten, in dem “der Selbstzweck des Lebens” in der “Lebensfreude” bestehen werde und “Arbeit und Leben […] ineinander aufgehen”.[6] Das Leben werde schließlich in erfüllter Arbeit, “abgelöst vom sinnenumrauschten Müßiggang” bestehen.[7] Auch Rudolf Rocker vertrat ähnliche Auffassungen. Er machte den Taylorismus für die “vollständige Degeneration der produzierenden Klassen” verantwortlich.[8] Für ihn stand nicht die Arbeitszeitverkürzung im Mittelpunkt der Umgestaltung einer sozialistischen Ökonomie, sondern die Umgestaltung der Arbeit dahingehend, “dass der Mensch wieder Freude an seinem Werk empfindet und seine Arbeit nicht bloß als gesellschaftliche Notwendigkeit, sondern in erster Linie wieder als einen Ausfluss schöpferischer Betätigung auffassen lernt.”[9]
Soziale Revolution ohne ArbeiterInnen?
Dass die SyndikalistInnen angesichts der Bürgerkriegssituation gar nicht die Chance hatten, diese Umgestaltung in der Realität umzusetzen, kann man ihnen kaum zum Vorwurf machen. Insofern ist es müßig, für das Scheitern der spanischen Revolution die fehlende Arbeitsbereitschaft der ArbeiterInnen verantwortlich zu machen. Nichtsdestotrotz bleibt es ein Verdienst des Buches, den Blick für den hartnäckigen Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit freigelegt zu haben. Fragwürdig wird Seidmans Darstellung, wenn er Anarchosyndikalisten, Kommunisten, Sozialisten und Nationalkatalonier umstandslos in einen Topf wirft und ihnen pauschal einen “Arbeitsplatzutopismus” vorwirft.
Dass es zwischen demselben (verstanden als einem auf der Großindustrie basierendem Sozialismus) und der Alternative einer “kybernetischen Utopie” eine auf dem anarchosyndikalistischen Konzept “anziehender Arbeit” basierende Alternative geben könnte, hat Seidman nicht erwogen. Karl Heinz Roth und Marcel van der Linden, die das Vorwort zur deutschen Ausgabe beisteuerten, kommen hingegen zu dem Schluss, dass eine kommunistische Ökonomie, die eben nicht auf “Arbeitsproduktivität als Grundnorm der politischen Ökonomie” basieren kann, nur “nur dann eine Chance [hat], wenn sie global in Gang kommt und weltweit koordiniert ist.” Andernfalls sei man gezwungen, sich den “arbeiterfeindlichen Produktivitätsnormen” der umgebenden kapitalistischen Welt anpassen zu müssen, was die Abschaffung des Staates unmöglich mache. [13-14]
Wo das endet, hat man am Beispiel der “zweiten Welt” sehr gut beobachten können. Insofern bleibt uns nur, den Ausweg in einer Utopie zu suchen, in der die Arbeit ihres entfremdeten Charakters entkleidet ist und diese einer schöpferischen Tätigkeit gewichen ist, in der die anstrengendsten und schädlichsten Elemente automatisiert und viele andere Sachen durchaus auch wieder in “unproduktivem” Handwerk entstehen werden – etwa weil die Menschen sich darin verwirklichen können.
Anmerkungen
[1] „Stachanow-Bewegung“: in der Sowjetunion ab 1935 eine Kampagne zur Steigerung der Arbeitsproduktivität.
[2] Auf die Verhältnisse in Frankreich kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht eingegangen werden. Eine Langfassung des Artikels ist unter www.geschichtevonunten.de/01_sek-lit/theorie/unruh-rez_seidman.pdf abrufbar.
[3] Sombart, Werner: Sozialismus und soziale Bewegung, Jena 1908, S. 129.
[4] Kropotkin, Peter: Die Eroberung des Brotes, Grafenau 1999, S. 153.
[5] Rocker, Rudolf: Peter Kropotkin und das Problem der Arbeit. Unveröffentlichtes Manuskript, 1931, S. 6. Als Datei abrufbar unter: www.sac.se/en/content/download/32111/239890/file/Rocker%20manus%201931.pdf
[6] Roche, Karl: Arbeit und Faulheit, in: Der Syndikalist, Nr. 9/1919.
[7] Roche, Karl: Faulheit als politisches Kampfmittel, in: Der Syndikalist, Nr. 30/1919.
[8] Rocker, Rudolf: Die Rationalisierung der Wirtschaft und die Arbeiterklasse, Frankfurt/Main 1980, S. 48.
[9] Rocker, S. 46.
Ludwig Unruh
erschienen in: Direkte Aktion 210 – März/April 2012
Gegen die Arbeit
Lange zirkulierte der Text auf Englisch im Netz, erst in den letzten Jahren wurde er von kleinen linken Gruppen in andere Sprachen übersetzt und veröffentlicht. 20 Jahre nach Erscheinen der englischsprachigen Ausgabe ist Workers against Work von Michael Seidman im letzten Herbst nun auf Deutsch erschienen. Andreas Förster hat aus einer wilden Rohübersetzung von wildcat– und FAU-Leuten, die in einem Moment von Euphorie über die Entdeckung eines solchen Buches entstanden war und dann jahrelang brach lag, einen gut lesbaren und durch viele Hinweise ergänzten Text gemacht, der diskutiert werden kann.
Seidman versuchte in seiner 1982 fertig gestellten Dissertation eine Sozialgeschichte des Kampfs gegen die Arbeit zu schreiben, wie er sich in zwei bedeutenden Bezugspunkten der Linken darstellte: der Revolution in Spanien 1936/1938 und den Fabrikbesetzungen im Mai/Juni 1936 in Frankreich, die zur Volksfront-Regierung führten. Er beschreibt ein massenhaftes und kollektives Arbeiterverhalten, das die »Lockerungen« des Fabrikregimes dazu benutzt, das Arbeitstempo zu reduzieren, sich mehr freie Zeit zu nehmen, gegen Akkordarbeit und Überstunden zu kämpfen. Darin wurden die ArbeiterInnen zum Teil von »ihren« Gewerkschaften unterstützt, zum Teil unterliefen sie deren Ziele durch ihr Verhalten. Ein Großteil der ArbeiterInnen in Barcelona war laut Seidmans Untersuchung nicht zu Opfern in Form von Mehrarbeit und Lohnverzicht bereit, um die Republik zu verteidigen; Fehlzeiten, Krankmachen, Sabotage nahmen zu. In Paris führte die von der Volksfront-Regierung eingeführte Verkürzung der Arbeitszeit (freies Wochenende und bezahlter Urlaub) und Umverteilung der Arbeit an die Arbeitslosen nicht dazu, dass die ArbeiterInnen sich aus Dank dafür mehr anstrengten: Die Produktivität sank just in den Jahren, als Frankreich gegen Deutschland aufrüsten wollte. Doch der letzte Generalstreik 1938 ging verloren, die Arbeitszeit wurde wieder erhöht, die aufrührerischen ArbeiterInnen entlassen.
Seidman stützte sich bei seiner Untersuchung der materiellen Bedingungen in der Produktion vor allem auf Archivmaterial: Zeitungsartikel, Propaganda-Plakate, interne Wirtschaftsberichte, Unternehmerpresse usw. Er belegt damit, dass der Widerstand gegen die Arbeit die gesamten 30er Jahre hindurch anhielt. Unter Linksregierungen verstärkte er sich, während die Repression der auf sie folgenden Regierungen ihn eindämmte, aber nie beseitigen konnte. Er gehörte zur Kultur der Arbeiterklasse. Seidman bezeichnet diese eher individuellen und verborgenen Kampfformen als Klassenkampf.
Sein Fazit ist, dass die Revolution bzw. Volksfront in Spanien wie in Frankreich nicht an äußeren Umständen oder Auseinandersetzungen innerhalb der Volksfront gescheitert sind, sondern schlicht und einfach am Unwillen der Arbeiter zu arbeiten. Die Schuld für die Diskrepanz zwischen den ArbeiterInnen und »ihren« Gewerkschaften gibt er dem »Produktivismus« der Arbeiterparteien an der Macht.
Kritik des Produktivismus
Im ersten Teil des Buches über Barcelona wird dargestellt, wie sich die Regierung und insbesondere die Gewerkschaften ugt und cnt dem Problem stellen, in der Situation des Bürgerkriegs die Produktion aufrechtzuerhalten und die Betriebe weiterzuführen, die zum Teil von ihren Besitzern verlassen wurden. Hier bewegen sie sich im Widerspruch, einerseits materielle Verbesserungen für die ArbeiterInnen zu erwirken, andererseits aber von denselben ArbeiterInnen angesichts der verheerenden Versorgungslage Mehrarbeit zu fordern. Der Autor übt insbesondere Kritik an den gesellschaftlichen Utopien des Anarcho-Syndikalismus, die sich in den städtischen Agglomerationen in ihrer Technikbegeisterung kaum von kommunistischen oder sozialdemokratischen der damaligen Zeit unterscheiden: die Vision einer Arbeitsgesellschaft, in der die ArbeiterInnen ein geachtetes und auskömmliches Leben führen, in der sie in guten Wohnungen leben und sich von ihrem Lohn ein privates Auto kaufen können.
Dass ausgerechnet die CNT in diese Rolle kam, führt Seidman auf die »Rückständigkeit« der Bourgeoisie in Spanien zurück, die »ihrer Aufgabe«, der Entwicklung des Kapitalismus durch Investitionen und Rationalisierung der Produktion, nicht nachgekommen war, sondern in einem autoritär und mit der katholischen Kirche stark verquickten Staat von ihrer Rente lebte. Die »modernen« Industrien waren sämtlich in der Hand von ausländischen Kapitalisten – was auch das Beharren der Anarchosyndikalisten auf einer »nationalen« industriellen Basis erklärt. So machte sich auch die CNT oder Teile davon zum Fürsprecher moderner Produktionsmethoden und einer »wissenschaftlichen Betriebsführung«, sprich Taylorismus. Sie sahen darin die einzige Möglichkeit, in Spanien eine moderne Ökonomie zu entwickeln, die die Versorgung der Bevölkerung sicherstellt und verbessert. Erstes Anliegen war aber natürlich, den Bürgerkrieg zu gewinnen. Die Akkord-Arbeit war abgeschafft worden, aber die Mehrheit der ArbeiterInnen arbeitete nicht freiwillig mehr. Als Appelle allein nicht halfen, um das Produktionsniveau aufrechtzuerhalten, griffen die Gewerkschafter in der Rolle der Betriebsleiter bald zu finanziellen Anreizen, wie sie auch in der Sowjetunion üblich geworden waren.
Frankreich war aber im Gegensatz dazu kein rückständiger Kapitalismus, hier gab es eine entwickelte Industrie, u.a. Fahrzeug- und Flugzeugbau. Die spontane Bewegung der Betriebsbesetzungen im Mai/Juni 1936 hatte Millionen von ArbeiterInnen erfasst, die die Arbeit niederlegten und aus ihren Produktionshallen für mehrere Wochen Festsäle machten, in denen gegessen, getrunken und getanzt wurde.
Am 4. Juni trat die erste Regierung Blum an – ein Bündnis der linken Parteien mit der aufgeklärten Bourgeoisie – und leitete eine Reform der Arbeitsbeziehungen ein: sie gestand den ArbeiterInnen das Recht auf Streik und die Wahl von Gewerkschaftsvertretern in den Betrieben zu. Die Arbeitszeit wurde auf 40 Stunden verkürzt, um Arbeitslosen Arbeit zu verschaffen. Gleichzeitig wurden Betriebe verstaatlicht, um in größeren Einheiten und mit staatlichen Geldern eine effektive Rüstungsindustrie aufzubauen.
Die Einführung des langen Wochenendes und von bezahlten zwei Wochen Urlaub machte »Produzenten« zu »Konsumenten«. Als »produktivistisch« kritisiert hier Seidman, dass die offizielle gesellschaftliche Utopie dennoch auf die Arbeit ausgerichtet blieb – und die Gewerkschaft cgt dies mittrug: die autogerechte Stadt, die räumliche Trennung von Produktion und Reproduktion und von »Freizeit« als bewusst gestaltete Zeit, die der körperlichen und geistigen Ertüchtigung dienen soll.
Die Hoffnungen des liberalen Bürgertums auf die Delegierten als stabilisierende Kraft in den Fabriken wurden jedoch zerstört. Die »Grundeinstellung« der Pariser Fabrikarbeiter war »gegen die Chefs«, wer das Arbeitstempo erhöhte und die Fabrikdisziplin durchsetzte, galt als Faschist. Statt unter den verbesserten Bedingungen auch besser zu arbeiten, führten zahlreiche ArbeiterInnen einen – wie Seidman es nennt – »Guerilla-Krieg gegen die Arbeit«: Boss napping, Fernbleiben von der Arbeit, früher nach Hause gehen, Krankmachen, Sabotage-Aktionen. Die Arbeitsproduktivität ging zurück – während zahlreiche ArbeiterInnen zusätzlich eingestellt wurden. Der symbolische Gipfel dieses Arbeiterunmuts war zweifellos die nicht rechtzeitige Fertigstellung des Arbeiterpavillons für die Weltausstellung 1937, der das fortschrittliche Bündnis feiern sollte.
Die politischen Auseinandersetzungen waren laut Seidman den meisten ArbeiterInnen ziemlich egal. In Barcelona zeigten sie wenig Engagement an der Front wie im Hinterland, in Paris nutzten sie die entspanntere Situation und arbeiteten weniger. In beiden Ländern traten sie zwar massenhaft den Gewerkschaften bei, um ihre neuerworbenen Rechte abzusichern. An den Versammlungen nahm aber immer nur eine Minderheit teil. Es etablierte sich eine Macht der Delegierten, die die Personalpolitik der Betriebe kontrollierten. Während diese in Frankreich ihre erste Priorität in der Verteidigung der 40-Stunden-Woche statt der Aufrüstung gegen Deutschland sahen und mit ihrer Führung in Konflikt gerieten, sah sich die cnt in Barcelona schließlich genötigt, Kampagnen gegen »Parasitentum« und Trunkenheit zu führen.
»Arbeit ist der Fluch der trinkenden Klasse«
In einem Text von 2011 über die »Wechselfälle« seines Buches (1) erzählt der Autor, wie er als junger Wissenschaftler durch seinen Studienaufenthalt in Paris 1979-82 mit der linksradikalen Szene in Kontakt kam, die die Arbeitsverweigerung kultivierte. Über sie bekam er Zugang zu klassischen französischen Texten, die die Arbeiter nicht als potentiell perfekte Produzenten sehen, sondern als widerständisch, die das Recht auf Faulheit propagierten. Erst 1968 wurde diese Haltung in der Parole der Situationisten »Arbeitet niemals!« wieder offensiv vertreten und fiel auf fruchtbaren Boden. Dies veränderte nachhaltig Seidmans Blick auf die Arbeiterklasse. Mit dem neu gewonnenen Schlüssel untersuchte er nun die Jahre 1936-38 in Barcelona und Paris – und zwar nicht als Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Fraktionen der Linken, sondern im Hinblick auf die Verhältnisse in der Arbeit bzw. das Verhalten der ArbeiterInnen.
Sein Resümee legt nahe, dass er eine »Arbeiterdemokratie« am Arbeitsplatz (Arbeiterkontrolle der Produktion) nicht für möglich hält und dass Industriegesellschaften eines starken und repressiven Staates bedürfen, der die ArbeiterInnen zum Arbeiten bringt.
Damit setzte er sich zwischen alle Stühle der akademischen und marxistischen Labour History. Er widersprach sowohl denen, die behaupteten, die ArbeiterInnen hätten sich mit dem Fabriksystem ausgesöhnt, als auch einer Arbeitergeschichtsschreibung, die den anhaltenden Widerstand gegen die Arbeit gerne ignoriert oder auf »Rückständige« oder »Parasiten« reduziert hatte – weil sie ihn nicht erklären konnte. Denn er widersprach ja ihrer Sichtweise von einer Arbeiterklasse, die sich selbst neu erschafft durch Arbeit. Ebenso handelten und handeln die Organisationen der Arbeiterbewegung, wenn sie einerseits Reduzierung der Arbeitszeit, der Vorgaben usw. fordern, andererseits den gesellschaftlichen Konsens zur Arbeit nicht antasten oder gar eine Verherrlichung der Arbeit betreiben, die die Menschen adle. Damit konnten sie sich lange Zeit zum Vermittler zwischen einer materialistisch handelnden Arbeiterklasse, die vor allem weniger arbeiten und ihren Konsum ausweiten wollte, und einer auf industriellen Fortschritt ausgerichteten Bourgeoisie machen. Seidman belegt in seiner Untersuchung, dass die wirklich in den Parteien oder Gewerkschaften Engagierten eine Minderheit waren, die sich mit der Gleichgültigkeit der großen Masse und ihrem »falschen Bewusstsein« auseinandersetzen musste. Diese Gleichgültigkeit stärkte aber auch die Tendenz zur Zentralisierung und Bürokratisierung der Apparate.
Im Vorwort zur ersten Ausgabe des Buches 1991 fasst Seidman seine Erkenntnisse zusammen. Er wendet sich nicht nur explizit gegen jeden fortschrittszentrierten (»marxistischen«) Blick auf die Geschichte, die den Übergang von der »Klasse an sich« zur »Klasse für sich« postuliert oder ein sich entwickelndes einheitliches »Klassenbewusstsein« am Werk sieht. Darüber hinaus wirft er auch den Anarchosyndikalisten, die diese Sichtweise nicht teilen, eine Ideologie der Arbeit und der wirtschaftlichen Entwicklung vor.
Dem »Arbeitsplatz-Utopismus« (bei dieser Formulierung ist unklar, ob er meint, dass die Arbeiter einen Arbeitsplatz wollen, also ein sicheres Einkommen, und auf die Arbeit gerne verzichten, oder eine Utopie, die auf der Arbeit beruht) stellt er eine utopische Dimension des Widerstandes entgegen, die zwar über keine klare Zukunftsvision des Arbeitsplatzes oder der Geschichte verfügte, aber die Reduzierung der Lohnarbeit auf ein Minimum. wollte. Er sagt, der Widerstand der Arbeiter könne nicht durch die Arbeiterkontrolle der Produktion beseitigt werden, sondern nur duch Abschaffung der Lohnarbeit selbst.
Eigenleben eines Buchs
Nachdem die offizielle Wissenschaft mit seinem Werk nicht viel anzufangen wusste, fand das Buch in Kopien und Netz-Versionen im linken Milieu Verbreitung – und zwar vor allem außerhalb der usa (die erste Übersetzung war eine ins Japanische!). Dort hat es unabhängig von seinem Autor ein Eigenleben entfaltet. (2) Diese Leute hätten eben besser als die Akademiker begriffen, dass die »Arbeiterbewegung« häufig eine Anstrengung der Basis war, um dem Arbeitsplatz und einer verhassten Arbeit zu entkommen, kommentiert Seidman heute. Im kurzen Vorwort zur deutschen Ausgabe von 2011 weist er darauf hin, dass die Kritik des »Produktivismus« auch helfe, den Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa oder den Übergang der chinesischen Regierung zu intensiveren Ausbeutungsformen zu verstehen.
Befreiung von der Arbeit statt Befreiung der Arbeit
Zugleich distanziert er sich aber auch ein Stück weit von seiner damaligen Herangehensweise. Es sei ihm in seinem Buch nicht gelungen, die »Geschichte von unten« auf eine solidere Grundlage zu stellen. Gegen die damals vorherrschende Sozialgeschichtsschreibung habe er »den kollektiven Charakter des Widerstands gegen die Arbeit« überbetont und dabei die »individualistische Grundlage vieler dieser Verweigerungen« vernachlässigt. Verstärkt worden sei dieser »blinde Fleck« durch die »utopische Perspektive«, aus der heraus er das Thema behandelt habe.
Statt auf eine kollektive Utopie setzt Seidman heute eher auf den Individualismus oder die »gesunde Skepsis der einzelnen (!) Lohnabhängigen« gegenüber Ideologien, die sie überzeugen wollen, sich für eine Sache zu plagen – wobei er in einer Reihe »Nationalismus, Faschismus, Sozialismus, Kommunismus und Anarchosyndikalismus« anführt. Der einzig unbesiegbare Widerstand gegen Diktatur liege beim Individuum. (4)
So fällt das Buch, das fast 30 Jahre nach seiner Abfassung nun auf Deutsch vorliegt, ein wenig aus der Zeit. Geschrieben mit dem drive der 1970er und 1980er Jahre, ist es auch ein Rückblick auf die damalige linksradikale Diskussion. Vom rebellierenden Individuum auszugehen, hat gut funktioniert gegen starke Parteiapparate, die den Arbeiterkampf eingeschlossen haben, oder gegen einen dominanten Arbeiterreformismus. Aus der Addition von tatsächlich verbreiteten »subversiven« Verhaltensweisen versuchte man, ein kollektives Klassenverhalten zu konstruieren – wobei die Gefahren, die darin lagen, schon früh sichtbar waren. Nach dem Zusammenbruch des Gegners standen dann die Individuen alleine da, von ehemals »subversiven« Verhaltensweisen blieb häufig nur Rückzug ins Private und manchmal Abzockermentalität übrig. Der Neoliberalismus konnte mit seinen »Angeboten« direkt an dieser Vereinzelung ansetzen und die kapitalistische Restrukturierung einleiten: Wenn Ihr nicht arbeiten wollte, könnt Ihr Euch ja selbständig machen, mit Aktien spekulieren…
Seidmann sieht das Problem durchaus, wenn er heute schreibt, dass die kollektive Interpretation des Widerstands gegen die Arbeit in den 1990er Jahren neu überdacht worden sei. Mit der Zerstörung der auf Arbeit basierenden Solidarität habe der Kapitalismus aus dem Lohnarbeiter ein konsumeristisches Individuum in einer kapitalistischen Gesellschaft gemacht. Aber wie kann vom Individuum aus Solidarität entwickelt werden?
Diese Frage stellen sich Gilles Dauvé und Karl Nesic in ihrem Text Arbeiter verlassen die Fabrik. (3) Auch wenn uns ihre Lösung nicht überzeugt, halten sie zumindest am zentralen Problem fest: wie kann sich in der heutigen Situation ein kollektives Projekt entwickeln?
Lesen!
Gegen die Arbeit enthält eine Fülle von interessantem Material – vor allem zu den Betriebsbesetzungen in Paris gibt es nichts Vergleichbares in deutscher Sprache. Es zerstört Mythen – das ist immer gut! – und provoziert bis heute alle diejenigen, die sich einbilden, »man« könne den Kommunismus errichten und die Arbeiter würden einfach weiter arbeiten und die Dinge produzieren, die die Gesellschaft angeblich benötigt. Aus Fabrikarbeit wird nicht einfach »selbstbestimmte Tätigkeit«, wenn sie »selbst verwaltet« wird. Für ArbeiterInnen bedeutet »Revolution«, sich vom ewigen Druck der verhassten Arbeit zu befreien. Alle Projekte von Arbeiterkontrolle der Fabrik, Selbstverwaltung der Produktion usw. mussten und müssen sich diesem Problem stellen. (5)
Das Buch behandelt eine Schlüsselepoche der linken Geschichte und stellt Fragen, die wieder hochaktuell sind. Seine Stärke liegt darin, dass er tatsächlich eine historische Untersuchung angestellt hat. Die Antwort darauf, wie eine soziale Revolution aussieht, in der die Abschaffung der Arbeit und die Entfaltung der Persönlichkeit im Vordergrund steht, sollten wir uns nicht von Michael Seidman erwarten. Wie es zu einem kollektiven Widerstand kommen kann, ist nicht (mehr) seine Fragestellung. Das müssen wir schon selbst diskutieren.
Fußnoten
(1) Michael Seidman, The Strange History of »Workers against Work«. The Vicissitudes of a Book, Échanges, September 2011. In diesem Text zählt er auch die gesamte akademische und linke Kritik an seinem Buch seit seinem Erscheinen auf.
(2) … worüber Seidman allerdings nicht nur glücklich war. Von einer sich als »kommunistisch« bezeichnenden Gruppe in Frankreich verlangte er, sich als »Kommunisten« ernst zu nehmen und den ins Französische übersetzten Text kostenlos zu verteilen. Andernfalls wolle er die Rechte einem anderen »weniger ausbeuterischen« Verlage geben… (a.a.O.)
(3) Gilles Dauvé /Karl Nesic, Arbeiter verlassen die Fabrik, Beilage zu Wildcat 88. Schon in der Broschüre Lieben die Arbeiter die Arbeit? hatten sie thematisiert, dass mit der Zersetzung der sozialistischen Arbeitsethik durch die Arbeiterkämpfe in den 1960er/70er Jahren mit der »Arbeiteridentität« auch das Verständnis vom unversöhnlichen Gegensatz zwischen Arbeitern und Kapital gefallen sei. Es habe zwar keinen Sinn, Bewusstsein vor dem Handeln zu schaffen, aber für den wirklichen Durchbruch brauche es ein Mindestmaß an Glauben daran, dass die beteiligten Menschen in der Lage sind, die Welt verändern, dass sich die Menschen selbst als Akteure der geschichtlichen Veränderungen begreifen und danach zu handeln versuchen. (Gilles Dauvé/ Karl Nesic, Lieben die ArbeiterInnen die Arbeit?, Beilage zu Zirkular 65 – noch lieferbar, alternativ auf www.wildcat-www.de).
(4) Bisher wurde wenig über das Buch diskutiert. In der syndikalisischen Website Barrikade aus Hamburg gab es einen aufbrausenden Aufruf zur Kritik von Seidmans Buch. Die Beiträge dazu versuchen aber v.a., die eigene Strömung in Schutz zu nehmen.
(5) Ganz aktuell gibt es den Vorschlag, die pleite gegangene Drogeriekette Schlecker in eine Kooperative überzuführen. Vgl. auch die Begeisterung über die Fabrikation des »Strike Bike« vor fünf Jahren.
erschienen in: Wildcat 92, Frühjahr 2012
Freizeit und Faulheit trotz Volksfront und Revolution
Wer Geschichtsbücher zu Zwecken der Erbauung liest, kann durch die Lektüre dieser Untersuchung schwer verstört werden. Hier wird ein altes operaistisches wie situationistisches Axiom die Arbeiter lieben die Arbeit nicht anhand der revolutionären Volksfront in Katalonien 1936-1939 sowie der parlamentarisch-bürgerlichen Variante der gleichen Zeit in Paris sehr gewissenhaft nachgewiesen und mit einer Fülle von Material illustriert.
So hatte die anarcho-syndikalistische CNT Probleme, in den von ihr kontrollierten Betrieben eine Produktivitätssteigerung herbei zu führen, obwohl sich die ArbeiterInnen Kataloniens extremstem Druck und kaum zu leugnenden Sachzwängen durch den Bürgerkrieg ausgesetzt sahen. Seidmann untersucht die Geschichte der Arbeiterinnen dieser Zeit nicht anhand der politischen Spaltungslinien der Linken, wie sie in den Maitagen 1937 in Barcelona als bewaffneter Konflikt zu Tage trat. Er unterscheidet vielmehr zwischen Vertretern eines industriellen Produktivismus, welche die damalige Linke gleich welcher Richtung dominierten, und davon weitgehend autonomen ArbeiterInnen, die sich dem Diktat der Effizienzsteigerung widersetzten.
Seidmann fördert dabei erstaunliches zu Tage: Arbeitslager und quasi staatlichen Zwang gab es auch unter anarchosyndikalistischer Hegenomie, genauso wie Wendehälse, die nach der (vorerst) geglückten Revolution 1936 massiv in die CNT eintraten. Maßgebliche Figuren der CNT wie Abad de Santillàn schauten mit Bewunderung auf die Autoproduktion und Stadtplanung in den USA. Man versuchte die Methoden und Ansichten von Vordenkern wie Le Corbussier und kaltherzigen Schleifern wie Taylor und Ford zu rezipieren und für sich umzusetzen, versuchte Ingenieure für sich zu gewinnen, und stieß dabei auf in etwa die gleichen Probleme, wie sie kapitalistische Unternehmer antreffen. Die Arbeiter reagierten mit verschiedensten Formen der Renitenz.
In Paris brach unter der politischen Herrschaft der Volksfront die Produktivität ein. Mehr Beschäftigung durch kürzere Arbeitszeiten, der freie Samstag, die Erfindung des Urlaubs und der Freizeit all das erkämpften sich die ArbeiterInnen, teils unter Rückendeckung der kommunistisch geprägten CGT. Sie dankten es der Regierung unter Leon Blum keineswegs durch fleißigeres, intensiveres Arbeiten. Auch nicht, als die Kriegsgefahr durch das auf Hochtouren rüstende Deutschland immer deutlicher wurde.
So ist das oben erwähnte Axiom Arbeiter lieben die Arbeit nicht zugleich ein Paradoxon: Erst Produkte wie die fließbandgefertigte und damit erschwingliche Wachmaschine befreien uns AbeiterInnen von der Mühsal der Hausarbeit, so wie eine fließbandgefertigte Kalashnikov der spanischen Revolution gute Dienste hätte leisten können. Mangelnde Produktivität führt zur Konservierung oderWiedereinführung der archaischer Plackerei, aber das macht die Fließbandarbeit nicht angenehmer.
Dieses absolut lesenswerte Buch, das bereits 1991 in den USA erschien und erst jetzt auf Deutsch vorliegt, hinterlässt viele Fragen und manche Enttäuschung über die Dynamik des Sozialismus und die Möglichkeiten der Selbstverwaltung. Es ist dem Autor hoch anzurechnen, dass er keine Antworten präsentieren will, oder in Häme über politische Gegner verfällt, wie sie in operaistischen Zirkeln anzutreffen ist, sondern bei einer nüchternen, fairen Untersuchung bleibt.
Heiner Stuhlfauth
erschienen auf: wobblies.de (in gekürzter Form im November 2011 ebenfalls im ak 566)
Arbeitergeschichte von unten
Der Historiker Michael Seidman untersucht, wie Arbeiter 1936 in Spanien und Frankreich auf linke Umwälzungen reagierten
Vor 20 Jahren hat der US-Historiker Michael Seidman seine Doktorarbeit unter dem Titel »Arbeiter gegen die Arbeit« herausgegeben. Nach zwei Jahrzehnten konnte nun eine deutschsprachige Ausgabe realisiert werden, was in erster Line dem Verlag Graswurzelrevolution und dem Übersetzer Andreas Förster zu verdanken ist. Das Buch ist eine Fundgrube für alle, die sich für eine Sozialgeschichte der spanischen Revolution und der französischen Volksfrontpolitik interessieren.
Seidman untersucht, wie die Proletarier 1936 in Barcelona und Paris auf die linken Umwälzungen reagierten. Die Ausgangsbedingungen könnten unterschiedlicher nicht sein. In Barcelona hatte die anarchosyndikalistische CNT die Kontrolle über einen Großteil der Betriebe übernommen. Im selben Jahr übernahm eine von der Französischen Kommunistischen Partei unterstützte Volksfrontkoalition im nördlichen Nachbarland die Regierung. Seidman interessieren dabei nicht die Organisationen und ihre Ideologien, sondern deren Politik und ihre Auswirkung auf die Mehrheit der Bevölkerung.
Beiden Bewegungen ging es um eine Gesellschaft der Produzenten. Seidman zeigt an zahlreichen Beispielen aus der anarchosyndikalistischen Presse und anhand von Propagandaplakaten, dass das Ideal der spanischen Anarchosyndikalisten eine Gesellschaft der Arbeit war. In harschen Tönen wandten sie sich gegen alle, die nicht durch ihre Arbeit an der Gestaltung der Gesellschaft beitrugen. »Die Müßiggänger schiebt beiseite«, dieser Satz aus der Internationale wurde von einem großen Teil der CNT-Aktivisten mit voller Überzeugung gesungen. Damit polemisierten sie gegen den Adel und den in Spanien damals sehr mächtigen Klerus, aber auch gegen eine Bourgeoisie, die nicht in der Lage war, Spanien zu einem modernen Industrieland zu formen. Seidman zeigt auf, dass die CNT diese Aufgabe übernehmen wollte und dafür die Stachanow-Methoden der Bestarbeiter aus der Sowjetunion zum Vorbild nahm.
Auch den Taylorismus, den die CNT anfangs als arbeiterfeindlich bekämpfte, akzeptierte sie schließlich. Damit kam sie bald in Konflikt mit dem Teil der Proletarier, die entweder politisch uninteressiert waren oder in die CNT nur eingetreten sind, weil sie sich Vorteile erhofften. Auf vielen Seiten zeigt der Historiker auf, wie sich die CNT zunächst mit beschwörenden Appellen, doch bald mit Kontrolle und Überwachung, der Ausgabe von Arbeitsausweisen und sogar der Errichtung von Arbeitshäusern um die Erhöhung der Produktivität bemühte.
In Paris setzte mit der Volksfrontbewegung die Arbeiterfreizeit- und Urlaubsbewegung ein. Seidman sieht hier sogar die Wurzeln des Billigtourismus. Nicht Arbeiterkontrolle, sondern die Entdeckung der Arbeiter als Konsumenten, sei der Kern der Politik der französischen Regierung gewesen.
Mancher These Seidmans mag man nicht folgen. Seine zentrale These vom Kampf der Arbeiter gegen die Arbeit hat er mittlerweile selber relativiert. Trotzdem ist das Buch ein Stück wichtige Arbeitergeschichtsschreibung, die ansonsten ignoriert und vernachlässigt wird.
Peter Nowak
erschienen in: Neues Deutschland, 13.01.2012
Barcelona und Paris: Gegen die Arbeit
Die Volksfrontregierungen in Frankreich und Spanien von 1936 und die damit verbundenen Kämpfe gehören zu den großen und umstrittenen Ereignissen der Revolutionsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Nach dem 7. Weltkongress der Kommunistischen Internationalen 1935 versuchten die Kommunistischen Parteien klassenübergreifende Volksfronten gegen den europäischen Faschismus und japanischen Imperialismus zu schmieden. In Spanien unterstützte sogar die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT (Confederación Nacional del Trabajo) die Volksfront aus SozialistInnen, KommunistInnen und bürgerlichen Liberalen, die im Februar 1936 die Wahlen gewann. Nach dem vorerst gescheiterten Putschversuch rechtsgerichteter Teile des Militärs, geführt von General Franco, im Juli 1936, kam es vor allem in der Provinz Katalonien zur sozialen Revolution. Das Bürgertum floh aus Barcelona, die meisten Fabriken wurden in Folge von Arbeiterkomitees der CNT übernommen. Auf ihrem Höhepunkt hatte die CNT bis zu zwei Millionen Mitglieder in Spanien und ihre Hochburg war Katalonien.
In Frankreich gewann die Volksfront im Mai 1936 Wahlen und bildete bis Juni 1937 unter Führung des Sozialisten Leon Blum eine Regierung, die von der KPF im Parlament unterstützt wurde. Als Reaktion auf Generalstreik und illegale Fabrikbesetzungen führte die Volksfrontregierung die 40-Stundenwoche sowie zwei Wochen bezahlten gesetzlichen Urlaub ein, was damals in Europa eine große Errungenschaft darstellte. Das französische Bürgertum war aber stärker als das spanische; bis auf die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie blieb die kapitalistische Eigentumsordnung unangetastet. Oft wurde in der Linken später diskutiert, wer die spanische oder französische Revolution verraten haben soll oder ob es in diesen Ländern damals überhaupt eine revolutionäre Situation gab. Die zentrale Streitfrage bezüglich des spanischen Bürgerkrieges (1936-1939) ist bis heute, ob die soziale Revolution die Voraussetzung für die Gewinnung des Krieges gegen die FaschistInnen war oder ob erst in einem möglichst breiten Bündnis und einer zentralisierten Armee der Krieg gewonnen werden musste, um an die Möglichkeit einer sozialen Revolution überhaupt denken zu können.
Michael Seidman, Professor an der University of North Carolina (Wilmington), wählt in seinem Buch Gegen die Arbeit einen ganz anderen Zugang: Er untersuchte Arbeitskonflikte auf der Betriebsebene und die Rolle der Gewerkschaften in Paris und Barcelona zwischen 1936 und 1938. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass die ArbeiterInnen die neu gewonnen Freiheiten dazu nutzten, sich den Zumutungen der Lohnarbeit zu entziehen und weniger arbeiteten als zuvor sowie die Produktivität senkten. Außerdem kam es trotz linker Regierungsbeteiligungen weiter zu Streiks. Er argumentiert, dass die FunktionärInnen, sowohl der kommunistisch-dominierten Gewerkschaft CGT (Confédération générale du travail) in Frankreich als auch der spanischen CNT, glaubten, dass Arbeiterbeteiligung und die Demokratisierung der Fabrik zu einer Rationalisierung und Steigerung der Produktivität führen würden. Dabei liebäugelten sogar einige mit den Management-Ideen von Henry Ford oder dem Traum von Autostädten.
Da die Macht der UnternehmerInnen geschwächt war, konnten CGT und CNT in Teilen der Industrie über die Einstellungen von ArbeiterInnen entscheiden, was auch die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften besonders attraktiv machte. Die Mitgliederzahlen der CGT wuchsen z.B. von 800.000 (1935) auf 4 Millionen (1937) an (S.449). Die Disziplinlosigkeit von ArbeiterInnen wurde in Folge zum direkten Problem der Gewerkschaften. In Frankreich appellierte die CGT, die Produktion müsse wegen Rezension und Kriegsgefahr gesteigert werden. (Im März 1936 waren die Truppen Nazideutschlands in das entmilitarisierte Rheinland einmarschiert.) UnternehmerInnen und liberale BündnispartnerInnen übten dagegen Druck auf die Regierung aus, die 40-Stundenwoche wieder abzuschaffen. Das Festhalten der ArbeiterInnen an der verkürzten Arbeitswoche trug zur Sprengung der Regierungskoalition bei, so Seidman. „Die Volksfront war wegen ihrer Ausweitung der Freizeit beliebt und es war kaum überraschend, dass ihr Ende von Arbeiteraktionen gegen die Erhöhung der Arbeitszeit ausgelöst wurde“ (S. 422). In Spanien wollten trotz des Bürgerkrieges zwischen der Republik und den Putschisten 1936 und 1937 viele Arbeiter in Barcelona nicht auf den Sommerurlaub verzichten (S. 219). Schließlich unterstützte auch die CNT Disziplinierungsmaßnahmen gegen ArbeiterInnen wie die Einführung von Arbeitszertifikaten. Die Konflikte in Paris und Barcelona gelten Seidman als Beispiel für ArbeiterInnenwiderstand gegen die Zwänge des Arbeitsraumes und der Arbeitszeit. Er macht die oft verdeckten Formen des alltäglichen Widerstandes in den Betrieben sichtbar.
Seidmans Buch stützt sich auf reiches Quellenmaterial, vor allem auf Dokumente von Betriebsversammlungen, aber auch Berichte von UnternehmerInnen. Die englische Fassung des Buches erschien schon 1991 bei University Press of California. Es ist der Verdienst des Verlages Graswurzelrevolution und der ÜbersetzerInnen, dass die innovative Studie jetzt auch auf Deutsch vorliegt. Interessant ist, dass Seidmans Kritik die kommunistischen und anarchistischen Gewerkschaften gleichermaßen trifft. Es ist auch eine indirekte Kritik am Linkskommunismus, der oft den Eindruck erweckt, alles löse sich in Wohlgefallen auf, wenn ArbeiterInnenkomitees in den Betrieben die Macht übernehmen. Der Rückgang von Produktivität wird dann immer mit dem Eingreifen von bösen ParteifunktionärInnen erklärt, durch das die ArbeiterInnen ihren Enthusiasmus verlieren würden. Seidmans Buch gibt indirekt auch orthodoxen KommunistInnen Argumente in die Hand, die behaupten, dass in Spanien die Republik den Bürgerkrieg gegen den Faschismus auch deshalb verloren habe, weil AnarchistInnen die Versuche der Zentralisierung von Armee und Produktion sabotiert hätten. Haben nicht auch ArbeiterInnen den Kampf gegen den Faschismus verraten, wenn sie sich 1937 weigerten, auf den Sommerurlaub zu verzichten, während Zehntausende GenossInnen in den Streitkräften der Republik und Internationalen Brigaden an der Front starben?
Seidmans Argumente regen zum Nachdenken an, allerdings sind sie nicht vollständig überzeugend: Haben wirklich Millionen organisierte ArbeiterInnen in Paris und Barcelona nur ans Blaumachen und Bummeln gedacht oder waren nicht einige auch von den großen Zukunftsvisionen des Kommunismus und Anarchismus beeinflusst? Im Vorwort von 2011 lobt Seidman die „gesunde Skepsis der einzelnen Lohnabhängigen gegenüber verschiedenen Ideologien – Nationalismus, Faschismus, Sozialismus, Kommunismus und Anarchosyndikalismus, die sie beziehungsweise ihn davon überzeugen wollen, sich für eine Sache zu plagen“ (S.16). Existieren diese Ideologien nur außerhalb der Individuen und Klassen? In Seidmans Buch erscheint es, dass nur die FunktionärInnen an das große Ganze dachten, während die ArbeiterInnen nur individuellen Interessen nachgingen. Das scheint fast wie Lenins These aus „Was tun?“, der sagte, dass ArbeiterInnen von sich heraus nur gewerkschaftliches Bewusstsein entwickeln könnten. Seidman ist natürlich kein Leninist und steht in diesem Konflikt wohl eher auf der Seite der bummelnden ArbeiterInnen. Die binäre Gegenüberstellung von ArbeiterInnen und FunktionärInnen erscheint im Buch oft künstlich.
Fragwürdig ist auch eine Analyse der Situation in Barcelona, die den Bürgerkrieg nur am Rande erwähnt. Der spanische Bürgerkrieg war damals der größte militärische Konflikt in Europa nach dem 1. Weltkrieg und kostete über 500.000 Menschen das Leben. Auf der Seite Francos standen das faschistische Italien und Nazideutschland, die Waffen und Elitentruppen für den kommenden Weltkrieg probten. Die zeitweilige Regierungsbeteiligung der CNT und auch die Notwendigkeit in manchen Fällen gegen die eigene Basis handeln zu müssen, ist ohne diesen Hintergrund nicht zu verstehen. Zentral für die Bildung und das Ende der Volksfronten in beiden Ländern war auch die Außenpolitik der Sowjetunion. Wurden die großen weltpolitischen Ereignisse in den Betrieben damals nicht diskutiert oder hat sich Seidman beim Lesen der Protokolle dafür nicht interessiert?
Pflichtlektüre für alle, die sich für die Geschichte der linken Bewegungen interessieren, ist Gegen die Arbeit dennoch. Es macht nachdenklich, wenn ArbeiterInnen neue Freiräume (aus)nutzen, um sich der Arbeit zu entziehen und damit die Produktion des gesellschaftlichen Reichtums für alle schmälern, statt zu Sitzungen der Fabrikkomitees zu gehen. Die Frage, wie eine Gesellschaft ohne Zwang und die Androhung von Arbeitslosigkeit, Produktivität und ein Mindestmaß an Disziplin auf Dauer aufrechterhalten kann, ist in der Praxis bisher noch unbeantwortet. Ohne sich zu plagen, wird es wohl nicht gehen.
Paul Pop
erschienen in: grundrisse. zeitschrift für linke theorie & debatte
Gegen die Arbeit
Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38
Der US-amerikanische Historiker Michael Seidman stellt in seiner umfangreichen Studie zu den Arbeitskämpfen in Barcelona und Paris 1936-38 einige beliebte Mythen der anarchistischen und sozialistischen Bewegung in Frage.
Seidmans Buch ist als vergleichende Studie konzipiert, die sich mit der Stellung der ArbeiterInnen in den revolutionären Prozessen in Barcelona und Paris der Jahre 1936-38 beschäftigt. Er geht der Frage nach, wie sich die ArbeiterInnen in den Betrieben, als diese von den “eigenen Leuten” verwaltet wurden, verhielten und zu welchen innerbetrieblichen Dynamiken es kam – mit einigen überraschenden Ergebnissen. Zudem analysiert er jeweils die Stellung und die Unterschiede der Bourgeoisie und der ArbeiterInnenklasse zu jener Zeit in Barcelona und Paris. Seidmans These – natürlich von einer linken und solidarischen Perspektive verfasst -, dass in den revolutionären Situationen, wie sie damals vorherrschten, der Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit in den Betrieben nicht aufhörte, weil ja nun scheinbar “selbstverwaltet”, sondern tendenziell sogar mehr wurde und die Gewerkschaften so gehörig in die Bredouille kamen, wird auf fast 500 Seiten detailreich geschildert und wirft einige fundamentale Fragen auf.
Barcelona und die Spanische Revolution
Wenn es bei Streitgesprächen zwischen AnarchistInnen und autoritären SozialistInnen noch irgendeiner Begründung bedurfte, warum der Anarchismus – um es etwas polemisch auszudrücken – schlichtweg besser ist als alles was sich zweitere je ausdachten, konnte man sich stets auf die Spanische Revolution, auf das glorreiche Jahr 1936 verlassen. In der Spanischen Revolution wurde tatsächlich Beachtliches geleistet und es bleibt eines der wenigen historischen Beispiele dafür, wie anarchistische Ideen in der Praxis umgesetzt wurden. Dennoch, oder gerade deshalb, schwingt hier aber auch häufig eine gehörige Portion Verklärung mit. Es entstehen Mythen, die sich hartnäckig halten. Michael Seidman räumt mit einigen dieser Mythen gründlich auf – was vor allem uns AnarchistInnen beim Thema Spanien herausfordert.
Auf den Punkt gebracht ist Seidmans Grundthese jene, dass Formen von Arbeitsverweigerung, Sabotage, Steiks, etc. in Zeiten, in denen die ArbeiterInnen ihre Betriebe selbst bzw. von den Menschen, die vorgaben sie zu vertreten (Gewerkschaften, sozialistische Parteien), verwaltet wurden, nicht weniger, sondern teilweise sogar mehr wurden. Dies steht der oft unwidersprochenen Annahme diametral entgegen, ArbeiterInnen würden, unter dem Vorzeichen der Selbstverwaltung, ihrer Arbeit voll Enthusiasmus und revolutionärem Elan nachgehen, ungeachtete dessen, wie hart oder unattraktiv sie auch sein mag. Seidman schildert die Realitäten in den Betrieben jedoch gänzlich anders: Da die ArbeiterInnen zum Beispiel in Barcelona entgegen den Erwartungen der Gewerkschaften wie der anarchosyndikalistischen CNT oder der linkssozialistischen-kommunistischen UGT dies eben kaum oder nicht in dem Umfang, wie sie es erhofft hatten, taten, griffen diese zu diversen Repressions- und Zwangsmaßnahmen. Eine Geschichte der Spanischen Revolution, die man bisher kaum hörte. Seidman beschreibt seine Herangehensweise zu dem Thema so:
“Die Geschichtsschreiber der Spanischen Revolution haben sich auf die politischen und ideologischen Spaltungen zwischen Kommunisten, Sozialisten und Anarchosyndikalisten konzentriert und haben dabei das zentrale Problem vernachlässigt, nämlich die Scheidung zwischen Aktivisten [gemeint sind führende GewerkschaftsaktivistInnen; Anm. S.K.] einerseits, die sich einer gewissen Zukunftsvision verschrieben hatten, und Arbeitern andererseits, die sich zur Verwirklichung dieses Ideals nicht aufopfern wollten. Die Aktivisten wandten Zwang an, damit die Arbeiter härter arbeiteten, um sowohl den Krieg zu gewinnen als auch die neue Gesellschaft aufzubauen. Der Krieg verstärkte die Notwendigkeit von Zwangsmaßnahmen lediglich, er schuf sie nicht. Der Krieg war also nicht der Grund für Zwang und Repression gegen die einfachen Arbeiter, sondern war – wie auch die Zukunftsvision der Aktivisten – das Ergebnis eines langen historischen Prozesses, der seine Wurzeln in der Vorkriegszeit hatte.” (S. 257)
Dieser Zwang und die Repression, von denen Seidman hier spricht, waren verbunden mit einem von diesen Organisationen verbreiteten Arbeitsethos, der die Arbeit als das einzig anzustrebende Ziel definierte, als etwas, was den Menschen glücklich mache – und zwar nur und primär das. Der Versuch, diese “Liebe zur Arbeit” (S. 252) der Basis zu vermitteln, ging einher mit pathetischen Phrasen wie, dass die Arbeit “die göttliche Sonne” (ebd.) sei, die den Nationen “das Licht” (ebd.) bringen würde, und so weiter. Seidman resümiert: “Die künftige Gesellschaft würde sich nicht um Religion, um Sex, Kunst oder Spiele drehen: die Arbeiter würden zentral sein, und es war klar, <i>dass sie arbeiten müssen.</i>” (ebd.; Hervorhebung S.K.) Auch, dass die CNT Arbeitslager für politische GegnerInnen einrichtete, in denen diese durch Arbeit “umerzogen” werden sollten, ist ein verstörendes Detail, an dem man zu kauen hat. Letztendlich fanden sich CNT/UGT-AktivistInnen aber in einer Rolle wieder, die doch recht paradox anmutet. Plötzlich waren sie es, die mit Streiks und Sabotage in den von ihnen verwalteten Betrieben zu kämpfen hatten – Handlungen, getätigt nicht vom “Klassenfeind” oder “den Faschisten”, sondern von ihren eigenen Mitgliedern! Somit waren “die Techniker und Gewerkschaftsaktivisten, welche die Kontrolle über die Produktivkräfte übernahmen, mit denselben Problemen konfrontiert wie auch die westlichen Bourgeoisien und die kommunistischen Parteien, die jeweils ihre Produktionsmittel schnell entwickelt haben.” (S. 245) AnarchosyndikalistInnen und KommunistInnen waren mit renitenten ArbeiterInnen ihrer Gewerkschaften konfrontiert, “die weiterhin mehr Lohn verlangten, Krankheiten vortäuschten, die Produktion sabotierten, die Kontrolle und Disziplin des Fabriksystems ablehnten und Aufrufe ignorierten, an der Verwaltung des Arbeitsplatzes teilzunehmen.” (ebd.) Die Reaktion darauf war laut Seidman jene, dass die demokratische Ideologie der ArbeiterInnenkontrolle beiseite geschoben und der Versuch gestartet wurde, mit Zwangsmaßnahmen die Produktion zu steigern. Seidman bezeichnet CNT-AktivistInnen, die sich hier als besonders unnachgiebig und repressiv herausstellten, an unterschiedlichen Stellen deshalb gar als “Anarcho-Bolschewisten”. Dass dieser ArbeiterInnenwiderstand aber nicht einfach als Racheakt reaktionärer Teile der ArbeiterInnenbewegung abzutun ist – wie dies gerne behauptet wurde -, macht Seidman ebenfalls deutlich. Dieser bislang kaum beachtete Widerstand der ArbeiterInnenschaft und wie die CNT/UGT darauf reagierte, werfen einige wichtige und grundlegende Fragen auf und waren auch bereits Anlass intensiver Diskussion in Ländern, in denen Seidmans Buch in dementsprechenden Übersetzungen publiziert wurde.
Paris, die Volksfront und die Fabriksbesetzungen
Im Falle der Pariser Fabriksbesetzungen unter der Volksfront-Regierung versucht Seidman zuerst die Unterschiede zwischen den Bedingungen in Paris und Barcelona zu erläutern – sowohl was die Bourgeoisie als auch die ArbeiterInnenbewegung anlangt.
“Während 1936 anarchosyndikalistische Aktivisten in Barcelona die unterentwickelten Produktivkräfte übernahmen, die eine schwache Bourgeoisie zurückgelassen hatte, wurden die Aktivisten der radikalen Linken in Paris – Anarchosyndikalisten, Trotzkisten und dissidente Kommunisten – mit ihrer Forderung nach Sowjets, Arbeiterräten oder einer anderen Form der Arbeiterkontrolle weitgehend ignoriert. Die Masse der Arbeiter und, anders als in Barcelona, auch die Aktivisten der größten Arbeiterorganisationen (…) interessierten sich kaum für sie. Im Gegensatz zu den spanischen Organisationen hatten die größten französischen Gewerkschaften 1936 ihre früheren Grundsätze revolutionärer Arbeiterkontrolle bereits aufgegeben.” (S. 261f.)
Nachdem durch die Fabriksbesetzungen in Frühjahr 1936, die Seidman als “die größte Streikwelle in der Geschichte der Dritten Republik” (S. 315) bezeichnet, die zu “den bedeutendsten Sozialreformen” (ebd.) geführt hätten, viele Verbesserungen für die ArbeiterInnen erreicht werden konnten, riss auch hier der Widerstand gegen die Arbeit nicht ab. Die “direkten und indirekten Revolten gegen die Arbeit” (S. 343), dieses “quasi immerwährende Phänomen unter Lohnabhängigen, intensivierte sich unter der Regierung der französischen Volksfront.” (ebd.)
Spannende Thesen, produktive Denkanstöße
Seidman wurde manchmal vorgeworfen, er fokussiere sich zu stark auf die negativen Aspekte dieser Arbeitskämpfe und lasse die positiven Errungenschaften außen vor. Beim Lesen kann man diesen Eindruck vor allem beim Barcelona-Teil gewinnen, erscheint aber im Falle der Spanischen Revolution in Anbetracht der Tatsache, dass es Bücher über eben jene positiven Aspekte zu Hauf gibt (die im Gegenzug die negativen Aspekte geflissentlich unter den Teppich kehren) weniger problematisch. Positiv betrachtet könnte man es als wichtigen Fundus häufig verschwiegener Fakten betrachten. Eine derartige Studie, geschrieben aus einer Perspektive, der nicht unterstellt werden kann, sie sei politisch zugunsten der Rechten motiviert, ist ungemein wichtig. Auch, wenn die Fakten dem AnarchistInnen-, SozialistInnen-, SyndikalistInnen- und GewerkschafterInnenherz schmerzen mögen, tut eine kritische Auseinandersetzung damit Not. Seidman ist in dieser Hinsicht also eine Herausforderung für alle jene, die ein vollständiges Bild “unserer” Geschichte, frei von Verklärung und Mythenbildung, haben und anregende Fragen zum Thema Arbeitskampf behandelt sehen wollen.
Beim Lesen drängen sich einige fundamentale Fragen zum Verhältnis ArbeiterIn und Lohnarbeit auf und die Vermutung, dass es stets Widerstand gegen Lohnarbeit geben wird, egal, von wem der Arbeitsplatz verwaltet wird. Seidmans Schlusswort macht einiges zu seiner persönlichen Einschätzung bezüglich Lohnarbeit und ihrem Verhältnis zur ArbeiterInnenklasse deutlich. Entgegen der unter revolutionär-sozialistischen AkteurInnen weit verbreitete Annahme, “der Staat sei überflüssig, sobald die Arbeiter der Kontrolle über die Produktivkräfte übernommen hätten” (S. 459), schlussfolgert der Autor aufgrund seiner Forschungen:
“Obwohl Arbeiterparteien- und gewerkschaften an den Regierungen beteiligt waren, leisteten die Arbeiter weiterhin Widerstand gegen die Zwänge des Arbeitsraumes und der Arbeitszeit und provozierten so das staatliche Eingreifen zur Produktionssteigerung. Historiker können daraus den Schluss ziehen, dass der Staat erst abgeschafft werden kann, wenn Lafargues [Autor von “Recht auf Faulheit”; Anm. S.K.] kybernetisches Utopia verwirklicht sein wird.” (S. 459)
“Gegen die Arbeit” ist einerseits für jene lesenswert, die ein spezifischen Interesse an weniger bekannten Aspekten der Arbeitskämpfe in Barcelona und Paris 1936-38 haben, andererseits aber auch für jene, die sich ganz generell mit Themen rund um die Arbeit (Arbeits- und Klassenkampf, Streik, Gewerkschaften, Lohnarbeit, etc.) auseinandersetzen und bereit sind, nach der Lektüre womöglich einige altbewährte Thesen zu diesen Themen zu hinterfragen.
Sebastian Kalicha
erschienen in: kritisch-lesen.de Nr. 17, 1. Mai 2012