Alexandre Froidevaux

Gegengeschichten oder Versöhnung?

Erinnerungskulturen und Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur "Transición" (1936-1982)

28,90 

Soziale Revolution versus Konterrevolution, antifaschistischer Kampf, Unabhängigkeitskrieg – vielfältig waren die Geschichtsbilder, die sich die verschiedenen Strömungen der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg (1936-1939) machten. Der Autor stellt die wichtigsten Diskussionen und Entwicklungen des Antifranquismus dar. Er beschreibt das Zustandekommen der politischen Kompromisse der „Transición“, ohne die das heutige Spanien nicht zu verstehen ist.

Beschreibung

Alexandre Froidevaux
Gegengeschichten oder Versöhnung?
Erinnerungskulturen und Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur „Transición“ (1936-1982)

600 Seiten, 28,90 Euro
ISBN 978-3-939045-25-0

Soziale Revolution versus Konterrevolution, antifaschistischer Kampf, Unabhängigkeitskrieg – vielfältig waren die Geschichtsbilder, die sich die verschiedenen Strömungen der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg (1936-1939) machten. Die Erinnerungen an die Ereignisse jener Jahre (libertäre Revolution, Kriegshandlungen, franquistische Repression) prägten das Selbstverständnis der anarchistischen, sozialistischen und kommunistischen AktivistInnen und ihrer Organisationen in den Jahrzehnten danach. Die innerlinken Kämpfe der Bürgerkriegszeit belasteten jedoch den Widerstand gegen die Franco-Diktatur (1939-1975). Alexandre Froidevaux legt nach jahrelanger Erforschung spanischer Quellen und Archive erstmals eine übergreifende Erinnerungsgeschichte der spanischen Arbeiterbewegung vor: ausgehend vom Bürgerkrieg über die Zeit des Franquismus bis hin zur „Transición“ (1975-1982), der Zeit des Übergangs zur Demokratie. Er analysiert geschichtspolitische Debatten, die linken Opfererinnerungen, wie die Linken durch Rückbezug auf die Vergangenheit politische Identitäten ausbildeten und wie sich diese wandelten. Seine These ist, dass die Arbeiterbewegung häufig „in Geschichte sprach“. Nach einem Generationenwechsel, während der zweiten Phase der Franco-Diktatur, hörte sie zwar gewissermaßen damit auf, aber letztlich konnte sie doch nicht von der Geschichte lassen. Das Buch ist auch eine politische Geschichte der spanischen Linken von 1936 bis 1982. Der Autor stellt die wichtigsten Diskussionen und Entwicklungen des Antifranquismus dar. Er beschreibt das Zustandekommen der politischen Kompromisse der „Transición“, ohne die das heutige Spanien nicht zu verstehen ist.

Inhalt

I. Einleitung

I. A. Themenbereich, Eingrenzungen, Begriffe
I. B. Themenaufriss und Fragestellung
I. C. Forschungsstand und Quellen

II. Gedächtnistheoretische Grundlagen

II. A. Kollektives und kulturelles Gedächtnis
II. B. Erinnerungskultur, Geschichtspolitik, Erinnerungsorte
II. C. Einwände gegen die Theorie vom kollektiven Gedächtnis und Aleida Assmanns begriffliche Erweiterungen
II. D. Der Gegenstand der Studie und die gedächtnistheoretischen Begriffe

III. Die spanische Arbeiterbewegung in Bürgerkrieg und Revolution

III. A. Zweite Republik (1931-1936/1939)
Die spanische Gesellschaft und die Arbeiterbewegung
„Bienio de reformas“, Landfrage, anarchistische Aufstandsversuche und Linksruck des Sozialismus (April 1931-September 1934)
Rechtsregierung, „spanische Oktoberrevolution“, Sieg der Volksfront und der Weg in den Bürgerkrieg (September 1934-Juli 1936)

III. B. Spanischer Bürgerkrieg und soziale Revolution (1936-1939)
Militärputsch, faschistische Vernichtungskampagne und Verteidigung Madrids (Juli 1936-November 1936)
Entwicklungen und Debatten in der republikanischen Zone (Juli 1936-März 1937)
Kollektivierungen, Gewalt von links, das Dilemma der CNT-FAI, die Regierung Largo Caballero und die Position des PCE / Linke Narrative des Bürgerkrieges und die Debatte „Milizen oder Volksheer?“
Maikämpfe, Regierung Negrín, Verfolgung des POUM, Militarisierung der Milizen und Obstruktion der Kollektive (März 1937-März 1938)
Kampagne gegen Prieto, CNT-UGT-Abkommen, Negríns 13 Punkte, Frauenemanzipation und „Casado-Putsch“ (März 1938-März 1939)
Exil und Zerschlagung der Arbeiterorganisationen, Bilanz und Einordnung des Krieges

IV. Die Last der Niederlage – von den geschichtspolitischen Konfrontationen zur „nationalen Versöhnung“ (1940er und 1950er Jahre)

IV. A. „Primer franquismo“
Franco-Diktatur 1939-1959
Franco-Diktatur: Geschichtspolitik und Ideologie
Die Arbeiterbewegung und der antifranquistische Widerstand 1939-1959
Hunger, Exil, Untergrundorganisationen und antifranquistische Guerrilla / Subversiver Gewerkschaftskampf, Verhandlungen mit ehemaligen Kriegsgegnern sowie alte und neue Arbeiterbewegung

IV. B. „Warum haben wir den Krieg verloren?“ – die linke Debatte über den Bürgerkrieg in der „posguerra“
Anarchistische und kommunistische Antworten
Sozialisten in Auseinandersetzung mit dem PCE und mit sich selbst
„Casado-Putsch“ oder legitimer „Verteidigungsrat“?
Ein gespaltenes Verlierergedächtnis

IV. C. „Apolitische“ versus „Politische“ – geschichtspolitische Auseinandersetzungen
in der anarchistischen Bewegung
Die Zusammenarbeit mit den übrigen Volksfrontkräften fortführen oder beenden?
Die Spaltung des MLE sowie die Strategie der „Politischen“
Die Strategie der „Apolitischen“ und die Konzeption von Horacio Martínez Prieto
Anarchosyndikalistische Erinnerungskultur in der „posguerra“

IV. D. Distanzierung von der Volksfront und erste Schritte auf dem Weg zur Versöhnung durch die Sozialisten
Negrín-Gegner versus „negrinistas“ – das schwierige Erbe des Bürgerkrieges beim Neuaufbau von PSOE und UGT
Das Abkommen von St. Jean-de-Luz – Verhandlungen mit ehemaligen Kriegsgegnern
Sozialistische Erinnerungskultur in den 1950er Jahren und die „Kinder der Sieger und Besiegten“

IV. E. Geschlossenes Bürgerkriegsnarrativ, dissidente Kommunisten und die Politik der „nationalen Versöhnung“ der Kommunistischen Partei
Heroischer Antifaschismus, „unidad“ als Lehre und mythifizierte Führer – die Erinnerungskultur des PCE
Die abweichenden Stimmen der „Renegaten“
„Reconciliación nacional“ – der geschichtspolitisch-strategische Kurswechsel

IV. F. Fazit

V. Zwischen Versöhnungsdiskurs und identitätsstiftender Vergangenheit (1960er Jahre bis zum Tod Francos)

V. A. „Segundo franquismo“
Franco-Diktatur 1959-1975
Die Arbeiterbewegung und der antifranquistische Widerstand 1959-1975
Die Wiedergeburt der Arbeiterbewegung: CCOO und USO / Permanenter Aufruhr und der PCE als dominante Kraft des Antifranquismus

V. B. Der Antifranquismus „vergisst“ die 1930er Jahre: CCOO, USO, Gruppe Tierno und AST/ORT
Die neue Arbeiterbewegung und die Entsemiotisierung des Bürgerkrieges
Der Generationenbruch sowie die Grenzen des Versöhnungsparadigmas

V. C. Kommunisten für und wider die „reconciliación-nacional“-Politik
Der doppelte erinnerungskulturelle Diskurs des PCE
Die „Geschichtsarbeit“ des PCE
Widerstand gegen die neue Parteilinie – der Fall Claudín und maoistische Abspaltungen

V. D. Die Anarchisten und die libertäre Revolution
Die Wiedervereinigung der CNT
Der Versöhnungsdiskurs des cincopuntismo sowie die „Geschichtsarbeit“ der Gruppe Solidaridad
Gegen das Vergessen der Revolution: „apolitische“ und „politische“ Geschichtswerke

V. E. Der Sozialismus vom Versöhnungskurs zur Spaltung des PSOE
Bündnispolitik ohne Kommunisten, München 1962 und sozialistische Erinnerungskultur
„Renovadores“ versus „históricos“ – die Spaltung des PSOE anhand geschichtspolitisch-strategischer Fragen

V. F. Das traumatische Opfergedächtnis der Linken Trauma, Angst, Schweigen
Sich besser nicht einmischen – der Verlust von Erinnerung an emanzipatorische Experimente
„Literatura testimonial“ – erinnern, damit es sich nicht wiederholt

V. G. Fazit

VI. Zwischen Vergessen und Erinnern der konfliktgeladenen Vergangenheit (vom Tod Francos bis zur Konsolidierung der Demokratie)

VI. A. „Transición“ (1975-1982)
Der Antifranquismus erzwingt die Demokratisierung, aber nicht die „ruptura democrática“
Mittels „ruptura pactada“ zur parlamentarischen Monarchie

VI. B. Das Vergessen setzt sich durch
Die (geschichts-)politischen Kurswechsel von PCE und PSOE (r)
Der „pacto del olvido“ und das Amnestiegesetz vom Oktober 1977
Der Preis für die Demokratie und der „desencanto“

VI. C. Erinnern statt Vergessen: Anarchosyndikalismus, Frauenbewegung und eine erinnerungspolitische Bewegung

VII. Schlussbetrachtungen

Siglenverzeichnis
Glossar
Verzeichnis der Schaubilder
Verzeichnis der konsultierten Archive und Archivbestände
Quellen- und Literaturverzeichnis
Namensverzeichnis

Aus der Einleitung

„Vieles, was in der Linken gesprochen wird, wird in Geschichte gesprochen[.]“ (1)

Mit Blick auf die lateinamerikanische Linke konstatiert der Wiener Historiker David Mayer: „Sei es die Herausbildung eines eigenen Kollektivs, sei es die Legitimation der eigenen Existenz beziehungsweise des eigenen Handelns – Geschichte ist eine der Hauptwährungen, in der innerhalb der Linken Ideen und fundamentale Hoffnungen zirkulieren und in der interne Differenzen abgeglichen werden.“ (2)

Ließe sich diese Feststellung noch auf andere politische Gruppen übertragen, so sei das Alleinstellungsmerkmal der Linken, fährt Mayer fort, dass ihr Vergangenheitsbezug auf die Zukunft gerichtet sei. Durch die Rekonstruktion von „Gegengeschichten“ würde die Möglichkeit zum politischen Wandel in der Geschichte und die prinzipielle Transformierbarkeit von Gesellschaft sichtbar und somit die Existenz der Linken als gesellschaftsverändernde Kraft legitimiert. (3)

Nicht von ungefähr, lässt sich anfügen, lautet ein populärer Slogan der radikalen Linken: „The future is unwritten!“

Eine Prämisse der vorliegenden Untersuchung besteht darin, dass diese Beobachtungen für die Linke im Allgemeinen gelten. Folglich müssten sie auch auf die spanische Arbeiterbewegung und deren kollektives Erinnern an den Bürgerkrieg (1936-1939) zutreffen. Während der „Transición“, dem Übergang zur Demokratie in den 1970er Jahren, setzte die Sozialistische wie die Kommunistische Partei allerdings auf das Vergessen der jüngsten Vergangenheit, um die nationale Versöhnung zu erreichen. Lässt sich die Hypothese von der in Geschichte sprechenden Linken dennoch auch für Spanien verifizieren? Wie verarbeitete die spanische Linke den Bürgerkrieg in den nachfolgenden Jahrzehnten? Der Spanische Bürgerkrieg war das fundamentale Ereignis in der Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert. In ihm bekämpften sich zwei Blöcke. Das rechte, nationalistische Lager wurde von einer Koalition aus rechtsradikalen Offizieren, reaktionären Klerikern, Großgrundbesitzern, Großbourgeois, Monarchisten unterschiedlicher Richtung, katholischen Konservativen, faschistischen Falangisten und Rechtsrepublikanern gebildet. Im linken, republikanischen Lager fanden sich die verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung wieder: Anarchisten und Sozialisten, moskautreue und nichtstalinistische Kommunisten. Die soziale Basis bildeten Landproletarier und Kleinbauern, Arbeiter und Kleinbürger. Hinzu gesellten sich Linksrepublikaner und baskische wie katalanische Nationalisten. (4)

Zu Beginn, am 17./18. Juli 1936, stand ein Putsch antidemokratischer und antikommunistischer Generäle gegen die Zweite Republik (1931-1936/39), der ersten parlamentarischen Demokratie auf spanischem Boden von gewisser Dauer. Der Staatsstreich teilte Spanien in zwei Einflusssphären und löste den Krieg aus, der sich durch die Intervention der faschistischen Staaten Italien und Deutschland auf nationalistischer und der Sowjetunion auf republikanischer Seite schnell internationalisierte und 32 Monate dauerte. In seinem Ursprung war der Bürgerkrieg allerdings ein innerspanischer Konflikt. Neben politischen Konfliktfeldern wie dem der Stellung von Kirche und Militär in der Gesellschaft oder der Frage der peripheren Nationalismen in Katalonien und im Baskenland war der Krieg vor allem das Ergebnis eines eskalierten klassenkämpferischen Prozesses. In der republikanischen Zone gingen in Reaktion auf den Putsch Bäuerinnen und Bauern wie Arbeiterinnen und Arbeiter direkt dazu über, eine soziale Revolution einzuleiten. Mit dem Ziel, den „comunismo libertario“ (libertärer Kommunismus) zu erringen, wurden auf dem Land und in den Städten Ländereien und Betriebe enteignet und kollektiviert. (5) Für libertäre Syndikalisten, nichtstalinistische Kommunisten und viele Linkssozialisten war die Gegenwehr gegen die „Faschisten“ und die Kirche nicht vom Kampf für die Revolution zu trennen. Reformistische Sozialisten, moskautreue Kommunisten und Linksrepublikaner standen indessen gegen die Revolution und setzten alles auf die Verteidigung der parlamentarischen Demokratie. Das linke Lager war so von Beginn an uneins, was in erheblichem Maße dazu beitragen sollte, dass der Bürgerkrieg verloren ging.

Die Niederlage hatte für die Arbeiterbewegung dramatische Konsequenzen. Jegliche Option auf einen emanzipatorischen Wandel war blockiert, denn die Diktatur des Generals Francisco Franco schrieb auf Jahre hinaus den sozialen und politischen Status quo des traditionellen Spaniens fest. Die franquistischen Sieger überzogen ihre Gegner zudem mit einer systematischen Repression, die sich in Hinrichtungen, Gefangenschaft, Zwangsarbeit, Folter, Hunger und sozialer Ausgrenzung ausdrückte. Hunderttausende konnten sich dieser entgrenzten Gewalt allein durch den Gang ins Exil entziehen. Die Franco-Diktatur trachtete aber nicht nur nach dem direkten Zugriff auf die Körper ihrer Untertanen, sondern strebte auch eine Deutungshoheit über die Geschichte im Allgemeinen und über die jüngste Vergangenheit im Besonderen an.

Die Zweite Republik war dem franquistischen Geschichtsbild nach nichts anderes als ein konzertierter Angriff auf die spanische Nation mit ihrem katholischen, patriarchalen und soldatischen Wertekanon.

Im Juli 1936 hätte sich das Militär gezwungen gesehen, einen Kreuzzug gegen eine antispanische Verschwörung von Bolschewisten und Freimaurern zu führen, um die Nation zu retten. Diese Geschichtsdeutung wurde nach 1939 zur diskursiven Legitimationsbasis des franquistischen Regimes und mittels sämtlicher geschichtspolitischer Werkzeuge hegemonialisiert. Zugleich wurden davon abweichende historische Narrative unterdrückt und weitestgehend aus der Öffentlichkeit verdrängt.

Als Francisco Franco im November 1975 starb, erwies sich die antifranquistische Opposition als zu schwach, um eine demokratische Revolution durchzusetzen. Stattdessen handelten reformbereite Eliten des franquistischen Machtapparates und die Hauptkräfte der Opposition, darunter die Sozialistische und die Kommunistische Partei, einen Übergang zur parlamentarischen Monarchie aus. Eine entscheidende Zielsetzung der „Transición“ (1975-1982) war die Überwindung der Spaltung der spanischen Gesellschaft. Um Versöhnung zu erreichen, wandte man sich pragmatisch den Zukunftsaufgaben zu. Die konfliktive Vergangenheit, die wahlweise als „brudermörderisch“ oder „nationale Tragödie“ bezeichnet wurde, sollte ein für allemal vergangen und vorbei sein. Diese geschichtspolitische Richtungsentscheidung wurde schon bald „pacto del olvido“ (Pakt des Vergessens) genannt. Als Folge davon waren die Erinnerungen der Bürgerkriegsverlierer im öffentlichen und politischen Diskurs auch weiterhin kaum präsent und konnten somit auch nicht Teil eines neuen demokratischen Kollektivgedächtnisses werden. Dabei erwies sich der Diskurs der „Transición“, unterfüttert von einer latenten bis offenen Putschdrohung seitens rechter Militärs gegen die neue spanische Demokratie, als derart nachhaltig, dass bis weit in die 1990er Jahre hinein beinahe jegliche Thematisierung der konfliktiven Vergangenheit als systemgefährdend wahrgenommen wurde und tatsächlich kaum stattfand. Dies änderte sich sichtbar erst ab der Jahrtausendwende, als zivilgesellschaftliche Initiativen von sich reden machten, die sich die „Wiedergewinnung der historischen Erinnerung“ („recuperación de la memoria histórica“) zum Ziel gesetzt hatten. Die „recuperación de la memoria histórica“ entwickelte sich zu einer bis zum heutigen Tag aktiven Erinnerungsbewegung und löste eine geschichtspolitische Debatte aus, die unter anderem zur Verabschiedung eines „Erinnerungsgesetzes“ durch die Cortes (spanisches Parlament) im Jahr 2007 führte. (6)

Die „memoria histórica“-Gruppen suchen intensiv nach dem Verbleib der „desaparecidos“ (Verschwundene) genannten Todesopfer der Frühphase des Franquismus, erzählen in Ausstellungen oder Videofilmen nur scheinbar vergessene Geschichten der spanischen Arbeiterbewegung, setzen sich für die Beseitigung erinnerungskultureller Restbestände der Diktatur in den spanischen Städten ein oder treiben die Speicherung der Lebensberichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der 1930er und 1940er Jahre voran. Dabei wird, so ein Ergebnis meiner Forschung zu dieser Erinnerungsbewegung, linkes kollektives Erinnern offenbar, das lange Zeit unterdrückt und durch die Geschichte vielfältig gebrochen wurde. (7)

Dieser Befund stellt den zweiten Ausgangspunkt dieses Buches dar. Er führt zu der Frage: Wie sah linkes Erinnern vor dem Auftauchen der „recuperación de la memoria histórica“ aus? Im Folgenden wird untersucht, wie die spanische Arbeiterbewegung den Bürgerkrieg, die libertäre Revolution sowie die franquistische Repression in den Jahrzehnten des Franquismus und der „Transición“ verarbeitete und tradierte: Welche Relevanz hatten diese Erinnerungen für die kollektiven Identitäten der anarchistischen, sozialistischen und kommunistischen Arbeiterbewegung? Wie sahen die geschichtspolitischen Praxen und Erinnerungskulturen dieser Strömungen aus und welche Veränderungen können dabei ausgemacht werden?

Anmerkungen

(1) D. Mayer: Contrahistorias, S. 131.

(2) Ebd.

(3) Vgl. ebd., S. 132.

(4) Eine geschlechterneutrale Schreibweise in einem Wort (Arbeiter_innen) wird in dieser Arbeit aus stilistischen Gründen nicht verwendet. Stattdessen wird ausgeschrieben (Arbeiterinnen und Arbeiter). Aus Platzgründen ist das nicht immer möglich. In den Fällen, in denen ein personenbezogenes Substantiv nur ein grammatikalisches Geschlecht umfasst, sind semantisch alle Geschlechter gemeint.

(5) Spanischsprachige Begriffe werden nur bei Erstnennung mit der deutschen Übersetzung versehen. Siehe das Glossar im Anhang.

(6) Vgl. A. Froidevaux: Recuperación de la memoria histórica, S. 62 ff. In jüngster Zeit sind allerdings Rückschritte zu verzeichnen. So leitete der Untersuchungsrichter Baltasar Garzón im Herbst 2008 zwar Ermittlungen unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschheit ein. Bald darauf musste er diese jedoch einstellen und wurde später sogar wegen Rechtsbeugung angeklagt, wenn auch nicht verurteilt (vgl. ders.: Von rigider Sparpolitik und anderen Krisen, S. 5 f.). Seit Ende 2011 regiert in Spanien zudem der konservative Partido Popular (Volkspartei), welcher der „memoria histórica“ und sämtlichen Erinnerungsinitiativen, welche die franquistischen Verbrechen berühren, feindselig gegenübersteht.

(7) Vgl. A. Froidevaux: Erinnerungskultur ›von unten‹.

Interview

Interview mit Alexandre Froidevaux

Der Autor Alexandre Froidevaux im Interview mit Literadio während der Leipziger Buchmesse 2016.