Beschreibung
Gabriel Kuhn
Indigener Widerstand in Zeiten des Klimawandels
Sápmi: Grüner Kolonialismus im Norden Europas
Reihe „Auf den Punkt“
66 Seiten | 11,90 Euro | ISBN 978-3-939045-54-0
Die Sámi sind die indigene Gesellschaft des Nordens Europas. Ihr Siedlungsgebiet, Sápmi, verteilt sich auf die Staatsgebiete Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands. Im Zuge der Kolonisierung Sápmis erfuhren die Sámi Landraub, Vertreibung und Zwangsassimilierung. Die Grundlagen ihrer Kultur sind von Kolonialmächten ausgehöhlt worden, ihr Glaubenssystem, ihre sozialen Organisationsformen, die Art, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Arroganz der Kolonialherren (in diesem Fall der nordischen Nationalstaaten und Russland), die Selbstverständlichkeit der Landübernahme durch aus dem Süden kommende Siedler:innen, die Geringschätzung indigener Lebensweise und Kultur sowie die Härte, mit der die Kolonisierung durchgesetzt wurde, waren allzu bekannt. Bis heute profitieren die nordischen Nationalstaaten von der Ausbeutung Sápmis, wie das traditionelle Siedlungsgebiet der Sámi genannt wird. Immer wieder widersetzten sie sich politischer Diskriminierung und ökonomischer Ausbeutung. In der gegenwärtigen Widerstandsbewegung verbinden sich Kämpfe um Klimagerechtigkeit mit Forderungen nach bedürfnisorientiertem Wirtschaften und indigener Selbstbestimmung. Die samische Widerstandsbewegung ist damit wegweisend für nachhaltige Lebensformen der Zukunft.
Inhalt
Einleitung
Eine politische Kurzgeschichte Sápmis
Grüner Kolonialismus
Selbstbestimmung
Schlusswort
Aus der Einleitung
Im Jahr 2000 reiste ich zum ersten Mal in den hohen Norden Europas. Ich wusste wenig über die Sámi und war erstaunt, wie viele Parallelen es in ihrer Geschichte zu jener der indigenen Gesellschaften gab, die ich auf anderen Kontinenten besucht hatte. Auch im Falle der Sámi waren die Grundlagen ihrer Kultur von Kolonialmächten ausgehöhlt worden, ihr Glaubenssystem, ihre sozialen Organisationsformen, die Art, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Arroganz der Kolonialherren (in diesem Fall der nordischen Nationalstaaten und Russland), die Selbstverständlichkeit der Landübernahme durch aus dem Süden kommende Siedler:innen, die Geringschätzung indigener Lebensweise und Kultur sowie die Härte, mit der die Kolonisierung durchgesetzt wurde, waren allzu bekannt.
Bis heute profitieren die nordischen Nationalstaaten von der Ausbeutung Sápmis, wie das traditionelle Siedlungsgebiet der Sámi genannt wird. In der schwedischen Fernsehserie „Midnight Sun“, in der samische Kultur im Jahr 2016 erstmals etwas nuancierter porträtiert wurde, klärt ein schwedischer Hubschrauberpilot eine französische Polizistin über die Gesellschaftsstruktur des hohen Nordens auf: „Sie haben den Sámi alles genommen. Außer der Rentierhaltung. Wahrscheinlich, weil die so harte Arbeit ist.“
Ich lebe seit 2007 in Schweden, dachte jedoch lange nicht, dass ich publizistisch zu Sápmi arbeiten würde. Mein Interesse an indigenen Fragen tauchte hie und da in meinen Texten auf, doch größere Studien hielt ich für die Aufgabe anderer, in erster Linie indigener Autor:innen selbst. Doch mehrere Aspekte führten dazu, dass ich 2018 meine Meinung änderte. Vor allem war es die Frustration über das Desinteresse an samischen Fragen in der Mehrheitsgesellschaft der nordischen Länder. Die Nonchalance, die in diesem Zusammenhang zutage trat, fand ich provozierend. Als im Jahr 2017 eine bekannte samische Künstlerin in ein Unterhaltungsprogramm des schwedischen Fernsehens SVT geladen wurde, begrüßte die Programmleiterin sie wie folgt: „Du bist Sámi. Kannst du mir darüber ein bisschen erzählen? Ich habe keine Ahnung.“ Gesagt wurde das ohne Anzeichen von Scham oder Peinlichkeit – ganz so, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, keine Ahnung von der indigenen Bevölkerung des Landes zu haben.
In der Linken sieht es nicht viel anders aus. Hier gibt es mehrere Gründe, die das Verhältnis zu den Sámi erschweren; sie reichen von der Fortschrittsgläubigkeit der traditionellen sozialistischen Bewegung bis zur Betonung von Tierrechten in der gegenwärtigen aktivistischen Generation.
Ich fragte mich in zunehmendem Maße, ob ich nicht vielleicht doch einen Beitrag dazu leisten könnte, mehr Bewusstsein für die Situation in Sápmi zu schaffen, zumal es einen Mangel an Texten für ein internationales Publikum zu geben schien. Der Großteil der Literatur zu Sápmi in nicht nordischen Sprachen besteht aus schwer erhältlichen und teuren akademischen Abhandlungen.
Ich beschloss, ein wesentlich auf Interviews mit samischen Aktivist:innen, Künstler:innen und Forscher:innen aufbauendes Buch auf Englisch zu schreiben. Dieses erschien 2020 unter dem Titel „Liberating Sápmi: Indigenous Resistance in Europe’s Far North“. Danach arbeitete ich vor allem journalistisch zu Sápmi. Im Deutschen erschienen zahlreiche Artikel in der Tageszeitung „junge Welt“ sowie Reportagen in dem Magazin „Tagebuch“, der Straßenzeitung „Surprise“ oder der Umweltzeitschrift „Rabe Ralf“. Auf Englisch schrieb ich über Sápmi für „Counterpunch“, auf Schwedisch für „Arbetaren“. Dieses Buch basiert wesentlich auf den für diese Arbeiten unternommenen Reisen, damit verbundenen Studien und den Gesprächen, die ich mit Sámi führen durfte. Mein Hauptinteresse gilt immer noch politischen Fragen. Ich bin kein Experte, was samische Kultur oder Spiritualität betrifft.
Obwohl ich des Samischen nicht mächtig bin, ist es relativ einfach, samischen Debatten in Norwegen und Schweden zu folgen. Auch unter den Sámi spricht nur eine Minderheit die samische Sprache, das meiste Material ist auch auf Norwegisch oder Schwedisch zugänglich. In Finnland ist es schwieriger, da sich das Finnische wesentlich vom Norwegischen und Schwedischen unterscheidet. Allerdings garantiert die schwedischsprachige Minderheit in Finnland auch Berichterstattung zum finnischen Teil Sápmis auf Schwedisch, und Englisch ist als Fremdsprache unter den Sámi Finnlands weit verbreitet. Am schwierigsten gestaltet sich der Kontakt zur samischen Gemeinde in Russland. Zu den Sprachbarrieren kommen beschwerliche Einreisebedingungen und eine politische Situation hinzu, die zur Vorsicht mahnt. Sámi sind zurückhaltend im Austausch mit kritischen Journalist:innen aus dem Ausland. Zwar habe ich Informationen zur samischen Gemeinde in Russland so gut wie möglich in dieses Buch eingebaut, doch es ist der einzige Teil Sápmis, den ich nie besucht habe, und in dem meine Kontakte sehr begrenzt sind.
Der Autor
Gabriel Kuhn wurde in Österreich geboren und lebt seit 2007 in Schweden. Er arbeitet als Autor, Übersetzer und Gewerkschafter. 2020 erschien sein Buch „Liberating Sápmi: Indigenous Resistance in Europe’s Far North“. Kuhn berichtet regelmäßig über die Lage in Sápmi für internationale Medien.