Beschreibung
Beatrix Müller-Kampel (Hg.)
»Krieg ist der Mord auf Kommando«
Bürgerliche und anarchistische Friedenskonzepte. Bertha von Suttner und Pierre Ramus
Mit Dokumenten von Lev Tolstoj, Petr Kropotkin, Erich Mühsam, Stefan Zweig, Romain Rolland, Alfred H. Fried, Olga Misar u. a.
288 Seiten
ISBN 3-9806353-7-6
Politik, die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, kommt auf ihre alten Rechtfertigungen zurück: Kriege sind unvermeidlich, gegen Krieg nützt nur die Drohung mit Militär, es gibt »gerechte« Kriege. Ist eine Programmatik, die Krieg durch die Beseitigung von Kriegsursachen ganz verhindern will, nicht hoffnungslos utopisch? Die prinzipielle Kritik des Krieges braucht die Erinnerung an pazifistische und antimilitaristische Traditionen, die aufs Ganze gingen. Deren Stärken, aber auch Grenzen neu zu diskutieren, ist aktuell notwendig, damit gegen den Mord auf Kommando mobil gemacht wird. Die von Beatrix Müller-Kampel herausgegebene und eingeleitete Sammlung historischer Texte zeigt zwei Traditionen im Kampf gegen den Krieg: die pazifistische, die darauf setzte, daß durch zunehmende Rationalität auch die zwischenstaatlichen Beziehungen zivilisiert würden. Dagegen stand die anarchistische Konzeption, die im Staat die entscheidende Kriegsursache erkannte und zur Verweigerung und schließlich zur Revolution gegen den Krieg aufrief, damit eine freie Gesellschaft mit allen Wurzeln der Gewalt breche. Beide Ansätze wirken bis heute fort.
Die Person Bertha von Suttners läßt erkennen, daß die pazifistische Position ihre Stärke oft aus vehementer Ablehnung der tatsächlich barbarischen Praxis des Krieges bezog. Sie denunzierte Krieg als Mord. Romain Rolland, Stefan Zweig und Erich Mühsam versuchen, Stärken und Grenzen des Pazifismus der Friedensgesellschaften zu benennen.
Die anarchistischen Positionen werden durch Kropotkin, Tolstoi und Pierre Ramus deutlich, die im Patriotismus/Nationalismus als der Religion des modernen Staates eine entscheidende Kriegsursache sehen und zur großen Verweigerung aufrufen: Kriegsdienstverweigerung bis zum Generalstreik.
Aus dem Inhalt
Beatrix Müller-Kampel
Bürgerliche und anarchistische Friedenskonzepte um 1900. Bertha von Suttner und Pierre Ramus
Bertha von Suttner • Pierre Ramus • Weltbilder, Menschenbilder • Staat, Staatenrecht und Staatsverträge • Freidenkertum und Sozialdemokratie • Sozialismus, Anarchismus und Humanismus • Vordenker und Vorbilder • Tolstoj und Jesus • Bilder und Argumente gegen den Krieg • Einpeitscher des Krieges • Glaubenssätze des Krieges • Mittel und Maßnahmen für den Frieden • Hohn und Spott • Was nun? Was tun? • Anhang: Bertha von Suttner. Biographische Übersicht • Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! • Pierre Ramus. Biographische Übersicht • Pierre Ramus: Friedenskrieger des Hinterlandes • Anmerkungen • Literaturverzeichnis
Programme und Pamphlete
Jesus von Nazareth
Prolog: Vom Töten. Vom Schwören. Von der Vergeltung. Von der Liebe zu den Feinden. Vom Richten. Die Goldene Regel
Bertha von Suttner
Der Bankerott des Totschlags
Bertha von Suttner
Heer und Feuerwehr. Eine kleine Parabel
Bertha von Suttner
Wehrwahnsinn. Ein utopischer Rückblick auf das barbarische Maschinenzeitalter
Alfred H. Fried
Kurze Aufklärung über Wesen und Ziel des Pazifismus
Romain Rolland
Der Sturm der Gewalt fegt über die Welt
Stefan Zweig
Bertha von Suttner
Erich Mühsam
Bertha von Suttner. Ein Nachruf
Petr Alekseevic Kropotkin
Der Krieg
Lev Nikolaevic Tolstoj
Patriotismus und Regierung
Friedrich Schütz
Ein Tag bei Leon Tolstoi
Pierre Ramus
Der Antimilitarismus als Taktik des Anarchismus
Olga Misar
Was wollen die Kriegsdienstgegner?
Olga Misar
Das Gelöbnis, keinen Waffendienst zu leisten!
Olga Misar
Die Aufgabe der Frauen
Erklärung der Internationale der Kriegsdienstgegner (1921/1925)
Internationales Manifest gegen die Wehrpflicht (1925)
Rezensionen
MALMOE
Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
ZivilCourage
Amazon-Kundenrezension
Ossietzky
Antimilitarismus revisited
Bürgerliche und anarchistische Friedenskonzepte im Vergleich
Zum Aushängeschild nationaler Errungenschaften lassen sich historische Nobelpreisträgerinnen allemal besser rekrutieren als gegenwärtige. Fast Hundert Jahre vor Elfriede Jelinek wurde als erste Frau überhaupt ebenfalls eine Österreicherin ausgezeichnet, die sich in das diesjährige Jubiläumsjahr – 60 Jahre Zweite Republik, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Beitritt – offenbar ohne weiteres integrieren lässt. Der 100. Jahrestag der Verleihung des Friedensnobelpreises an Bertha von Suttner fließe, so heißt es in einem Bulletin des Bildungsministeriums, “in die laufenden Maßnahmen im Bereich der Politischen Bildung ein”.
Obwohl sie nicht ohne Stolz “die rote Bertha” genannt wurde, eine Staatsfeindin war Suttner nicht. Das wird vor allem in der Gegenüberstellung deutlich, die Beatrix Müller-Kampel in ihrem aktuellen Buch vornimmt. Die bürgerlichen Friedensvorstellungen der österreichischen Gräfin werden darin mit den anarchistischen Konzepten eines ebenfalls aus Österreich stammenden Schriftstellers und Aktivisten konfrontiert: Pierre Ramus. Während die Nobelpreisträgerin in Staats- und Parteikreisen verkehrt und dort ihre Verbündeten sucht, hat Ramus für solcherlei Bemühungen nur Spott übrig. Er weist vielmehr auf den Zusammenhang von Gewalt, Ökonomie und Staat hin, der heute selbst in der Friedensforschung nicht mehr diskutiert wird. Gerade weil mittlerweile davon ausgegangen wird, Kriege geschähen vor allem dort, wo Staatlichkeit verschwunden ist, lohnt die Auseinandersetzung mit der vergessenen Tradition des anarchistischen Antimilitarismus.
Bei allen Differenzen im Staatsverständnis arbeitet Müller-Kampel aber auch die Gemeinsamkeiten der beiden Kriegsgegner heraus. Diese bestehen in programmatischer Hinsicht vor allem darin, die Wichtigkeit der Bildung zu betonen. Im Hinblick auf die theoretischen Anleihen und Inspirationen seien sie in erster Linie bei Leo Tolstoj zu finden. Aber auch bei Jesus Christus. Dieser Rückgriff liest sich allerdings etwas befremdlich, zumal er erstaunlicher Weise mehr noch vom Anarchisten Ramus als von Suttner für eine ethische Haltung in Anschlag gebracht wird. Frappierend aktuell sind allerdings die Gründe für den Krieg, gegen die sich beider Agitation richtet – es habe sie immer gegeben, sie würden im Auftrag Gottes oder aus Selbstverteidigung geführt etc. Die auf institutionelle Regulierung ausgerichtete Politik Suttners hat ihr einen Platz im kollektiven Gedächtnis und auf der österreichischen Zwei-Euro-Münze gesichert. Ramus hingegen, der auf ein aktionistisches Programm mit seiner Betonung der kollektiven Aktion, des zivilen Ungehorsam und der individuellen Verweigerung setzte, gehört zu den aus der Geschichte ausgeschlossenen. Bertha von Suttners schöner Satz von den drei Etappen, die jede geistige Bewegung durchzustehen habe – erst verlacht, dann bekämpft und später dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, offene Türen einzurennen -, gilt eben nicht für alle gleichermaßen. Die Durchsetzung von Ideen bleibt eine Frage kultureller Hegemonie.
Der noch junge Verlag der gleichnamigen anarchistischen Zeitschrift “Graswurzelrevolution” setzt mit der Publikation seine Geschichtsschreibung von Konzepten und Bewegungen radikaler Gewaltfreiheit fort. Nachdem die libertären Aspekte in der Philosophie Albert Camus freigelegt und der zivile Ungehorsam im schwarzen US-amerikanischen Widerstand der 1960er Jahre untersucht wurde, wird sich nun näher liegenden Klassikern zugewandt. Neben Artikeln von Tolstoj, Suttner und Ramus werden auch andere Originaltexte aus der historischen Friedensbewegung durch den Band wieder zugänglich gemacht. Dass diese keineswegs anachronistisch daherkommen, äußerst sich nicht bloß in einer weiteren Einigkeit zwischen Suttner und Ramus: Der Ablehnung von Patriotismus und nationalem Pathos.
Jens Kastner
leicht verändert erschienen in: MALMOE, Wien, Nr. 25, März 2005
Beatrix Müller-Kampel: “Krieg ist der Mord auf Kommando”
Das vorliegende Buch besteht aus zwei Teilen. In einem mittellangen Aufsatz vergleicht Beatrix Müller-Kampel, Germanistikprofessorin an der Universität Graz, ein bürgerlich-liberales und ein anarchistisches Friedenskonzept um 1900, während der umso längere Dokumententeil eine Reihe diesbezüglicher pazifistischer »Programme und Pamphlete« von Jesus von Nazareth bis zum »Internationalen Manifest gegen die Wehrpflicht« vom Jahre 1925 enthält.
Nach Meinung der Herausgeberin eignete sich die aristokratische Friedensnobelpreisträgerin Bertha v. Suttner »trefflich zur Ikonisierung«, während der jüdische Österreicher Pierre Ramus (d.i. Rudolf Großmann) trotz einer in Wien bestehenden Pierre-Ramus-Gesellschaft im kollektiven Gedächtnis Österreichs (noch) keinen Platz fand. Um diesem Umstand abzuhelfen, unternimmt es Müller-Kampel, in einem gut gegliederten Aufsatz einen Vergleich der Friedenskonzepte der beiden Genannten vorzunehmen. Die Lebenswege von Suttner und Ramus kreuzten sich nur einmal 1907 in Den Haag anlässlich der »Zweiten Haager Friedenskonferenz«, wobei es noch weiterer Forschung bedarf, ob es dabei überhaupt zu einer persönlichen Begegnung der aus so unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären stammenden Pazifisten kam. Auch ihre gedanklichen Konzeptionen bieten weit mehr Gegensätzliches als Gemeinsames, vom Hauptziel Frieden einmal abgesehen. Besonders deutlich wird das bei der Bewertung der Rolle des Staates zur Friedenswahrung. Während sich Bertha v. Suttner als stark staatsgläubig erweist und an die »Besserungsfähigkeit des Staatsmannes« glaubt, ist für den anarchistischen, aber gewaltfreien Auffassungen anhängende Ramus der Staat per Definition der »Gewaltherrscher der Unnatur, der alle Verbrechen heilig spricht, wenn sie in seinem Interesse geschehen«. Genauso stark wie Suttner auf die friedensbewahrende Rolle von Schiedsgerichten hofft, spricht sich Ramus gegen diese aus. Der Sozialdemokratie steht Bertha v. Suttner, wie die Verfasserin an mehreren Beispielen aufzeigt, mit Sympathie gegenüber, während den Anarchisten Ramus die Revolutionstheorie der Marxisten abstößt und er den Parlamentarismus der etablierten Sozialdemokratie verachtet. Wenn Ramus die Sozialismuskonzepte der Marxisten und Sozialdemokraten so vehement ablehnt, flößen andererseits der staatsgläubigen Bertha v. Suttner anarchistische Auffassungen Entsetzen ein. Als Vorbilder und Vordenker werden von Müller-Kampel für Bertha v. Suttner u.a. Darwin, Haeckel, Carus und Strauß genannt, während Ramus, wie es auch kaum anders zu erwarten war, Tolstoi, Kropotkin und Max Stirner bevorzugte. Beide Pazifisten verbindet jedoch bei ihren häufig so unterschiedlichen Auffassungen der biblische Satz »Du sollst nicht töten«, den sie in ihren einschlägigen Äußerungen immer wieder aufgreifen. Sogar ein später in anderer Beziehung berühmt gewordenes Motto wurde von Pierre Ramus 1907/08-1914 als Titel einer Zeitung verwandt: »Wohlstand für alle«. Ramus wird von der Verfasserin auch als ein früher Propagandist der Auffassung »Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin« gerühmt, da er im Kriegsfalle »Obstruktion, Sabotage und passiven Widerstand« empfiehlt. Gleichwohl hat Pierre Ramus, wie Müller-Kampel in dem ihrem Aufsatz angehängten, kurzen biografischen Anhang einräumt, nie eine größere Anhängerschar besessen. Ramus wurde während des ersten Weltkrieges in Österreich wegen Spionageverdacht interniert, saß nach dem Machtantritt der Austrofaschisten nochmals 14 Monate im Kerker und starb 1940 als Emigrant bei der Überfahrt nach Mexiko.
Im Aufsatz finden sich manche zeitkritische Seitenhiebe, wie der auf weibliche Armeeangehörige, die nach Meinung der Verfasserin allzu oft als Beispiel für die »Coolness der emanzipierten Frau« angeführt werden. Zu weit gegriffen erscheint es jedoch, den »gegenwärtigen Globalgeographen« klammheimliche Hoffnungen auf eine »quantitative Bevölkerungsbereinigung« durch Hunger, AIDS und Naturkatastrophen zu unterstellen, eine Aufgabe, die früher angeblich mittels Krieg gelöst wurde. Der Zweck des Buches besteht wohl in der Erinnerung an die bislang weitgehend unbeachtet gebliebenen anarcho-pazifistischen Auffassungen von Pierre Ramus vor dem Hintergrund der wesentlich besser durchforschten pazifistischen Auffassungen Bertha v. Suttners. Darauf deutet auch die Herausgabe des Buches im Verlag »Graswurzelrevolution« hin, der sich in seiner Verlagstätigkeit der Propagierung einer gewaltfreien, herrschaftslosen Gesellschaft verschrieben hat.
Jürgen W. Schmidt
erschienen in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 53. Jg., 2005, Heft 8
“Krieg ist der Mord auf Kommando”
Der den Satz der Überschrift sagte weilt schon lange nicht mehr unter den Lebenden. Rudolf Großmann alias Pierre Ramus, 1882 in Wien geboren, ist 1942 auf der Flucht vor den Nazi-Schergen auf der Überfahrt in das neue Exilland Mexico gestorben. Dazwischen lag ein engagiertes Leben als Journalist, Schriftsteller und Redner. Besonders hervorzuheben sind sein antimilitaristisches Engagement und sein Eintreten für eine freie antiautoritäre Erziehung sowie für eine genossenschaftliche Ökonomie. Die Ideen und Gedanken von Pierre Ramus lassen sich wieder entdecken in der gerade von Beatrix Müller-Kampel herausgegebenen Sammlung historischer Texte zum Thema Friedenskonzepte. Ramus’ Satz “Krieg ist der Mord auf Kommando” hat dem Buch seinen Titel gegeben. In diesem steht Ramus exemplarisch für die anarchistische Konzeption, die im Staat die entscheidende Kriegsursache erkannte und zur Verweigerung und schließlich Revolution gegen den Krieg aufrief.
Die andere Tradition im Kampf gegen den Krieg, die pazifistische, setzte darauf, dass durch zunehmende Rationalität auch die zwischenstaatlichen Beziehungen zivilisiert würden. In Müller-Kampels Buch “Krieg ist der Mord auf Kommando” wird diese Strömung insbesondere an der Person Bertha von Suttner (1843 – 1914) aufgezeigt. Ihr Leben wird beschrieben als das einer Frau, die als Europäerin aufgewachsen ist, als es noch kein Europa in heutiger Gestalt gab.
Von Suttners ca. 30 Romanen ist einer weltbekannt geworden: “Die Waffen nieder!”. 1889 in einer Erstauflage von 1000 Exemplaren gedruckt, ging der Roman bis 1914 ins unglaubliche 210. Tausend und wurde in schneller Folge in alle europäischen Sprachen übersetzt. Vor dem Hintergrund dieses Erfolgs arbeitete Bertha von Suttner rastlos an der Popularisierung der Friedensidee in Europa und USA, gründete 1891 in Wien die Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde, 1892 die Deutsche Friedensgesellschaft. Bertha von Suttner wurde vor 100 Jahren der Friedensnobelpreis verliehen.
Das von Beatrix Müller-Kampel herausgegebene Buch gliedert sich in zwei Teile. Der erste besteht in einer ausführlichen Einleitung der Herausgeberin, in der sie Bertha von Suttner und Pierre Ramus mit ihren jeweiligen Ansätzen ausführlich dar-und einander gegenüber stellt. Zudem macht sie jeweils kurze biografische Einführungen zu Suttner und Ramus. Insgesamt eine interessante Abhandlung. Allerdings hätte der Verzicht auf ein paar nicht gerade allzu geläufige Fremdworte die ansonsten gute Lesbarkeit noch gesteigert.
Der zweite Teil des Buches besteht aus einer Sammlung von Texten, Pamphleten und Programmen. Es beginnt mit Auszügen aus der Bergpredigt des Jesus von Nazareth, führt über Artikel von Bertha von Suttner, Alfred H. Fried, Romain Rolland, Stefan Zweig, Erich Mühsam, Petr Kropotkin, Lev Tolstoj, Friedrich Schütz bis zu Pierre Ramus und Olga Misar. Die Sammlung wird abgeschlossen durch die Erklärung der Internationale der Kriegsdienstgegner (1921/1925) und das Internationales Manifest gegen die Wehrpflicht (1925).
Ohne dass uns dies immer bewusst wäre, wirken beide Ansätze bis heute fort – der pazifistische ebenso wie der antimilitaristische. Es wäre auch heute spannend, bei unserer Friedensarbeit öfter darüber nachzudenken, wie sinnvoll oder eben nicht sinnvoll es ist, sich mit seinem Engagement auf den Staat und die Regierungspolitik zu beziehen.
Und es kann heute durchaus ermutigend sein zu sehen, dass sich auch vor 100 und mehr Jahren Menschen für die Sache des Friedens engagiert haben. Wie stellt der Verlag treffend fest: “Die prinzipielle Kritik des Krieges braucht die Erinnerung an pazifistische und antimilitaristische Traditionen, die aufs Ganze gingen. Deren Stärken, aber auch Grenzen neu zu diskutieren, ist aktuell notwendig, damit gegen den Mord auf Kommando mobil gemacht wird.”
Mord? Es ist interessant, dass der Satz “Der Krieg ist der Mord auf Kommando” Pierre Ramus im Gegensatz zu anderen Erfahrungen in der späteren Bundesrepublik Deutschland keine behördliche Verfolgung einbrachte. Selbst Papst Benedikt XV. hatte 1915 den Krieg eine “grauenhafte Schlächterei” und ein “entehrendes Gemetzel” genannt. Wird der jetzige Papst ebenso deutliche Worte gegen den Krieg und die Rüstung finden, wie sein namengebender Vorgänger? Kurt Tucholsky hat dann 1931 in der Weltbühne persönlich unbehelligt formuliert: “Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.” Ein Satz, der auch in der Gegenwart bedenkenswert ist. Allerdings konnte es in den vergangenen Jahrzehnten durchaus strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, wenn er öffentlich ausgesprochen wurde.
Das von Beatrix Müller-Kampel im Verlag Graswurzelrevolution herausgegebene Buch ist insgesamt eine interessante Publikation, die zum Nachdenken und zur Diskussion anregen kann. Und mit seiner Erinnerung an engagierte Menschen früherer Zeiten kann es dazu beitragen, dass wir selber langfristig werden in unseren Lebensvisionen. Sich auf eine Tradition zu beziehen kann heißen, an die Stelle der Toten zu treten, um ihre Aufgaben zu übernehmen, aber auch um einzutreten in ihren Lebensmut, in ihre Lebenshoffnungen, in ihr Lebensgelingen. Auch dafür kann das Buch nutzbringend sein.
Michael Schmid
erschienen in: ZivilCourage. Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK, Nr. 3, Juli 2005, S. 22 f.
Der Kampf gegen die grauenhafte Schlächterei
In ihrer umfangreichen Einleitung stellt Herausgeberin Beatrix Müller-Kampel bürgerliche und anarchistische Friedenskonzepte um 1900 vor. Der Name Bertha von Suttner (1843-1914) und der Buchtitel »Die Waffen nieder!« sind heute noch allen Friedensbewegten geläufig, nicht aber der Name des anarchistischen Antimilitaristen Pierre Ramus (1882-1942). Hier ein Beleg für dessen überschäumende Argumentationskraft angesichts des 1. Weltkrieges: »Ihr sagt, der Staat sei dazu da, um in der Gesellschaft Ordnung zu bewahren. Ist das die Ordnung, dieser Zustand des wildesten Chaos, den der Staat durch seine Kriegsproklamation verursacht?« Immer wieder wird Ramus »Massenmordschlächterei und Völkerverelendung« anprangern. Ramus starb auf der Flucht im Kriegsjahr 1942.
Die vorliegende Textsammlung entfaltet zwei Traditionslinien im Kampf gegen den Krieg: die bürgerlich-pazifistische, die darauf hofft, dass durch die Kraft der Vernunft auch die zwischenstaatlichen Beziehungen zivilisiert würden. Pazifismus ist dort stark und politisch wirkmächtig, wo er gegen Gräueltaten und Kriegsverbrechen protestiert; eine pazifistische Position gewinnt dort ihre Überzeugungskraft, wo sie die grauenhafte Schlächterei und das entehrende Gemetzel des Krieges verabscheut. Dagegen steht der anarchistische Geschichtsentwurf, der im Staat selbst die maßgebliche Kriegsursache sieht. Zwangsläufig folgt daraus der Kampf gegen den Nationalismus als der Religion des modernen Staates. Und die Ausrufung des Generalstreiks wird zum entscheidenden Kampfmittel dieser anarchistischen Position. Bertha von Suttner sieht keine ursächliche Verknüpfung von Ökonomie, Staatsprinzip und Krieg. Unbeirrt vertraut sie darauf, Staatsmänner werden für die Beendigung der Kriege Sorge tragen und auch die Ursachen künftiger Kriege beseitigen. Erich Mühsam in seinem Nachruf für Bertha von Suttner: »Wir wollen das Andenken der Frau wach halten, die in reinem Herzen erkannte, dass der Massenmord des Krieges von jeder wahren Religiosität aus gesehen ungöttlich und schlecht ist.«
Es bleibt zu hoffen, dass die vorliegende Dokumentation auch von der historischen Friedensforschung kritisch rezipiert wird. Ich pflichte dem Freiburger Militärhistoriker Wolfram Wette bei: »Zumal die akademische Soziologie pflegt seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine reservierte Distanz zu der Geschichte der Kriege und des Militärs. Verantwortlich dafür sind wohl primär Geschichtsphilosophien, insbesondere die im aufgeklärten Fortschrittsglauben wurzelnden Modernisierungstheorien. Sie gehen nicht in erster Linie von der konkreten historischen Erfahrung aus, sondern vielmehr von der idealistischen Erwartung, dass es in modernen Gesellschaften einen unaufhaltsamen Fortschritt in Richtung auf die Minimierung von Gewalt und die Vergrößerung der Freiheit für das Individuum gebe.« (Wolfram Wette, in: FS für Detlef Bald, Baden-Baden 2002)
Offenkundig war die Friedensbewegung um 1900 ein ideengeschichtliches Kind der europäischen Aufklärung. Bertha von Suttner vertrat einen »festen frohen Fortschrittsglauben« und war »von der Notwendigkeit eines Besser- und Vollkommenerwerden alles Bestehenden (…) fest überzeugt.« Fortschrittsoptimistisch blickte auch Ramus auf die Zukunft der Menschen: »Die Vernunft des Menschen wird immer kräftiger. Logischer und erkenntniskritischer denken lernen und damit zunehmend sich dem Guten, der Liebe, weihen.«
Grundsätzliche Schlussbemerkung des Rezensenten: Die Aufklärer des 18. Jahrhunderts haben ein Idealbild des Menschen als eines autonomen vernünftigen Subjekts konstruiert. Für die »Idee des ewigen Friedens« wird kein Denker häufiger angerufen als der deutsche Aufklärer Immanuel Kant. Auch im postmodernen Diskurs der Gegenwart wird gerne diese Utopie zitiert – freilich ohne inhaltliche Kenntnis von Kants Überlegungen; denn für Kant ist der ewige Friede eine unausführbare Idee. Und vor dem unrealisierbaren Zustand des ewigen Friedens hat der Staat nach Kant das Recht, Krieg zu führen im Fall einer »ersten Aggression« (Bedrohung). »Hierzu gehört entweder eine zuerst vorgenommene Zurüstung, worauf sich das Recht des Zuvorkommens (ius praeventionis) gründet, oder auch bloß die fürchterlich (durch Ländererwerbung) anwachsende Macht (potentia tremenda) eines anderen Staats«. (Vgl. hierzu: Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten (1797), Rechtslehre, Hamburg 1922, § 56).
Jakob Knab, Kaufbeuren (Amazon-Kundenrezension)
Krieg ist Mord auf Kommando
“Krieg ist Mord auf Kommando. Wir können den Mord verstehen und erklären, welcher der (
) Leidenschaft, pathologischen Momenten (
) entfließt. Den Mord, ausgeheckt von einigen, in sicherer Entfernung sich Befindenden, ausgeführt von Individuen, (
) nur dem Zwang gehorchend, morden zu müssen, gerichtet gegen Individuen, die dem Volke der kriegführenden Nationen nie das Geringste zu Leide taten, nur der Förderung gemein-egoistischer Interessen der Herrschenden dienend – diesen Mord verdammen, verurteilen die Anarchisten aufs schärfste.”
Als der Wiener anarchistische Sozialist und Antimilitarist Rudolf Großmann alias Pierre Ramus 1907 diese Anklage gegen alle auf Gewalt und Militärmacht setzenden Staaten veröffentlichte, hatte er Anschauung genug in den damals aktuellen Kriegsaktionen der Imperialmächte in Südamerika, Afrika und Asien. Noch nicht wissen konnte er, in welch katastrophaler Weise das damals neue Jahrhundert mit zwei Weltkriegen und hunderten von Militärinterventionen die Berechtigung seines Verdammungsurteils bestätigen sollte. Pierre Ramus wurde während des 1. Weltkrieges von der österreichischen Regierung unter Spionageverdacht verhaftet und in seinem Haus “konfiniert”. In den Jahren zwischen den Weltkriegen entfaltete er zusammen mit seinen anarchistischen Freunden im “Bund herrschaftsloser Sozialisten” eine rastlose Publikations- und Vortragstätigkeit für antiautoritäre Erziehung, genossenschaftliche Ökonomie und immer wieder gegen Militär und Kriegsvorbereitungen. Als die Nazis auch in Österreich die Macht antraten, mußte er als Vaterlandsloser und Jude Flucht und Internierung erdulden; auf dem Exilweg nach Mexiko ist er 1942 im Alter von 60 Jahren gestorben.
Die Erinnerung an diesen unermüdlichen Friedenskämpfer bildet einen der beiden Schwerpunkte des wichtigen Buches von Beatrix Müller-Kampel “Krieg ist Mord auf Kommando”. Zudem vergleicht sie anarchistische mit “bürgerliche” Friedenskonzepte des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, wobei sie mit letzteren vor allem die Ideen Bertha von Suttners meint. Und auf 170 Seiten dokumentiert sie dann Programme und Pamphlete aus der Friedensbewegung, angefangen bei Jesus von Nazareth.
Die Abgrenzung zwischen “bürgerlichem Pazifismus” und “anarchististischem Antimilitarismus” ist nicht in jedem Fall sinnvoll, die Forderungen und Tagesaktivitäten führen immer wieder zu Gemeinsamkeiten. Der Anarchist Erich Mühsam schreibt in seinem Nachruf auf Bertha von Suttner: “Wir wollen das Andenken der Frau wachhalten, die in reinem Herzen erkannte, daß der Massenmord des Krieges von jeder wahren Religiosität aus gesehen ungöttlich und schlecht ist. (
) Unsere Wege sind andere als die der Verstorbenen. Wir glauben nicht an internationale Verständigung zwischen den Staaten. Nicht die Regierungen werden die Kriege aus der Welt schaffen, sondern die Völker. (
) Wir nehmen Bertha von Suttners Kampfruf auf, aber wir geben ihn nicht den Herrschern und Regierungen weiter, sondern den Völkern und Armeen: Die Waffen nieder!”
Bedauerlich ist, daß die Herausgeberin keine Texte der sozialdemokratischen FriedensaktivistInnnen jener Zeit vor 100 Jahren mit aufgenommen hat. Polemisiert doch Pierre Ramus fast durchweg gegen die Positionen der deutschen SPD – die er als Vorbild auch für die österreichische Sozialdemokratie bezeichnet. Nur kurz erwähnt er Karl Liebknechts Schrift von 1906 “Militarismus und Antimilitarismus” – die diesem immerhin anderthalb Jahre Festungshaft eintrug -, um sie dann mit den verwerflichen, Staat und Militär bejahenden Verlautbarungen des SPD-Parteivorstandes in eins zu setzen und abzutun. Rosa Luxemburgs Reden und Schriften gegen Krieg und Militarismus, wofür sie ein Jahr ins Gefängnis gehen mußte, bleiben ganz unerwähnt.
Damals standen zwei Weltkriege bis hin zu Auschwitz und Hiroshima noch bevor. Heute kann die US-Army straflos ihre unbemannten Killer-Drohnen in Dörfer schicken, Bewohner wahllos töten, noch mehr Kinder zu Krüppeln machen, auch wenn sie zu angeblich verbündeten Ländern wie Pakistan gehören. Ein Präsident wie Chirac aus einem imperialistischen Land darf mit taktischen Atomschlägen gegen von ihm zu definierende Terrorunterstützer drohen. Und keine “Chefanklägerin” in Den Haag erläßt einen Haftbefehl. Ist etwa aller Pazifismus umsonst? Bleibt uns nur Zynismus und Apathie? Mir scheint, es lohnt sich, jene zu studieren, die das Ihre versucht haben zu ihrer Zeit, um von ihren Stärken, ihrem Mut, ihrer Ausdauer und auch aus ihren Fehlern zu lernen.
Otto Meyer
erschienen in: Ossietzky 07/2006