Anatole Dolgoff

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Sam Dolgoff und die radikale US-Arbeiterbewegung

24,90 

Sam Dolgoff (1902–1990) war Malerarbeiter, Anarchist und Wobbly. Anatole Dolgoff zeichnet das Leben seines Vaters nach und schreibt gleichzeitig eine lebendige und unterhaltsame Geschichte der radikalen Arbeiterbewegung in den USA des 20. Jahrhunderts.

Beschreibung

Anatole Dolgoff
Links der Linken
Sam Dolgoff und die radikale US-Arbeiterbewegung

426 Seiten
24 Fotos, 2 Abbildungen
Format 145 x 215 mm
ISBN 978-3-939045-40-3

24,90 Euro

Übersetzung aus dem US-amerikanischen Englisch: Anne Moneit

Sam Dolgoff (1902–1990) war Malerarbeiter und Mitglied der Industrial Workers of the World (IWW), auch Wobblies genannt, von den frühen 1920er-Jahren bis zu seinem Tod. Zusammen mit seiner Ehefrau, Esther Dolgoff, stand er im Zentrum des US amerikanischen Anarchismus, insbesondere des Anarchosyndikalismus. Ihr Sohn, Anatole Dolgoff, zeichnet nicht nur Sam Dolgoffs Leben nach, sondern schreibt gleichzeitig eine leidenschaftliche, lebendige und unterhaltsame Geschichte der radikalen Arbeiterbewegung in den USA des 20. Jahrhunderts.

Er berichtet außerdem von gesellschaftspolitischen Ereignissen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die er im Milieu der Wobblies sowie im jüdisch geprägten Milieu der aus der Immigration kommenden Arbeiter*innen New Yorks unmittelbar erlebte.

Sein Buch erzählt von der Macht der Nachbarschafts-Solidarität unter den Arbeiter*innen, aber auch von proletarischen und kulturellen Spaltungslinien.

Aus der Einführung
Bis vor Kurzem blieb die Geschichte des Anarchismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts [in den Vereinigten Staaten] frustrierend undurchsichtig. Anatole Dolgoffs Memoiren seines Vaters Sam sind ein besonderes Geschenk, das Licht und Wärme auf diese Zeitperiode wirft.

Originaltitel

Left of the Left
My Memories of Sam Dolgoff
Introduction by Andrew Cornell
AK Press, Chico, Oakland, Edinburgh, Baltimore 2016

Der Autor

Anatole Dolgoff, geboren 1937, ist der Sohn der bekannten US-Anarchist*innen Sam und Esther Dolgoff. Er wurde in das Milieu der Wobblies, der Industrial Workers of the World (IWW), hineingeboren und von Anarchist*innen großgezogen. Anatole Dolgoff arbeitete lange als Assistenzprofessor für Physik an der New Yorker City University und danach als Professor für Geologie am New Yorker Pratt Institute.

Inhalt

Einführung: Von Andrew Cornell

Kapitel 1: Prolog: Ein langer Weg, 1944

Kapitel 2: Durruti und ich

Kapitel 3: Sams Persönlichkeit, sein frühes Leben und andere Dinge

Kapitel 4: Sam wird Sozialist

Kapitel 5: Sams Ausschluss aus der Socialist Party

Kapitel 6: Ein Intermezzo: Ich gehe mit Sam in den Film Reds

Kapitel 7: Zurück zur Road to Freedom

Kapitel 8: Bei den Wobblies – Auf Wanderschaft – Chicago

Kapitel 9: Der Tripper-Doktor aus Chi

Kapitel 10: Die russischen Anarchist*innen – Maximow

Kapitel 11: Was Sam von Maximow lernte

Kapitel 12: Das Schicksal des Werks The Guillotine at Work

Kapitel 13: Sam verliebt sich

Kapitel 14: Mutter, Kindheit und andere Dinge

Kapitel 15: Im Haus von Großvater Abraham

Kapitel 16: Kindheitserinnerungen mit Mutter und Sam

Kapitel 17: Die 1930er-Jahre

Kapitel 18: Siedlungen

Kapitel 19: Sam und Emma Goldman

Kapitel 20: Mit Carlo Tresca

Kapitel 21: Vanguard – plus Fortsetzung

Kapitel 22: Ernsthafte Angelegenheiten

Kapitel 23: Sams Haltung zum Zweiten Weltkrieg

Kapitel 24: Spanien

Kapitel 25: Die „Commies“

Kapitel 26: Russell Blackwell, 1. Episode

Kapitel 27: Die Lincoln-Brigaden in den Medien

Kapitel 28: Epilog zu Spanien

Kapitel 29: Familienangelegenheiten – Oskar – Red

Kapitel 30: Ben Fletcher

Kapitel 31: Ben vor Gericht

Kapitel 32: Auf dem Berg Golgatha

Kapitel 33: Ben, wie wir ihn kannten

Kapitel 34: Herbert Mahler – der Tante-Emma-Laden-Krämer

Kapitel 35: Das Leben eines Trinkers

Kapitel 36: Chris nimmt mich mit zum Boxkampf

Kapitel 37: Erste Jahre des Erwachsenwerdens

Kapitel 38: Das Ende der Industriegewerkschaft MTW

Kapitel 39: Bill Roth, Monarch im Wohnzimmer

Kapitel 40: „Es ist nicht die Arbeit, es ist die Mühe, die da drinsteckt.“

Kapitel 41: Das Mädchen aus der Bohème, frei und ungebunden

Kapitel 42: Harte Zeiten in den 1950er-Jahren

Kapitel 43: Ein zynischer Typ

Kapitel 44: Die Halle der SIA

Kapitel 45: Die Libertarian League

Kapitel 46: Russell Blackwell – 2. Episode

Kapitel 47: Dick Ellington

Kapitel 48: David van Ronk

Kapitel 49: Die Foren der Libertarian League

Kapitel 50: Die Zeitschrift Views and Comments

Kapitel 51: Sams Haltung zur Bürgerrechtsbewegung

Kapitel 52: Martin Luther King und die Prinzessin

Kapitel 53: Neue Staaten

Kapitel 54: Israel

Kapitel 55: Kuba

Kapitel 56: Das Leben als Erwachsener

Kapitel 57: Die studentischen 1960er-Jahre

Kapitel 58: Junge Freunde – ein schlimmer Streit

Kapitel 59: Bakunin

Kapitel 60: Mein Problem mit Bakunin

Kapitel 61: Murray Bookchin

Kapitel 62: Paul Avrich

Kapitel 63: Die Enkelkinder

Kapitel 64: Gute Zeiten

Kapitel 65: Citizen Sam

Kapitel 66: Diego Camacho

Kapitel 67: Mutter und Sam kommen zurück nach Hause

Kapitel 68: Späte Arbeiten

Kapitel 69: Sam und Hollywood

Kapitel 70: Mutters letzte Tage

Kapitel 71: Sams Tod

Anmerkungen

Einführung

Von Andrew Cornell

Bis vor Kurzem blieb die Geschichte des Anarchismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts [in den Vereinigten Staaten] frustrierend undurchsichtig. Anatole Dolgoffs Memoiren seines Vaters Sam, und die Welten der Arbeit und des Aktivismus, in denen Sam lebte, sind ein besonderes Geschenk, das Licht und Wärme auf diese Zeitperiode wirft. Die Leser*innen erfahren nicht nur, wer wen kannte und wie Anarchist*innen auf bedeutsame geschichtliche Ereignisse reagierten, sie erhalten auch tatsächlich Einsicht in das Gefühls- und Familienleben, die Motivationen und Handlungsstrategien eines Netzwerks von robusten Radikalen, die sich mit den Höhen und Tiefen des Amerikanischen Jahrhunderts auseinandersetzten.

Sam Dolgoff übte das Handwerk des Malers aus, er war ein liebevoller Ehemann und Vater, ein aktiver Organisator der Arbeiter*innen, ein starker Redner, Autodidakt und öffentlicher Intellektueller. Er war vielleicht nicht so eine verwegene Figur wie die Weltenbummlerin Emma Goldman und einige andere mit Biografien radikaler Aktivist*innen. Auf urkomische und herzzerreißende Weise schildert Anatole, wie Carlo Tresca und andere befreundete Genossen Sam davon überzeugten, sich nicht an Straßenkämpfen italienischamerikanischer Faschisten zu beteiligen oder sich einzuschiffen, um in Spanien für die Revolution zu kämpfen, weil er schlechte Augen und Verantwortung für die Familie habe. Aber Sam war heldenhaft in zumindest einem Aspekt und das war seine Hartnäckigkeit.

Sam hielt felsenfest an seiner Überzeugung fest, dass Menschen fähig sind, miteinander zu kooperieren, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln und den Reichtum der Erde gleichmäßig miteinander zu teilen. Sieben Jahrzehnte lang hat er diese Ideen schriftlich und mündlich zum Ausdruck gebracht. Er erschien weiterhin zu Demonstrationen, schlecht besuchten Foren und langweiligen Treffen, sogar dann, wenn viele seiner ehemaligen Mitstreiter aufgegeben hatten. Auf diese Art und Weise war er zum Bindeglied geworden, das Generationen von Leuten miteinander verknüpfte, die sich für das Projekt der Befreiung des Menschen engagiert hatten. Seine Bereitschaft und Fähigkeit, diese Brückenrolle zu übernehmen, wird beispielhaft und überaus deutlich anhand der Geschichte, die Anatole über Sam erzählt, als dieser in den 1960er-Jahren die gegenkulturelle Gruppe „Up Against the Wall / Motherfuckers“ [Gegen die Wand / Hurensöhne] mitnahm, um finanzielle Unterstützung von Freund*innen Sacco und Vanzettis zu erbitten, die bereits achtzig Jahre alt waren.

Es ist schnell erkennbar, dass Sam und seine Frau Esther wirklich das gemeinschaftliche Ethos lebten, für das sie eintraten. In kaum einem der Kapitel dieser Memoiren bleibt ohne Erwähnung, dass alte Wobblies auf dem Sofa im Wohnzimmer der Dolgoffs übernachteten oder dass Sam wertvollen Besitz an neue Bekanntschaften weiterreichte. Dieser Geist der Selbstlosigkeit spiegelt sich in der Struktur des Buchs wieder. Anatoles Portrait seines Vaters verweist auch auf Nebenentwicklungen und erzählt Geschichten seiner Mutter (die selbst eine engagierte Arbeiterorganisatorin war), anderer Familienmitglieder und von mehr als einem Dutzend faszinierender Revolutionär*innen wie Russell Blackwell, Ben Fletcher, Dorothy Day und Federico Arcos, deren eigene Geschichten und Beiträge in Gefahr sind, historisch verlorenzugehen. So dient das Buch denn auch als eine Art kollektive Biografie eines ganzen Milieus, in ähnlicher Weise wie Emma Goldman ihre eigene Autobiografie Living my Life [dt. Gelebtes Leben, 2014] mit biografischen Szenen von Genoss*innen und Liebhabern gespickt hat.

Diese Geschichten sind nicht immer mitreißend. Wir treffen alternde Seefahrer und Hafenarbeiter, die nach den kaskadenartigen Katastrophen am Roten Platz, der repressiven Wende im Weltkommunismus und der Niederlage der Spanischen Revolution zynisch und einsam wurden. Doch deshalb ist das Buch so faszinierend; wo sonst kann man in das Innenleben der alten Wobblies Einblick bekommen, die immer noch dem Klassenkampf treu blieben, während sie zusahen, wie ihre Kolleg*innen Mittelklassenidentitäten annahmen und die anarchistische Bewegung von College-Student*innen vereinnahmt wurde.

Während dieser Passagen erkannte ich die doppelte Bedeutung, die in dem Buchtitel enthalten ist; es ist nicht nur die Geschichte eines Mannes, der radikaler war als viele andere. Es ist auch ein Bericht darüber, was in den Jahren, in denen Anatole heranwuchs, übrig blieb von der Linken. Die Tatsache, dass dieses Buch an anderen Stellen unglaublich komisch ist, bezeugt die Fähigkeiten des Autors als Schriftsteller und Erzähler, insbesondere seine Aufmerksamkeit für Dialoge.

Da Anatoles Erzählung hin- und herspringt, um gewisse Punkte und Persönlichkeiten hervorzuheben, erscheint es sinnvoll, einen kurzen Überblick über Zusammenhänge und die zeitliche Abfolge zu geben. Sozialer Anarchismus ging als ausgeprägte Tendenz aus der Arbeiter- und sozialistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten von Amerika während der frühen 1880er- Jahre hervor und sprach hauptsächlich aus Ost- und Südeuropa eingewanderte Arbeiter an. Die Bewegung erreichte einen einflussreichen Höhepunkt in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in Sams Kindheit und Jugendjahren.

In diesen Jahren erreichten die in Englisch, Jiddisch, Russisch, Italienisch und Spanisch verfassten anarchistischen Zeitungen monatlich Zehntausende von Menschen. Sozialistische, anarchistische und andere Arbeiter*innen riefen 1905, drei Jahre nachdem Sam auf die Welt kam, die Industrial Workers of the World [IWW] ins Leben – eine Organisation, die Sam lange als politisches Zuhause diente. Innerhalb des nächsten Jahrzehnts gewann sie an Größe und Bedeutung, als sie eine Serie von historischen Streiks innerhalb der Textilindustrie, dem Bergbau und anderen Grundstoffindustrien organisierte.

Während dieser „Progressive Era“ genannten Epoche war der Anarchismus fruchtbar genug, um miteinander konkurrierende, taktische Strömungsansätze miteinander vereinen zu können. Anarchosyndikalist*innen sahen in der IWW und anderen radikalen Gewerkschaften eine Möglichkeit, Arbeiter*innen zu sofortigen Verbesserungen zu verhelfen, während sie einen Generalstreik vorbereiteten, der die Revolution einleiten würde. Eine andere Gruppe, manchmal als aufständische Anarchist*innen bezeichnet, glaubte, dass Gewerkschaften und anarchistische Föderationen den Prozess des sozialen Konflikts, der notwendig für Veränderung war, behindern würden. Sie befürworteten Attentate und andere Formen der „Propaganda der Tat“, von denen sie glaubten, dass diese massive Aufstände der Unterdrückten auslösen würden. Italienische Anarchist*innen, unter dem Einfluss von Luigi Galleani, erwiesen sich als die hartnäckigsten Befürworter*innen der aufständischen Strategie in den Vereinigten Staaten zwischen 1910 und den 1940er-Jahren. (Obwohl Anatole sie als „Individualisten“ bezeichnet, erachte ich den etwas linkischen Ausdruck Anti-Organisationalist*innen als präziser, da ihre Vertreter*innen eine gemeinschaftsbasierte Zukunft befürworteten.)

Eine dritte Gruppe von Anarchist*innen begann zunehmend mehr Einheimische und Unterstützer*innen aus der Mittelklasse anzuziehen, als sie ihre Aufmerksamkeit auf die Gleichheit der Geschlechter, Meinungsfreiheit, fortschrittliche Ausbildungsmethoden und die Kunst richteten – oft „kurzlebige“ Themen, die Esther und Sam in Kapitel 16 diskutieren.

Die meisten US-Anarchist*innen und Wobblies waren gegen den Ersten Weltkrieg, mit dem Ergebnis, dass sie sich einer Lawine von Repressalien ausgesetzt sahen. Regierungsbehörden deportierten Aktivist*innen, unterdrückten Zeitungen und schränkten die Einwanderung erheblich ein, um so den wichtigen Zufluss von weiteren Arbeiter*innen zu unterbinden, aus dem historisch die meisten Aktiven für die Bewegung rekrutiert wurden. Verschiedene fremdsprachige, anarchistische Nachrichtenmagazine überlebten diese „Red Scare“ [Rote Bedrohung] genannte Epoche (oder erfanden sich als Folge davon umgehend neu), aber sie sprachen zu einer alternden Leserschaft, während die Assimilierung und der Gebrauch der englischen Sprache unter der jüngeren Generation zunehmend üblich wurde.

In den 1920er-Jahren bildeten sich in einigen großen Städten kleine Gruppen, die Treffen auf Englisch abhielten, heraus. Während dieser Jahre gründeten die Anarchist*innen an der Ostküste die Stelton- und Mohegan-Kolonien – Gesinnungsgemeinschaften von Radikalen, die sich auf „moderne Schulen“ konzentrierten –, in denen die Dolgoffs einige Jahre lebten. Bewohner*innen der Stelton-Kolonie riefen The Road to Freedom [Straße zur Freiheit] ins Leben, die erste englischsprachige, anarchistische Zeitung mit einer Verbreitung auf nationaler Ebene, die in den Vereinigten Staaten seit dem Krieg erschien.

Als die wirtschaftliche Blüte der 1920er-Jahre vorbei war und die Große Depression einsetzte, verloren die Anarchist*innen gegenüber der Communist Party of the USA [Kommunistische Partei der USA] im Kampf um Anhänger*innen für ihre soziale Vision und Strategie gesellschaftlicher Veränderung an Terrain. Als The Road to Freedom ihre Publikation 1932 einstellte, wurde sie durch zwei neue, englischsprachige Zeitschriften ersetzt. Die erste war Vanguard [Avantgarde], das anarchosyndikalistische Magazin, das Sam mitbegründete und für das er regelmäßige Beiträge schrieb. Wie Anatole darstellt, verbündete sich die Vanguard-Gruppe mit Carlo Tresca und seinen Kreisen der italienisch-amerikanischen Anarchist*innen. Die andere große englischsprachige Zeitung des Jahrzehnts, Man! [Mensch!], wurde von Marcus Graham in Oakland, Kalifornien, publiziert – den Anatole (in Kapitel 13) als den Mann identifiziert, der mit Sam um die Zuneigung von Esther konkurrierte.

Man! verband sich mit den Anti-Organisationalist*innen und aufrührerischen Anarchist*innen, die die Zeitschrift L’Adunata die Refretarri [Die Vereinigung der Widerspenstigen] herausgaben. Anatole ordnete Marcus Graham der „individuellen, vegetarischen und technologiekritischen Schule“ des Anarchismus zu. In den 1930er-Jahren war dies eine Strömung miteinander verbundener Ideen; man weigerte sich, Fleisch zu essen und kritisierte die Gefahren einer kommenden „Maschinengesellschaft“. So nahmen Grahams Ideen die zentralen Themen des Anarchismus der 1990er-Jahre vorweg, doch brachten sie ihn damals in Konflikt mit fast allen seiner Zeitgenoss*innen. Trotz persönlicher Rivalitäten und strategischer Meinungsverschiedenheiten verbrachten beide Lager das Jahrzehnt damit, gegen amerikanische Faschisten zu kämpfen und Unterstützung für die spanischen Anarchist*innen aufzubauen, die inmitten des Bürgerkriegs von 1936 bis 1939 versuchten, eine soziale Revolution durchzuführen.

Der Zweite Weltkrieg wurde zum weiteren Wendepunkt innerhalb der anarchistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten. Nachdem Vanguard und Man! 1939 eingingen, halfen die Dolgoffs 1942 das Magazin Why? [Warum?] ins Leben zu rufen, aber zogen sich von dem Projekt zurück, als die Herausgeber*innen – von denen einige, als sie noch zur Schule gingen, von der Vanguard-Gruppe beeinflusst wurden – eine Antikriegsposition einnahmen.

Im Verlauf des Jahrzehnts bildeten die Anarchist*innen aus dem Umfeld von Why? – der Name wurde 1947 umgewandelt in Resistance [Widerstand] – Allianzen mit radikalen Pazifist*innen, Dichter*innen und Dramatiker*innen, einschließlich Dorothy Days Catholic Worker-Gruppe und Mitgliedern des avantgardistischen Living Theatre. Diese jüngere Strömung, zu der Paul Goodman und David Wieck gehörten, versuchte den Anarchismus an die sich rapide verändernden Nachkriegsverhältnisse anzupassen, indem sie den Fokus verschoben: von der Klassenausbeutung auf eine autoritäre, soziale Konditionierung, sexuelle Unterdrückung, Rassismus, Konsumverhalten und die Zerstörung der Natur.

Sam betrachtete ihre Versuche, psychologische Aspekte von Macht zu untersuchen und ihr Streben, „anders leben“ zu wollen, als eine Beschäftigung mit sich selbst und als Aufgeben der Massenkämpfe. Sie wiederum betrachteten ihn als einen, der in der Vergangenheit lebt, der an fehlgeschlagenen Strategien festhielt. Keiner dieser Ansätze machte unmittelbare Fortschritte in einer Zeit, in der die Hauptströmungen der Gewerkschaften in die Machtstrukturen eingebunden wurden, in der sich der Lebensstandard der weißen Arbeiter erhöhte, und die von einer Abneigung gegen radikale Haltungen im Kalten Krieg geprägt war.

Die Libertarian League [Libertäre Liga], die Dolgoff zusammen mit Russell Blackwell 1954 gründete, hielt die schwächelnde Flamme des Klassenkampf-Anarchismus in den Vereinigten Staaten am Brennen. Bei gleichzeitig abnehmendem Einfluss der IWW diente die League als eine Art Aufklärungszentrale, die die US-Amerikaner*innen mit Übersetzungen von Nachrichten über die Kämpfe der Arbeiter*innen in Südamerika und anderen Orten versorgte, wo revolutionäre Gewerkschaftsföderationen Massenphänomene blieben. Dies war der Ort, der als Anknüpfungspunkt zu vergangenen Kämpfen diente, an dem sich in den frühen 1960er-Jahren eine neue Generation von Bürgerrechts- und Antikriegsaktivist*innen formierte und sich zu radikalisieren begann.

Der Künstler Ben Morea nahm an Treffen der Libertarian League teil, bevor er 1964 die Zeitschrift Black Mask [Schwarze Maske] und 1967 „Up Against the Wall/Motherfuckers“ [Gegen die Wand / Hurensöhne], eine „Straßengang mit Gesellschaftsanalyse“, gründete. Durch ihre frühen Kontakte mit der Situationistischen Internationale, den niederländischen Provos und anderen gegenkulturellen Aktivist*innen im Ausland und in den USA dienten Morea und seine Gruppe als essenzieller Referenzpunkte für die weltweite Anarcho-Punk-Kultur, die sich in den 1970er-Jahren formierte. Die Treffen der League boten auch ein Sprungbrett für Murray Bookchin, als er vom Trotzkismus zum Anarchismus wechselte. In späteren Jahren des Jahrzehnts gründete Bookchin die Anarchos Group [Anarchos-Gruppe], die eine Zeitung herausgab und kleine Diskussionsgruppen organisierte, wie es die Libertarian League bereits getan hatte. Aber sie verbanden ihre Beiträge mit der aufkeimenden ökologischen Bewegung und der jugendlichen Bewegung der Gegenkultur, während die Dolgoffs mit ihrer Erfahrung und ihrem Rat zur Verfügung standen, als die Radikalen in den 1960er-Jahren unbedingt die IWW neu beleben wollten.

Diese drei Tendenzen, zusammen mit einer eigenständigen anarchafeministischen Strömung, die in den 1970er-Jahren aufkam, bildeten das komplexe Terrain des zeitgenössischen Anarchismus, das sich in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelte. Es ist gewiss keine Übertreibung zu sagen, dass Sam und Esther Dolgoff, direkt und indirekt, entscheidend waren für den erneuten Aufschwung des Anarchismus als bedeutende Strömung innerhalb der egalitären Kämpfe in der heutigen Welt.

Die späteren Kapitel von Links der Linken beschäftigen sich mit Sams Beiträgen zur anarchistischen Wissenschaft sowie mit seinen wichtigen Büchern zu Bakunins Gedankenwelt und mit den Revolutionen in Spanien und Kuba. Um internationale Ereignisse besser verstehen zu können und um auf dem Laufenden zu bleiben mit anarchistischen und Arbeiterkämpfen weltweit, brachte sich Sam das Lesen in diversen Fremdsprachen selbst bei. Er verfasste vorausschauende Analysen postkolonialer Regierungen, des technologischen Wandels und der Defizite zentralistischer Gewerkschaften. Gleichzeitig versorgte er den Historiker Paul Avrich mit wichtigen Informationen, dem wir viel Wissen zu verdanken haben, insbesondere was den US-Anarchismus vor dem Ersten Weltkrieg betrifft. Diese Produktion und Bewahrung verdrängten Wissens außerhalb von Universitäten und anderen offiziellen Kanälen kann als eine weitere, wichtige Form des Aktivismus aufgefasst werden, von dem wir als Leser*innen lernen und uns inspirieren lassen können. Ich bin dankbar, dass Anatole Dolgoff sich entschieden hat, in dieser Hinsicht in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten – diese Geschichten und das schwer erkämpfte Wissen früherer Generationen von Radikalen zu sammeln und zu schützen, vorausahnend, dass es eine Zeit wie die jetzige geben würde, in der viele Leute bereit und wissbegierig sind, sie zu lesen.

Rezensionen

Play it again, Sam

Links der Linken. Sam Dolgoff und die radikale US-Arbeiterbewegung, erzählt von Anatole Dolgoff – eine Buchbesprechung von Peter Haumer

In: Express Nr.9/2021, Seite 20

Sam Dolgoff war von 1922 bis zu seinem Tod 1990 Mitglied der Industrial Workers of the World (IWW), auch Wobblies genannt. Die IWW wurde von revolutionären GewerkschafterInnen und progressiven AktivistInnen gegründet, die sich 1905 in Chicago versammelt hatten. Zu ihr gehörten Big Bill Haywood von der Western-Mine-Föderation der Bergleute; Mother Jones aus den Braunkohle-Minen von Pennsylvania; Eugene V. Debs, der Anführer der streikenden Pullman-Zugarbeiter und später der Sozialistischen Partei; Father Hagerty, der seines Amtes enthobene Priester und Gewerkschaftsorganisator; Lucy Parson, eine schwarze Frau und die Witwe des Anarchisten Albert Parsons, der vom Staat Illinois nach dem Attentat auf dem Haymarket 1886 in Chicago gelyncht wurde. Das Ziel der Wobblies war es „die Flammen der Unzufriedenheit anzufachen“, die Armen, die Unterdrückten, die Leute, die keine Stimme in der Gesellschaft hatten, zu einer effektiven kämpferischen Kraft zu organisieren.

Zusammen mit seiner Ehefrau Esther Dolgoff stand Sam aber auch im Zentrum des US-amerikanischen Anarchismus, insbesondere des Anarchosyndikalismus. Nachdem er aus der Young People’s Socialist League ausgeschlossen worden war, war Sam in den 1920er Jahren Mitglied der Chicago Free Society Group, war später Mitglied der Vanguard Group und Herausgeber ihrer Veröffentlichung Vanguard: A Journal of Libertarian Communism. 1954 war er Mitbegründer der New Yorker Libertarian League und des Magazins Libertarian Labour Review, das später in Anarcho-Syndicalist Review umbenannt wurde.

Sam Dolgoff wurde 1902 im Schtetl von Ostrovno im Gouvernement Mogilev, Russisches Reich, geboren und kam als Kind nach New York, wo er in der Bronx und in Manhattan‘s Lower East Side lebte. Sein Vater war Maler und Anstreicher, und Sam begann bereits im Alter von 11 Jahren mit diesem Beruf, den er sein ganzes Leben lang ausgeübt hat. Sam hatte mit Esther zwei Söhne: Abe und Anatole.

Anatole, dessen zweiter Vorname Durruti ist und der 1937 geboren wurde, zeichnet in seinem Buch nicht nur das Leben seines Vaters als Wobbly und Anarchisten nach, sondern er schreibt gleichzeitig eine leidenschaftliche, lebendige, persönliche und unterhaltsame Geschichte der radikalen Arbeiterbewegung in den USA des 20. Jahrhunderts. Er berichtet außerdem von gesellschaftspolitischen Ereignissen in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderst, die er im Milieu der Wobblies sowie im jüdisch geprägten Milieu der aus der Immigration kommenden ArbeiterInnen New Yorks unmittelbar erlebte. Sein Buch erzählt von der Macht der Nachbarschafts-Solidarität unter den ArbeiterInnen, von proletarischen und kulturellen Spaltungslinien und lässt das persönliche (das selbstredend politisch ist) nicht zu kurz kommen.

Es ist kein einfaches Unternehmen, wenn ein Sohn über seinen Vater schreibt. Aber Anatole Dolgoff gelingt dies in sehr liebevoller Art und Weise, die seinen großen Respekt zeigt, den er vor seinem Vater hat, aber auch nicht die Augen verschließt vor den Schwächen und hässlichen Seiten von Sam Dolgoff, der auch  „das Leben eines Trinkers“ führte, als er so um die dreißig, vierzig Jahre alt war. Anatole erzählt viel über das einfache Leben von Sam und Esther, über deren Lebensumstände und das Zusammenleben der beiden, wobei auch vor dem Schlafzimmer nicht Halt gemacht wird. Er erzählt über das alt werden, über Impotenz, Inkontinenz und Schutzhosen und schließlich über das Sterben. Er versucht das Leben jener zu würdigen, die im Zeitalter der Extreme versucht haben für eine gerechte und solidarische Welt zu kämpfen.

In dem Buch kommen neben den Dolgoffs und Durruti unter anderen vor: Grigori Maximow, Emma Goldman, Alexander Berkman, Carlo Tresca, Russel Blackwell, Ben Fletcher, Murray Bookchin, Paul Avrich und viele andere. Sie gehörten alle zum Leben der Dolgoffs und Anatole weiß viele, mitunter „respektlose“ Episoden zu berichten wie zum Beispiel jene von Emma Goldman ausgehende: Als Emma Goldman nach dem Ersten Weltkrieg nach Sowjetrussland deportiert wurde, freundete sie sich mit Lenins Frau Nadezhda Krupskaya an. Und wie es so ist, teilten die berüchtigte Anarchistin und die Frau des bolschewistischen Führers auch Intimitäten. Die Geschichte sickerte von Emma bis Sam Dolgoff herunter, von dem sie Anatole aufschnappte: Es scheint, dass der Held der russischen Revolution kein Held im Schlafzimmer gewesen war.

Interessant auch die Einordnung des Attentats des damaligen Liebhabers von Emma Goldman, des 22-jährigen russisch-jüdischen Immigranten und Anarchisten Alexander Berkman auf den Industriellen Henry Clay Frick während des großen Streiks der Stahlarbeiter von Homestead 1892. Anatole schreibt: „Die Streikenden waren wütend, da die öffentliche Sympathie, die zuvor auf ihrer Seite war, sich nun ausgerechnet auf Frick richtete. Die Kugel, die Berkman auf Frick abfeuerte, traf das Herz des Streiks, so formulierte es ein Gewerkschaftsmann. Wer zum Teufel ist der Typ; wer hat ihn gebeten, uns zu ‚helfen?‘ Daraufhin wendete sich im ganzen Land die Stimmung gegen EinwanderInnen, und sie nahm antisemitische und anti-anarchistische Züge an.“ (S. 123)

1923 hatte die IWW ihren Höhepunkt mit über 100.000 Mitglieder und Anatole meint, dass „sämtliche Historiker zustimmen [würden], dass der Einfluss der Wobblies weitreichender war als die formelle Mitgliedschaft.“ (S. 61) Ab diesem Zeitpunkt erlebte die IWW aber einen kontinuierlichen Niedergang – 1930 hatte sie nur mehr 10.000 Mitglieder. Anatole macht sich dazu seine eigenen Gedanken, und schreibt, dass dieser Niedergang neben der Repression mindestens genauso stark mit einer katastrophalen inneren Spaltung im Jahre 1924 zu tun hatte. Es ging dabei um die Frage Zentralismus versus Regionalismus. Neben dem Aufkommen der Kommunistischen Partei erkennt Anatole auch, dass die Modernisierung des US-amerikanischen Lebens sich in vielerlei Hinsicht zum Nachteil für die IWW auswirkte. „Es ist schwieriger, einen Arbeiter der holzverarbeitenden Industrie, der zur Arbeit fährt und Zuhause schläft, zu organisieren als einen, der in einem Camp schläft.“ (S. 62)

Für Sam Dolgoff galt: Einmal ein Wobbly, immer ein Wobbly und er versuchte sich darüber hinaus auch im Schreiben. Er war der Herausgeber der Anthologie „Bakunin über Anarchie“ (1971; überarbeitet 1980) und „Die anarchistischen Kollektive: Arbeiterselbstverwaltung in der spanischen Revolution 1936-1939“ (1974). Er schrieb weiters „Ethik und der amerikanische Unionismus“ (1958), „Die Illusion der Arbeiterpartei“ (1961), „Die kubanische Revolution: Eine kritische Perspektive“ (1976) „Eine Kritik des Marxismus“ (1983) und seine autobiographischen „Fragmente“ (1986), das von Anatole als nicht sein bestes Buch bezeichnet wurde, und mit ein Antrieb war sein mehr als 400 Seiten umfassendes und äußerst lesenswerte Werk über seinen Vater zu schreiben, der ihm auch den abschließenden Rat mit auf dem Weg gegeben hat: „Wir dürfen nicht ungeduldig sein. Wir müssen bereit sein, im Kontext einer langfristigen Perspektive zu arbeiten, die jahrelange engagierte Bemühungen erfordern kann, bevor sichtbare Fortschritte zeigen, dass unsere Kämpfe nicht umsonst waren.“

 

Vom Hobo-Dschungel zur kybernetischen Erneuerung des Anarchismus: Auf den Spuren von Sam Dolgoff durch die linksradikalen Milieus der USA

Rezension in Espero 3/2021 (PDF)

»Haltet die Stellung, denn wir kommen«

Ein Nachgeborener berichtet von einer heroischen Zeit: Über Sam Dolgoff und die radikale US-amerikanische Arbeiterbewegung

aus: Neues Deutschland, 7.12.20

Von den US-amerikanischen Arbeitern, geschweige denn der US-amerikanischen Arbeiterbewegung hört man so gut wie nichts mehr. Weil es sie nicht mehr gibt? Oder weil die Medien über sie schweigen? Halb und halb, möchte man meinen. Die Offensive des Neoliberalismus und die schmähliche Niederlage des realen Sozialismus hat die Werktätigen nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika in die Knie gezwungen. Umso wichtiger ist es, jedenfalls für jene, die sich damit nicht zufrieden geben wollen, die geschichtlichen Erfahrungen, Erfolge und Enttäuschungen, Fehler und Irrtümer zu befragen, sich einstiger, heroischen Kämpfe zu erinnern und zu vergewärtigen. Auch um Kraft und Zuversicht für neue, für unzweifelhaft bevorstehende Kämpfe zu schöpfen.

Einen Beitrag hierzu bietet das Buch von Anatole Dolgoff, geboren 1937, Sohn der bekannten US-Anarchist*innen Sam und Esther Dolgoff, aufgewachsen unter und mit den Wobblies, wie sich die Mitglieder der 1905 in Chicago gegründeten Industrial Workers of the World (IWW) nennen. »Die alten Wobblies, die ich als Kind kannte, erzählten von diesen Kämpfen, die quer durch die US-amerikanische Landschaft wüteten – in den Bergminen, den Holzfällerlagern, Fabriken, Weizenfeldern und Hafenvierteln einer in sich erbittert gespaltenen Nation.« Anatole Dolgoff ist stolz, in eine revolutionäre Familie hineingeboren und in einer revolutionären Tradition aufgewachsen zu sein. Und er ist stolz, dass ihn sein Vater den Zweitnamen »Durruti« gab, nach dem Anführer einer anarchistischen Kolonne im Spanienkrieg, der während der Schlacht um Madrid im November 1936 gefallen ist. 

Es versteht sich, dass das tragische spanische Kapitel in diesem Buch nicht fehlt. Der Vater des Autors hatte 1936 bereits die Koffer gepackt, um auf der Iberischen Halbinsel gegen die von Hitler und Mussolini unterstützten Franco-Putschisten zu kämpfen, war bereit, den erstgeborenen dreijährigen Sohn Abe und den just das Licht der Welt erblickenden zweiten Sprössling, Anatole, zurückzulassen. Doch die Genossen meinten, sein Kampfplatz sei in den USA: »Hier kannst du mehr Gutes tun.« Sam Dolgoff fügte sich, fieberte aber natürlich aus der Ferne mit, als die Gesinnungsgefährten in Spanien daran gingen, trotz des Bürgerkrieges, die Idee des libertären Kommunismus real werden zu lassen. Eine Offensive, die damals wie heute heftig umstritten ist. Das Totengeläut für die anarchistische Revolution in Spanien sei laut Anatole Dolgoff aber durch das Bündnis der Anarchisten mit der republikanischen Regierung angestimmt worden. Die blutigen Bruderkämpfe in Barcelona im Mai 1937 – ein Menetekel. Anatole Dolgoff klagt die westlichen Demokratien an, nicht interviert zu haben, um die spanische Republik zu retten, merkt jedoch ebenso an: »Der wahre Verrat an der Spanischen Revolution wurde durch Stalin und seine Gefolgsleute begangen.« Die Interbrigadisten, darunter die US-amerikanische Lincoln-Brigade und generell die Kommunisten, erfahren scharfe Kritik. Über den Autor Ernest Hemingway schreibt Anatole Dolgoff: »Er verkroch sich im besten Hotel von Madrid, war umgeben von stalinistischen Funktionären – und die requirierten den besten Wein.« Dennoch würdigt der Autor letztlich alle in Spanien im Abwehrkampf gegen den vordringenden Faschismus Gefallenen. 

Dieses Buch ist teils Autobiografie mit offenherzigen Bekenntnissen und Bekundungen, teils Biografie des bewegten, stürmischen Lebens einer Legende unter den Wobblies und darüber hinaus ein spannendes Geschichtsbuch, ein Panorama der politischen, weltanschaulichen, sozialen und bewaffneten Kämpfe im 20. Jahrhundert, mit dem Fokus freilich auf die USA, wobei zudem die ganze Welt im Blick ist. 

Der Bericht über seinen Vater Sam Dolgoff (1902-1990) beginnt mit einem Kindheitserinnerungen weckenden Spaziergang durch die Lower East Side, dem von Einwanderern geprägten Viertel von New York, Schmelztiegel der Kulturen und Religionen. Sein im »Schtetl« von Ostrowski in Witebsk, Russland, geborener Vater war 1905 mit den Eltern nach Amerika gelangt und hatte im Alter von acht Jahren schon zum Familieneinkommen beitragen müssen. »Von früh an rebellierte Sam gegen das Leben, das für ihn vorherbestimmt war«, schreibt der Sohn. Mit 13 Jahren riss Sam Dolgoff aus, die Eltern erhielten nach Monaten der Ungewissheit eine Postkarte aus China, wo er sich als Wanderarbeiter verdingte. Anatole Dolgoff zitiert ein altes Wobbly-Lied: »My Wandering Boy« (Mein Junge auf Wanderschaft – Klagelied einer Mutter). Ziel der Wobblies war es, »die Flammen der Unzufriedenheit anzufachen«, die Armen, die Unterdrückten, Menschen, die keine Stimme in der Gesellschaft hatten, zu einer effektiven kämpferischen Kraft zu organisieren, betont Anatole Dolgoff.

1922 war sein Vater, von Beruf Anstreicher, den Industrial Workers of the World beigetreten, deren Mitglied er zeitlebens blieb. Er war ein Mitbegründer der Zeitschrift »Libertarian Labor Review«, die später in »Anarcho-Syndicalist Review« umbenannt wurde. In den 1920er Jahren war er zudem Mitglied der Gruppe Chicago Free Society sowie der Vanguard-Gruppe, deren Zeitschrift »Vanquard. A Journal of Libertarian Communism« er herausgab. 1954 gehörte Sam Dolgoff zu den Mitbegründern der Libertarian League in New York. Der sich autodidaktisch bildende Arbeiterintellektuelle war ein leidenschaftlicher, mitreißender Redner, Organisator und Publizist. Seine 1986 in den USA erschienenen Erinnerungen »Fragments. A Memoir« (2011 auf Deutsch unter dem Titel »Anarchistische Fragmente. Memoiren eines amerikanischen Anarchosyndikalisten«) wurden allerdings selbst von einstigen Mitstreitern bemängelt. Auch der Sohn scheint nicht so glücklich über diese Memoiren zu sein. Und so wurde 2016 aus seiner Feder als Bereicherung und teils auch Berichtigung das Buch »Left of the Left« veröffentlicht, vom Verlag Graswurzel dieses Jahr auf Deutsch auf den Markt gebracht. Es ist eine Hommage an die Eltern, deren Freunde und Kampfgenossen, die Wobblies – die jedoch auch Widersprüche, Zerwürfnisse, Spaltungen und Schwächen nicht ausspart. Der Sohn litt unter der Abwesenheit des von der politischen Arbeit eingespannten Vaters, auch unter dessen teils heftigen Alkoholexzessen. Im Alter lernte er ihn jedoch zu verstehen und ihm zu verzeihen. 

Das Buch endet mit der Begegnung mit walisischen Bergarbeitern, deren Streik im Mai 1984 die britische Premierministerin Margaret Thatcher mit brutaler Polizeigewalt niederschlagen ließ und denen »Old Sam« spontan, die rechte Faust geballt, ein »Ständchen« der Ermunterung bot. Er stimmte ein altes englisches Streiklied an: »Haltet die Stellung, denn wir kommen, Gewerkschaftsmänner, seid stark!« – »Der Raum explodierte«, erinnert sich Anatole Dolgoff. 

Anatole Dolgoff: Links der Linken. Sam Dolgoff und die radikale US-Arbeiterbewegung. Verlag Graswurzelrevolution, 414 S., br., 24,90 €.

Nachricht von Sam

Anatole Dolgoff porträtiert seinen Vater Sam Dolgoff, der Malerarbeiter, Anarchist und Wobbly war, und erzählt eine subjektive Geschichte der radikalen Arbeiterbewegung in den USA im 20. Jahrhundert.

Das Cover des gerade auf Deutsch erschienenen Buchs »Links der Linken« von Anatole Dolgoff zeigt dessen Vater Sam Dolgoff, einen Mann mit Brille und einem verschmitzten Lachen. Geboren 1902 in einem weißrussischen Schtetl, wanderte er als Kind mit seinen Eltern in die USA aus und gehörte zu den Mitgründern der Industrial Workers of the World (IWW), deren Mitglieder oft als Wobblies bezeichnet werden. Zusammen mit seiner Ehefrau Esther stand er lange Zeit im Zentrum des US-amerikanischen Anarchismus und Anarchosyndikalismus. Bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1990 veröffentlichte er Texte und hielt Reden. Noch zu Lebzeiten verfasste er eine Bilanz seines Lebens, die 1986 unter dem Titel »Fragments: A Memoir« erschien. Als 2011 die deutsche Übersetzung des Buchs unter dem Titel »Anarchistische Fragmente. Memoiren eines amerika­nischen Anarchosyndikalisten« herauskam, wurde es in anarchistischen Kreisen mit Kritik überhäuft. »Der alte Herr hat nochmal fleißig aus dem Nähkästchen geplaudert – was man durchaus ambivalent ­betrachten kann«, schrieb Sebastian Kalicha in einer auf dem Blog kritisch-lesen.de veröffentlichten Rezension. Er warf Dolgoff vor, sich in Anek­doten zu verlieren und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter ­wegen kleiner Differenzen zu verurteilen.

Auch Dolgoffs Sohn Anatole war unzufrieden mit der Veröffentlichung. Sein Vater habe eigentlich gar keine Biographie schreiben wollen, er sei von ehemaligen Aktivisten, die längst in akademischen Berufen arbeiteten, dazu gedrängt worden. Allerdings habe er viel zu wenig Zeit zum Schreiben gehabt. Anatole Dolgoff war der Meinung, sein Vater habe ein besseres Erinnerungsbuch verdient. Ein solches hat er kurzerhand selbst verfasst und 2016 unter dem Titel »Left of the Left« in den USA veröffentlicht. Jetzt ist das Buch im Verlag Graswurzelrevolution unter dem Titel »Links der Linken – Sam Dolgoff und die radikale US-Arbeiterbewegung« auf Deutsch erschienen.

Das Buch porträtiert nicht nur einen Arbeiterintellektuellen, sondern erinnert auch an die fast vergessene Geschichte der Arbeitermilitanz im 20. Jahrhundert. Der Autor betont, dass er weder eine chronologische Biographie noch eine objektive Chronik der Bewegung verfassen wollte. Über weite Strecke handelt es sich um die Auseinandersetzung des Sohnes mit seinen Eltern, die sich leidenschaftlich für die Gewerkschaft und die anarchosyndikalistische Bewegung engagierten. Was das für die beiden Söhne bedeutete, schildert er mit einer großen Portion Humor. Es war keineswegs so, dass die Familie nur ab und zu mal zu Demonstrationen und Veranstaltungen ging und ansonsten ein bürgerliches Leben führte. Ein Privatleben gab es nicht. Die enge Wohnung der Dolgoffs war Herberge für Menschen, die aus der Sowjetunion, Kuba oder Spanien fliehen mussten. Hier wurde diskutiert und gefeiert, durchaus nicht immer zur Freude der beiden Söhne.

Anatole Dolgoff, ein mittlerweile emeritierter Physikprofessor, beschreibt auch die Geschichte seiner Entfremdung vom Herkunftsmileu seiner Eltern, die stets Wert auf ihre Zugehörigkeit zur Arbeiterschaft legten. Sam Dolgoff war Anstreicher und eignete sich seine Kenntnisse in Geschichte und Philosophie autodidaktisch an. Die Dolgoffs verheimlichten ihre Gegnerschaft zum Kapitalismus und zum Staat nie. Auch Sams Frau Esther war eine Anarchistin; sie weigerte sich beispielsweise, vor der US-Flagge zu salutieren, und brachte damit ihren Sohn bei einer Schulfeier in eine peinliche Situation. Anatole musste sich rechtfertigen, weil seine Mutter nicht aufgestanden war, als die Fahne ­gehisst wurde. Erst Jahrzehnte später verstand er seine Eltern besser und nahm wieder engeren Kontakt mit ihnen auf.

In dem Buch setzt sich Anatole Dolgoff auch mit seinen jüdischen Wurzeln auseinander, die seinem Vater stets wichtig waren. So schildert der Autor, dass sein Vater mit dem anarchistischen Theoretiker Michail Bakunin, dessen Staatskritik er schätzte, wegen dessen Antisemitismus Probleme gehabt habe. Er erinnert auch an die wenig bekannte Geschichte, dass ehemalige IWW-Aktivisten in der Zeit des Nationalsozialismus Juden bei der Flucht nach Paläs­tina unterstützten, was die damalige britische Kolonialmacht verhindern wollte. Über seinen Vater und dessen langjährigen Genossen Murray Bookchin schreibt er: »Im Herzen waren sie zwei russische, jüdische Jungs aus der Lower East Side – arm auf die Welt gekommen, zur Arbeiterklasse gehörend, aber hochintelligent –, die ihren Weg zum Anarchismus gefunden hatten.« Allerdings zerbrach diese langjährige Freundschaft, nachdem Sam Dolgoff ein Vorwort von Bookchin um eine Passage ­gekürzt hatte, die ihm politisch nicht genehm war.

Das Buch gibt viele Beispiele langjähriger politischer Freundschaften, die aufgrund politischer Differenzen zerbrachen. Auch Sam Dolgoff konnte sehr nachtragend und fast dogmatisch sein. Das zeigte sich an dem Streit in der anarchistischen Bewegung über die Position zu Kuba unter Fidel Castro, der in den frühen siebziger Jahren außenpolitisch nicht mit der Linie der Sowjetunion kon­form ging. Manche Wobblies unterstützten daher die kuba­nische Revolution. Sam Dolgoff aber sah in Castro und Che Guevara letztlich nur die karibische Variante des Stalinismus und erinnerte an die Verfolgung von Anarchisten auf Kuba. An dieser Auseinandersetzung sind einige Freundschaften zerbrochen.

Andererseits erinnert sich Anatole Dolgoff, dass sein Vater, der sich klar als Antikommunist und auch Antimarxist verstand, zu IWW-Mitgründerinnen und Mitgründern freundschaftliche Beziehungen unterhielt, auch nachdem sich diese dem Kommunismus zugewandt hatten. Es waren nicht wenige. Daher ist es etwas missverständlich, wenn Sam Dolgoff von einer Feindschaft zwischen Anarchismus und Bolschewismus spricht. Korrekter wäre es, von feindlichen Geschwistern zu reden, die sich gerade deshalb oft so befehdeten, weil die gemeinsame Basis doch recht groß ist.

Eine Eloge auf seinen Vater liefert Anatole Dolgoff nicht, er bewahrt sich eine kritische Perspektive auf sein Elternhaus. So bekennt er, wie sehr er und sein Bruder ­unter dem Alkoholismus des Vaters gelitten haben. Es sei vorgekommen, dass der Vater sein gesamtes Gehalt für Alkohol ausgab und völlig betrunken auf Versammlungen ­erschien. Nicht selten habe er sich dem Gespött seiner Mitstreiter ausgesetzt. Später entschloss er sich, keinen Tropfen mehr zu trinken. Auf Anraten seiner Ärzte gab der Ketten­raucher im hohen Alter auch seine geliebten Zigaretten auf.

Besonders gelungen ist die Episode am Schluss, in der Dolgoff schildert, wie sein Vater eine Würdigung erfuhr, die ganz nach seinem Geschmack war. Bei einem Treffen mit britischen Bergarbeitern unmittelbar nach dem von der Regierung Thatcher niedergeschlagenen Streik 1985 saßen alle niedergeschlagen in dem Versammlungsort der IWW in New York. Dann hob Sam Dolgoff die Faust und stimmte bekannte Solidaritätslieder der Wobblies an. Damit war das Eis gebrochen, der Saal tobte und selbst unbeteiligte Gäste aus dem Restaurant ap­plaudierten begeistert. Dolgoff macht nicht nur das Leben seines Vaters anschaulich, sondern lässt auch ein Stück Arbeitergeschichte lebendig werden, an das zu erinnern sich lohnt.

Von Peter Nowak

aus: Jungle World 2020/33

Anarchy in the USA

In einem Bericht über die USA-Tournee der Band Die Goldenen Zitronen schreibt deren Bassist und Gitarrist Ted Gaier: »Seit der Industrialisierung wurden alle Bewegungen, die für eine politische Alternative zur Diktatur des Marktes kämpften, brutal vernichtet und die Erinnerung an sie ausgelöscht oder verfälscht.« Explizit zählt Gaier in seinem aktuellen Buch Argumentepanzer dazu auch die Anarchistinnen und Anarchisten. Ein solcher war Sam Dolgoff (1902–1990) und mit der Geschichte seines Lebens ist es so wie im Zitat beschrieben. Dolgoff gehörte ab 1922 der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Industrial Workers of the World, den sogenannten Wobblies, an und war Mitglied verschiedener Zeitschriftenredaktionen. Dolgoff ist Autor eines viel rezipierten Buches über einen der Gründerväter des modernen Anarchismus, Michail Bakunin. Einem deutschsprachigen Publikum ist zudem vielleicht sein Buch Leuchtfeuer in der Karibik aus dem Jahr 1983 zur Kritik der Kubanischen Revolution bekannt. Aber Dolgoff war keineswegs ein typischer Intellektueller. Er war Maler und Anstreicher und begann sein Arbeitsleben zu Zeiten, als Kinderarbeit noch üblich war, als Achtjähriger. Nach der Arbeit bildete er sich zu Hause und las in jeder freien Minute. Sein Sohn Anatole Dolgoff erzählt das in der soeben im anarchistischen Verlag Graswurzelrevolution erschienenen Biografie über diesen außergewöhnlichen Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit.

Es ist die überaus emphatisch geschriebene Lebensgeschichte eines Mannes, der Stolz auf seine Arbeit war, und der Privilegien und alle, die sie in Anspruch nahmen, verachtete. Die Geschichte Sam Dolgoffs ist schon insofern eine Geschichte über den Anarchismus des 20. Jahrhunderts, als sich in seiner Person dessen zentrale Charakteristika verkörpern: das kompromisslose Ethos gepaart mit der radikalen Haltung, jede Beteiligung an der bürgerlichen Demokratie würde die Menschen nur dazu verleiten, »sich an ihrer eigenen Versklavung zu beteiligen«. Gleichzeitig betreibt das Buch über die Person hinausgehend eine kleine Sozialgeschichte des Anarchismus in den USA.

Da treffen Siedlungsanarchismus auf Arbeiterstreiks, individualistisches Rebellentum auf organisierten Anarchosyndikalismus; auch die konkreten Streitfragen innerhalb der anarchistischen Milieus – wie etwa pro oder contra Kriegseintritt der USA – werden anschaulich geschildert. Deutlich wird weiterhin, dass die kulturellen Gräben zwischen den anarchistischen Arbeitern und den studentischen, lebensstilbetonten Anarchismen sich lange vor dem Erstarken der Neuen Linken in den 1960er Jahren andeuteten. Sam Dolgoff und seine Frau und Kampfgefährtin Esther »fanden das Verhalten vieler dieser ›Lifestyle‹-Anarchist*innen ärgerlich«, schreibt ihr Sohn.

Auch wenn Anatole Dolgoffs Erzählweise anekdotisch und dialogverliebt, gewissermaßen typisch US-amerikanisch ist, erschafft sein Text doch ein beeindruckendes Panorama des libertären Kommunismus in den USA. Dessen Ausgangspunkt kommt vielleicht in der Gründungserklärung der Libertarian League von 1963 schön zum Ausdruck: »Die ›freie‹ Welt ist nicht frei; die ›kommunistische‹ Welt ist nicht kommunistisch.« Das Buch ergänzt Dolgoffs Autobiografie Anarchistische Fragmente ebenso gut wie die kürzlich erschienene Sammlung der von Gabriel Kuhn im Vorjahr herausgegebenen Wobblies-Originaltexte Wobblies. Politik und Geschichte der IWW. Es bietet außerdem einen unterhaltsamen Einstieg ins Thema – und gehört somit definitiv nicht allein auf den Büchertisch bei der nächsten USA-Tournee der Goldenen Zitronen.

Von Jens Kastner

aus: Tagebuch – Zeitschrift für Auseinandersetzung Nr.5 (2020), hier auch online.

Links der Linken eine Gegenerzählung zu gängigen Narrationen der USA

Den liberalen Mainstreammedien folgend könnte einer glauben, dass die USA im Begriff wären jede Sekunde zu zerfallen. Die Apokalypse – zwischen Waldbränden, bürgerkriegsähnlichen Zuständen, rassistischer Polizeigewalt und post-kolonialen Konflikten im „Meltingpot“. Alles zeigt nur Richtung Untergang. Links der Linken von Anatole Dolgoff verschafft da einen gelungenen Perspektivwechsel. Im Buch wird die Geschichte der radikalen Arbeiter_innenbewegung in den USA entlang der Biografie des Vaters, US-Anarchiste Sam Dolgoff, erzählt. In knapp gehaltenen Kapiteln werden Lesende mitgenommen in die von Konflikten und Auseinandersetzungen geprägten Zeiten des 20. Jahrhunderts der USA. Straßenkämpfe mit mussolini-nahen Faschos, Interessenskämpfe auf Streikveranstaltungen, Grabenkämpfe mit (teils dann auch nicht mehr) befreundeten Anarchist_innen und verfeindeten Marxist_innen. Ein turbulentes Jahrhundert, das neben Arbeiter_innenkämpfe von Auseinandersetzungen um Rassifizierungen gekennzeichnet war .

Tagsüber war Sam Dolgoff als Maler tätig, nachts schrieb er intellektuelle Abhandlungen. Ein hart arbeitender Intellektueller der Arbeiter_innenklasse, der sich stets kritisch und nie essentialistisch positioniert hat und für keine Revolution blinde Sympathie empfand. Dem Sohn gelingt es den eigenen Vater nicht zu glorifizieren, er übt durchaus  Kritik am Alkoholismus des Vaters oder der Vernachlässigung seiner Verantwortung als Vater. Neben der Ereignisgeschichte werden im Werk viele Migrationslinien aufgedröselt. Sei es nach dem Spanischen Bürgerkrieg, drohenden Deportationen in der Sowjetunion oder Flucht aus Nazi-Europa. Die breite Rekonstruktion von Migrationsrouten weist auf die Komplexität der US-Amerikanischen Gesellschaft. Über den biografischen Zugang wird eine Sicht auf die Geschichte der USA des 20. Jahrhunderts geliefert, die fragmentarisch, widersprüchlich und authentisch ist.

An manchen, wenigen Stelle irritiert die Objektivierung von Frauen, denen in dem Werk allgemein eher wenig Aufmerksamkeit gezollt wird. Der Aufbau des Buches über kurze gehaltene Kapitel macht es zu einem zugänglichen Werk, das sich leicht bei kürzeren Pausen, in den Öffis oder vorm Einschlafen lesen lässt.

Rezensiert von Teo Klug
erschienen in: Malmoe, Oktober 2020     

Medien

Dolgoff im Radio – Buchvorstellung mit Lou Marin

 

Aufzeichnung anarchistische Buchmesse Freiburg 2020 – Links der Linken – Sam Dolgoff und die radikale US-Arbeiterbewegung

(Hinweis auf einen sachlichen Fehler: Im Vortrag wird an einer Stelle der Begriff “Jim Crow” mit einer typisch konservativen Figur wie etwa dem dt. Michel erklärt. Dies ist nicht richtig. Sondern der Name Jim Crow war eine klischeehafte Bezeichnung im 19. Jahrhundert für Schwarze, benutzt von konservativen Weißen als rassistische Abwertung für als unselbständig vorgestellte Schwarze.)