Anton Brokow-Loga/Frank Eckardt

Stadtpolitik für alle

Städte zwischen Pandemie und Transformation

9,90 

Die Corona-Krise hat die Erosion städtischer Solidarität offen zutage treten lassen. Dagegen bringt „Stadtpolitik für alle“ die praktische Utopie einer solidarischen Postwachstumsstadt auf den Punkt. Wie können Alternativen zum vorhandenen Wachstumsmodell der Stadt verwirklicht werden? Welchen Weg weisen Vergemeinschaftungen jenseits von Privat- oder Staatseigentum? Dazu gehört auch, eine basisdemokratisch orientierte Stadtpolitik mit dem Ziel einer umfassenden Transformation von Stadt und Gesellschaft zu verknüpfen.

Beschreibung

Anton Brokow-Loga/Frank Eckardt

Stadtpolitik für alle
Städte zwischen Pandemie und Transformation

62 Seiten, 5 Abb.
ISBN 978-3-939045-45-8

9,90 Euro

Die Corona-Krise hat die Erosion städtischer Solidarität offen zutage treten lassen. Dagegen bringen Anton Brokow-Loga und Frank Eckardt in „Stadtpolitik für alle“ die praktische Utopie einer solidarischen Postwachstumsstadt auf den Punkt. Vom Commoning über die Umverteilung der städtischen Flächen bis zu einer sozial-ökologischen Verkehrswende: Eine progressive Stadtpolitik für alle überwindet bisheriges Schubladendenken. Sie setzt stattdessen auf heterogene Zusammenhänge und ungewöhnliche Bündnisse. Zu dem hier umrissenen Vorhaben gehört auch, eine basisdemokratisch orientierte Stadtpolitik mit dem Ziel einer umfassenden Transformation von Stadt und Gesellschaft zu verknüpfen. Die Autoren fragen danach, welche Auswege sich aus dieser Situation bieten: Wie können Alternativen zum vorhandenen Wachstumsmodell der Stadt verwirklicht werden? Welchen Weg weisen munizipalistische Plattformen und Vergemeinschaftungen jenseits von Privat- oder Staatseigentum? Wie kann ein Blick auf die kommunale Ebene helfen, globalen Ungerechtigkeiten zu begegnen?

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Corona und das Versagen der Stadt
  3. Städtische Geschichten von Wandel und Beharrung
  4. Bezugspunkte für systemische Transformation
  5. Schluss

Einleitung

Menschenleere Einkaufzentren, geschlossene öffentliche Einrichtungen, verödete Innenstädte, tote Straßen, gespenstische Stille – unsere Städte gleichen der Kulisse von schlechten Filmen. Apokalyptische Bilder von Leichentransporten aus Bergamo und riesigen Feldlazaretten im New Yorker Central Park haben das bunte und quirlige Gewusel ersetzt, das das Leben in unseren Städten so attraktiv, lebenswert und bunt macht. Die Pandemie schüttelt die Welt nach dem Frühjahr noch einmal im Herbst und Winter 2020 durch und versetzt die Gesellschaften in eine Schockstarre, in der die Regierungen zwar handelnd auftreten, aber offensichtlich nicht verhindern können, dass diese Erstarrung des gesellschaftlichen Lebens sich noch einige Zeit fortsetzen wird. Ein Ende ist zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Zeilen nicht in Sicht.

Das politische Handeln reagiert auf die jeweils steigenden oder fallenden Infektionszahlen wie die Menschen auf Wetterprognosen mit jeweiligen Ad-hoc-Entscheidungen. Lockdown und Lockerungen lösen sich dementsprechend ab. Dieses Krisen-Management findet Zustimmung in der Bevölkerung, es erscheint nahezu alternativlos und wird nur in Kategorien wie „zu streng“ oder „zu lasch“ diskutiert. Unterdessen wird aber durchaus mit einer grundsätzlicheren, aber kaum thematisierten Vorstellung über die Post-Pandemie-Zeit gearbeitet, die sich vor allem an der Frage ablesen lässt, wen und was man für förderwürdig hält. Flughäfen werden nicht in Frage gestellt, Kultureinrichtungen zumeist sträflich übersehen. Eine Verknüpfung der staatlichen Förderung mit den Herausforderungen der Zukunft, mit denen die Städte in Anbetracht zunehmender sozialer Spaltungen, der ökologischen Risiken der Erderwärmung, des Artensterbens und dem Schwinden der natürlichen Ressourcen zu kämpfen haben werden, findet kaum statt.

Zwar werden diese Herausforderungen durchaus in einzelnen Politikfeldern angegangen und teilweise mit anspruchsvoller Rhetorik auch ansatzweise adressiert, aber letztlich fehlt ihnen die lebensweltliche Relevanz. Nur wenn man die Herausforderungen der Gesellschaft sowohl mit Bezug auf die manifesten Probleme durch die Corona-Pandemie als auch mit Blick auf die schleichende Erosion unseres Zusammenlebens durch die gesellschaftlichen und ökologischen Krisen übersetzt auf den Lebensraum der allermeisten Menschen in Deutschland, nämlich die Kleinstadt und mittelgroße Stadt, werden diese wieder politisch gestaltbar. Dafür bräuchte es eine dezidierte Stadtpolitik, in der die lokale Ebene des Politischen neu gedacht und gelebt wird. Eine solche Stadtpolitik müsste es zum Ziel haben, die von der übergroßen Mehrheit der Menschen geteilten Werte der Freiheit und sozialen Gerechtigkeit wieder im eigenen Umfeld erfahrbar zu machen und somit Handlungsspielräume eröffnen, die aus der fühlbaren Ohnmacht gegenüber der Pandemie und den drohenden Katastrophen von Klimawandel und Umweltzerstörung herausführt.

In dieser Flugschrift wollen wir dazu anregen, die heutige Situation unserer Städte kritisch zu reflektieren und zunächst einmal im zweiten Kapitel dem Versagen der gegenwärtigen Stadt ins Auge zu sehen. Mit Kritik wollen wir uns jedoch nicht begnügen, weshalb im dritten Kapitel Ansatzpunkte ausgearbeitet werden, die eine Diskussion über eine Transformation der Stadt ermöglichen sollen. Schließlich legen wir im vierten Kapitel dar, an welchen Bezugspunkten sich eine Stadtpolitik für alle orientieren müsste. Wir halten es nach wie vor für möglich, dass der Weg eines Umbaus unserer Städte und der sie tragenden Stadtgesellschaft machbar ist. Entscheidende Schritte in die Richtung einer Transformation, so unsere Hoffnung, können verhindern, dass aus den multiplen Krisen reale Katastrophen werden, die zu massivem Leid ihrer Bewohner*innen führt.

Denn die Corona-Pandemie zeigt uns bereits jetzt auf, was es für einzelne soziale Gruppen wie Senior*innen, ärmere Menschen, Geflohene, Obdachlose und Arbeiter*innen an kriegsrhetorisch „vorderster Front“ bedeuten kann, wenn eine Gesellschaft nicht vorbereitet ist und es am Willen fehlt, sich mit Gefahren aktiv auseinanderzusetzen. Die deutsche Politik hat dies zu einem gewissen Teil kurzfristig getan – die Beispiele Brasilien und Vereinigte Staaten führen uns dagegen schmerzhaft vor Augen, was das Ausblenden von Desastern bedeuten kann. Jedoch ist mit Blick auf langfristige soziale und ökologische Krisen ein vorsorgliches Handeln unserer Gesellschaft und politischer Akteur*innen erst recht nicht festzustellen: Bislang sterben „nur“ Insekten und Singvögel und vertrocknen Wälder und Flüsse, leiden Menschen an der Luftverschmutzung. All diesen Ereignissen fehlt die aufrüttelnde Aufmerksamkeit einer Pandemie.

Über diese Gefahren und die schon längst als dramatisch zu bezeichnende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen wird seit Jahrzehnten ausführlich berichtet – und auch in den ganz realen Effekten lässt sich dies nunmehr kaum ignorieren. Populismus, Verschwörungstheorien und autoritäre Konzepte scheinen für Menschen immer attraktiver zu werden, um sich weder intellektuell noch emotional mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen zu müssen. Es erscheint vor diesem Hintergrund umso dringlicher, einerseits eine Sichtweise auf die komplexe Krise der Stadt beizubehalten, die sich an der städtischen Lebensrealität der Vielen orientiert.

Andererseits fragen wir auch danach, welche Auswege sich aus dieser Situation bieten: Wie können Alternativen zum vorhandenen Wachstumsmodell der Stadt verwirklicht werden?

Der hier vorgeschlagene Entwurf soll konstruktive Denk- und Handlungsräume andeuten, für das Agieren vor Ort gemeinsame Bezugspunkte für alle Menschen schaffen und dadurch breite demokratische Allianzen möglich machen. Für uns sind das die Perspektiven der offenen Relokalisierung, der Flächenumverteilung, der öffentlichen Infrastrukturen, das Commoning und das Prinzip des Munizipalismus. Grundlegender Gedanke hinter diesen Stichworten ist, dass sich eine progressive Stadtpolitik in ihren Organisationsformen, in der Gestaltung der Beziehungen zwischen den Institutionen der Stadt und seinen Bewohner*innen, in der vorsorglichen Bearbeitung von sozialen Benachteiligungen auf ein gemeinwohlorientiertes, global gerechtes und gesamtheitliches Zusammenleben beziehen muss.

Statt nun in neokonservativer Manier alte gesellschaftliche Ordnungen von Familie, Heimat, Besitzstandswahrung und Traditionen wiederzubeleben, benötigen wir eine Stadt der Offenheit und der Teilhabe, in der privatwirtschaftliche Interessen zurückgedrängt und die Mehrung des Allgemeinguts nicht mehr mit der Steigerung der Wirtschaftskennziffern und einer immer weiter sich steigernden Güterproduktion gleichgesetzt wird. Wir benötigen eine Postwachstumsstadt. Auf den folgenden Seiten wollen wir deshalb für eine Sichtweise werben, die die Stadt in unsicherer Gegenwart und Zukunft zu einem lebenswerten Ort des Zusammenlebens werden lassen soll.

Die Autoren

Anton Brokow-Loga ist transdisziplinärer Forscher an der Schnittstelle von Urbanistik, Politikwissenschaft und Transformationsforschung. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar und Teil des I.L.A.-Kollektivs (Kollektiv “Imperiale Lebensweisen und solidarische Alternativen”).

Frank Eckardt hat an der Universität Kassel in Politikwissenschaften promoviert und hat seit 2008 die Professur für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar inne.

Rezensionen

Rezension aus:

„Vielfalt! Das bunte Münster“. Blättchen für öffentliche Angelegenheiten, Ausgabe 2/2021

zu Stadtpolitik für alle, Verlag Graswurzelrevolution 2021

Lesetipp: Die Stadtpolitik ist auf dem Rückzug. Seit Städte wie ein Konzern geführt werden, wird die Einflussmöglichkeit der Bewoher*innen immer kleiner. Anton Brokow-Loga und Frank Eckardt untersuchen in ihrem Büchlein „Stadtpolitik für alle“ das Versagen der Kommunen in der Corona-Pandemie.

Dabei arbeiten sie heraus, dass „(d)ie soziale Segregation der Stadt (…) durch die Corona-Krise auf die Spitze getrieben“ wurde, sie „aber nicht erst durch sie begründet“ wurde. Die „Erosion der sozialen Urbanität“ habe viele Ursachen.

In der Corona-Krise habe die Stadt versagt. Deutlich machen die Autoren, dass „erodierender Zusammenhalt, wachsende Ungleichheit, Umweltzerstörung, fehlende Visionen“ mit der Pandemie eine „Vielfachkrise“ der Stadt produzieren. Als Ausweg schlagen Brokow-Loga und Eckhardt eine Entwicklung hin zur „solidarischen Postwachstumsstadt“ vor. Zentral für sie ist die Förderung gesellschaftlicher Gemeingüter, „früher Allmende und heute vielfach als Commons bezeichnet“. Dies sei das Fundament des Munizipalismus, der auf Murray Bookchin zurückgehe und Kommunalpolitik als Anliegen aller Einwohner*innen auf der Grundlage von „Zusammenarbeit, Nähe und Selbstverwaltung“ verstehe.

Werner Szybalski

 

Weitere Rezension aus der Zeitschrift Alternative Statdpolitik: