Achim von Borries / Ingeborg Weber-Brandies (Hg.)

Anarchismus – Theorie, Kritik, Utopie

23,90 

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Beschreibung

Achim von Borries / Ingeborg Weber-Brandies (Hg.)
Anarchismus – Theorie, Kritik, Utopie

Mit Texten u. a. von Godwin, Proudhon, Bakunin, Kropotkin, Malatesta, Landauer, Rocker, Goldman, Voline, Read, Goodman, Souchy

Bearbeitete Neuauflage

425 Seiten
ISBN 3-939045-00-4
ISBN 978-3-939045-00-7

Anarchismus – Theorie, Kritik, Utopie dokumentiert und kommentiert die libertäre Tradition vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die jüngste Vergangenheit. Die theoretischen Grundpositionen der AnarchistInnen wie auch ihr bedeutender Anteil an der Sozialistischen Bewegung, an der Russischen Revolution und am Spanischen Bürgerkrieg werden aufgezeigt. Porträts der wichtigsten VertreterInnen des Anarchismus runden die bearbeitete Neuauflage dieser umfassenden Textsammlung ab, die differenziert die komplexe Entwicklungsgeschichte des Anarchismus nachzeichnet und seine meist unterschlagenen konstruktiven Tendenzen deutlich macht. Das Prinzip Hoffnung der anarchistischen Utopie bleibt unverzichtbar, wenn wir uns nicht einer resignativen Kapitulation vor den Trägheitskräften des Bestehenden und ebensowenig der destruktiven Dynamik eines ungehemmten Neoliberalismus ausliefern wollen! Mit Beiträgen von William Godwin, Pierre Joseph Proudhon, Michail Bakunin, Peter Kropotkin, Gustav Landauer, Emma Goldman, Rudolf Rocker, Alexander Berkman, Errico Malatesta, Voline, Victor Serge, Augustin Souchy, Gaston Leval, George Orwell, Herbert Read und Paul Goodman.

Die HerausgeberInnen

Achim von Borries ist freier Publizist in Bremen. Publikationen u. a.: Selbstzeugnisse des deutschen Judentums 1870-1945 (Hg.,1962, 1988); John Stuart Mill: Über Freiheit (Hg. u. Übers.,1969); Bertrand Russell: Politische Schriften (Hg.,1972); Preußen und die Folgen (Hg.,1981); Rebell wider den Krieg. Bertrand Russell 1914-1918 (2006).

Ingeborg Weber-Brandies ist Professorin für Englische Philologie an der Ruhr-Universität Bochum. Publikationen u.a. zu Virginia Woolf (1974), zu dem marxistischen Kritiker Christopher Caudwell (1980), zum englischen Schauerroman (1983) und zu Weiblichkeit und weiblichem Schreiben (1994).

Aus dem Inhalt

Vorwort zur Neuauflage 2007

Hat der Anarchismus eine Zukunft?
Ein Gespräch mit Augustin Souchy (September 1969)

I. William Godwin
Über die politische Gerechtigkeit (1793)

II. Pierre Joseph Proudhon
Das Prinzip der Föderation (1863)
Revolutionäres Programm (1848)
Kleiner politischer Katechismus

III. Michail Bakunin
Alexander Herzen: Bakunin
Sozialismus und Freiheit
Marxismus – Freiheit – Staat
Zusammenfassung der Grundideen des Revolutionären Katechismus (1866)

IV. Peter Kropotkin
Sibirische Erfahrungen
Unter den Uhrmachern des Jura
Grundprinzipien des Sozialistischen Anarchismus
Der Widersinn des Lohnsystems
Kommunismus und Freiheit

V. Gustav Landauer
Staat und Geist
Der Marxismus – der Philister
Gemeinde-Sozialismus
Der Geist der permanenten Revolution
Revolution und Sozialismus (1919)
Ernst Niekisch: Gustav Landauer und Erich Mühsam

VI. Emma Goldman
Patriotismus – eine Bedrohung der Freiheit

VII. Die Anarchisten und das Sowjetregime
Peter Kropotkin: An die Arbeiter des Westens (Juni 1920)
Victor Serge: Kropotkins Beisetzung (10. Februar 1921)
Victor Serge: Die Anarchisten; Machno
Victor Serge: Die Liquidation
Alexander Berkman: Der Aufstand von Kronstadt
Emma Goldman: Die Russische Revolution und das autoritäre Prinzip (1924)
Voline: Warum die Revolution fehlschlug
Voline: Der Stalinismus – »Verrat der Revolution«?

VIII. Anarchismus – Gewerkschaften – Syndikalismus
Errico Malatesta: Ein anarchistisches Programm (1920)
Errico Malatesta: Anarchismus und Gewerkschaften
Rudolf Rocker: Anarcho-Syndikalismus

IX. Spanien 1936/37
Augustin Souchy: Die soziale Revolution in Spanien 1936
Augustin Souchy: Die Kollektivierung in Katalonien
Gaston Leval: Kollektive in Spanien
George Orwell: Spanische Erfahrungen 1936/37

X. Herbert Read
Führerprinzip oder Kooperation?

XI. Paul Goodman
Zentralisierung oder Dezentralisierung (1963)

Kommentare (alphabetisch geordnet)

Vorwort zur Neuauflage 2007

Der Band Anarchismus – Theorie/Kritik/Utopie wurde Ende der 1960er Jahre konzipiert und ist 1970 erschienen. Es waren die Jahre einer stürmischen »antiautoritären« Bewegung, die gegen ein reformunwilliges, sich verhärtendes Establishment rebellierte. Verständigung zwischen beiden Seiten wurde zusehends unmöglich. Die »Alternativen« propagierten ihre emanzipatorischen Doktrinen nicht nur in aggressiver Sprache, sondern auch zunehmend gewalttätig; und die »Etablierten« reagierten, indem sie die alternativen Tendenzen unterschiedslos schmähten und kriminalisierten. Dazu gehörte auch das alte Zerrbild des Anarchismus, dessen denunziatorische Reduzierung auf blindwütiges Gewaltdenken und terroristische Praxis.

Unter diesen Umständen erschien es den Herausgebern wichtig, eine Textsammlung vorzulegen, die dem unvoreingenommenen Leser/in eine differenzierte Urteilsbildung über die geschichtliche Entwicklung, die verschiedenen Richtungen und, nicht zuletzt, die von der Polemik meist unterschlagenen konstruktiven Tendenzen des Anarchismus erlaubte. Wir waren damals und sind auch heute davon überzeugt, daß es sich bei der antiautoritären Tradition des Anarchismus um eine ernstzunehmende Form entschieden freiheitlichen Denkens handelt, die aus den sozialen und politischen Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts erwachsen ist und innerhalb derselben dank ihres kritischen Potentials und ihres emanzipatorischen Impetus einen bedeutenden Platz einnimmt. Es waren Anarchisten, die schon früh die autoritäre Grundtendenz des Marxismus und später die bolschewistische Parteidiktatur kritisierten. Der spanische Anarchosyndikalismus wagte in den ersten Jahren des Spanischen Bürgerkrieges (1936/37) ein beispielloses sozialrevolutionäres Experiment. Der Kampf gegen repressive Strukturen auf allen Ebenen des gesellschaftlich-politischen Lebens und das Eintreten für weltweite soziale Gerechtigkeit und Völkerverständigung sind Grundelemente der anarchistischen Tradition.

Es bleibt offen und kann nur durch weitere, langfristige geschichtliche Erfahrung entschieden werden, ob das Ziel des Anarchismus, eine herrschaftsfreie solidarische Gesellschaft, auf den von ihm selbst propagierten Wegen, ja ob es überhaupt in der vorgestellten Form erreichbar ist. Das mindert nicht die Bedeutung dieser Utopie einer libertären Ordnung sozialer Gleichheit und menschlicher Solidarität als Gegenentwurf zu allen Herrschafts- und Gewaltverhältnissen – gerade auch zu denen einer Globalisierung unter kapitalistischen Bedingungen. Daß ein kritisch-alternatives Denken wie dieses in unserer gedankenlosen Produktions- und Konsumgesellschaft gewöhnlich als »abwegig« oder als bloße »Narretei« abqualifiziert wird, spricht nicht gegen den Anarchismus, sondern bezeugt nur Ignoranz und eine erschreckende Verkümmerung der sozial-philosophischen Reflexion. Das Prinzip Hoffnung der anarchistischen Utopie bleibt unverzichtbar, wenn wir uns nicht einer resignativen Kapitulation vor den Trägheitskräften des Bestehenden und ebensowenig der destruktiven Dynamik eines ungehemmten Neoliberalismus ausliefern wollen!

Die Textsammlung wird hier so nachgedruckt, wie sie 1970 erschienen ist. Dasselbe gilt für die Kommentare, die seinerzeit nicht »missionieren«, sondern informieren sollten. Für die Neuauflage wurden Lebensdaten ergänzt, offensichtliche Fehler korrigiert und bibliographische Angaben aktualisiert. Wir hoffen, die neuen Leserinnen und Leser davon überzeugen zu können, daß der sachliche Gehalt des Bandes, mit all seinen Grenzen und ungeachtet neuerer Literatur zum Thema, einen unveränderten Nachdruck rechtfertigt. Als Dokument aus den bewegten Jahren um 1968 ist er im übrigen selbst ein Stück Zeitgeschichte. Er repräsentiert Ausschnitte aus einer sozialphilosophischen Tradition, die in jenen Jahren von einem Teil der »emanzipatorischen« Linken wiederentdeckt worden war, mit manchen ideologischen Übersteigerungen bei ihren neuen Anhängern und Anhängerinnen, und die sich sogleich den üblichen polemischen Mißdeutungen von seiten ihrer konservativen wie ihrer orthodox-marxistischen Gegner ausgesetzt sah.

Welche konstruktiven Anstöße von einer kritischen Rezeption dieser Tradition unter den veränderten gesellschaftlich-politischen Verhältnissen von heute – und morgen! – ausgehen können, wird sich zeigen. Peter Marshall, der englische Autor der umfassendsten zurzeit vorliegenden Geschichte des Anarchismus, kommt am Schlusse seines 1993 erschienenen Werkes zu dem Fazit: »Weit davon entfernt, die kindliche, naive, utopische Phantasie zu sein, die oberflächliche Beobachter sich vorstellen, ist anarchistisches Denken, wie die vorliegende Studie hoffentlich demonstriert hat, grundlegend, komplex und subtil. Es ist mehr als eine Doktrin persönlichen Lebens. Es stellt Fragen und hat Antworten zu vielen fundamentalen Problemen der Moralphilosophie und der Politischen Philosophie. Es richtet sich auf viele der brennenden Fragen des Tages. Als Resultat bleibt es eine der bedeutendsten und stimulierendsten intellektuellen Tendenzen der Moderne.«

(Demanding the Impossible. A History of Anarchism. London 1993, S. 664)

Achim v. Borries, Bremen
Ingeborg Weber-Brandies, Hattingen

Februar 2007