Leo Tolstoi, Clara Wichmann, Elisée Reclus, Magnus Schwantje u.a.

Das Schlachten beenden!

Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Anarchistische, pazifistische, feministische und linkssozialistische Traditionen

15,90 

Beschreibung

Leo Tolstoi, Clara Wichmann, Elisée Reclus, Magnus Schwantje u.a.
Das Schlachten beenden!
Zur Kritik der Gewalt an Tieren. Anarchistische, pazifistische, feministische und linkssozialistische Traditionen

192 Seiten, 15,90 Euro
ISBN 978-3-939045-13-7

2013

Der Vegetarierbund Deutschland (VEBU) wählt in diesem Jahr das Veggie-Sachbuch des Jahres 2013. “Das Schlachten beenden!” ist für die Wahl nominiert.

2010

Süddeutsche Zeitung, Buchjournal, Börsenblatt und Norddeutscher Rundfunk präsentieren jeden Monat die Top Ten unter den Sachbüchern. Im November 2010 auf Platz 6: Das Schlachten beenden!

 

Inhalt

Vorwort

1. Einleitung

Die Idee der Tierrechte
Eine historische Spurensuche
Renate Brucker

2. Leo Tolstoi und die “Duchoborzen”

Tolstoi als Kritiker der Gewalt
Johann Bauer

Leo Tolstoi (1892)
Die Fleischesser / Die erste Stufe (Schlussabschnitt)

Karl Bartes (1931)
Die Duchoborzen in Rußland und Canada

3. Elisée Reclus

Der Anarchist Elisée Reclus
Lou Marin

Elisée Reclus (1901)
Zur vegetarischen Lebensweise

4. Magnus Schwantje

“Ehrfurcht vor dem Leben”
Der Pazifist, Sozialreformer, Vegetarier und Tierrechtler Magnus Schwantje (1877-1959)
Renate Brucker

Magnus Schwantje (1916)
Tiermord und Menschenmord, Vegetarismus und Pazifismus

5. Clara Wichmann

Clara Wichmann zur Rechtsstellung der Tiere
Renate Brucker

Clara Wichmann (1920)
Die Rechtsstellung der Haustiere

6. Der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK)

Eine sozialistische Organisation mit vegetarischen Prinzipien im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK), seine direkten Aktionen und die Funktion seiner vegetarischen Gaststätten
Lou Marin

Willi Eichler (1926)
“Sogar Vegetarier?”

Vorwort

Seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist, vor allem ausgehend von Gruppen und Organisationen aus dem anglo-amerikanischen Raum, auch in anderen Industrienationen eine neue Jugendszene entstanden, die eine Kultur der veganen Lebensweise und damit verbundener direkter Aktionen für Tierrechte praktiziert – das, was heute Tierrechtsbewegung genannt wird. Ihre Inhalte und Aktionskampagnen waren oft Thema kontroverser Diskussionen, trotzdem haben einzelne Kampagnen dieser Bewegung zum Teil breite Kreise beeinflusst und waren örtlich erfolgreich (zum Beispiel Kampagnen gegen Pelze, gegen die Hetzjagd in England usw.). Darüber hinaus ist eine undogmatisch praktizierte vegetarische und/oder vegane Essenskultur mittlerweile zu einem festen Bestandteil vieler subkultureller Jugendszenen, mancher autonomer Gruppen oder auch etwa im Milieu der Graswurzelrevolution und bei Treffen und Aktionscamps gewaltfreier Aktionsgruppen geworden. Daneben gibt es bis heute vegetarische Gruppen und Organisationen bis weit in bürgerliche Milieus hinein, die zum Teil auf einen viel längeren Zeitraum ihrer Existenz zurückblicken können.

Noch heute weiß jedoch kaum jemand, dass das Wort “vegan” auf die Abspaltung der englischen “Vegan-Society”, gegründet vom Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer Donald Watson (1910-2005), von der “Vegetarian Society” am Ausgang des Zweiten Weltkrieges entstand, weil “vegetarisch” dort zunehmend als Begriff für ovo-lacto-vegetarische Ernährung gebraucht wurde. (1) Nicht nur begrifflich, auch historisch ging der Veganismus aus dem Vegetarismus hervor. Diese Prozesse sind bis heute in ihrer ganzen Vielfältigkeit und Komplexität noch kaum erforscht. Dieses Buch soll einen Beitrag dazu liefern und zeigen, dass ein bedeutender unter den vielen – unterschiedlichen, zum Teil auch widersprüchlichen – Herkunftssträngen dieser aktuellen Bewegung im Anarchismus und ihm nahestehender Zusammenhänge: des Pazifismus, des Feminismus oder des Linkssozialismus liegt. Das Buch versteht sich lediglich als ein unvollständiger Anfang dieser Spurensuche, die fortgesetzt werden sollte.

Aufgrund der Unkenntnis und der bisher fehlenden Erforschung der historischen Begründungen für Vegetarismus sowie der Vorläuferbewegungen des Veganismus richtet sich der aktuelle Diskurs von GegnerInnen und BefürworterInnen der veganen/vegetarischen Lebensweise immer wieder auf den umstrittenen australischen Philosophen Peter Singer aus. Dessen problematische, an Nützlichkeitserwägungen und personalen Interessen ausgerichteter Utilitarismus wird oft für das allgemeine geistige Fundament dieser Bewegung gehalten, ja Singer sogar zum “historischen Vater” der veganen Bewegung stilisiert, obgleich sein Hauptwerk Animal Liberation erst 1975 erschien. Neuere Diskussionen um das Selbstverständnis dieser Bewegung zentrieren sich daher um Themen und Begriffe, die durch diese Rezeption zentral geworden sind, etwa “Speziesismus” oder “Anti-Speziesismus”. In einer Artikelserie der Graswurzelrevolution zum Beispiel ist die Zuspitzung der aktuellen Diskussion auf diesen Begriff problematisiert worden. (2)

Die historische Spurensuche dieses Buches beginnt mit einer Einleitung, die zeigt, dass die vielen Ansätze zu einem Denken um Vegetarismus, radikalen Tierschutz oder radikalen Vegetarismus (vielfach befand man sich noch auf Begriffssuche) viel weiter zurückreichen, als aktuelle Debatten Glauben machen. Nicht nur weil 2010, das Erscheinungsjahr dieses Bandes, zugleich das 100. Todesjahr Tolstojs ist, wird mit der Erinnerung an die Tolstoi-Rezeption in Deutschland und der – immer wieder unterschätzten – Bedeutung Tolstois auch für diese Thematik ein erster Schwerpunkt gesetzt, in dessen Mittelpunkt ein anderer Inhalt stand: die Kritik der Gewalt sowie die Unsensibilität und die Verdrängung von Gewalt in Industriegesellschaften, die weg aus dem Gesichtskreis der FleischesserInnen in die Schlachthäuser oder die pharmazeutischen Laboratorien für Tierversuche abgeschoben wird. (3) Tolstoi prägte damit übrigens in Russland eine Kritik der Industrialisierung der Lebensmittelproduktion und des Schlachtens, die auf der anderen Seite des Ozeans, in den USA der sozialkritische Schriftsteller Upton Sinclair nur wenig später, 1906, mit seinem weltberühmten Roman Der Dschungel über die Schlachthäuser Chicagos und die dortigen katastrophalen Arbeitsbedingungen ans Licht der Öffentlichkeit zerrte. Und noch eine weitere sozialethische Forderung geht auf den Einfluss Tolstois zurück: Wer Gewalt gegen Tiere ablehnt und bekämpft, kann konsequenter Weise nicht Gewalt gegen Menschen gutheißen oder legitimieren, weshalb von Tolstoi unterstützte Gemeinschaften wie die der “Duchoborzen” zugleich VegetarierInnen als auch Kriegsdienstverweigerer waren – eine Konsequenz, die in heutigen Tierrechtsgruppen leider nicht selbstverständlich ist. In diesem Buch folgt auf den Tolstoi-Schwerpunkt mit Elisée Reclus ein im deutschen Sprachraum noch immer unbekannter Klassiker des Anarchismus, der zeigt, dass die vegetarische Lebensweise als ethischer Vorschlag zur Lebensführung auch von bedeutenden Theoretikern der anarchistischen Bewegung vorgetragen wurde. Es folgt Magnus Schwantje, der einer der wichtigsten BefürworterInnen des Vegetarismus im Pazifismus und in der Antikriegsbewegung des deutschen Sprachraums vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg war. Von ihm stammen erstaunlich differenzierte Analysen mitten im Weltkrieg zum Zusammenhang von Tiermord und Menschenmord, sowie zu einer Kultur der Verrohung des menschlichen Empfindungsvermögens. AnarchistInnen von heute wiederum, die mit einer Verwendung eines “Rechts”-Begriffes bei der Tierrechtsbewegung wenig anfangen können, weil für sie Recht mit Macht und Herrschaft identifiziert wird, mag überraschen, dass es die Frauenrechtlerin und gewaltfreie Anarchistin Clara Wichmann war, die mit einer libertären Rechtstheorie, die sie am Beispiel der Haustiere begründete, gerade zu einer Kritik des patriarchalen und staatlichen Rechts beitrug. Das letzte Kapitel des Buches behandelt schließlich eine linkssozialistische Organisation mit vegetarischen Prinzipien im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, den “Internationalen Sozialistischen Kampfbund” (ISK). Es scheint bei aktuellen Diskussionen um Vegetarismus während der Zeit des Nationalsozialismus sowohl bei GegnerInnen wie BefürworterInnen der Tierrechtsbewegung noch immer kein Bewusstsein dafür zu existieren, dass es mit dem ISK eine linkssozialistische Organisation gab, die mittels einer Struktur vegetarischer Gaststätten einen lange andauernden und von spektakulären Aktionen geprägten Widerstand gegen die Nazis aufbauen konnte und bei der viele jüdische WiderstandskämpferInnen aktive Mitglieder waren.

Die in diesem Buch vertretenen Personen, Gruppen und Begründungen sollen jedoch nicht den Eindruck einer Homogenität oder gar Einheit vermitteln. Sie waren an ihre Zeit, ihren historischen Kontext, ihre Herkunft und ihr Milieu gebunden. Einzelne oder große Bestandteile der Begründungen waren zum Teil verschieden oder sogar konträr – manche begründeten Vegetarismus zum Beispiel als zivilisatorische Errungenschaft, andere als Bestandteil ihrer Zivilisationskritik. Gemeinsam ist den hier vorgestellten Personen und Gruppen lediglich, dass sie ihre Lebensweise nicht als individuelle Praxis ohne weitergehende politische Vision einer anderen Gesellschaft – wie im bürgerlich-vegetarischen Mainstream bis heute -, sondern als Teil einer revolutionären, gesellschaftsverändernden Praxis verstanden. Darum werden die historischen Texte zum Vegetarismus und zur Gewalt gegen Tiere hier zum Teil ausführlich kommentiert und eingeleitet und in den politischen Gesamtkontext der jeweiligen VertreterInnen gestellt.

Des Weiteren soll dieser Band nicht den Eindruck irgendeiner Vollständigkeit erwecken. Im Verlag Graswurzelrevolution ist bereits eine Biographie über den Maurer und gewaltfreien Anarchisten Franz Prisching erschienen, der um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert einen differenzierten “Arbeitervegetarismus” vertrat, wie er ihn nannte, und ihn vom bürgerlichen “Salonvegetarismus” absetzte. (4) In vielen Lebensgemeinschaften und Kommunen, die um die damalige Jahrhundertwende im Zentrum der Jugend- und Lebensreformbewegung und zum Teil auch im anarchistischen Milieu Ziel von Ausflügen oder gar Reisen waren – am bekanntesten war die Kolonie auf dem Monte Verità über Ascona/Schweiz – war die vegetarische Lebensweise selbstverständlich, wovon noch negativ der Besucher Erich Mühsam ein Lied zu singen wusste, als er ins nächste Dorfgasthaus flüchtete, um sich dort endlich ein saftiges Steak bestellen zu können. Auch der bedeutende gewaltfreie Anarchist Pierre Ramus und viele seiner GenossInnen im “Bund herrschaftsloser Sozialisten” haben das Fleischessen abgelehnt usw. usf. Sehr wahrscheinlich würde allein die Geschichte des Vegetarismus innerhalb der weltweiten anarchistischen Bewegung einen weiteren Band füllen können.

Und schließlich: Dieses Buch beabsichtigt ebenfalls nicht so zu tun, als gäbe es keine real vorhandenen Widersprüche und Problematiken sowohl in der Praxis wie den Begründungen dieser Bewegung. So wird in den aktuellen Diskussionen immer wieder auf unsensible Vergleiche der Massentötung von Tieren mit dem Holocaust an Menschen hingewiesen – oft zu Recht, wie etwa jüngst bei Kampagnen der Tierrechts-Organisation “People for the Ethical Treatment of Animals” (Peta). Das war auch historisch nicht weniger problematisch: Es gab Personen und Strömungen der Jugend- und Lebensreformbewegung, die dann schon vor oder spätestens 1914 für Krieg, Nationalismus, Antisemitismus eintraten – auch VegetarierInnen. Diese bedenklichen biographischen Verirrungen nicht weniger VegetarierInnen konfrontierte der “Arbeitervegetarier” Prisching mit seiner ihm eigenen ethischen Bewertung:

“Nun habe ich oft in vegetarischen Schriften gelesen, dass der Vegetarismus imstande wäre, die Menschen menschlicher zu machen; dass der Mensch kein Recht hat, andere Lebewesen zu töten, um sie zu verspeisen, was uns an Kannibalismus erinnert, dass der Mensch, der aus Erkenntnis und Einsicht kein Tier mehr tötet oder für sich töten lässt, um es zu verspeisen, sicher auch keine Menschen mehr töten würde. Ja, es klingt dies auch ganz logisch, und ich selbst habe lange daran geglaubt, aber leider ist dem nicht so. … Jetzt wollen wir aber einmal die Frage aufwerfen: Wer steht geistig höher, ein Vegetarier, der die Flinte auf den Buckel nimmt und, wenn es ihm befohlen wird, auf Vater und Mutter schießt, aber aus Mitleid mit den Tieren kein Fleisch genießt, oder ein Fleischesser, der trotz seines Kannibalismus ein Idealist ist und dem seine Vernunft und sein Gewissen höher stehen als alle Machtgebote der Erde, der keinen Menschen tötet und die Konsequenzen seiner Handlung selbst trägt? Ja, mit dem Salon-Vegetarismus steht es eben nicht besser als mit dem Salon-Sozialismus; beide mögen gerne fortschrittlich sein, aber die alte Dame, genannt ›heutige Gesellschaft‹, mag nicht so schnell folgen, und zurücklassen kann man sie auch nicht, also passt man sich ihr an, damit man jetzt ein gutes Auskommen findet, denn die zukünftige Gesellschaftsform ist doch höchst ungewiss, und wir dürfen der Entwicklung nicht vorgreifen. Dass es aber ohne die Menschen keine Entwicklung gibt, das scheinen die Salon-Vegetarier und -Sozialisten nicht begriffen zu haben.” (5)

Und es gab VegetarierInnen, die auf das NS-Tierschutzgesetz Anfang der dreißiger Jahre stolz waren, die den Juden und Jüdinnen das Schächten vorhielten und die bereit waren zu übersehen, dass Tiere vielen Nationalsozialisten mehr wert waren als Menschenleben. Sogar noch im ISK gab es mit dem rationalistischen “Führerprinzip” Nelsons ein Merkmal, das die Organisation an die autoritäre und gewaltsame Organisationskultur seiner Zeit band. Dies alles soll hier nicht übertüncht oder verleugnet werden. Es geht um Differenziertheit und Genauigkeit der historischen Diskussion, nicht um problematische Vereinheitlichungen.

In diesem Sinne will das Buch einen Beitrag dazu leisten, dem Mangel an Geschichtsbewusstsein und der damit einhergehenden Schieflage aktueller Diskussionen innerhalb der vegetarischen/veganen oder Tierrechtsbewegung abzuhelfen und zu einer Verständigung mit anderen sozialen Bewegungen zu kommen. Das Interesse daran steigt erkennbar und drückt sich in einer Reihe historisch orientierter Publikationen aus. Sogar marxistische oder dem Marxismus nahestehende AutorInnen haben mit den Texten Horkheimer/Adornos, die eine Sensibilität gegenüber den Tieren als integralen Bestandteil ihrer Kritischen Theorie und ihrer Dialektik der Aufklärung behandeln, einen Anknüpfungspunkt entdeckt, der gemeinsame Publikationen mit BefürworterInnen der veganen Lebensweise und ein kritisch-solidarisches Aufeinander-Zugehen mit etwa der Tierrechts-Aktion Nord ermöglicht hat. (6) Hier soll der Blick auf anarchistische, pazifistische, feministische und linkssozialistische Personen, Bewegungen und Gruppen konzentriert werden, eine besonders reichhaltige Tradition von Außenseiter-Gemeinschaften, -Gruppen und -Individuen ihrer Zeit. Möge die Erinnerung an ihr Denken und ihre Praxis dazu dienen, auch der heutigen, ja kaum minder brutalen Kultur des Schlachtens von Tieren und von Menschen überzeugender und grundsätzlicher entgegentreten zu können – und sie schließlich zu beenden!

Lou Marin & Johann Bauer

Anmerkungen

Wir bedanken uns herzlich bei Renate Brucker für viele Hinweise, Rat und Tat, die Zur-Verfügung-Stellung von Faksimiles historischer Texte sowie ihre Beiträge für dieses Buch. Sie hat Geschichte und Soziologie studiert und ist derzeit als Lehrerin in der Erwachsenenbildung (Abendgymnasium) tätig. Sie befasst sich nebenberuflich mit historischen Forschungen, wertete den Nachlass von Magnus Schwantje aus und erstellte daraus das gegenwärtig nur virtuell zugängliche Magnus-Schwantje-Archiv: www.magnus-schwantje-archiv.de

(1) Siehe Wikipedia-Einträge zu Veganismus und zu David Watson, die Gründung der Vegan Society war 1944.

(2) Die Artikelserie begann mit dem Beitrag von Rüdiger Haude: “Anti-Speziesismus. Schmeckt mir nicht!” in GWR 340, Sommer 2009. Es folgten viele LeserInnenbriefe, eine Buchbesprechung, eine Replik von Tim Kröger und eine Gegen-Replik von Rüdiger Haude in den fortlaufenden Ausgaben bis Nr. 343.

(3) Der in diesem Band abgedruckte Schlussabschnitt von “Die Fleischesser” aus dem Buch “Grausame Genüsse” von Tolstoi ist zuletzt in anderer Übersetzung unter dem historisch ebenfalls oft benutzten Titel “Die erste Stufe” in gesamter Länge in einer Broschüre des Gandhi Informationszentrums von Christian Bartolf (Hg.) abgedruckt worden: Die erste Stufe. Tolstoi, Gandhi und die Ethik der vegetarischen Ernährung, Berlin 1996.

(4) Reinhard Müller: Franz Prisching. G’roder Michl, Pazifist und Selberaner, Verlag Graswurzelrevolution & Verlag Gemeinde Hart bei Graz, Nettersheim/Hart 2006.

(5) Franz Prisching, 1911, zit. nach Müller, ebenda, S. 263.

(6) Vgl. Susann Witt-Stahl (Hg.): Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen. Beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere, Alibri, Aschaffenburg 2007. Siehe auch Besprechung in GWR 342, libertäre Buchseiten, S. 8.

Rezensionen

Die Zeit
SWR 2

Mitgefühl fürs Tier

Wir raten zu

Kürzlich kam mit der Post ein Büchlein aus einem kleinen Verlag, das für mich inzwischen zu den Leseerlebnissen des Jahres zählt. Nie las ich eine Sammlung historischer Texte, die so unmittelbar zu uns Heutigen spricht. Ihre Autoren sind Leo Tolstoi, der Anarchist Elisée Reclus (1830 bis 1905), der Sozialreformer Magnus Schwantje (1877 bis 1959) und die Juristin Clara Wichmann (1885 bis 1920). Sie alle engagieren sich nebst ihren im weitesten Sinne sozialistischen Ideen auch für den Vegetarismus und generell ein Ende der Ausbeutung der Tiere durch die Menschen.

Dass der Tierrechtsgedanke überhaupt eine so lange Tradition hat, ist nur die eine Überraschung, die dieses Buch bereitet. Die viel größere liegt in der Aktualität der Argumente. Elisée Reclus schreibt, dass Vegetarier zu sein nicht heiße, aus Angst vor dem Verzehr einer Raupe keinen Salat mehr zu pflücken. Clara Wichmann fragt (ganz wie moderne Veganer), ob die Milch der Ziege nicht ihrem Zicklein gehöre. In einem Text aus dem Jahr 1901 lesen wir, wie eine alte Frau in Tränen ausbricht, als man ihre Sau zum Schlachten bringt. Und Tolstois Schlachthofreportagen unterscheiden sich in nichts von denen eines Jonathan Safran Foer.

Das Mitgefühl fürs Tier ist dem Menschen ebenso gegeben, das beweist diese Textsammlung, wie die technischen Mittel, andere Wesen zu missbrauchen und zu quälen. Und so schön es ist, Tolstois Gedanken so hautnah mitzuverfolgen, als ob er neben einem säße, so beklemmend ist die einen plötzlich beschleichende Sorge: Was, wenn der menschliche Fortschritt seit Erscheinen dieser Texte bei den technischen Mitteln weit größer war als in den moralischen Konsequenzen?

Hilal Sezgin
erschienen in: Die Zeit, Nr. 44, 28. Oktober 2010

Rezension Das Schlachten beenden!

Bücher über vegetarische Ernährung haben momentan Hochkonjunktur. Ich möchte Ihnen noch eine der radikalsten und philosophisch interessantesten Neuerscheinungen empfehlen, die weit über die persönlichen Selbstversuche von Duve und Foer hinausgeht. Unter dem Titel “Das Schlachten beenden!” hat der Heidelberger Verlag Graswurzelrevolution einen umfassend kommentierten Band herausgegeben, der zahlreiche historische Texte aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert zum vegetarischen Leben versammelt. Da kommen der Autor und Vegetarier Leo Tolstoi zu Wort, der Anarchist Elisée Reclus, der Pazifist Magnus Schwantje und die Frauenrechtlerin Clara Wichmann. Was sie eint und von vielen heutigen Autoren unterscheidet ist, dass sie ihre Ernährungsweise nicht als persönlichen Lifestyle sahen, sondern als Teil einer revolutionären, gesellschaftsverändernden Praxis. Die Textsammlung ist in diesem Sinne eine hochinteressante literarisch-politische Fundgrube.

Katharina Borchardt
in: “Forum Buch”, SWR 2, gesendet am 20.2.2011