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“Arundhati Roy” im Krieg der Medien

| Alfred Schobert

Seit den Mega-Terroranschlägen des 11. September 2001 steht der mediopolitische Diskurs unter enormen Stress. Der den Anschlägen von New York und Washington folgende “Krieg gegen den Terror” führt zu einer wackligen und gespaltenen Normalität: ‘Dort’ (in Afghanistan, im Irak…) High-tech-Krieg, Besatzung und Terror. ‘Hier’ möglichst business as usual, also Renormalisierung der Märkte und Kurse, ebenso (the show must go on) der medialen Spaßkultur. Allerdings funktionierte die Trennung zwischen Front und Heimat von Beginn an nicht wirklich (auf Dauer wird sie eh nicht zu halten sein): Der ‘Feind’ steckt(e) ja nicht nur in Höhlen und Erdlöchern ‘dort’, er war und ist auch der sleeper in Metropolis. Vielleicht schlägt er in Hamburg zu, vielleicht aber auch in Homburg. Doch es mag auch sein, dass diese Terror-Warnungen Humbug sind. Oder die Inszenierung eines nervös gewordenen Innensenators auf Abruf, der sich besinnt, dass die Schill-Partei bei der letzten Hamburger Bürgerschaftswahl von einer Welle des Sicherheitswahns in den Senat gespült wurde.

Eine so prekäre Normalität, in die jeden Augenblick der Ausnahmezustand einbrechen kann, ist die Hochzeit für das Entweder-Oder, für das, was in der Friedensforschung (so bei John Galtung) “binäre Reduktion” genannt wird. Da wird dann die ganze Welt in Freund oder Feind aufgeteilt: ‘Entweder für Bush oder für Saddam’, ‘entweder für die Weltpolizei oder für den Terror’.

Wegen ihrer Rede beim Weltsozialforum im Mumbai gerät nun ausgerechnet Arundhati Roy, die in ihrem viel beachteten Guardian-Beitrag nach dem 11. September 2001 eine intelligente Resistenzposition jenseits der binären Reduktion formuliert hatte, in einigen deutschen Medien in die Mühle des binären Reduktionismus. Am 19. Januar entzündete die taz einen “Brennpunkt”. “Kriegserklärung der Kämpferin”, lautete der Titel; im Untertitel behauptete die taz: “Auf dem Weltsozialforum in Bombay fordert die Autorin Arundhati Roy den Krieg der Globalisierungskritiker gegen das Establishment”. Um noch vor Lektüre des Artikels voll im Bilde zu sein, verkündet die Kopfzeile: “In Bombay verkündet sie [A. Roy; AS] die Hinwendung der Bewegung von der Systemkritik zum Kampf gegen Neoliberalismus. Als aktuellstes Beispiel nennt sie den militanten Widerstand im Irak, den es zu unterstützen gelte.” So eingestimmt, schweift der Blick auf ein fett hervorgehobenes Zitat: “Wir fordern Gerechtigkeit für alle. Deshalb müssen wir uns als im Krieg befindlich begreifen!”

Wenn die Augen sich schließlich dem Beginn des Artikels zuwenden, stoßen sie zunächst auf ein weiteres heraus geblocktes Zitat: “Wir müssen nicht nur den Widerstand im Irak unterstützen, wir müssen zum Widerstand werden”, heißt es da. Im Artikel wird dieses Zitat als “der entscheidende Satz” der Rede präsentiert. Merkwürdig nur, dass der “entscheidende Satz” hier einen abweichenden Wortlaut hat: “Wenn wir wirklich gegen Imperialismus und Neoliberalismus sind, dann müssen wir nicht nur den Widerstand im Irak unterstützen, wir müssen selbst zum Widerstand im Irak werden.” Das klingt wie eine Abschiedsbotschaft Roys kurz vor dem Aufbruch nach Bagdad, wo sie sich dann vielleicht ans Steuer eines mit Sprengstoff beladenen Lieferwagens setzte. Taz-Autor Rainer Hörig legt nach: “Arundhati Roy weiß, was sie da sagt”. Doch weiß die taz, was sie da sagt, Roy sagen lässt?

Statt den “entscheidenden Satz” im Redekontext und den politischen Debatten zu situieren, folgt ein – vermutlich vorfabriziertes – Porträt Roys. Wie passend, dass Roy mal zu einer früheren Auseinandersetzung gesagt hat: “Natürlich findet hier eine Art Krieg statt.” Fällt nach so viel “Krieg” und Bezügen auf “militanten Widerstand im Irak” überhaupt noch auf, dass die taz nichts über genauere Kriegspläne Roys zu melden weiß? Fällt auf, dass der am Ende des Artikels erwähnte konkrete Vorschlag Roys zum Widerstand gegen Irak-Krieg und seitherige Besatzung zivil und gewaltfrei ist? Unter denen, die dies nicht bemerkt haben, drängte es einen im äußersten Stress zum Verfassen einer Presse-Erklärung: Jürgen Grässlin, Bundessprecher der DFG-VVK. Der las die Rede-Fetzen Roys aus der taz vor dem Hintergrund der “10-Euro”-Kampagne (siehe GWR 285, S. 1 u. 6), gegen die er – in der Tendenz ganz richtig – opponiert hatte; die junge Welt, die sich in zahlreichen Texten für diese Kampagne stark gemacht hatte, nahm dies zum Anlass, Grässlins Position in einem Interview regelrecht vorzuführen. Grässlins eilige Presserklärung gegen Roy erschien tags darauf in der jungen Welt. Die brachte auch Roys Rede fast komplett, wie sie in der indischen Tageszeitung The Hindu erschienen war. In der jungen Welt wohl unvermeidlich, diktierte Werner Pirker in einem Leitartikel, wie Roys Rede zu verstehen sei. Auch er konzentrierte sich auf das, was in der taz als “der entscheidende Satz” präsentiert worden war, berief sich allerdings auf “Agenturen” und schrieb: “Als zentralen Bezugspunkt dieses Widerstandes nannte sie [A. Roy; AS], so Agenturen, den Irak: ‘Wenn wir wirklich gegen Neoliberalismus und Imperialismus sind, müssen wir den Widerstand im Irak nicht nur unterstützen, sondern selbst zum Widerstand im Irak werden’.”

Auf den Roy-Text in derselben Ausgabe der jungen Welt konnte sich Pirker nicht stützen. Dort findet sich das “Agenturen”- und taz-Zitat nicht, wohl aber eine Passage, die das Gegenteil aussagt und die eingerahmt ist von einer positiven Erinnerung an Gandhis Salzmarsch und dem Vorschlag, exemplarisch zwei am Irak-Krieg verdienende US-Konzerne “dicht zu machen”. Das hinderte Pirker aber nicht daran, die Position gewaltfreien Widerstands als “neokoloniale Attitüde ‘zivilisierter’ Westlinker” abzukanzeln, was einen fast in die Falle tappen lassen könnte, den Wiener einer “‘barbarischen’ Ostlinken” zu nennen. Mit umgekehrter Wertung unterwirft sich Pirker freudig Bushs Vorgabe der binären Reduktion: Wer sich nicht auf die Seite ‘des irakischen Widerstands’ stelle, sei, “ob bewußt oder unbewußt, ein Teil der Besatzung.” Das bestätigt einmal mehr den Eindruck, den sein Textstrom in der jungen Welt hinterlässt. Die Diskursposition ‘Pirker’ ist wie viele Flaschen Fusel, danach muss man kotzen, und auf Dauer droht Verblödung.

Die Antikriegs-Bewegung könnte nichts Blöderes tun, als sich pauschal positiv auf ‘den irakischen Widerstand’ zu beziehen. Stattdessen gilt es, gegen den binären Reduktionismus dritte, vierte, n.te Positionen zu entwickeln. Ob Roy dafür in Mumbai Anregungen geliefert hat, wo man ihr folgen kann und wo lieber nicht, sollte jedeR erst nach genauer Lektüre ihres Textes entscheiden – das mag später in diesen Spalten oder anderswo diskutiert werden.