Thorwald Proll, Raus mit der Sprache. Lyrische Knockouts 2. Mit 12 Aquarell-Collagen von Ralf Walter. Verlag auf hoher See, Hamburg 2016, 90 Seiten, 31,99 Euro, ISBN 978-3-930272-09-9
Mit Wolf Wondratschek, Peter Paul Zahl und einigen anderen gehört Thorwald Proll zu den Lyrikern, die noch während des Zweiten Weltkrieges geboren wurden und in den 1970er Jahre zu einiger Berühmtheit gelangten. Ihre Bücher erreichten Auflagen, von denen heutige LyrikerInnen nur noch zu träumen wagen. Mit ihren Gedichten wollten sie die Verhältnisse – jeder auf seine Weise – zum Tanzen bringen. Wenngleich Proll immer der ruhigere, der sich rar machende Autor ist, und einige jener 68er-AutorInnen inzwischen schon wieder drohen, in Vergessenheit zu geraten, kommt nun ein neuer Gedichtband von ihm raus, mit der programmatischen Aufforderung: Raus mit der Sprache.
Löscht den Durst von Brandstiftern
Thorwald Proll scheint immer noch als der Kaufhausbrandstifter stigmatisiert zu sein, mit dem 1967 ein kleiner Teil der Außerparlamentarischen Opposition (APO) gegen den Vietnam-Krieg demonstrierte und die unheilvolle Gewaltspirale in Gang setzte. Der Prozess gegen ihn und andere radikalisierte Teile der Linken in der BRD stürzte den Staat kurz nach seiner Volljährigkeit in eine Krise (1) und brachte den Begriff des „Terrorismus“. Das ist lange her. Auch das Leben des Thorwald Proll entwickelte sich zu einem ganz normalen, er war und verstand sich die längste Zeit seines Lebens als Buchhändler und Dichter.
Bereits bei Erscheinen seines ersten Gedichtbandes 1972 („Sicherheit und (M)ordung“) war klar, dass seine eigentliche Waffe das Wort ist, das Spitze, das Verquerte, das Musikzitat, die Wortverdrehung. Und ein bisschen auch immer der subversive Humor. Der Dadaismus in seiner leicht stolpernden, aber immer geradeaus führenden Art und Weise. Durch seine Brille gucken zwei lebendige Augen, er sah schon immer irgendwie wie John Lennon aus.
Die Mischung aus Dadaismus und Rock’n’Roll, Expressionismus und Widerstand gegen jedwede Form von Herrschaft, die Alltagsbeobachtung und der große Weltschmerz, der zum Gedicht gereifte Aphorismus und die Texte, die sich je nach Laune – irgendwie – auch ab und an reimen, das ist die Welt des Thorwald Proll heute, der Herzen in Flammen setzt.
Der Dichter ist ein Beamter im Rauschministerium
Ein Déjà-vu ist sicherlich das Gedicht „Wer kennt das nicht“, weil es stimmt: „Wer kennt das nicht / Du musst einen / Knüller schreiben / sagt sie zu ihm / ja, das möchte er / gerne / den Füller dazu / hat er schon / und geknülltes Papier / bergeweise.“ Ja, das kennen wir! Aber wir wissen auch, dass „Bestseller“ nix mit literarischer Qualität zu tun haben und selten jene treffen, die es wahrlich verdient hätten. Und im „Land der Dichter und Denker“ tauchen Lyrik-Bände nie in Bestsellerlisten auf. Diese Zeiten sind wahrlich vorbei. Heute sind LyrikerInnen die Don Quichotes des Buchmarktes, die mit unendlicher Energie gegen die Verlagshäuser anstürmen.
Nichts desto trotz:
Proll schafft es, aus der Alltagssprache Lyrik und Witz zu destillieren und bewusster zu machen. Schon die Titel einiger Gedichte sind programmatisch: „Wie im(mer)Leben“, „Der Legionär des Schlafs“ oder „Erinnerungen zu ermäßigten Preisen“. Und Proll bleibt seinem Stil treu. So habe ich ihn kennengelernt, so hat er mich früher beeinflusst und so liebe ich ihn heute.
Raus mit der Sprache
Das Format des Buches samt den Illustrationen von Ralf Walter, der als Kind mit seinen Eltern auf der Flucht aus der DDR in der Familie Proll seinerzeit Aufnahme fand, erinnert auf den ersten Blick eher an ein Kinderbuch. Ich vermisse da die Collagen von Proll, die „Prollagen“ (dadaistische Bildcollagen) aus den früheren Büchern. Die Arbeiten von Walter, die offensichtlich extra für dieses Buch angefertigt wurden, sind aber nicht kindlich, keineswegs, aber unter Umständen mir zu bunt, zu verspielt. Walter selbst ist ein interessanter Künstler, der weltgewandt sich seit vielen Jahren in Mexiko engagiert.
Die Aufmachung ist Geschmackssache und soll dem Buch als solches keinen Abbruch tun. Ich wünsche mir, dass Thorwald Proll, der nun bald 76 Jahre alt wird, noch die Kraft dazu findet, uns mit so manch einem Buch samt seiner Gedichte zu erfreuen.
(1) Siehe: Thorwald Proll im Interview-Band mit Daniel Dubbe: Wir kamen vom anderen Stern, Hamburg 2003, der durch eine unerwartete Naivität seitens Prolls überrascht.