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Jugendumweltbewegung auf Schmusekurs?

Die Frage nach Staatsnähe oder Selbstorganisation darf nicht in postmoderner Beliebigkeit untergehen

| Andreas Speck

Der letzte Jugendumweltkongreß stand unter dem Schatten der Zensur durch das Umweltbundesamt (UBA). Die Frage nach dem Umgang mit dieser Zensur und die dahinter stehende Auseinandersetzung um Staatsnähe oder Selbstorganisation ist daher für die Zukunft der Jugendumweltbewegung von entscheidender Bedeutung. Während dieser Artikel einen kritischen Blick von außen darstellt, zeigt der Artikel auf der rechten Seite die Perspektive von innen auf. (Red.)

Zunächst einmal: betroffen von direkter Zensur durch das Umweltbundesamt war auf diesem Jukß im wesentlichen die Graswurzelrevolution (vgl. GWR 225). Die sprichwörtliche “Schere im Kopf” machte sich aber schon vorher bei der Planung und Schwerpunktsetzung für den Jukß bemerkbar, wobei diese sicherlich nicht nur Folge der direkten und indirekten politischen Einflußnahme durch das UBA war, sondern auch eigener politischer Interessen des Organisationsteams, in dem die Verbände BUND-Jugend und Naturschutzjugend dominierten. Diese politischen Interessen führten zu den Konflikten beim Umgang mit der offenen und direkten Zensur durch das UBA.

Ziel dieses Artikels ist es, ausgehend vom Umgang mit der Zensur und staatlicher Einflußnahme grundsätzliche Fragen der Selbstorganisation zu diskutieren, die in der Jugendumweltbewegung eine Rolle spielen sollten. Dabei handelt es sich allerdings um einen “Blick von außen”, der natürlich nicht alle Facetten der internen “Fraktionierungen” erfassen kann.

Zensur mit Vorgeschichte

Eigentlich konnte die Zensur auf dem Jukß nicht überraschend kommen, denn Versuche der politischen Einflußnahme reichen schon weiter zurück.

  • Bereits beim Jugendumweltkongreß 96/97 hat das Umweltbundesamt den Abdruck eines Textes zum anstehenden Castor-Transport nach Gorleben im Jukß-Reader abgelehnt. Dieser Einflußnahme beugte sich das damalige Organisationsteam und der Text wurde vom Autor auf dem Jukß als Flugblatt verteilt.

  • Im Sommer 1997 forderte das Umweltbundesamt den Austausch einer Seite im Jugendaktionsheft Umwelt bzw. der Aktionsmappe Umwelt, in der unter den Kontaktadressen unter anderem die Adresse der Graswurzelwerkstatt als Büro der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA) genannt war. Im Angesicht der Androhung, 70 000 DM Fördermittel zurückzahlen zu müssen, beugten sich die ZuschußempfängerInnen dieser Zensur und tauschte die Seite aus. (Die Herausgeber der Mappe, das Institut für Ökologiein Saasen, das die Mappen vor dem Schreiben des UBA erworben hatte, verteibt diese allerdings weiterhin mit der inkriminierten Seite.)

  • Der eigentliche Hammer kam dann kurz vor dem Jukß. Das Umweltbundesamt forderte in einem Auflagenbescheid vom 2. Dezember 1997, daß die Arbeitskreise “von Mitgliedern der Redaktion ‘Graswurzelrevolution’” nicht stattfinden dürfen. Gegen zwei weitere Arbeitskreise zu “Initiativen gegen Verkehrsgroßprojekte am Beispiel der Autobahn A33” und “Carwalking” meldete das UBA “Bedenken” an und empfahl deren Verlegung in das Rahmenprogramm, was bedeutete, daß die ReferentInnen kein Honorar erhielten.

  • Wenige Tage vor dem Jukß legte das UBA noch einmal nach und forderte in einem weiteren Auflagenbescheid, daß die inkriminierte “Aktionsmappe Umwelt” auf dem Jukß “weder beworben, noch ausgelegt oder verkauft werden” darf.

Diese Vorgeschichte und die Auflagenbescheide des UBA führten auf dem Jukß zu einer geradezu grotesken Situation. Mitglieder des Organisationsteams überwachten die Infostände verschiedener Gruppen und wühlten nach Exemplaren der Graswurzelrevolution und der Aktionsmappe Umwelt. In einer geradezu idiotischen Verfolgungsparanoia wurden die BetreiberInnen der Tische jeweils aufgefordert, die inkriminierten Publikationen verschwinden zu lassen.

Ein Tisch der Graswurzelrevolution durfte selbstverständlich überhaupt nicht aufgebaut werden. Als wir schließlich unter dem Vordach des Gebäudes einen Tisch aufbauten, kam ein Mitglied des Organisationsteams heraus und forderte uns auf, den Tisch doch nicht unter dem Vordach, sondern vor dem Gebäude aufzubauen, um die Zuschüsse des UBA nicht zu gefährden. Als wenn an zwei Metern Abstand 150 000 DM hängen würden … Von einem anderen Mitglied des Organisationsteams wurden wir geradezu angefleht, nicht doch noch irgendwo heimlich Arbeitskreise durchzuführen.

Der Umgang mit der Zensur machte deutlich, daß die Brisanz staatlicher Einflußnahme nicht erkannt wurde. Mitglieder des niederländischen Kochkollektivs Rampenplan und des Infoladens Assata machten dies sehr deutlich. Sie weigerten sich gegenüber dem Organisationsteam zunächst, die GWR vom Tisch zu nehmen und vertraten den Standpunkt, daß es angesichts solcher staatlicher Einflußnahme besser gewesen wäre, den Jukß nicht durchzuführen, als sich der Zensur zu beugen. Letztendlich mußten auch sie sich jedoch dem Druck des Organisationsteams beugen und der Verkauf der GWR einstellen. Ein Versuch, die GWR später als Protestaktion kostenlos an die TeilnehmerInnen zu verteilen scheiterte leider, da es nicht mehr möglich war, ausreichend Zeitungen zum Jukß zu bringen.

Zensur und die “Schere im Kopf”

Offene Zensur ist die eine Seite, und es wirft ein bezeichnendes Bild auf das politische Bewußtsein des Organisationsteams, wenn ein Mitglied des Teams in einer “Meinung zum Jukß” schreibt: “Als die Auflagen für den Jukß (z.B. die Zensur) bekannt wurden, war es zu spät, um einen anderen Geldgeber zu finden. Am Ende bleibt noch anzumerken, daß die Zensur aufgrund der Beobachtung der Graswurzelrevolution durch den Verfassungsschutz geschah. Auch dieser muß sich nicht immer irren (Hervorhebung von mir, AS).”

In der Abwehr der Zensur geht es gar nicht um die Frage, ob der Verfassungsschutz sich nun irrt oder nicht, sondern darum, ob man sich Inhalte vom Staat vorschreiben lassen will. Daran werden Tendenzen einer inhaltlichen Entwicklung der Jugendumweltbewegung deutlich, die bedenklich sind. Während man beim Auftakt-Festival 1993 in Magdeburg gerne auf Know How, technische Ausstattung und Arbeitskraft der GWR zurückgriff, um die Festivalzeitung taktlos produzieren zu lassen, verweist das heutige Organisationsteam nun auf das staatliche Kriterium der Verfassungsfeindlichkeit, um eine inhaltliche Ausgrenzung durch das UBA zumindest zu rechtfertigen. Peinlicher geht es nicht mehr.

Die Schere im Kopf zeigte sich jedoch schon früher. Obwohl der Jukß 1997/98 in örtlicher und zeitlicher Nähe zum für Ende März geplanten Castor-Transport nach Ahaus stattfand, war dazu kein offizieller Arbeitskreis geplant. Die Demonstration in Ahaus, ursprünglich als Aktion des Jukß geplant, wurde aufgrund von Bedenken des UBA aus dem Jukß ausgegliedert und fand erst nach dem offiziellen Ende des Kongresses statt. Während man dies vielleicht noch als “taktischen Umgang” mit Zensur deuten könnte, so reiht es sich in der Gesamtschau eher in die Politik der “Schere im Kopf” ein.

Schmusekurs mit dem Staat

Die Frage der Staatsnähe ist nicht nur eine Frage des Jukß, sondern der Jugendumweltbewegung schlechthin, und dabei ebenfalls nicht nur der Verbände, sondern auch der freien Projektwerkstätten. Auf dem Jukß selbst wurde diese Frage durch die offene Zensur lediglich besonders deutlich.

Die Entwicklung der Themenstellungen des Jukß in den letzten Jahren ist ebenfalls ein Indiz. Während der Jukß 1996/97 in seiner Abschlußerklärung eine “ökologische Steuerreform” forderte, stand der Jukß 1997/98 unter dem Motto “Stadt und Land – wir gestalten die Zukunft” und stand ganz im Zeichen der Agenda 21. Das Foyer nannte sich “Platz der ökologischen Steuerreform”. Während der Jukß ursprünglich angetreten war, ökologische Politik und Selbstorganisation von unten miteinander zu verbinden, scheint er 1998 beim Mainstream der bürgerlichen Ökologiebewegung angekommen zu sein.

Während dies bei den Jugendorganisationen der etablierten Verbände nicht verwundert, so läßt sich aber auch bei den freien Projektwerkstätten eine fehlende Auseinandersetzung mit dem Staat konstatieren. Auf staatlicher Finanzierung beruhende Stellen im Rahmen des “Freiwilligen Ökologischen Jahres” (FÖJ), gar der Wehrpflicht geschuldete Zivildienstleistende, bilden vielerorts das “Rückgrat” der Arbeit in Jugendumweltbüros und Projektwerkstätten, ergänzt um institutionelle staatliche Finanzierung. Überspitzt ließe sich sagen: die gesamte Struktur der Jugendumweltbewegung hängt am Tropf des Staates!

Selbstorganisation bitte!

Dies steht im eklatanten Widerspruch zur viel zitierten Selbstorganisation und basisdemokratischen Strukturen. Was passieren kann, wenn ganze Strukturen einer Bewegung auf Staatsknete beruhen, das hat der letzte Jukß nur zu deutlich gezeigt. Was nun anstehen müßte, ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit der Zensur durch das UBA, sondern mit Grundsätzen der Selbstorganisation schlechthin.

Die Frage des “Wie wollen wir uns organisieren?” ist dabei nicht nur eine Frage der Strukturen oder des “Organisatorischen” (wie im bereits erwähnten Brief eines Mitglied des Organisationsteams als Kritik angemerkt) sondern eine Frage nach den zentralen Inhalten und Zielen der Jugendumweltbewegung. Es geht eben nicht darum, daß “Staat und Politik … in Auseinandersetzung mit der Bevölkerung Lösungen entwickeln und umsetzen” und wir nur dort “wo die Politik nicht handelt, … uns einsetzen und querstellen” (Abschlußerklärung des Jukß), sondern darum, unabhängig von und notfalls gegen Staat und Politik eine andere Gesellschaft aufzubauen. Und ich bezweifle doch sehr stark, daß das mit Staatsknete zu machen sein wird …

PS: Dieser Artikel wurde nicht vom Umweltbundesamt geprüft. Die Umwelt- oder Staatsfreundlichkeit kann nicht garantiert werden.