otkökü

Fluchtursachen und Menschenrechte in der Türkei

| Ralf Kaufeldt

Das UMBRUCH-Bildungswerk für Friedenspolitik und gewaltfreie Veränderung und das DFG-VK Bildungswerk NRW organisierten Ende März 2001 in Kooperation mit dem Verein der KriegsgegnerInnen Izmir (ISKD) für Engagierte in der Flüchtlingsarbeit eine einwöchige Studienreise nach Izmir (vgl. Otkökü 1).

Ziel der Reise war es sich vor Ort ein Bild über die aktuelle politische Situation zu machen – insbesondere über die Lebensbedingungen kurdischer Flüchtlinge und die Rückkehrgefährdung für aus Deutschland in den Westen der Türkei unter Verweis auf die angebliche “inländische Fluchtalternative” abgeschobene AsylbewerberInnen. In diesem Kontext standen Gespräche mit AktivistInnen im Menschenrechtsverein IHD und bei amnesty international sowie mit Anwälten der Anwaltskammer BARO, an der Ege-Universität, im deutschen Konsulat und im ISKD, Treffen mit Ärzten der Türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV sowie mit Vertretern der prokurdischen Partei HADEP und der Flüchtlingshilfsorganisation GÖC-DER.

Praktisch alle GesprächspartnerInnen schätzten die gegenwärtige Situation wenig optimistisch ein. Vor allem seit der Eskalation der Ereignisse im Dezember 2000 im Zusammenhang mit dem Hungerstreik politischer Gefangener gegen die F-Typ-Gefängnisse, habe der Druck gegen oppositionelle Kräfte wieder zugenommen und auch die HADEP sieht sich wieder stärkerer Repression ausgesetzt. Auch die Teilamnestie spreche nicht für eine innenpolitische Entspannung, weil z.B. die Freilassung der wegen Meinungsdelikten Inhaftierten unter einem Bewährungsvorbehalt steht. Zudem bestehe die Gefahr, dass nachträglich auch noch wegen Folter verurteilte Sicherheitskräfte von der Amnestie profitieren könnten.

Politische Bemühungen um mehr Rechtsstaatlichkeit (vor allem durch Staatspräsident Sezer repräsentiert) blieben wirkungslos, solange die Armee nicht wirklich um ihre Macht fürchten müsse. Außerdem könne es ohne gesellschaftliche Unterstützung keine demokratische Umgestaltung der Türkei geben.

Wie steht es also um diese wichtige gesellschaftliche Unterstützung? Spätestens seit dem Susurluk-Skandal war doch eine breite Öffentlichkeit für die Wahrnehmung politischer Misstände sensibilisiert! Doch wer glaubte, dass sich aus den vielen in den letzten Jahren entstandenen zivilgesellschaftlichen Initiativen mittlerweile eine Kraft formiert hätte, die das Protestpotential bündeln könnte, auch mit der Chance, den Protest nach Wahlen zumindest ins Parlament zu tragen, sah sich enttäuscht. Im letzten Jahr noch diskutierte Überlegungen einer Kooperation von z.B. ÖDP, HADEP und CHP sind schon wieder vom Tisch. Statt dessen denkt man (zum wievielten Male eigentlich ?) über die Gründung einer neuen von Sozialdemokraten, Linken und Kurden getragenen Bewegung nach.

Kann es sein, dass man auch eineinhalb Jahre nach der einseitigen Beendigung des Krieges durch die kurdische Seite nicht erkennt, dass es selten einen günstigeren Zeitpunkt gab für eine politische Lösung des Kurdenkonflikts, dem Schlüsselproblem auf dem Weg zu einer Demokratisierung des Landes? Erkennt niemand die Gefahr, dass der Krieg ins Land zurückkehren wird, wenn hier nicht jetzt (!) etwas passiert und nicht (vielleicht …) in 5 Jahren? In ihrem berechtigten Kampf um politische und kulturelle Rechte brauchen die Kurden natürlich auch Unterstützung von türkischer Seite. Nur: von einem Verantwortungsgefühl auch und gerade von Türken für eine neue Kurdenpolitik merke ich so gut wie nichts. Kaum jemand scheint sich ernsthaft dafür zu interessieren. Hierauf war ich nicht gefasst! (Der häufige Vorwurf von Kurden, ständig verraten zu werden, erscheint mir immer weniger als ein Schwarz-Weiß-Klischee, als das ich ihn selber oft verärgert abgetan habe.) Fairerweise muss ich hinzufügen, dass auch von früheren Kooperationsversuchen zwischen Türken und Kurden berichtet wurde, die dann an der Kompromisslosigkeit der vermeintlichen Partner gescheitert seien. Mehrmals klang durch, dass der starke türkische Nationalismus letztlich auch Folge des Kriegs in Kurdistan und der jahrelang erhobenen kurdischen Forderung nach einem eigenen Staat sei. Und auch die Aufkündigung des ersten Waffenstillstandes der PKK von 1993 habe manche Türken wieder auf Distanz gehen lassen.

Dennoch: wieso gibt es kaum Organisationen, in denen sich Kurden und Türken gemeinsam engagieren? Die Initiative der Friedensmütter scheint hier eine rühmliche Ausnahme zu sein. Wieso nur verhält sich die Gesellschaft angesichts der zahlreichen Misstände im Land anscheinend so passiv? Auf solche Fragen kommt immer wieder die Antwort, dass 3 Putsche das Land gelähmt hätten: die Gesellschaft sei depolitisiert und verhalte sich ignorant gegenüber Problemen, weil es keine gemeinsame Ethik mehr gebe. Ist der letzte Putsch denn nicht über 20 Jahre her? Es mag ungerecht (vielleicht sogar oberlehrerhaft !) sein – aber der ewige Verweis auf den 12. September klingt oft auch wie ein Alibi!

Dies ehrt um so mehr die Aktiven in den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die alle mit zu wenigen Kräften und unzureichenden Finanzmitteln immer wieder gegen das Unrecht ankämpfen: durch juristischen Beistand wie beim BARO, die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen wie beim IHD oder bei amnesty international, medizinische und psychologische Betreuung von Folteropfern wie beim TIHV, Gewaltfreiheitstrainings wie beim ISKD oder Flüchtlingshilfe wie bei GÖC-DER. Für ihren Einsatz müssen sie oft einen hohen Preis zahlen. Auch mehrere unserer Gesprächspartner waren bereits inhaftiert oder wurden mit Prozessen überzogen. Die Zweigstellen ihrer Organisationen werden auch in Izmir immer mal wieder behördlich geschlossen.

Die Lage der kurdischen Inlandsflüchtlinge (in Izmir seit 1990 ca. 1 Mio., davon etwa 2/3 aus den Kriegsgebieten) hinterließ einen gespaltenen Eindruck. Die Verhältnisse in den beiden besuchten Gecekondus nahe Izmir, in denen jeweils ca. 150 kurdische Flüchtlinge zum Teil seit vielen Jahren ohne jede positive Zukunftsperspektive in Zelten leben und wo vor allem die Unterernährung und gesundheitliche Unterversorgung der vielen Kinder nicht zu übersehen war, schreien geradezu nach Maßnahmen zur Linderung der Not. Lediglich die (praktisch nur von Kurden getragene) Flüchtlingshilfsorganisation GÖC-DER bemüht sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch um etwas Sozialarbeit (Kleiderverteilungen u.ä.) vor Ort. Zentrales Ziel des Vereins ist aber ein politisches: die Rückkehr der Vertriebenen in die wieder aufzubauenden Dörfer ihrer angestammten kurdischen Heimat, um dort in ihrer Sprache und Kultur sicher leben zu können. Bis dahin fordert GÖC-DER aber auch einen besseren Lebensstandard in den Flüchtlingslagern.

Für die HADEP waren nicht soziale Aktivitäten in den Flüchtlingslagern vorrangig, sondern die großen politischen Ziele wie das Projekt der “Demokratischen Republik”. Tröstlich bleibt, dass zumindest einzelne Parteimitglieder sich auch bei GÖC-DER engagieren und die praktische Hilfe für die Betroffenen noch nicht völlig aus den Augen verloren haben.

Wichtig für die Arbeit in Deutschland war die Erkenntnis, dass sich alle Organisationen personell überhaupt nicht in der Lage sehen, eine dauerhafte Betreuung abgeschobener Flüchtlinge zu übernehmen. Alle gegenteiligen Behauptungen weckten nur unerfüllbare Hoffnungen. Prioritäres Ziel müsse also die Verhinderung der Abschiebungen sein.

Anmerkungen

Ralf Kaufeldt ist Mitarbeiter im Dialog-Kreis "Krieg in der Türkei: Die Zeit ist reif für eine politische Lösung"

Kontakt

ralf.kaufeldt@t-online.de