aktuelles

Mit einem Bus voller Ökos durch einen ökologischen Albtraum

Kind der Nacht auf Reisen (Teil 3). Die Rückreise vom XXV. ENCA in Mato Grosso nach Salvador/Bahia

| Kind der Nacht

Fortsetzung des Lateinamerika-Reiseberichts aus GWR 264

Die Rückreise war für mich markant. Schon auf der Hinreise habe ich mich über die riesigen Baumwollfelder aufgeregt, über die die Flugzeuge ihr DDT versprühten. Doch die wirklichen Dimensionen sind mir erst auf der Rückreise bewusst geworden, weil wir ein Teil der Felder auf der Hinreise in der Nacht passiert hatten. Hinzu kommt, dass ich 5 Tage im ökologischen Paradies gelebt habe, wo ich z.B. das Wasser im Wald an der Quelle geholt und mich dabei Kolibris umringt haben und die tiefe Stille des Waldes mich verzaubert hat und jetzt in einem Bus voller Ökos durch einen ökologischen Alptraum fahre. Von den kreischenden Arara-Papageienpärchen, die im Morgengrauen über den Wald ziehen zu den öden, endlosen Feldern über die Flugzeuge tonnenweise ihre Pestizidfracht ergießen. Die Erde wird regelrecht todgespritzt. Ich habe mich auf dem ENCA (1) mit einer Einheimischen und im Bus mit einer ökologischen Aktivistin darüber unterhalten, wie es dazu kommt. Die Gauchos – die Bewohner aus dem reichen Süden Brasiliens, oftmals mit deutschen Vorfahren – sind regelrecht eingefallen, so die Einheimische. Auf der Suche nach Flächen wo noch keine resistenten Insekten gegen das Pestizid existieren, angetrieben von Profitmaximierung, zusammen mit multinationalen Agrokonzernen, Kapital und Technologie. Zuerst wird das leicht verwertbare Holz ausgebeutet, dann kommt der Feuersturm und zum Schluss wird alles mit schweren Landmaschinen eingeebnet. Dann werden mit Hi-tec-Saatgut (Mais und Soja genmanipuliert), Kunstdünger, Unmengen von Pestiziden (hauptsächlich DDT, welches auch in Deutschland hergestellt wird, aber deren dortige Anwendung verboten ist) und modernsten Landmaschinen gigantische Monokulturen errichtet. Bei Soja (genmanipuliert, patentiert von Monsanto) wird mit dem Flugzeug gesät, und später mit dem Round-up-Ready-Pestizid von Monsanto rübergegangen, das alle Pflanzen bis auf die Soja killt. Diese Produktionsweise funktioniert erst bei 10.000 ha aufwärts, verlangt nach weiterer Landkonzentration und ist das verordnete Entwicklungsmodell des IWF und der Weltbank, bei dem die wenigen Großgrundbesitzer und Gauchos aus dem Süden immer reicher werden und der große Teil der Landbevölkerung ihrer Lebens- bzw. Subsistenzgrundlange beraubt wird. In wenigen Jahren sind die Böden so stark verarmt und erodiert, dass der Mensch es geschafft hat, aus Profitgier eine tier- und pflanzenreiche Landschaft in eine ökologische Wüste zu verwandeln. Hinzu kommt die entwurzelte Landbevölkerung, dessen einzige Ausflucht es zu sein scheint, in die Stadt zu ziehen, wo das Massenelend der Favelas auf sie wartet.

In der Nacht der Rückfahrt hatte der Vollmond eine fast blutrote Farbe, durch die erodierte rote Erde, die der Wind aufgewirbelte. Das Bild war für mich bezeichnend. Genauso wie das Nächste, was sich mir bot, als wir einen Stopp machten. Es war eine (S)hell-Tankstelle, wo wir uns was im angeschlossenen Restaurant zu Essen kaufen wollten. Im Land der Früchte (unglaublich vielfältig und lecker) gab es dort jedoch keinen einzigen Saft, sondern stand nur Coca-Cola im Kühlschrank. Wir durften uns mit ansehen wie sich Vater & Sohn zusammen 2 Teller mit riesigen Fleischbergen pur reinhauen, bei denen es noch nicht einmal zum Alibi-Salatblatt gereicht hat. Darauf hin meinte meine Freundin zu mir, fällt dir eigentlich auf, dass hier alle weiß sind und in diesem Moment frage ich mich, wo die ganzen ausgeschlossenen Massen Brasiliens eigentlich sind, die nicht an dieser Konsumgesellschaft teilhaben können. Der Auto-, Öl-, Fleisch-, Coca-Cola-Mythos hat es auch bis ins hinterste Brasilien geschafft, dank Multinationals und TV. Ordem e Progresso, Ordnung und Fortschritt, wie es so schön auf der brasilianischen Nationalflagge heißt.

Die direkte Erfahrung der tödlichen Konsequenz (ökologisch wie sozial) unserer kapitalistischen, industriellen Massengesellschaft die Notwendigkeit wieder bewusster gemacht, radikal mit dieser lebensfeindlichen Gesellschaftsform zu brechen. Wir müssen den Mythos der Zivilisation demaskieren und einen tiefgreifenden Werte- und Paradigmenwechsel vollziehen; neue Beziehungen zu uns selbst, unseren Mitmenschen und der Natur aufbauen und alte Beziehungen zu Staat und industrieller Massengesellschaft zerstören. Welche Beziehung haben wir zum Leben und welche zum Tod? Nicht der Hippie mit seinem Selbstversorgungsprojekt ist verrückt, sondern diejenigen, die aus Profitgier ganze Landschaften in ökologische Wüsten verwandeln.

(1) Encontro National da Comunidades Alternativas was auf deutsch soviel heißt, wie Nationales Treffen der alternativen Gemeinschaften