transnationales / antimilitarismus

Der dritte Golfkrieg

"Gottes Geschenk an die Menschheit" (George W. Bush) (1)

| Bernd Drücke, 28.03.2003

Am 20. März 2003 begann der Angriffskrieg von (bisher) 250.000 US-amerikanischen, 50.000 britischen, 3.000 australischen, sowie polnischen, tschechischen, ukrainischen, niederländischen, dänischen und anderen SoldatInnen der "Koalition der Willigen" gegen den Irak.

Wir erleben eine Zeitenwende. Die UNO und das sogenannte Völkerrecht werden bedeutungslos. Es gilt das Recht des militärisch Stärksten. Die größte Militärmacht der Geschichte setzt sich über Menschenrechte hinweg und baut mit Gewalt ihre Position als vermeintlicher Welthegemon weiter aus.

Krieg, das ist Terror mit einem höheren Budget

Eine Woche vor Kriegsbeginn hat die US-Luftwaffe eine “Moab”-Bombe getestet. Nach Angaben von US-Kriegsminister Rumsfeld wurden diese neuen 9.500-Kilo-Mega-Bomben inzwischen gegen den Irak eingesetzt. Diese Benzinbomben zerstören alles Leben im Umkreis von 1500 Metern. Die Detonation ist im Umkreis von 60 Kilometern zu spüren.

Stolz verkündeten die US-Militärs, dass am 22. März Bomben im Wert von 500 Millionen Dollar gegen den Irak eingesetzt wurden. Am zweiten und dritten Kriegstag wurden nach Angaben der US-Militärs innerhalb von 48 Stunden mehr Bomben auf die Menschen im Irak abgeworfen als während des gesamten Golfkriegs 1991. “shock and awe” (Schock und Schrecken), so nennen das die Militärstrategen. Wieviele Menschen diesem Bombenterror zum Opfer gefallen sind und noch fallen werden, wird sowohl von Seiten der US-Regierung als auch vom Irak heruntergespielt. Nach Angaben der USA haben die Invasoren allein am 25. März mehr als 500 irakische Soldaten getötet. Am 26. März seien 1000 Irakis in der Stadt Nadschaf getötet worden, so CNN. Keine Kriegspartei hat ein Interesse daran das wirkliche Ausmaß des Krieges, die tatsächliche Zahl der Opfer zu benennen. Stattdessen werden “Silvesterbilder”, “überlegene Technik”, “intelligente Waffen” und – von beiden Kriegsparteien – gefangene Feinde präsentiert.

Obwohl diesmal der arabische Sender Al Dschasira durch das Zeigen von getöteten und verletzten irakischen ZivilistInnen die US-Propaganda vom “sauberen Krieg” ansatzweise ins Leere laufen lässt, werden die Kriegsberichte in westlichen Medien nach wie vor überwiegend von bunten CNN-Bildern dominiert. RTL, BBC, CNN u.a. Sender legen den US-Soldaten Reporter “mit ins Bett”: “embedded correspondent”, so die neue Kriegspropagandavariante (siehe Seite 9). JournalistInnen, die schon vor Kriegsbeginn von Militärs auf den Kriegseinsatz trainiert wurden, mutieren zu reportierenden SoldatInnen. Der Krieg in den Medien verspricht hohe Einschaltquoten für die Fernsehsender und Null-Information für die KonsumentInnen.

Wie schon in den vorangegangenen Kriegen gegen Afghanistan, Jugoslawien, Irak,… wird von den Massenmedien weitgehend ausgeblendet, was Krieg tatsächlich bedeutet.

In einem von 700 US-amerikanischen KriegsveteranInnen unterzeichneten, an aktive Soldaten und Reservisten gerichteten “Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung” werden die Schrecken des Krieges dagegen deutlich:

“Während des letzten Golfkrieges wurde uns als Truppe befohlen, aus sicherer Entfernung zu morden. Wir zerstörten aus der Luft vieles vom Irak und töteten dabei Hunderttausende, einschließlich Zivilisten. Wir erinnern uns an die Straße nach Basra – der Autobahn des Todes – wo uns befohlen wurde, fliehende Irakis zu töten. Mit Bulldozern gruben wir Gräben und begruben die Leute bei lebendigem Leibe. Die Verwendung von abgereichertem Uran hinterließ ein radioaktives Schlachtfeld. Der massive Einsatz von Pestiziden, Medikamenten im Versuchsstadium, verbunden mit brennenden chemischen Waffendepots und Ölfeuern schuf einen Giftcocktail, der die Gesundheit des irakischen Volkes genau so schädigte, wie die der Golfkriegsveteranen von heute. Einer von vier Golfkriegsveteranen ist kriegsversehrt.

Während des Vietnamkrieges wurde uns befohlen, Vietnam von der Luft und vom Boden aus zu zerstören. In My Lai massakrierten wir 500 Frauen, Kinder und alte Männer. Das war kein Irrtum. So führten wir den Krieg. Wir verwendeten gegenüber dem Feind Agent Orange (ein Giftmittel) und erfuhren so direkt seine Folgen und seine Wirkung. Wir wissen, wie post-traumatische Stresssyndrome aussehen und wie sie empfunden werden; denn die Geister von über 2 Millionen Männern, Frauen und Kindern verfolgen uns noch immer in unseren Träumen. Mehr, als in der Schlacht fielen, nahmen sich nach der Rückkehr das Leben. (…) Es liegt keine Ehre im Mord. Dieser Krieg war Mord. Wenn in einem ungerechten Krieg eine abgeworfene irrende Bombe eine Mutter und ihr Kind tötet, ist das kein ‘Kollateralschaden’, sondern Mord. Wenn in einem ungerechten Krieg ein Kind an Durchfall stirbt, weil eine Bombe das Abwassersystem beschädigt hat, dann ist das nicht Zerstörung der ‘feindlichen Infrastruktur’, sondern Mord. Wenn in einem ungerechten Krieg ein Vater an einer Herzattacke stirbt, weil eine Bombe das Telefonnetz unterbrochen hat und so die Ambulanz nicht angerufen werden kann, so ist dies nicht ‘Neutralisierung von Befehls- und Kontrolleinrichtungen’, sondern Mord. Wenn in einem ungerechten Krieg tausend arme Bauernsoldaten in einem Graben sterben, der eine Stadt verteidigen soll, in der sie ihr ganzes Leben verbrachten, dann ist dies kein Sieg über sie, sondern Mord.” (2)

Afghanistan, Tschetschenien, Irak,… Das 21. Jahrhundert beginnt mit Massenmorden. Es droht ein weiteres Jahrhundert der Kriege zu werden.

Das Pentagon rechnet damit, dass bis zu 500.000 Irakis im Irak-Krieg getötet werden könnten (3), falls der Krieg länger dauern sollte. 77.000 Leichensäcke wurden nach Angaben der taz vom 22. März schon in die Golfregion geschickt.

Kriegsziele der US-Regierung

Die USA und ihre Verbündeten wollen die Kontrolle über den Persischen Golf. Mehr als zwei Drittel der bekannten Welterdölvorkommen lagern in den Golfstaaten Irak, Saudi-Arabien, Iran, Kuwait, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Irak ist nach Saudi-Arabien das erdölreichste Land der Erde.

Es geht nicht um die von Bush propagierte “Befreiung des irakischen Volkes von einem terroristischen Regime”. Ähnlich brutale 3. Welt-Regierungen werden von den USA mit Milliarden Dollar-Beträgen gepäppelt, wenn sie sich wie z.B. Kuwait und Ägypten wie US-Satelliten verhalten.

Mit ihrem Angriffskrieg gegen einen durch Embargo und zwei Golfkriege (1980 bis 1988 und 1990/91) abgewirtschafteten 3.Welt-Staat, realisiert die US-Regierung das, was sie vor einigen Monaten mit ihrer “Bush-Doktrin” angekündigt hat. Die neue “Nationale Sicherheitsstrategie” spricht explizit von einem Recht der USA auf Präventivkriege und “vorbeugende Militärschläge” (preemptive strikes). Angedroht wird der Einsatz von Atomwaffen gegen “Terroristen”, “Schurkenstaaten” und alle, die Massenvernichtungswaffen weiterreichen könnten.

Die US-Regierung versucht – gegen den Widerstand konkurrierender Mächte wie Russland, Frankreich, China und Deutschland – mit Hilfe ihrer militärischen Überlegenheit eine unilateral von ihr dominierte Weltordnung durchzusetzen.

“Es geht um die Demonstration globaler amerikanischer Dominanz und die exemplarische Bestrafung eines Regimes, das sich den Vorgaben der imperialen Ordnung nicht bedingungslos unterwirft. Die abschreckende Wirkung dieser Intervention zielt dabei nicht nur auf den Irak, sondern auf alle potenziell abtrünnigen und unsicheren Staaten in der Region. Insbesondere Saudi-Arabien gilt seit dem 11. September nicht mehr als verlässlicher Partner und Garant westlicher Interessen bei der Kontrolle des Ölmarktes.” (4)

Die US-Ölstrategie richtet sich nicht nur auf die Kontrolle der ölreichen Golfregion mittels der Truppenstationierungen im Irak, sondern auch gegen den Einfluss der OPEC. Einerseits soll dies über die Erschließung von Nicht-OPEC-Reserven geschehen. Andererseits “gibt (es) eine lang angelegte Strategie der US-Regierung die Marktmacht der OPEC zu schwächen, und ein Weg hierzu ist es, bestimmte Länder herauszulösen”, so Roger Divan von der Fachzeitschrift Petroleum Finance. (5)

Die US-Rüstungsindustrie hatte, wie die US-Ölmultis, durch massive finanzielle Unterstützung ihres Kandidaten George W. Bush maßgeblichen Anteil an seinem (umstrittenen) “Wahlsieg”. Sie hat nach 1991 durch den zusätzlichen Verkauf von Waffen mehr Geld eingenommen, als der 2. Golfkrieg gekostet hat. Auch jetzt kann sie wieder mit steigenden Verkaufszahlen rechnen: Unmittelbar nach Beginn des 3. Golfkrieges kletterten die Aktien des größten Waffenproduzenten Lockheed um 17%.

Die Bush-Administration hat den Rüstungsetat im Jahr 2002 um 48 Milliarden auf 379 Milliarden Dollar erhöht, eine weitere Erhöhung auf 450 Milliarden Dollar ist vorgesehen. Am 26. März 2003 beantragte Bush eine Aufstockung der Mittel für den “Krieg gegen den Terror” um 75 Milliarden Dollar. Angesichts solch drastischer Militärausgaben kann gesagt werden, dass sich die Ökonomie der USA zunehmend zu einer Kriegswirtschaft entwickelt. Das geht innenpolitisch einher mit einer Militarisierung der Gesellschaft und einem Abbau von Rechten und Freiheiten. Weitere imperiale Kriege werden wahrscheinlicher.

“Schurkenstaaten” wie Iran, Syrien, Libyen und Nordkorea müssen damit rechnen in den nächsten Jahren “präventiv” vom mächtigsten Staat der Erde angegriffen zu werden. Nach dem Ende des Irak-Krieges werden sich die USA nach Angaben des US-Militärexperten Gary Samore (6) auf den Iran konzentrieren. Der Iran ist das an Erdgasvorkommen reichste und eines der erdölreichsten Länder der Erde. Wie Nordkorea und Irak zählt Bush das Land zur “Achse des Bösen”.

Die imperiale Macht USA setzt sich über internationales Recht hinweg und offenbart Züge eines Raubkapitalismus. Ein Beispiel: US-Finanzminister John W. Snow verlangt von 17 Banken, bei denen 1,74 Milliarden US-Dollar irakisches Vermögen liegen, das dort liegende irakische Geld an die US-Regierung zu überweisen. Er wies in seiner Anweisung darauf hin, dass der nach dem 11. September 2001 verabschiedete Patriot-Act es der Regierung erlaubt, unwillige Banken mit der Lahmlegung ihres Geldverkehrs in den USA zu bestrafen. (7)

Ausblick

Angesichts des von Bush propagierten “langen Krieges gegen den Terror” – der sich nicht nur auf Afghanistan und den Irak beschränken wird -, brauchen wir einen langen Atem. Die weltweite Anti-Kriegsbewegung ist ein Hoffnungsschimmer. (8)

“Wenn George Bush sagt, ‘Entweder ihr steht auf unserer Seite, oder ihr steht auf der Seite der Terroristen’, können wir ihm zeigen, dass die Menschen dieser Welt nicht nur die Wahl zwischen einer bösartigen Mickeymaus und wahnsinnigen Mullahs haben” (9), so die indische Autorin Arundhati Roy.

Auch der Vietnamkrieg war ein “langer Krieg”. Er ging nicht zuletzt an der “Heimatfront” verloren. Einer anfangs kleinen außerparlamentarischen Anti-Kriegs-Bewegung gelang es, die Stimmung in der Bevölkerung zu beeinflussen hin zu einer Anti-Kriegs-Mehrheit auch in den USA.

Viele Menschen in den USA demonstrieren auch jetzt gegen den Krieg. Zigtausende Protest-E-Mails nerven die Kriegsherren im Weißen Haus. Auch die 45-Sekunden-Anti-Kriegs-Rede (“Shame on you, Mr. Bush!”) des Filmemachers Michael Moore während der weltweit übertragenen Oscar-Verleihung am 23. März 2003 zeigt, dass es in den USA Widerstand gibt.

Wir müssen dazu beitragen, dass aus der globalen Bewegung gegen diesen Krieg eine Bewegung gegen jeden Krieg wird. Wir müssen den Regierungen, den Öl- und Rüstungskonzernen in die Suppe spucken. Die Boykottkampagne gegen Esso (10) und andere Finanziers des Bush-Clans trifft die Kriegstreiber ökonomisch. Wir müssen gegen jeden Krieg agieren. Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Kein Krieg ist unterstützenswert. Nicht nur in diesem Punkt unterscheiden wir uns von der rot-grünen Regierung, die verbal gegen diesen Golfkrieg ist, aber ihn unterstützt, durch AWACS-Personal in der Türkei, ABC-Spürpanzer in Kuwait, Überflugrechte, …

Die rot-grüne Regierung hat 1999 am ebenfalls völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien teilgenommen. 55.000 (!) “Luftschläge” hat die NATO damals gegen die Menschen in Jugoslawien verübt (11). Deutsche Tornados haben Bomben auf die Menschen in Serbien geworfen. Im nach wie vor nicht beendeten Afghanistankrieg spielt das deutsche Kommando Spezialkräfte (KSK) und das Deutsch-Niederländische Korps eine führende Rolle. Die “Mittelmacht” Deutschland ist einer der größten Waffenexporteure der Welt. Sie hat – zum Teil in Konkurrenz zur Supermacht USA – eigene ökonomische und militärstrategische Interessen. Sie ist nicht pazifistisch oder antimilitaristisch orientiert. Der deutsche Staat “ist weltweit nach den USA der größte Truppensteller für internationale Einsätze – deutlich vor England und Frankreich” (12), so Kriegsminister Struck stolz.

Krieg, das ist der Terror der Herrschenden!

Das System der Herrschaft von Menschen über Menschen wird zerfallen, wenn wir den Herrschenden das, was sie uns verkaufen wollen nicht mehr abnehmen, weder ihre Geschichtsschreibung noch ihre Kriege. Eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, die basisdemokratische Organisation der Gesellschaften von den Graswurzeln empor, das ist die Alternative zu Staat, Kapitalismus, Herrschaft und Krieg.

Arundhati Roy: “Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist bereits im Entstehen. An stillen Tagen kann ich sie wachsen hören.”

(1) George W. Bush am 26. März 2003 über den Irak-Krieg.

(2) VeteranInnen an aktive Soldaten und Reservisten: Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung, in: Rundbrief "KDV im Krieg" 2/03, S. 9. Bestelladresse: Connection e.V., Gerberstr. 5, D-63065 Offenbach.

(3) Vgl. taz, 22.3.2003

(4) Tom Binger: Das Imperium schlägt zurück. Die neue Weltordnung und der Krieg gegen den Irak, in: ak 471, Hamburg, 21.3.2003, S. 4

(5) Hier zitiert nach: Jürgen Wagner: Irak als Vorspiel. Die "Logik" der US-Ölstrategie, in: Deutschland und die Bundeswehr als globaler Akteur, IMI-Studie 01/03, Tübingen 2003, S. 51. ISSN 1611-2571. Bestelladresse: IMI, Hechinger Str. 203, 72074 Tübingen

(6) Forschungsdirektor des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS).

(7) Hannes Koch: Aufs Konto des Siegers, taz, Berlin 25.3.2003, S. 9

(8) Vgl. GWR 277

(9) Arundhati Roy: Eine Rede in Porto Alegre. Stupid White House, in: Le Monde diplomatique, Berlin, 14. März 2003, S. 15

(10) Vgl. nebenstehender Boykottaufruf.

(11) Vgl. Jürgen Link: Vier Positionen zum Krieg von 2003, in: Kulturrevolution, März 2003

(12) Zit. nach Arno Neuber: Deutsche Interessen im sogenannten "Krieg gegen den Terror", in: Deutschland und die Bundeswehr als globaler Akteur, IMI-Studie 01/03, a.a.O., S. 15