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Wir kamen vom anderen Stern

| Michael Halfbrodt

Thorwald Proll/Daniel Dubbe, Wir kamen vom anderen Stern. Über 1968, Andreas Baader und ein Kaufhaus, Edition Nautilus, Hamburg 2003, 126 S., 9,90 €

Zu den bekanntesten Bilddokumenten der 68er-Bewegung gehören die Aufnahmen der vier Frankfurter Kaufhausbrandstifter Horst Söhnlein, Thorwald Proll, Andreas Baader und Gudrun Ensslin, die offensichtlich gutgelaunt, mit Zigarre im Mund, auf der Anklagebank sitzen und demonstrativ gelassen ihren Prozess verfolgen.

Wegen der Beteiligung von Baader und Ensslin wurde diese Aktion immer wieder im Lichte späterer Entwicklung gesehen, als eine Art Auftakt zur RAF. Eine Sichtweise, die der damalige Mitangeklagte und enge Freund Baaders und Ensslins in dieser Zeit, Thorwald Proll, in einem langen Interview mit Daniel Dubbe korrigiert. Er beharrt darauf, dass die beiden Brandsätze, die in der Nacht vom 2. auf den 3. April 1968 in zwei Frankfurter Kaufhäusern explodierten, symbolische Aktionen waren, politische Happenings sozusagen, die unmittelbar dem 68er-Zeitgeist entsprangen.

Schließlich war das Thema Kaufhausbrand zu dieser Zeit gerade “in”. Nur wenige Tage vor der Frankfurter Brandstiftung war der Prozess gegen die Berliner Kommune I wegen “Aufforderung zur Brandstiftung” mit einem Freispruch zu Ende gegangen. Ihr berühmtes Flugblatt Nr. 7 (“Wann brennst du, Konsument?”), das einen Brüsseler Kaufhausbrand mit vielen Toten als Werbegag darstellt, der den Kunden “jenes knisternde Vietnamgefühl (dabei zu sein und mitzubrennen)” vermitteln sollte, wurde als schwarzhumorige Satire im Stile surrealistischer Provokationen gewertet. Auch die realen Brände in Frankfurt, bei denen schließlich niemand zu Schaden kommen sollte (und auch nicht kam) sind in einem im weitesten Sinne künstlerischen Kontext anzusiedeln, oder besser gesagt, als ein Versuch zu sehen, Kunst praktisch werden zu lassen. Dafür spricht zumindest die Vorgeschichte der Angeklagten. Horst Söhnlein hatte in München ein “action-Theater” gegründet (das dann von Rainer Werner Fassbinder übernommen wurde), mit dem Ziel, die Arbeiter auf die Bühne zu bringen, sie selbst ihre Probleme darstellen zu lassen. Und Thorwald Proll begeisterte sich für das Living Theatre und dessen Versuch, “die Trennung von Ästhetik, Theater und Leben aufzuheben” (S. 22). Zugleich schrieb er agitatorische Gedichte, von denen eins als Beweismittel in den Gerichtsakten landete (im Anhang des Buches abgedruckt).

Auch das eingangs erwähnte Gruppenbild mit Zigarre im Gerichtssaal erinnert nicht von ungefähr an die Marx-Brothers.

Bei der Störaktion eines Konzertes von Pierre Boulez (veranlasst durch dessen Äußerung, Opernhäuser gehörten bombardiert) im Jahr 1967, an der u.a. Proll, Baader und Ensslin beteiligt waren, hatte eine Tageszeitung anspielungsreich getitelt: “Marx Brothers in der Deutschen Oper”. Und stammte von demselben Komikerquartett nicht auch der Film “Marx Brothers im Kaufhaus”? Jedenfalls entsprach die fröhliche Chaotisierung eines Konsumtempels ganz dem 68er-Geist der Konsumkritik. Der Auffassung von Ulrike Meinhof, das progressive Moment der Kaufhausbrandstiftung sei nicht die Zerstörung von Waren, sondern der Gesetzesbruch, widerspricht Proll ganz entschieden und unterstreicht die zentrale Bedeutung der Konsumverweigerung und der praktischen Kritik der Warenwelt für die 68er-Aktivisten: “Es ging gegen den Konsum. Dass es Gesetzesbruch gab, war nicht so entscheidend” (S. 39).

Der Bruch mit der Legalität als erster Schritt in den Untergrund vollzieht sich erst später, 1969, als sich das Trio Proll, Baader und Ensslin nach Paris absetzt, um sich dem Haftantritt zu entziehen (sie waren wegen der Brandstiftung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden).

Dort trennen sich dann die Wege, und der Übergang zum bewaffneten Kampf bleibt Thorwald Proll, eher unfreiwillig, erspart. Aufgrund eines undurchsichtigen gruppendynamischen Prozesses wird er ausgebootet und durch seine Schwester Astrid ersetzt. Gemeinsam mit Baader und Ensslin verschwindet sie Richtung Italien. Thorwald Proll bleibt allein in Paris zurück. Das filmreife Ende einer Freundschaft!