grenzenlos

“Kein Che ist nicht in unserer Mitte”

Etwas zur Geschichte der BUKO

| Andreas Schüßler

Algerienkrieg, Biafrakrieg, Vietnamkrieg, Faschismus in Spanien, Militärdiktatur in Griechenland, Apartheid in Südafrika, 11. September 1973 in Chile, El Salvador, Nicaragua, u.v.a.m.: Angesichts solcher Problemlagen entstanden vor 30, 40, 50 Jahren viele politische, viele linke Organisationen und Gruppen. Wurzeln der bundesdeutschen „Dritte-Welt-Bewegung“, der Soli(daritäts)arbeit liegen im proletarischen Internationalismus der Arbeiter*innenbewegung bzw. ihrer Wiederaneignung durch die Student*innenbewegung der 60er Jahre und im christlichen und nicht-christlichen Humanismus. Es gründeten sich Aktionsgruppen, Anti-Apartheidgruppen (z.B. AAB und „Boykott gegen Früchte aus Südafrika“), Selbstbesteuerungsgruppen, Nord-Süd-Läden, später auch Zusammenschlüsse wie Informationszentren Dritte Welt, Landes-Dachverbände…

und 1977 eben auch der/ die BUKO.

Die BUKO (BUndesKOordination Internationalismus) wurde auf dem ersten BUKO (BundesKOngress, der jedoch noch nicht so hieß:) 1977 in München als bundesweiter Zusammenschluß der Dritte-Welt-Gruppen, Dritte-Welt-Läden und Solidaritätskomitees als der BUKO (Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen) von 200 Aktionsgruppenvertreter*innen gegründet. Die BUKO ist damit eine der wenigen Organisationen weltweit, die im Laufe ihres Bestehens – bei der BUKO inzwischen fast 40 Jahre – eine Geschlechtsumwandlung vollzogen haben …

Was ist danach passiert?

In den 70ern

wurden lateinamerikanische Dependenztheorien und Befreiungsmanifeste wie die von Frantz Fanon diskutiert. Es verfestigte sich die Meinung, dass sich die Länder der Dritten Welt keineswegs in einem gegenüber den „fortgeschrittenen“ Industrieländern früheren Stadium der Entwicklung befinden. Dies war von den Modernisierungstheorien bürgerlicher wie linker Ausrichtung vorausgesetzt und mit der Vorstellung verbunden worden, Entwicklung müsse nur genügend beschleunigt werden, um den Stand der sog. Industrieländer zu erreichen.

Der Blick wurde auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen hohem Entwicklungsstand oder Überentwicklung in Industrieländern und Unterentwicklung in der Dritten Welt gelenkt und auf die (Mit-)Verantwortung der sog. Industrieländer für Hunger und Elend, extreme Ausbeutung und staatlichen Terror in Ländern der Dritten Welt aufmerksam gemacht.

In den 80ern

dominierte – nach/ mit der Arbeit zu Chile, Argentinien. Südafrika – länderbezogene Solidaritätsarbeit. Eine Sonderrolle in der länderbezogenen Soli-Arbeit hat seit Ende der 70er Jahre die Mittelamerika-, insbesondere die Nicaragua-Solidarität gespielt. Durch die Mischung aus linken und christlichen Inhalten in der nicaraguanischen Revolution hatte sie eine besondere Attraktivität für eine ähnlich strukturierte bundesdeutsche Dritte-Welt- und Solidaritätsbewegung.

Hier konnte es zu einem Bündnis von unabhängigen, sozialdemokratischen und DKP-nahen Linken mit Christ*innen und Humanist*innen kommen, was die Solidaritätsarbeit zu Nicaragua (z.B. Infobüro Nicaragua) und Mittelamerika und Südamerika (Chile-LA-Nachrichten) insgesamt über ein Jahrzehnt auf hohem Niveau auch in der Bundesrepublik hielt und gemeinsam mit parallelen Bewegungen im übrigen Westeuropa und den USA vielleicht nicht unerheblich zur Zurückhaltung der US-Regierung auch gegenüber Nicaragua beitrug.

Ende der 1980er Jahre vollzog sich wieder einmal ein Generationsbruch, wie er bereits in den 60er Jahren für die Ostermarschgeneration und in den 70ern für die 68er Generation zu beobachten war.

In den 90ern

bestimmte der Zusammenbruch des „nominalsozialistischen“ Blocks auch die Diskussionen in der Soli-Arbeit. Ein wichtiger Einschnitt erfolgte mit den Veränderungen in Osteuropa. Dieser Zusammenbruch des etatistischen „Sozialismus“ schien für viele eine Diskreditierung des gesamten linken und sozialistischen Projekts zu beinhalten. Auch wenn dies die Thematik der Dritte-Welt-Bewegung anscheinend nicht direkt betraf, hat es doch zu einer tiefen Verunsicherung beigetragen.

Die Erosion der „großen“ Theorien, der Modernisierungstheorien bis hin zur Grundbedürfnisstrategie als westlicher, der sozialistischen Entwicklungstheorien (Sozialismus in einem Land versus Weltrevolution) als östlicher und der Dependenztheorie als blockfreier Variante, hatte bereits eingesetzt. Der Begriff „Ende der Geschichte“ (von Fukuyama durch einen Artikel und ein Buch mit diesem Titel ab 1992 popularisiert) führte zu Kontroversen. Auch ein Buch wie „Das Ende der Dritten Welt und das Scheitern der großen Theorie“ von Ulrich Menzel löste ab 1992 heftige Reaktionen aus.

Am Ende des letzten Jahrtausends

änderte sich (scheinbar) die politische Stimmung. Seattle, Prag, Göteborg und Genua stehen als Chiffren für einzelne Stationen transnationaler Protestgruppen, die von den Massenmedien ebenso häufig wie irreführend als Anti-Globalisierungsbewegung bezeichnet werden. Deren öffentliche Auftritte finden vor allem anlässlich der Gipfeltreffen internationaler Organisationen statt, „an die sich die Globalisierungskritiker wie Parasiten zu hängen scheinen, um von den Medien beachtet zu werden“ (Rucht).

Globalisierung“ ist ein Schwammwort. Medien, aber auch manche globalisierungskritische Akteur*innen, sehen in den Ereignissen von Seattle im November/Dezember 1999 die Geburtsstunde einer Bewegung. Die beachtliche Größenordnung und Entschiedenheit dieser Mobilisierung gegen die Tagung der Welthandelsorganisation WTO kamen für viele überraschend. Klassenkampf?

Aber: die globalisierungskritischen Bewegungen entstanden lange vor Seattle. Es wurde keine neue Bewegung aus der Taufe gehoben.

Um nur zwei Beispiele aus der BRD zu erwähnen:

  • die Demonstration von rund 30.000 Menschen anlässlich des G7-Gipfels im Mai 1985 in Bonn.
  • die Massenmobilisierung gegen die Tagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds im September 1988 in Berlin, die in einer Demonstration mit 80.000 Menschen gipfelte (IWF-Kampagne)

An beiden Massenmobilisierungen war die BUKO maßgeblich in der Organisation beteiligt. Und auch diese Mobilisierungen waren nur möglich, weil bereits in den Jahren davor ein Netzwerk von Gruppen entstanden war, das sich kritisch mit Welthandel, Armut in der „Dritten Welt, Reichtum und Ausbeutung befasste.

Der BUKO 25 in Frankfurt (2002, Thema: „Tatort Globalisierung. Internationalismus nach Seattle, Genua und dem 11. September“) griff dieses Thema selbstverständlich auf. Im BUKO-Zusammenhang wurde es seit diesem 25. BUKO (Frankfurt 2002) wieder aktiver – und wichtiger noch: Die Teilnehmer*innen wurden wieder deutlich jünger. Wunderbar.

Der Kampf geht also weiter.

In großen Sprüngen bin ich jetzt beim BUKO 37 in Münster angelangt. Was kommt da auf uns zu? Zunächst einmal verwenden wir zunehmend den Begriff „transnational“ statt „international“. Hoch jetzt die TransNationale? Vielleicht so, schreiben uns die Orga_Menschen des BUKO aus Münster:

Stop. Future unwritten. transnational solidarisch

Unterwerfen wir uns in unseren Träumen und Wünschen für eine gerechte Welt nicht länger der Diktatur der Alternativlosigkeit. Stop. Denn noch ist nichts entschieden: Die Zukunft ist ein unbeschriebenes Blatt. Setzen wir der neoliberalen These, da sei keine Alternative zur Ausbeutung der Menschen, zur Klimaerwärmung, zu immer wieder neuen Kriegen, libertäre Ideen von Emanzipation und Freiheit entgegen. Die Geschichte gehört uns und sie liegt in unserer Hand. International oder Transnational – solidarisch.

Wie entsteht nach der Verbindung von vielfältigen lokalen Kämpfen und partikularen Auseinandersetzungen das Gemeinsame, das den herrschenden neoliberalen Kapitalismus überwindet und echte Alternativen ermöglicht, jenseits von Staat und ausgehöhlter Demokratie? Wie kann eine gemeinsame Utopie aussehen? Worum geht es, wenn wir sagen: Stop. Future unwritten?

Start writing future.

Im Herzen der Bestie.

14. bis 17. Mai 2015, BUKO 37 in Münster

Es gibt also natürlich kein Ende der Geschichte.

Ach so, bevor ich es vergesse:

Kein Che ist nicht in unserer Mitte“ war der etwas nebulöse Titel des 10. BUKO, der 1986 in Bremen stattfand. Und warum heißt es jetzt nicht mehr „international“, sondern ggf. transnational? Kommt doch einfach zum kommenden BUKO nach Münster.

Andreas Schüßler

(reichtumskritik.de)

BUKO-Langzeit-Kampagnen

Schon bald entstanden die BUKO-Kampagnen und BUKO-Arbeitsschwerpunkte, die den Zusammenhang zwischen bundesdeutscher Regierungs- und Firmenpolitik und Hunger, Not, Elend, Unterdrückung und Ausbeutung im Trikont (wieviel Kontinente wirklich?) aufzeigen sollten.

Wir wollten von der „Feuerwehrpolitik“ der kurzfristigen Kampagnen („Es brennt irgendwo und wir müssen schnell löschen“, so z.B. „Kampagne: Fußball ja, Folter nein“ zur Fußballweltmeisterschaft in Argentinien) weg zu Langzeit-Kampagnen.

Außerhalb des BUKOs wurde dieser Arbeitsansatz aufgegriffen und in Ergänzung zu den BUKO-Kampagnen etwa die Bayer-Koordination, das Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN) usw. gegründet.

2015 gibt es 2, 3, viele transnationale Netzwerke.

Nacheinander wurden damals

  • die BUKO-Pharmakampagne zum Einfluss der bundesdeutschen Pharmakonzerne auf die Gesundheitsversorgung in der Dritten Welt,
  • die BUKO-Rüstungsexportkampagne zum bundesdeutschen Beitrag zur Militarisierung der Dritten Welt,
  • die BUKO-Agrarkoordination zu den Auswirkungen der bundesdeutschen und EG-Agrarpolitik auf die Nahrungsmittelversorgung in der Dritten Welt,
  • die BUKO-Frauenkoordination zur spezifischen Betroffenheit von Frauen durch Unterentwicklung und Verelendung und zur Rolle von Frauen in den bundesdeutschen Dritte-Welt-Gruppen und
  • der Koordinierungskreis Weltwirtschaft und Verschuldung zur Rolle der bundesdeutschen Banken und Finanzpolitik bei der Schaffung und Aufrechterhaltung der Schuldenkrise der Dritten Welt ins Leben gerufen. Anlass war die IWF-Kampagne 1987.
  • Die aktuellen Koordinationen, Arbeitsbereiche,… könnt ihr auf der Homepage nachsehen: www.buko.info

Anmerkungen:

Es gibt viele Quellen für die Geschichte der BUKO, z.B.:

  • alle Aktionshandbücher Dritte Welt (AHB), hrsg. v. Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen zwischen 1977 und 1994, u.a., Peter Hammer und Schmetterling Verlag, hier insbesondere der Artikel von Rolf Bräuer, dem ersten BUKO-Geschäftsführer, aus dem letzten gedruckten AHB von 1994
  • Balsen, Werner und Rössel, Karl, Hoch die internationale Solidarität - Zur Geschichte der Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik, Köln 1986. – Ein Standardwerk zur Geschichte der Dritte-Welt- und Solidaritätsbewegung, 1986

Wichtig immer noch z.B.:

  • Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Reinbek 1969.
  • Paulo Freire, Pädagogik der Unterdrückten - Bildung als Praxis der Freiheit, Reinbek 1973.

Homepage der BUKO:

http://buko.info/

Das aktuelle BUKO-Programm:

www.buko.info/buko-kongresse/buko-37