editorial

Der lange Atem

| Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)

Titelseite Gwr 401
Titelseite GWR 401

Liebe Leserinnen und Leser,

die ersten sieben Monate des Jahres 2015 waren weltweit die heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 136 Jahren. Der Klimawandel lässt sich nicht leugnen und die Graswurzelrevolution Nr. 401 macht entsprechend mit einer spektakulären Direkten Gewaltfreien Aktion gegen die Klimakiller-Politik auf. Dass es 1.300 Klima-AktivistInnen am 15. August gelungen ist, stundenlang drei riesige Kohlebagger im rheinischen Braunkohlerevier zu blockieren, wird auf den Seiten 1, 3 und 4 gewürdigt.

Rückblicke gibt es in der neuen Ausgabe unter anderem auf den G7-Gipfel, das GÜZ-Camp und den „Sich fügen heißt lügen“-Kongress. Andreas Speck erläutert die Hintergründe des NATO-Manövers „Trident Juncture 2015“ in Spanien (S. 7f.) und Wolf-Dieter Narr setzt sich mit der missglückten, deutschen „Wiedergutmachung“ auseinander (S. 9f.).

Anhand einer lokalen Bewegung zeigt Markus Beinhauer auf, wie heute eine solidarische Flüchtlingspolitik von unten aussehen kann (S. 12).

Schwerpunkte der GWR 401 sind die Themen Griechenland und Anarchismus.

Die auch in der GWR intensiv geführte Diskussion um Prostitution ist im August neu aufgeflammt, nachdem Amnesty International beschlossen hat, sich für die Menschenrechte der Prostituierten und für eine weltweite Entkriminalisierung der Prostitution einzusetzen. Die Anarchistin Emma Goldman hat zum Thema „Frauenhandel“ schon vor 105 Jahren einen weitgehend unbekannten Artikel geschrieben, den wir aktuell finden und deshalb in dieser GWR abdrucken. Die Diskussion wird voraussichtlich in der GWR 402 mit einem Beitrag von Luzie Morgenstern fortgesetzt.

Pressespiegel

Gefreut haben wir uns über die Resonanz, die es auf die Graswurzelrevolution Nr. 400 gab.

So sang Felix Werdermann, Redakteur der Wochenzeitung „Freitag“, unter dem Titel „Die Zeitung ohne Chef“ am 10. Juni ein Loblied auf die GWR: „Anarchisten, das sind doch Chaoten. Werfen Steine, statt sich lange mit Argumenten aufzuhalten. Wie kann es sein, dass sie eine Zeitung herausgeben und dann auch noch so gut organisiert sind, dass es die Zeitung inzwischen fast ein halbes Jahrhundert lang gibt? … Die GWR, so wird die Zeitung liebevoll genannt, ist eine Zeitung von der Bewegung für die Bewegung. Eine Zeitung, die sich nicht vereinnahmen lässt vom Medienmainstream … [Sie enthält einen] großartigen, ganzseitigem Comic von Andi Wolff … Vor kurzem ist die Graswurzelrevolution vom Zweifarb- zum Vierfarbdruck auf der ersten Seite übergegangen. Jetzt wissen die Leser endlich, warum das nötig war.“ (1)

In der linken Tageszeitung „Neues Deutschland“ erschien am 15. Juni unter dem Titel „Zwischen allen Stühlen“ ein Interview zur GWR 400 (2) und die marxistische Tageszeitung „junge Welt“ widmete der GWR und ihrem „Langen Atem der Utopie“ am 22. Juni einen Artikel, in dem es u.a. heißt: „Dass eine, für Gewaltfreiheit eintretende Zeitung heute zu den langlebigsten Projekten der Anarchistinnen und Anarchisten zählt, dürfte für sich sprechen. Das alte Lied vom Bombenwerfer weicht dem des basisdemokratischen Aktivisten in fast allen Bewegungen, die sich derzeit der herrschenden Politik entgegenstellen. Und die GWR ist hier Vermittlerin, Stichwortgeberin und Plattform.“ (3)

„Der Metzger“-Redakteur Helmut Loeven schrieb am 6. Juli 2015 unter anderem folgendes über die Graswurzelrevolution: „Der seltsame, der Botanik entlehnte Name verweist auf beharrliches Durchdringen und könnte die Langlebigkeit dieses Projekts erklären. Das ist eine Zeitung, die sich nicht auf die Propagierung einer bestimmten Weltanschauung beschränkt, die nicht missionierend, sondern informierend wirkt. Wer diese Zeitung als Informationsquelle nutzt, kann sich auf hohe journalistische Qualität verlassen.“ (4)

Sehr gefreut haben wir uns auch über einen Leserbrief von Mike Kamp, Herausgeber von „Folker“, dem „Magazin für Folk, Lied und Weltmusik“ aus Bad Honnef. Er schreibt dort unter anderem:

„Ein richtiger Anarchist werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr, da steht mir meine Sozialisation nachhaltig im Wege. Aber gewaltlos und weitestgehend herrschaftsfrei leben, das geht schon eher und weil niemand in diesem seltsamen Land solche wesentliche Ideen konsequenter vertritt als ihr, ist die Graswurzelrevolution schlicht und ergreifend unverzichtbar. Ich muss ja nicht alles richtig finden, was in jeder Ausgabe steht. Auch Widerspruch sorgt dafür, sich gedanklich mit wichtigen Themen auseinanderzusetzen. Daher herzlichen Glückwunsch und herzlichen Dank für 400 x Gedankenfutter und mögen einer möglichst permanent wachsenden Abonnentenschar mindestens noch einmal so viele Graswurzelrevolutionen ins Haus flattern.“ (5)

Herzlichen Dank!

Kritik

Natürlich gibt es immer wieder auch berechtigte Kritik an der GWR. So formuliert Gabriel Kuhn im Interview in der „Ne znam“ Nr. 1/2015: „Selbst die graswurzelrevolution hat als größte anarchistische Zeitung im deutschsprachigen Raum ihre eigene Geschichte und damit ihr eigenes Umfeld und repräsentiert angesichts ihrer Schwerpunktthemen und ihrer gewaltfreien Ausrichtung nicht alle Teile der anarchistischen Bewegung.“ (S. 11)

Und Oskar Lubin äußert in dieser neuen, lesenswerten „Zeitschrift für Anarchismusforschung“ folgende Kritik: „Nehmen wir jede beliebige Ausgabe der graswurzelrevolution, wohl die bedeutendste anarchistische Zeitung im deutschsprachigen Raum. Da wird man sich schwer tun eine Nummer zu finden, in der nicht der Großteil der Artikel von weißen Männern geschrieben wurde. Das schließt einfach Sichtweisen aus, auch wenn diese Exklusionen selbstverständlich nicht gewollt sind. Es handelt sich um ein strukturelles Problem, auf das mit Regulierungen reagiert werden müsste. Solange man ‚freiheitlich‘ davon ausgeht, jede und jeder könne prinzipiell für libertäre Zeitungen schreiben, negiert man einfach historisch gewachsene, unterschiedliche Voraussetzungen für Handlungsbefähigung.“ (S. 9)

Auch wenn es ein bisschen seltsam ist, dass Oskar Lubins Kritik in einer Zeitung abgedruckt wurde, in der keine einzige Frau, aber 16 Autoren zu Wort kommen, nehmen wir uns das zu Herzen und geloben Besserung.

Viel Spaß beim Lesen der GWR 401, Anarchie und Glück,

Terminhinweis

Tag X. Aktionstage gegen Urantransport, ab dem 12.9.2015; Schienenspaziergang am 13.9. in Hamburg Wilhelmsburg, Start vor der Umweltbehörde. Mahnwachen am Tag X: Hamburg Veddel, Hamburg Wilhelmsburg, Buchholz, Münster, Köln, Bonn-Beuel, Perl (deutsch-französische Grenze)

Infos: www.urantransport.de/aktionstage.html