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Keine Seele bergen

Emma Glass‘ surreales Prosagedicht „Peach“ über männliche Macht und weibliche Selbstauflösung trägt bis an die Grenzen des Erträglichen

| Kerstin Wilhelms-Zywocki

Emma Glass: Peach. Edition Nautilus, Hamburg 2018, 128 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-96054-064-9

In den Schmerz

Der Roman steigt bei Peachs Flucht nach der Vergewaltigung ein und nimmt die Lesenden direkt hinein in den Schmerz: „Ich sehe Schwarz. Dichtes Schwarz. Aufgedunsen. Meine Lider aufgedunsen. Geschwollen, Schwarz-geschwollen vom Schlag. Vollgeschmiert mit Fett von seinen schlüpfrig schleimigen Wurstfingern. Seine Befehle reißen noch an meinem Trommelfell. Mach die Augen zu. Mach sie ganz fest zu. Und mach auf deine – doch die Augen zu. Mach sie zu. Mach sie zu.

Ich sehe Schwarz. Seinen schwarzen Mund. Ein Schlitz in seiner Haut. Klafft. Schwarz verkohlt. Verkohltes Fleisch. Strenger Kohleatem haftet an meiner Haut. Erstickend. Ich weine. Tränen gleiten über den Fettfilm, fallen von meinem Gesicht. Mein Körper summt. Ich muss nach Hause, aber laufen tut weh. Ich lege die Hand zwischen meine Beine und fühle Blut und Fett. Mir ist übel.“ (8)

„Peach“ ist keine Repräsentation des Schmerzes, es geht nicht darum, den Schmerz darzustellen, zu kommunizieren. „Peach“ bringt den Schmerz performativ hervor, die Lesenden durchleiden ihn mit der Protagonistin, gehen mit ihr in den Schmerz, an die Grenzen des Erträglichen, an den Punkt, an dem die Augen vom Text abgewendet werden möchten. Doch der lyrische Rhythmus trägt durch den Text, an die Stellen, an denen es weh tut. Peach näht sich selbst die Wunde an ihrer Vulva zu, die Maxe ihr zugeführt hat „Geweberiss. Geschlitzt. Geritzt.“ (12)

Ohne Erklärung, warum sich Peach keine Hilfe holt, nicht ins Krankenhaus geht, den Eltern nichts sagt, ihrem Freund nichts sagt, näht sie sich selbst zu wie eine alte Jeans. „Bist du noch nicht angezogen?, sagt Mami. Nein, ich muss noch ein Loch in meiner Jeans nähen. Das abgerissene Ding? Schmeiß sie einfach weg, Peach.“ (12)

Doch Peach kann sich nicht einfach wegschmeißen, ist auf diesen Körper zurückgeworfen und flickt ihn: „Weißer Faden wird rot. Roter Faden. Rein. Raus. Ich ziehe. Zupfe. Zerre an der Nadel. Rein. Raus. Raus. Raus. Licht aus.“ (14)

Das präsentische Erzählen führt hier an die Grenzen des Erzählbaren, den eigenen Blackout und schließlich bis an die absolute Grenze des Darstellbaren: den eigenen Tod.

In Peachs Bauch wächst etwas heran, kein Baby, sondern ein Stein. Der Stein drängt nach außen, es kann nicht innen bleiben, was nach innen gehören soll. Die Wunde der Vergewaltigung heilt nicht, aus ihr tritt der Stein heraus: „Breche, berste platze, reiße reife Wunde zwischen meinen Beinen, Riss reißt weiter, alles bricht. Auf. Der Schlitz, der Riss, der nie geheilt ist. Neue Risse wachsen, reißen Streifen.“ (115) Trotz der Rache an Maxe, seiner Hinrichtung durch Peach und seines Einverleibens durch sämtliche Figuren des Textes bei einem „Festmahl“ (101), heilt die Wunde nicht. Keine Strafe, „egal wie spektakulär die Strafe sein mag, die den Gewalttäter zwischenzeitlich ereilt“ (Nachwort der Übersetzerin, 124), kann die Wunde heilen, die die Vergewaltigung gerissen hat. Peach stirbt in einem Selbstauf-lösungsprozess, der das innere nach außen kehrt und jede Zukunft, jedes Sein vernichtet: „Stein auf Keramik, der Stein, der Stein, der Stein auf Stein, ich kann nicht keimen ich kann mich nicht halten. Ich kann nicht wachsen. Keine Seele bergen.

In diesem Stein in dieser Grube werde ich sein. In dieser Grube werde ich sein. In dieser Grube werde ich sein. In dieser. In diesem. Stein.“ (118)

Was am Ende bleibt ist Sprachlosigkeit, die Unrepräsentierbarkeit der unfassbaren Tat in einer Textwelt, in der alles Sprache werden kann, sogar das eigene Sterben.

Wahrnehmung als Ermächtigung

In „Peach“ geht es um die Wahrnehmung, es geht um das Sinnliche: Farben, Klänge, Materialien, sie alle dienen der performativen Hervorbringung des weiblichen Leids.

„Peach“ nimmt die radikal subjektive Perspektive der Protagonistin ernst, die Erzählstimme wirkt unverstellt trotz des Lyrischen und Surrealen. Peach, die namensgebende Protagonistin ist nämlich ein Pfirsich, ihr Freund ein Baum, ihr Lehrer ein Pudding. Zugleich aber sind es Menschen, keine Mischwesen. Sie sind wie sie von der Ich-Erzählerin wahrgenommen werden, als Menschen und als ihre Metaphern, ohne jedoch im Metaphorischen oder Karikierenden aufzugehen.

Die Metaphern werden ausbuchstabiert, wörtlich genommen und durch die klare, schlichte Sprache in Szene gesetzt. In diesem Sinne ist „Peach“ ein surrealer Text, jedoch nicht kafkaesk. Im Zentrum der Handlung steht zwar auch eine dunkle Machtbeziehung, die aber im Gegensatz zu Kafka das Zentrum der Macht benennt: Maxe, ihr Vergewaltiger, ein groteskes Wesen aus Fett und Fleisch. Um das Trauma erzählen zu können, es in Sprache darzustellen, bedient sich Glass des Surrealen als einer Abstandnahme, einer Distanzierung von den kulturellen Mustern des Erzählens und Darstellens. Dabei gelingt es ihr mithilfe ihrer zauberhaften Wesen eine Welt zu kreieren, in der es jenseits der Bedrohung, des Schmerzes und der Verfolgung liebevolle, gütige Menschen gibt, eine heile Welt, in die Maxe wie ein bösartiger Fremdling eindringt. Peach ist nicht in der Lage, diese Menschen um Hilfe zu bitten, auszusprechen, was geschehen ist. Die Sprachlosigkeit, die Unmöglichkeit, die Tat in einen Code zu übersetzen, sei er sprachlicher oder bildlicher Art, ist der Urgrund des Leids in „Peach“.

Kerstin Wilhelms-Zywocki