Klassenkampf

Autonomie statt Elitenwechsel

25 Jahre Aufstand der Zapatistas in Chiapas / Mexiko. EZLN: „Wir werden Widerstand gegen die Regierung leisten“

| Luz Kerkeling, Gruppe B.A.S.T.A.

Foto: Wael Ghabara [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

Die zapatistische Befreiungsbewegung EZLN hat sich zum 25. Jahrestag ihres Aufstands klar positioniert: Sie setzt weiter auf ihre basisdemokratische Autonomie, die eine Gesellschaft ohne Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und Naturzerstörung zum Ziel hat. Bei den Jubiläumsfeierlichkeiten zum 35. Jahrestag der Gründung der EZLN und dem 25. Jahrestags ihrer Rebellion lehnte sie jedwede Zusammenarbeit mit der neuen Regierung, die in Medienberichten vielfach als „links“ bezeichnet wird, rigoros ab.

Seit dem 1. Dezember 2018 ist Andrés Manuel López Obrador (kurz Amlo) neuer Präsident Mexikos. Sein Bündnis unter Führung seiner dominierenden, neoliberal-sozialdemokratischen Partei Morena (Movimiento Regeneración Nacional / Bewegung zur nationalen Erneuerung) erhielt im Senat und im Abgeordnetenhaus die absolute Mehrheit. Weitere Mitglieder der Allianz sind die pseudo-marxistische Kleinpartei PT (Partido del Trabajo / Partei der Arbeit) sowie die rechtskonservative, evangelikale, homophobe und frauenfeindliche Kleinpartei PES (Partido Encuentro Social / Partei soziales Treffen).

Mehrere Kabinettsmitglieder haben schlicht die Partei gewechselt und bereits unter föderalen Regierungen von PAN (Partido Acción Nacional / Partei der Nationalen Aktion) (1) und PRI (Partido Revolucionario Institucional) (2) rücksichtslos mit Desinformation, Korruption und Gewalt Projekte gegen die Interessen der lokalen Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt, darunter Tagebau, Staudämme, Billiglohnfabriken, Schnellstraßen, Ölpalmenmonokulturen, Umsiedlungsprogramme und weitere Projekte des kapitalistischen Entwicklungswahns.

So drängt Großunternehmer Alfonso Romo, Verantwortlicher für das „Nationalprojekt“ von Amlo, darauf, den Süden Mexikos in eine neoliberale Sonderwirtschaftszone umzustrukturieren und Mexiko noch stärker in ein „Paradies für Investitionen“ zu transformieren. Romo finanzierte 1988 die Wahlkampagne des autoritären PRI-Präsidenten Carlos Salinas de Gortari, der für Hunderte zivile Tote im Chiapas-Konflikt von 1994 und den Abschluss des NAFTA-Abkommens verantwortlich ist, und 2000 die Kampagne des Ex-Coca-Cola-Managers Vicente Fox, der für die rechtskonservativ-neoliberale PAN die Wahlen gewann. Romo ist Mitentwickler des berüchtigten „Plan-Puebla-Panamá“, der entworfen wurde, um die noch nicht vom Kapitalismus durchdrungenen Gesellschaften und Landschaften der kapitalistischen Ausbeutung zur Verfügung zu stellen. Glücklicherweise konnte dieser Plan dank des Widerstands der kleinbäuerlich-indigenen Bevölkerung längst nicht so weitreichend durchgesetzt werden, wie es von den mexikanischen und internationalen Eliten erhofft wurde.

Am 1. Januar 2019 feierten die Zapatistas den 25. Jahrestag ihrer Rebellion – Foto: Radio Zapatista

Angesichts von Korruption, Gewalt und Marginalisierung breiter Bevölkerungsteile konnte Amlos sozialdemokratisch angehauchter Populismus viele Menschen erreichen, die von den Altparteien PRI, PAN und PRD enttäuscht sind. Amlo versprach im Wahlkampf ökonomische und sicherheitspolitische Verbesserungen sowie einen konsequenten Kampf gegen Korruption. Der neue Präsident inszeniert sich gekonnt: So verkaufte er die Präsidenten-Boeing 787 und kürzte medienwirksam sein Präsidentengehalt um 60 Prozent auf rund 5.000 Euro. Doch Amlo unternimmt ebenso vieles, um die ökonomisch-politischen Eliten in Mexiko und der Welt nicht zu verschrecken, sondern auf seine Seite zu ziehen, indem er ihnen fortlaufend bessere Investitionsbedingungen verspricht. Ausdruck davon ist, dass er sich in den ersten Tagen nach seinem Wahlsieg direkt mit den fast ausschließlich weißen Spitzenvertreter*innen mehrerer Unternehmensverbände zu Tisch setzte, anstatt sich mit Aktivist*innen sozialer Bewegungen zu treffen.

Die Eliten im In- und Ausland reagierten nach Amlos Wahlsieg positiv, inklusive US-Präsident Trump, dem Amlo im Wahlkampf noch „neofaschistische Propaganda“ gegen Mexiko vorgeworfen hatte, und dem er inzwischen „durch die Blume“ zusicherte, die USA – von Mexiko aus – gegen Migrant*innen aus Mittelamerika und Mexiko zu „schützen“.

Wahlbetrug durch unerfüllbare Versprechen

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird Amlo den Großteil seiner Versprechen zum Wohl der benachteiligten Bevölkerungssektoren nicht halten. Zum einen, weil sie lediglich Wahlpropaganda zwecks Stimmenfang bei höchst unterschiedlicher Wahlklientel mit teils völlig widersprüchlichen Interessen waren, und zum anderen, weil sie ob juristischer Unmöglichkeiten und der politisch-ökonomischen Machtverhältnisse in Mexiko und auf dem internationalen Parkett undurchführbar sind. Die Kartelle des organisierten Verbrechens, Unternehmen, Polizei und Militärs sowie viele weitere Angehörige des Staatsapparats werden sich ihre Privilegien nicht einfach nehmen lassen.

Ein besonders deutliches Beispiel manipulativer Wahlversprechen sind die Rechte der kleinbäuerlichen und indigenen Gemeinschaften: Amlo will in südlichen Bundesstaaten wie Guerrero, Oaxaca und Chiapas Sonderwirtschaftszonen (span. ZEE – Zonas Económicas Especiales) etablieren, die die nationale Umwelt- und Sozialgesetzgebung und indigene Selbstverwaltungsrechte außer Kraft setzen und einer gnadenlosen kapitalistischen Plünderung ausliefern. Besonderen Zorn seitens der Zapatistas und anderer sozialer Bewegungen verursacht aktuell der Plan, eine Schnellzug-Trasse von der Karibik bis ins chiapanekische Palenque zu bauen, die massive Umweltschäden und die Vertreibung ganzer Gemeinden impliziert und keinerlei Vorteile für die lokale Bevölkerung liefert. Als besonderen Affront betrachten die sozialen Bewegungen auch die Namensgebung des Zuges als „Tren Maya“ (dt.: „Maya-Zug“) – es wird nicht nur die Umwelt zerstört und Menschen vertrieben, es wird auch noch neo-kolonialistisch und folkloristisch die stark indigene Prägung der Region kapitalisiert.

Im Wahlkampf versprach Amlo jedoch dreist, die Abkommen von San Andrés über indigene Rechte und Kultur (Selbstverwaltung innerhalb des mexikanischen Staates mit weitreichender lokaler Autonomie), die 1996 von EZLN und mexikanischer Regierung unterzeichnet wurden, umzusetzen. Erstens widerspricht dies den ZEE, zweitens wäre seine Regierung dabei auf die Stimmen der Opposition angewiesen, da für die dazu notwendige Verfassungsänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich wäre. Doch eine Entscheidung für eine indigene (Teil-)Autonomie steht den Interessen der mexikanischen und internationalen Agrar-, Bau-, Chemie-, Dienstleistungs-, Drogen-, Extraktivismus-, Medien- und Tourismusindustrie diametral entgegen. Auch der militärische Komplex wäre gewiss nicht erfreut, genießt er doch seit Jahrzehnten eine Sonderrolle in Mexiko und verdient Unsummen am legalen und illegalen Kapitalismus – darunter Drogenhandel – mit.

Bezogen auf globale Handelsstrukturen gilt es daran zu erinnern, dass Mexiko neoliberale Freihandelsabkommen mit über 40 Staaten unterhält und nach weiteren strebt – auf Kosten von Mensch und Natur. Eine Abkehr davon ist auch unter Amlo nicht in Sicht, was vor allem von unabhängigen kleinbäuerlich-indigenen und Menschenrechtsorganisationen angeprangert wird.

Die Rolle autonomer und Amlo-naher sozialer Bewegungen

Unabhängige linke Bewegungen wie der partei-unabhängige Nationale Indigene Kongress CNI (Congreso Nacional Indígena) und die EZLN haben angekündigt, dass sie sich nicht von der Amlo-Administration kooptieren lassen werden, sondern weiter konsequent gegen Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und Naturzerstörung kämpfen und auf ihre De-Facto-Autonomie und ihre Selbstorganisierungs- und Vernetzungsprozesse setzen.

Es ist anzunehmen, dass sich die Amtszeit von Amlo zu einem schöngefärbten Neo-PRIismus entwickelt, der letztendlich nichts an den alten Unterdrückungs- und Ausbeutungsstrukturen ändert. Besonders wahrscheinlich wird dies, wenn die sozialen Bewegungen, die mit Amlo zusammenarbeiten, eine falsch verstandene „Sozialpartnerschaft“ eingehen, ihre Unabhängigkeit aufgeben und nicht weiter auf ihre legitimen Rechte und ihre Vorschläge bestehen und nicht kontinuierlich von unten mobilisieren.

EZLN-Sprecher Subcomandante Moisés fand bei den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag des zapatistischen Aufstands klare Worte: „Wir haben keine Angst vor dem Kapitalismus […]. Die Veränderung, die wir wollen, ist, dass die Menschen der Welt, die Frauen und Männer eines Tages entscheiden, wie sie ihr Leben leben wollen, und nicht, dass es eine Gruppe gibt, die über das Leben von Millionen Menschen entscheidet.“

Luz Kerkeling, Gruppe B.A.S.T.A.

Anmerkungen:
1) PAN: Partei der Nationalen Aktion. Neoliberal-konservative Partei mit stark autoritär-katholischer Prägung, die für die Interessen der großen Unternehmen und Medienkonzerne steht. Von 2000-2012 Regierungspartei.
2) PRI: Institutionelle Revolutionäre Partei. Die PRI hat Mexiko von 1929 bis 2000 ununterbrochen regiert, von 2012 bis 2018 stellte sie wieder die Regierung und ist bis heute höchst einflussreich in vielen der 32 Bundesstaaten Mexikos. Seit den 1980er Jahren kam zum Autoritarismus noch eine harte neoliberale Linie, die viele Menschen in Migration und Kriminalität trieb. Die PRI sichert(e) ihre jahrzehntelange Herrschaft durch Korruption, Kooptation, Desinformation, Wahlbetrug und Gewalt.

Infos zum Widerstand der Zapatistas & sozialer Bewegungen in Mexiko: www.chiapas.eu

Dies ist ein Beitrag aus der monatlich erscheinenden Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier