Interview

Nazis reinlegen!

Ein Interview mit dem Kommunikationsguerillero Thomas Billstein

| Thomas Billstein

Kartoffeln in gelber Uniform: Die deutschen Gelbwesten - Fotos: fir0002 flagstaffotos [at] gmail.com Canon 20D + Tamron 28-75mm f/2.8 [GFDL 1.2], Herr stahlhoefer [Public domain], Otto Schraubinger [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]

Als im November 2018 der Protest der Gelben Westen in Frankreich an Fahrt aufnahm (vgl. GWR 435), fanden sich auch schnell in Deutschland Menschen, die die Aktionsformen kopieren wollten. Schon frühzeitig war klar, dass es sich bei den meisten gelben Westen in Deutschland um eine illustre Mischung aus Reichsbürgern, AfD Sympathisant*innen und Vollgasfreaks handelt, die mit einer Mixtur aus faszinierender Naivität, Vorurteilen und deutschem Ordnungsdenken eine Art nationale Revolte herbeisehnten. Der Twitter-Aktivist Thomas Billstein hat im Zuge dessen eine vermeintlich offizielle Seite der deutschen gelben Westen ins Leben gerufen und sowohl die deutschtümelnden, als auch aufmerksame Beobachter und sogar den „faktenfinder“ der tagesschau an der Nase herumgeführt.
Grund genug, mit ihm ein Interview zum Kommunikations-Guerilla-Streich zu führen.

Graswurzelrevolution (GWR): Thomas, wie ist denn die Idee zu diesem Account entstanden?

Thomas Billstein: Nun, ich fand die Ereignisse in Frankreich natürlich recht spannend und habe recherchiert, ob und was denn in Deutschland an ähnlichen Protesten geplant ist. Tatsächlich fand ich dann recht schnell mehrere facebook-Gruppen, die teilweise schon im vierstelligen Bereich Mitglieder hatten und recht wild in der Planungsphase für Aktionen und Aktiönchen waren. Erstaunlicherweise war es aber auf twitter recht ruhig. Da kam mir die freche Idee, doch hier mal eine Art offizielles Sprachrohr zu etablieren und ein wenig Verwirrung zu stiften.

GWR: Welche Motivation steckte dahinter?

Thomas: Wir sollten uns davor hüten, Nazis als dumm zu bezeichnen. Das stimmt oftmals schlicht nicht und wird auch der Gefahr, die von ihnen ausgeht, nicht gerecht. Allerdings tummelt sich bei den deutschen Gelbwesten eine unglaubliche Naivität gepaart mit einem wilden Gebräu aus Verschwörungstheorie, dumpfem Rassismus, Liebe zum Privatfahrzeug und Tatendrang. Da bot es sich einfach an, das G

anze zu karikieren und auf die Spitze zu treiben – auch wenn das teilweise nur noch sehr schwer möglich war. Nazis kann man natürlich nicht allein durch Spaß und Satire bekämpfen, aber eben auch damit, als ein Werkzeug von vielen. Das Übertreiben von menschenfeindlichem, ausgrenzendem und absurdem rechtem Verhalten zeigt ja auch vielen Leuten, wie daneben manche Aktionen sind. Und es schreckt sie ab, daran mitzumachen und dies zu unterstützen.

GWR: Was hat dich am meisten überrascht, während du den Account geführt hast? Gab es etwas, womit du im Vorfeld nicht gerechnet hättest?

Thomas: Ganz klar: Wie einfach es war, das entsprechende Klientel an der Nase herumzuführen. Am Anfang dachte ich, nach ein paar tweets fällt alles auf und du wirst mit diesem Schwindel enttarnt. Aber das Gegenteil trat ein. Als dann sogar eine ziemlich alberne Meldung von Martin Sellner (führender Kopf der „Identitären Bewegung“) geteilt wurde, folgten mir mehr und mehr Nazis, inklusive AfD- und NPD-Ortsverbänden. Egal wie kindisch und grotesk das Posting war, es gab immer sehr viele Leute, die das für voll genommen haben und weiterverbreiteten.

GWR: Die tweets waren teilweise schon sehr kreativ, wenn du zum Beispiel eine Umfrage gestartet hast, ob „Rhythmisches Hüpfen“ die „Marschrouten spektakulärer gestalten“ könnte. Woher hattest du die Ideen dafür?

Thomas: Im Einzelnen weiß ich das nicht mehr, mir fiel das meiste zwischen Tür und Angel ein. Bei manchen Meldungen habe ich aber als Grundlage echte Postings von deutschen Gelbwesten genommen und diese dann etwas überspitzt mit zusätzlichem Unfug verfeinert.

GWR: Deine anderen Accounts (radicalpast, Kein Vergessen) zeigen dich fernab jedes völkisch oder nationalen Gedankenguts. War es schwer, eine solche rechtskonservative Denkweise zu persiflieren und zu karikieren?

Thomas: Ich engagiere mich ja seit über 25 Jahren gegen Rechts. Natürlich weißt du dann irgendwann auch, wie solche Leute funktionieren. Allerdings haben wir es bei vielen Gelbwesten schon mit einer besonders schrägen Art von Leuten zu tun.

GWR: Teilweise waren die tweets sehr überzogen, wie zum Beispiel der Vorschlag statt gelber Westen gelbe Säcke überzuziehen. Ist da niemanden aufgefallen, dass es ein Fake Account ist?

Thomas: Doch, ein paar Leuten schon. Sie wurden aber von den vielen anderen übertönt, die die albernen Meldungen fleißig weiterverbreitet haben. Ich muss aber fairerweise auch gestehen, dass ich ab und zu mal einen unspektakulären tweet mit eingebaut habe. Das hat bei manchen Rechten sicher auch dazu geführt, den Kanal weiterhin ernst zu nehmen, auch wenn er ständig über die Stränge schlug.

GWR: Gab es – für dich besonders gute oder auch schlechte Rückmeldungen anderer Twitter User?

Thomas: Natürlich gab es etliche Rechte, die anschließend sauer waren, und auch einige aufmerksam kritische Beobachter des Kanals fanden es nicht so toll, die ganze Zeit veräppelt worden zu sein. Allerdings überwog das positive Feedback. „Wenn das nicht echt ist, dann steckt die Titanic dahinter oder die heute show“, bekam ich oft zu lesen, was mich natürlich freute, weil es zeigte, dass es offenbar gute Satire war.

GWR: Warum hast du dich entschlossen, offen zu machen, dass es sich um einen Fake Account handelt?

Thomas: Wie gesagt, ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich so lange unentdeckt bleibe und fast hemmungslos herumtrollen kann. Es hatte sich zwar mit zunehmender Zeit sowas wie ein kleiner Suchtfaktor entwickelt, aber irgendwann reitet man das Pferd auch tot. Zudem wollte ich den Nazis natürlich auch mal zeigen, dass sie die ganze Zeit einen Antifaschisten retweetet haben.

GWR: Würdest du es rückblickend noch einmal machen?

Thomas: Ja, auf jeden Fall.

GWR: Den Account gibt es noch, mit über 1.000 Followern, jedoch nun mit klar links ausgerichteten Inhalten. Wirst du diesen perspektivisch dauerhaft weiterführen?

Thomas: Erstmal schon. Mir laufen auch weiterhin rechte Follower zu, die anscheinend nicht richtig lesen können, denn im Profil wird ja auf die antifaschistische Ausrichtung hingewiesen. Seltsam. Es liegt vielleicht auch daran, dass Google auf dem zweiten Platz bei einer „gelbewesten“ Suchanfrage, auf das Profil verweist. Aktuell komme ich aufgrund von Zeitmangel nicht richtig zur Pflege des Accounts, aber wer weiß, vielleicht nutze ich das Profil ja auch eines Tages für einen neuen Streich…

GWR: Wo siehst du die Zukunft einer Gelben Westen Bewegung in Deutschland?

Thomas: Am Rande des Müllhaufens der Geschichte rechter Bewegungen. Das Kopieren der schwungvollen Gilets Jaunes aus Frankreich ist ihnen zu keiner Zeit gelungen, vielmehr war der Versuch eine Todgeburt. Das wollen sie natürlich nicht wahrhaben und so werden sie wahrscheinlich noch ein paar Monate mit ein paar dutzend Wahnwesten herumirren, bis sich das erledigt hat.

Thomas Billstein ist auf twitter als @billstein zu finden, das Gelbe Westen Profil unter @gelbewesten

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