Die Türkei führt Krieg in Syrien – mit Waffen aus Deutschland

Rede der Gruppe „Perspektive Rojava“, gehalten im Rahmen des Ostermarsches 2019

| Gruppe „Perspektive Rojava“ Münster

Gevatter Tod bei der antimilitaristischen Mahnwache zum 130. Geburtstag des Rüstungskonzerns Rheinmetall am 13.4. in Flensburg. Foto: DFG-VK Flensburg

Krieg ist keine Lösung – Krieg beginnt hier!”, lautet das Motto der Osteraktion 2019. Das gilt in besonderer Weise auch für den Krieg, den u.a. die Türkei seit dem Jahr 2012 in Syrien führt.

Seit 2012 bildet die Türkei islamistische Gruppen für den Bürgerkrieg in Syrien militärisch aus, beliefert sie mit Waffen und gestattete im Jahre 2014 beispielweise der Al-Nusra Front, dem syrischen Ableger der Terrororganisation Al-Kaida von türkischem Territorium die armenische Kleinstadt Kessab anzugreifen und zu erobern.

2016 ist die Türkei offiziell in Syrien einmarschiert und besetzte ein 2000 Quadratkilometer großes Gebiet westlich des Euphrat-Flusses. Offizielles Ziel des Angriffs war der Kampf gegen den Islamischen Staat, der damals bis zur türkischen Grenze vorgedrungen war. Bis dahin hatte sich die Türkei freilich nie am IS gestört. Wo auf der syrischen Seite der IS herrschte blieben die türkischen Grenzen geöffnet. Wo auf der anderen Seite eine kurdische Selbstverwaltung existierte, waren die türkischen Grenzen geschlossen. Im Nordwesten Syriens hatte sich eine basisdemokratisch organisierte Selbstverwaltung von Kurden, Jesiden, Arabern und Armeniern gebildet. Die Kurden nennen diese Region Rojava [Westkurdistan]. Als deren bewaffneten Einheiten immer größere Bereiche vom Islamischen Staat befreiten und den Euphrat nach Westen überschritten, marschierte die Türkei in Syrien ein. Eine Selbstverwaltung mit gleichberechtigter Mitwirkung von Kurden, Jesiden, Armeniern, Arabern, Turkmenen vor der eigenen Grenze, undenkbar für die Türkei!

Aus demselben Grund marschierte die Türkei 2018 erneut in Syrien ein. Diesmal in Afrin um damit direkt gegen die Selbstverwaltung im Nordwesten Syriens vorzugehen und sie zu zerstören. Afrin war bis dahin vom Krieg weitgehend verschont geblieben, dort hatte sich eine Selbstverwaltung jahrelang entwickeln können und zahlreiche soziale, wirtschaftliche und kulturelle Reformen verwirklicht: umfassende paritätische Besetzung aller politischen Positionen mit Männern und Frauen, selbstverwaltete Kooperativen wurden gegründet und eine eigene kurdische Hochschule sollte aufgebaut werden. Das wurde niedergewalzt und Hundertausende vertrieben – wieder mit deutschen Panzern. Und auch heute stehen 80.000 türkische Soldaten an der Grenze zu Syrien und die türkische Regierung droht mit einem Einmarsch.

Wie ist diese Kriegsführung in Deutschland aufgenommen worden? Gab es eine Kritik seitens der Bundesregierung? Kaum. Aber interessiert hat man sich hier trotzdem dafür. 2016, beim ersten Einmarsch der Türkei ging es um die Frage: „Wie schlägt sich der Leopard 2?“ Denn die türkische Armee war mit deutschen Leopard 2 Panzern einmarschiert. Der Einmarsch der Türkei in Syrien wird zur „erste(n) Schlacht des Leopard 2“, wie der Stern schrieb. „Hier rollt der hochgelobte deutsche Panzer zum ersten Mal in eine Schlacht.“ Und weiter der Stern: „Bis zum Erscheinen des russischen T-14 Armata wurde der Leopard 2 in deutschen Medien gern als bester Panzer der Welt geführt. In seiner Zeit war auch der Leopard 2A4 sehr leistungsstark, inzwischen ist er allerdings runde 30 Jahre alt. Umso erschreckender ist seine Performance auf dem Schlachtfeld.“ Was ist mit einer „schlechten Performance auf dem Schlachtfeld gemeint? Dem IS gelang es zehn dieser Panzer aus deutscher Produktion außer Gefecht zu setzen. Die FAZ klagte: „Was als Stolz der deutschen Waffenindustrie gilt, liegt als ausgebrannter Panzer-Kadaver auf dem Schlachtfeld Nordsyriens.“Und der Focus meinte: „Er galt als unzerstörbar: In Syrien wird ein Panzer-Mythos zerstört.“ Was also interessierte aus deutscher Sicht am Syrien-Krieg? Vor allem diese Frage: bewährt sich unser Kriegsgerät? Denn Deutschland ist einer der größten Exporteure von Kriegsgerät in der Welt, derzeit auf Platz 5 hinter Russland, den USA, China und Frankreich.

2018, beim türkischen Einmarsch in Afrin ging es nicht gegen den Islamischen Staat, sondern gegen die kurdische Selbstverwaltung. Von der hält die deutsche Regierung fast genauso wenig wie die türkische. Ganz einverstanden war die Bundesregierung trotzdem nicht. Denn dieser Einmarsch war etwas zu viel an eigenständiger Machtpolitik der Türkei. Für solch eine eigene Machtpolitik hatte man die Waffen nicht geliefert. Die Genehmigung des Exports war übrigens eine der letzten Amtshandlungen der rot-grünen Bundesregierung 2005.

Ex Außenminister Gabriel formulierte diese Kritik an der Türkei so: „Die Türkei hat keine Furcht vor den geopolitischen Konsequenzen eines Konflikts mit den USA.“ Gabriel erläuterte dann auch gleich, welche geopolitische Rolle die Türkei zu spielen habe. Er warnt: „Nicht nur eine Hinwendung zu Russland würde das Kräfteverhältnis zwischen Russland und der Nato vollständig verändern. Wir hätten an den Außengrenzen Europas keinen Verbündeten mehr, sondern einen potentiellen Gegner.“

Die Türkei ist also für Deutschland vor allem ein unverzichtbarer Verbündeter gegen Russland – daran hat sich in den letzten 100 Jahren wenig geändert. Diese strategische Bestimmung ist für Deutschland wichtiger als alles andere. 1915 war sie wichtiger als das Leben von 1,5 Millionen Armeniern, die einem Völkermord zum Opfer fielen. Heute ist es wichtiger als das Recht der Menschen im Norden Syriens ihr Leben und ihre Gesellschaft selbst zu bestimmen. Ex-Außenminister Gabriel formulierte es so: „Machen wir uns nichts vor: die Türkei wird keinen von der PKK/YPG dominierten Regionalstaat akzeptieren und notfalls mit russischer, iranischer und syrischer Duldung dagegen vorgehen. Die Gewinner wären Moskau und Damaskus. Unser Interesse muss deshalb vor allem sein, die Türkei weiterhin geopolitisch ‚einzubinden‘ – man kann auch sagen ‚einzuhegen‘, um sie nicht dauerhaft in eine Sonderrolle abdriften zu lassen, deren Folgen für uns unabsehbare Risiken beinhalten.” Und um die Türkei besser “einzubinden” haben sich 2018, nach dem Einmarsch der Türkei in Afrin, die deutschen Rüstungsexporte in die Türkei gegenüber dem Jahr 2017 verdreifacht.

Dieser Politik müssen wir uns entgegensetzen. Die Friedensbewegung und die Solidaritätsbewegung für Rojava – gemeinsam. Indem wir gemeinsam gegen die Rüstungsexporte aus Deutschland vorgehen – in die Türkei und anderswo. Die Rheinmetall AG ist der größte Rüstungskonzern in Deutschland. 2017 machte er 3 Mrd. Euro Umsatz und vor Steuern einen Gewinn von 172 Mio. Euro. Rheinmetall geht es so gut, dass diese Firma jetzt auch noch den Rüstungskonzern Krauss Maffei aufkaufen will, der die anderen Teile des Leopard 2 baut.

Wir sollten Rheinmetall dieses Geschäft vermiesen. Am 28. Mai 2019 ist in Berlin die Aktionärsversammlung von Rheinmetall. Lasst uns dort gemeinsam gegen Rüstungsexporte demonstrieren. Und vom 1. September bis Montag 9. September findet das Camp von „Rheinmetall –entwaffnen!“ statt (vgl. GWR 438). Nehmt euch die Woche Urlaub und kommt nach Unterlüß/Südheide bei Celle in Niedersachsen. Dort befindet sich der Sitz von Rheinmetall und in dieser Woche können wir gemeinsam mit vielfältigen Aktionen den nächsten Schritt gehen. Hin zu dem Ziel Rheinmetall entwaffnen! Rüstungsexporte stoppen! Solidarität mit Rojava!

Gruppe „Perspektive Rojava“ Münster