der rechte rand

Die Stiefel aus und rein ins Parlament

Der Trauerbrief eines Brandenburgers in Sachsen

| Jakob Reimann

Anti-AfD-Demo in Gievenbeck. Foto: Bernd Drücke

Ich bin in den 1990ern und Nullerjahren in einer Kleinstadt in Ostbrandenburg aufgewachsen. Ob als Punker, Skater, Hippie, Kiffer – was alles auf mich zutraf – oder einfach als „Zeckenpack“ waren wir das Feindbild der Nazis und wurden regelmäßig durch die Straßen und Nächte gejagt. Ich werde nie vergessen, wie mich der kickboxende Obernazi-Hüne als 14-Jähriger mit einer Hand am Hals packte, gegen einen Baum knallte und würgend hängen ließ, oder ein anderer meinem Kumpel ein Nagelbrett drei Zentimeter nebens Herz schlug – die ganz normale Biografie einer Brandenburger „Zecke“ von damals, wie sie genau so tausendfach erzählt werden kann.

Nach dem Abi zog ich zum Studium nach Dresden, wo ich nach Jahren im Ausland seit Kurzem erneut lebe. Jahrelang gab es hier den größten Naziaufmarsch Europas: der 13. Februar, an dem zum „Trauermarsch“ das Gedenken an die Bombardierung Dresdens durch die Briten missbraucht und die Geschichte dabei ins Unkenntliche verstümmelt wurde. Mit Fackeln marschierten sie durch die Nacht, auch Geschichtslehrer Björn Höcke schon mit dabei – so wie damals ihre braunen Brüder ‘33, als sie Gift in Köpfe injizierten und so erst den Grundstein legten für das, was 70 Jahre später „betrauert“ werden sollte. Mit zivilem Ungehorsam, Graswurzel-Aktionismus und Massenblockaden konnten wir dem Spuk nach jahrelangen Kämpfen ein Ende setzen – die Nazis hatten einfach keinen Bock mehr, sich beim nächsten Mal schon wieder bei Eiseskälte die Beine in den Bauch zu stehen, weil wir jede Straße vom Bahnhof weg massenhaft und unräumbar blockieren konnten.

Warum erzähle ich das?

Heute ist der 2. September. Gestern jährte sich nicht nur zum 80. Male Hitlers „Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen!“, sondern fuhren auch die neuen Nazis historische Siege ein: 23,5 Prozent für die AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg und 27,5 Prozent in Sachsen (bestes AfD-Ergebnis ever), in vielen Wahlkreisen erreichte sie hohe 30er Werte, in Meißen II schaurige 40 Prozent. Als in Sachsen lebender Brandenburger blutet mir das Herz, wenn ich an die Wahlen denke und diese Zahlen hier aufschreibe. Als Mensch, der in beiden Ländern Nazigewalt erfahren und bekämpft hat, ist es mir unerträglich, wenn dieselben Typen, die uns damals gejagt haben, nun ihre Stiefel ausziehen und statt auf Fackelmärschen in die Parlamente einmarschieren.

Erst vor Kurzem hörte ich beim Joggen an der Elbe, mit Canaletto-Blick auf die malerische Dresdner Altstadt, Tilo Jungs Interview mit dem Brandenburger AfD-Chef Andreas Kalbitz, der gemeinhin als intelligenter, eloquenter Mastermind des rechtsextremen „Flügels“ der Partei gilt und seinen Thüringer Kumpel Höcke als pöbelndes Frontschwein die Medientrommel rühren lässt. Das erste Drittel vereinnahmte Tilo komplett darauf, Kalbitz zu konfrontieren, in welchen Nazi-Clubs und verbotenen Vereinen er alles Mitglied war: Junge Landsmannschaft Ostpreußen, Witikobrief, Gildenschaften, REPs, Junge Freiheit oder der 1985 von SS-Hauptsturmführer Waldemar Schütz gegründete Verein Kultur- und Zeitgeschichte – im Brandenburger Parlament haben wir nun einen strammen Nazi als Oppositionsführer. Zwar mangelt es Sachsens AfD-Chef Jörg Urban an jeglichem Charisma, doch ist auch er Teil der dunkelbraunen Rechtsaußen der Partei und nutzt seinen Facebook-Account, um tollwütigen Hass auf den Islam und Geflüchtete zu säen. Mit jedem Coup hat sich die AfD weiter rechtsradikalisiert, versenkte Lucke und Petry.

Im Herbst 2018 in Chemnitz dann die unmissverständliche Ansage: Kalbitz, Urban und Höcke marschieren in erster Reihe zusammen mit PEGIDA-Bachmann, NPD-Funktionären und den „Adolf Hitler Hooligans“ – inklusive Hitlergruß, randalierendem Mob und Glasflaschen auf Polizeipferde. Vom Osten kommend übernimmt der rechtsradikale Flügel die Partei, ein Höcke als Bundesvorstand ist eine Frage des Wann, nicht des Ob.

Unsere schlimmsten Befürchtungen wurden erstmal abgewendet: In Brandenburg wie Sachsen wurde die AfD „nur“ zweitstärkste Kraft, vorerst, so dass wir uns in Dresden ernsthaft über einen CDU-Sieg freuen. Ich will keine neunmalkluge Wahlanalyse abgeben, auch bin ich es leid, wenn mir „Wessis“ in Zeit, FAZ und Tagesthemen erklären, was mit uns „Ossis“ nicht stimmt. Und Jakob Augsteins x-tes Sachsen-Bashing ist so dumm wie kontraproduktiv. Die Wahlen von gestern sind zwar leider ein Teil, doch ist das nicht mein Osten. Die Tausenden Menschen, die sich in Chemnitz, Cottbus, Dresden und überall anders dem Nazispuk entgegenstellen, die Refugees-Welcome-Demos selbst in meiner kleinen Heimatstadt, die unzähligen Flüchtlingshelfer*innen, all die Leute, die Keinen Fußbreit den Faschisten! jeden Tag leben – in Tram, im Betrieb, in Uni, auf dem Schulhof und auf den Straßen. Auch das ist Ostdeutschland, all diese Menschen verdienen Anerkennung und Solidarität. Das ist mein Osten, diese Menschen geben mir Hoffnung.

Was bleibt uns auch anderes übrig?

Jakob Reimann

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.