Kohle kapern!

Blockade der Flensburger Stadtwerke

| Anouk, Tschechow, Livi

Unter dem Slogan #deCOALonize fanden Anfang Oktober 2019 zeitlich aufeinander abgestimmt mehrere dezentrale Protestaktionen entlang der Lieferkette von Steinkohle statt. In Berlin, Bremen, Lünen, Hamburg, Salzgitter und Dortmund waren Menschen auf der Straße, auf den Gleisen, Brücken, Kränen, Kohlebergen und auf dem Wasser, um den Weg vom Raubbau in den Abbaugebieten aufzuzeigen und die Zentren der Steinkohleverbrennung vor Ort zu benennen. Inspiriert davon hat die Aktionsgruppe „Kohle Kapern!“ in Flensburg die Kräne und Kohlehalde auf dem Kraftwerksgelände der Stadtwerke besetzt. Mit dabei waren die Textverfasser*innen.

Stadtwerke Flensburg – Greenwashing aufzeigen

Das Flensburger Kraftwerk produziert Strom und Wärme durch Verbrennung von Steinkohle, der zu maximal einem Viertel Ersatzbrennstoffe beigemischt werden. Nichts daran ist grün. Steinkohle ist einer der klimaschädlichsten Energieträger der Welt. Bis 2022 sollen zwei der Kohlekessel des Flensburger Kraftwerks durch ein neues Gaskraftwerk ersetzt werden. Doch auch Erdgas ist ein fossiler Energieträger und die Methanemissionen, die bei der Förderung und dem Transport des Gases entstehen, sind enorm klimaschädlich. Mit unserem Protest möchten wir neue Gasinfrastruktur verhindern, bevor sie gebaut werden kann.

Die Steinkohle, die auf dem Wasserweg direkt an den Kai des Flensburger Kraftwerks geliefert wird, kommt vor allem aus Russland und sehr wahrscheinlich aus der Region Kuzbass. Dort erfolgt der Abbau durch Sprengungen im offenen Tagebau auf Kosten der indigenen Bevölkerung mit katastrophalen ökologischen und sozialen Folgen. Der entstehende Staub verteilt sich atmosphärisch und vergiftet Trinkwasservorräte, Flüsse und Böden. Er verursacht Krebs- und Lungenerkrankungen. Tagebaue und Transportrouten verschlingen ganze Landstriche und Siedlungen. Der Widerstand vor Ort ist groß, wird aber durch die Behörden erschwert. Der Kohleabbau im Kuzbass folgt einem Muster, das sich weltweit vielerorts wiederholt: Ermöglicht durch staatliche Repression wird der Industriehunger nach Ressourcen auf Kosten von marginalisierten, häufig indigenen Gruppen gewaltsam durchgesetzt. Bei unserem Protest geht es deswegen um mehr als nur um das Klima und die Abschaltung eines Kohlekraftwerks.

Bericht von der Aktion

Die Vorbereitungen für die Aktion begannen mit überregionalen Treffen des DeCOALonize-Bündnisses und der Auskundschaftung des Kraftwerks vor Ort. Von Landseite ist das Gelände der Flensburger Stadtwerke weitläufig abgesperrt und schwer einsichtig. Vom Wasser ist der Kai des Kraftwerks frei zugänglich. Boote, Schwimmwesten, Aktionshandys und diverses Material wurden organisiert, Banner gemalt, und unser Twitter-Account @kohle_kapern eingerichtet.

Am Aktionstag legte als erstes die Küchencrew noch in der Dunkelheit mit den Frühstücksvorbereitungen los. Als es hell wurde, begaben sich die Bootsfahrer*innen mit den Aktivistis auf die abenteuerliche Fahrt zum Kraftwerk. Trotz Motorausfall, Wellen, die das überbesetzte Schlauchboot volllaufen ließen und einem (glücklicherweise gerade menschenleeren) gekenterten und gesunkenem Paddelboot kamen alle mehr oder weniger trocken an ihren jeweiligen Zielorten an: Die Fahrer*innen zurück am Anleger und die Aktivistis auf den beiden Kränen am Kai und dem Kohleberg dahinter. Der Kohleberg war gerade so steil aufgeschüttet, dass das Material beim Klettern ins Rutschen geriet – mutmaßlich perfekt, um eine Räumung zu erschweren. Oben angekommen fanden wir allerdings überrascht eine von Maschinen festgefahrene Ebene vor. Von der Auffahrt auf der gegenüberliegenden Seite näherte sich uns ein Radlader, drängte uns in voller Absicht an die Kante und stieß dabei wie zu einer Drohgebärde die Schaufel in die Luft. Ein Aktivist stellte sich mit erhobenen Armen in den Weg. Es gab einen kurzen Zusammenstoß von Mensch und Baggerschaufel, dann setzte der Radlader zurück und verschwand.

Wir entrollten die Transpis und begannen zu warten. Lange Zeit passierte nichts. Dann tauchte die Polizei auf, hielt sich jedoch im Hintergrund. Der Geschäftsführer der Stadtwerke erschien. Er begab sich mit uns in Verhandlungen, gab vor unsere Aktion zu befürworten und sagte, wir könnten uns auf dem Kraftwerkgelände frei bewegen. Tatsächlich nutzten wir die gewonnenen Freiräume zu wechselseitigen Besuchen in unseren neu erworbenen Lokalitäten. Einige Menschen entdeckten bei den Streifzügen auch etwas, was uns vermuten ließ, wir seien auf eine Art Steuerzentrale des Kraftwerks gestoßen. Das war spannend. Vieles wäre hier möglich gewesen, aber vorbereitet waren wir darauf nicht. Die Bedenken überwogen. Wir machten Fotos, versorgten uns selbstständig mit Kaffee und Cola im Aufenthaltsraum der Arbeitis (Anmerkung einer Verfasserin: stolz bin ich darauf nicht) und hinterließen gut gemeinte Botschaften auf dem obligatorischen PinUp-Kalender, der an der Wand hing.

Zeitgleich mit unserer Kraftwerksbesetzung fand an dem Tag auch eine Aktion der Seebrücke Flensburg statt. Wir wurden während der Redebeiträge telefonisch zugeschaltet und durften unsere solidarischen Grüße ausdrücken, die live mit den Demonstrierenden geteilt wurden. Zum Ausdruck unserer Solidarität mit der Seebrücke und allen Geflüchteten haben wir ein Leuchtfeuer geschossen, woraufhin die Demo das Gleiche tat. Das Licht am anderen Ufer der Förde war zu erkennen. Während das Back-Office auf der Veranstaltung der Seebrücke flyerte, eine Mahnwache vor dem Gelände des Kraftwerks vorbereitete, das Presseteam auf Deutsch und Russisch twitterte und vom gegenüberliegenden Ufer Fotos schoss, zog sich der Tag auf dem Kraftwerksgelände hin. Auf der Kohlehalde war ein Fußballfeld entstanden, auf dem einige Menschen sich mit einer Blechdose die Zeit verkickten. Andere spielten fangen oder machten Sportübungen, um sich die Kälte aus den Knochen zu vertreiben.

Kurz vor Anbruch der Dunkelheit verließen wir das Gelände schließlich selbstbestimmt. Manche Menschen trugen auf einmal witzige Sachen, die ihnen zum Teil gar nicht passten, viel zu klein oder zu groß waren. Vor dem Tor zur Straße erwartete uns eine Polizeisperre. Durchgelassen werden sollten wir nur dann, wenn wir die Personalien-Erfassung der, so die Polizei, drei Menschen ermöglichten, die zuvor Pyro gezündet hätten. Aufgrund der allgemeinen Kleidertauschbörse war die Identifizierung einzelner Personen nicht mehr möglich, was die Pozilei jedoch herzlich wenig beeindruckte. Sie zog drei scheinbar willkürlich gewählte Menschen aus der Gruppe heraus. Um zu signalisieren, dass wir uns nicht auf diesen ungerechten Deal einlassen würden, setzten wir uns im Torbereich des Grundstücks auf die Straße. Es kam bald zu einer Räumung, die allerdings nicht primär durch das Wegtragen von Menschen durchgeführt wurde, sondern durch den Einsatz von Polizeihunden, die auf die am Boden sitzenden Menschen sprangen. Viele waren schockiert über diese gefährliche Art der Räumung. Trotz Maulkörbe kam es zu blauen Flecken und Beulen sowie emotionalen Schäden auf unserer Seite. Ein Großteil der Aktivistis verweigerte nach der Räumung die Angabe ihrer Personalien. Sie wurden in Polizeigewahrsam genommen. Vor der GeSa haben wir eine Mahnwache aufgebaut. Noch in derselben Nacht waren alle wieder frei.

Resümee

Trotz des unnötigen und gewaltvollen Hundeeinsatzes bei der Räumung und dem Versuch des Kraftwerksbetreibers, uns durch scheinbares Verständnis und angebotene Deals zu vereinnahmen, werten wir die Aktion als Erfolg. Immer mehr Menschen begreifen, dass unter den politisch und ökonomisch katastrophalen Bedingungen Kohleausstieg Handarbeit bleibt und Klimagerechtigkeit nur erreicht werden kann, wenn wir politische, soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten solidarisch überwinden – und das kann nur durch uns selbst geschehen.

Anouk, Tschechow, Livi

P.S. Da wir mit Repressionen rechnen, hier unser Spendenkonto, falls Menschen uns unterstützen möchten: VusEumUmseP e.V., IBAN: DE30 8306 5408 0004 0613 81, BIC: GENO DEF1 SLR, Betreff: Antirep SH