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Unfug bleibt!

Der Kampf um linke Frei- und Wohnräume in Lüneburg

| Eichhörnchen

Unfug bleibt - Foto: Unfug Kollektiv

Das Wohnprojekt „Unabhängig, Frei und Gemeinsam Wohnen“ (kurz Unfug) wurde 2017 von einer Gruppe politisch aktiver, vornehmlich linker Menschen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren gegründet. Ziel war es, einen Ort in Lüneburg zu schaffen, der gleichermaßen Wohnprojekt und politischer Freiraum sein sollte. Ein Ort an dem Utopien erprobt, Herrschaftsfreiheit gelebt und emanzipatorische Politik gestaltet wird. Ein Ort an dem Menschen unterschiedlicher Geschlechter, Altersgruppen, solche, die von der Gesellschaft behindert werden, sowie Menschen ohne Behinderung in einem Haus und mehreren Bauwagen gemeinschaftlich leben. Die Stadt Lüneburg will aber das Projekt los werden. Die Gruppe und Unterstützer:innen antworten mit zahlreichen wohnpolitischen Aktionen; ein Bündnis Recht auf Stadt wurde ins Leben gerufen.

Die Idee eines inklusiven, bezahlbaren Wohnprojektes mit politischem Anspruch ließ sich auf dem jetzigen Grundstück von Unfug in der Konrad-Adenauer-Straße in Lüneburg realisieren. Die Kombination aus Wohnhaus mit Gemeinschaftsräumen und sechs Bauwagen ermöglichte ein Zusammenleben von zehn Erwachsenen mit Kindern zu – für Lüneburger Verhältnisse – vergleichsweise niedriger Miete. Die Bauwagen wurden als WG-Zimmer genutzt, die Bewohner:innen teilen sich Gemeinschaftsräume, Küche und Sanitäranlage im Haupthaus. Die Gruppe sah darin die Möglichkeit, Wohnraum ohne zusätzliche Flächenversieglung zu schaffen. Ein Bauwagen war zudem als Werkstatt vorgesehen, ein weiterer als Infokiosk, offen für Besucher:innen. Das Haus ist im Erdgeschoss barrierearm ausgebaut und es gibt dort ein geeignetes Zimmer für eine Bewohnerin im Rollstuhl. Das Projekt ist nach dem Modell des Mietshäusersyndikats organisiert.

Seit 2007 hat Lüneburg eine Mietsteigerung von über 50% erlebt. Anstelle sozialer Investitionen wird Geld in Prestigeprojekte mit aus dem Ufer laufenden Baukosten gepumpt, beispielsweise in den Libeskindbau (zentrales Unigebäude) oder in die Arena (Sport- und Eventshalle, nicht ein mal barrierefrei geplant).

Das Projekt Unfug stützte sich bei der Aufstellung der Bauwagen auf die 2010 von der Stadtverwaltung im Zuge der Verhandlungen um die Gründung eines Wagenplatzes namens Fango vor zehn Jahren zugesicherte Duldung von Bauwagen auf Privatgrund. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass die Versprechungen des Bürgermeisters heute nicht mehr gelten. Der Oberbürgermeister möchte offensichtlich keine Vielfalt. Alles muss seine Ordnung haben: Wagenbewohner.innen auf einem Wagenplatz, Menschen mit Behinderung im Behindertenheim, ältere Menschen im Pflegeheim. Aber bitte kein Wohnprojekt, das unterschiedliche Wohnformen verbindet!

Die Bewohner:innen sind außerdem in unterschiedlicher Art und Weise zu zahlreichen Themen in Lüneburg – und anderswo – aktiv. Der OB ist ein ehemaliger Berufssoldat, die antimilitärischen Aktionen einiger Bewohner:innen sind ihm ein Dorn im Auge. Hinzu kommt, dass ein Bewohner für Die Linke im Stadtrat sitzt.

Vorgeschobener Baurechtskonflikt, um ein unbequemes Wohnprojekt zu zerstören

Bereits im Herbst 2018 wurden wir, die Bewohner:innen des Projektes Unfug, durch einen Besuch des Bauamtes damit konfrontiert, dass wegen „baurechtswidriger Zustände“ auf dem Grundstück ermittelt wurde. Wie die Bewohner:innen später aus zuverlässiger Quelle erfuhren, erfolgte die Anzeige beim Bauamt aus den Reihen der lokalen SPD.

Die Bewohner:innen bemühten sich darum einen Dialog sowohl mit der Stadtverwaltung, als auch den Stadtratsfraktionen (außer der AfD) aufzubauen, um das Wohnprojekt rechtlich abzusichern. Während sich einerseits schnell herauskristallisierte, welche Möglichkeiten der rechtlichen Absicherung (Flächennutzungsplanänderung, baurechtliche Duldung, Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans) existieren, die jedoch ausnahmslos alle vom politischen Willen des Rates und der Stadtverwaltung abhängen.

Die Stadtverwaltung nutzt den Umstand, dass das Grundstück sich im Außenbereich befindet – was die Stadt beim Verkauf des Grundstücks an privat 2006 verheimlichte und nicht selbstverständlich ist: die Hochhäuser von Kaltenmoor befinden sich in Sichtweite. Die Stadt hat es beim Verkauf verbockt, den Flächennutzungsplan der realen Nutzung des Grundstücks anzupassen. Das Grundstück ist als Grünfläche des Friedhofs ausgewiesen. Es wurde allerdings vor etlichen Jahren vom Waldfriedhof getrennt und schließlich durch die Stadt selbst als Grundstück mit Wohnhaus verkauft. Laut Stadtverwaltung sind die Bauwagen illegal, weil solche Gebäude im Außenbereich unzulässig sind. Doch Baurecht wird vorgeschoben. Der Konflikt ist politischer Natur.

Obwohl alle Ratsmitglieder, die Unfug zu Gesprächen einlud, zunächst ausnahmslos ergebnisoffen und kooperationsbereit wirkten, stellte sich bei einem Treffen der Fraktionsvorsitzenden im Januar 2020 bei Unfug heraus, dass sowohl SPD also auch CDU und FDP plötzlich nichts mehr von ihrem Bemühen für das Wohnprojekt wissen wollten.

Politische Farce

Die Bewohner:innen von Unfug versuchten auf der Grundlage eines durch Die Linke im Stadtrat im Auftrag gegebenen baurechtlichen Gutachtens einen Antrag auf eine vorhabenbezogene Bebauungsplanänderung im Bauausschuss zu stellen. Das Gutachten einer unabhängigen Kanzlei bejaht Möglichkeiten, das Wohnprojekt mit Bauwagen zu erhalten.

Die Anfrage wurde jedoch in den nicht öffentlichen Verwaltungsausschuss verwiesen und durch die Fraktionen FDP, CDU, AfD und SPD abgeschmettert, ohne vorherige Anhörung der Unfug-Verwaltung GmbH als juristische Person. Grüne und Die Linke unterstützen das Vorhaben von Unfug.

Die Vorlage im Verwaltungsausschuss hatte es in sich, wie inzwischen bekannt gewordene Auszüge aus der Verwaltungsakte zeigen. Die Stadtverwaltung hatte auf Anordnung des Oberbürgermeisters die Abgeordneten darum gebeten, dem Anliegen von Unfug eine Absage zu erteilen, mit der Aussage, das Vorhaben sei baurechtlich nicht möglich – ohne dabei zu erwähnen, dass die Aktenlage anders aussieht. Es liegen Stellungnahmen diverser Fachbereiche vor, die übereinstimmend erklären, es gebe gegen bewohnte Bauwagen auf dem Grundstück keine Bedenken.

In Ratssitzungen und in der Lokalzeitung argumentiert der Oberbürgermeister mit Brandschutzgefahr. Aus der Akte ist zu entnehmen, dass das Gelände auf den Stadtbrandmeister einen aufgeräumten Eindruck gemacht hat und die Öfen alle mangelfrei durch den Schornsteinfeger abgenommen sind.

Seitens der Stadt wird auch mit Naturschutz argumentiert. Für das Vorhaben der Ökoak-tivist:innen, dauerhaft in Bauwagen auf dem Grundstück zu wohnen, müsse ein 30 Meter breiter Waldstreifen gefällt werden, um Abstandregelungen aus dem regionalen Raumordnungsplan einzuhalten. Der zuständige Landkreis schreibt aber auf Nachfrage, der Abstand sei nicht verpflichtend, insbesondere nicht bei einem Grundstück, das bereits seit dem Jahr 1926 bebaut sei.

Der politisch motivierte Angriff auf Unfug gipfelte in der aktuellen Wohn-Nutzungsuntersagung der Bauwagen zum 1. Juli 2020 und der angedrohten polizeilichen Zwangsräumung, mit der zwei Familien mit Kleinkindern und Babys, sowie weitere Bewohner:innen wohnungslos gemacht wurden. Sie sind zum Teil bis heute noch auf der Suche nach geeignetem Wohnraum und bis dahin auf prekäre Wohnverhältnisse angewiesen. Auch kann Unfug vorerst keinen bezahlbaren Wohnraum mehr anbieten. Durch den Wegzug von Bewohner:innen sind die Mieten der verbliebenen Menschen gestiegen. Das Modell der selbstorganisierten Pflege ist dadurch auch gefährdet.

Druck von der Straße

„Macht ihr unser Unfug platt, nehmen wir uns die ganze Stadt“, stand auf einem Banner auf einer Kundgebung für Freiräume und den Erhalt von Unfug am 30. Mai 2020.

Der Spruch wurde durch zahlreiche Aktionen von Bewohner:innen und Unter-stützer:innen mit Leben gefüllt:

Die Verleihung des „Goldenen Bauwagens für die beschissenste Wohnpolitik“ an den OB durch die Gruppe „Nonsens – Kein Lüneburg ohne Unfug“ sorgte bei einer Ratssitzung für Aufregung. Es gab eine kurzzeitige Besetzung des Rathausgartens sowie die Besetzung und anschließende Räumung eines ehemaligen Unigebäudes. Ein Polizist, der zugleich im Rat für die AfD sitzt, fiel dabei Augenzeugenberichten zur Folge mit Aggression auf. Während der anschließenden Ratssitzung verteidigte der OB den AfD-Ratsherr und erklärte, Unfug würde die Stadt mit den Aktionen in Angst und Schrecken versetzen. Der Rat müsse deshalb unter Polizeischutz tagen. Der „Druck von der Straße“, sowas sei „außerhalb der demokratischen Regeln“.

Der Protest ging weiter: Aktivistinnen stiegen dem OB aufs Dach bei seiner Eröffnungsrede zur Veranstaltung „Zukunftstadt 2030+“ mit u.a. dem Thema „Wohnrum für alle“. Unfug war nicht eingeladen. Die Aktivist:innen spielten mit einem Megafon von einem Baum aus den eigenen Redebeitrag ab, der OB brach seine Rede ab. Inzwischen hat sich ein Bündnis Recht auf Stadt gegründet und veranstaltete im Juli 2020 ein dreitägiges Camp mit spannenden Workshops und Musikgruppen in einem Stadtpark.

Ausblick

Die Zukunft von Unfug ist ungewiss. Die aktuellen und ehemaligen Bewohner:innen halten trotz der widrigen Umstände zusammen und freuen sich sehr auf die Unterstützung, die sie von außerhalb erhalten haben. Seien es Solidaritätserklärungen, Soliaktionen oder auch Spenden, es wird mit Sicherheit weitere Aktionen geben. Die Menschen geben die Hoffnung auf eine politische Lösung für die Bauwagen auf dem Grundstück nicht auf. 2021 stehen die nächsten Bürgermeister- und Kommunalwahlen an. Die Aktivist:innen wollen Wohnpolitik zum Thema machen. Es ist nicht nur ein Kampf für diesen spezifischen linken Freiraum, sondern eine politische Auseinandersetzung darüber, in welcher Stadt wir heute und in Zukunft leben und wer bestimmt, wie diese Stadt aussieht. Die Stadt sollte denen gehören, die drin wohnen, und nicht Spekulant*innen wie Sallier (Lüneburgs Immobilienriese) oder Vonovia.

Unfug Bleibt!

Weitere Infos:

https://unfug-lg.de

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.