die waffen nieder

Fortsetzung aus GWR 452

Politische Gefangene in Kamerun, Teil 2

Interview mit Sphynx Eben vom Ambazonian Prisoners of Conscience Support Network (APOCSNET) – Teil 2

| Gernot Lennert

Im ersten Teil hatte der in New York lebende Sphynx Eben vom Ambazonian Prisoners of Conscience Support Network (APOCSNET) erläutert, dass sich die Bevölkerung des damaligen Britisch-Südkamerun in einem Referendum 1961 für die Vereinigung mit der französischsprachigen Republik Kamerun ausgesprochen hatte, unter der Voraussetzung, dass beide Gebiete gleichberechtigt einen Bundesstaat bilden. Doch der Bundesstaat wurde nach und nach in einen Zentralstaat verwandelt, in dem die politische und kulturelle Autonomie des englischsprachigen Landesteils und die Menschen- und Bürgerrechte der Anglophonen immer mehr missachtet wurden. Infolgedessen hat sich eine Bewegung gebildet, die die Selbständigkeit des englischsprachigen Landesteils unter dem Namen Ambazonia anstrebt.

Das APOCSNET wurde 2019 assoziiertes Mitglied der War Resisters’ International (WRI), des transnationalen pazifistische und antimilitaristischen Netzwerks, dem auch die DFG-VK und die Graswurzelrevolution angehören.

 

Graswurzelrevolution: Einige Fragen zur internationalen Dimension. Gibt es externe Akteure, die die Zentralregierung Kameruns unterstützen?

Sphynx Eben: Ja, Kamerun hat ein französisches neokoloniales Regime. Kamerun ist es nicht erlaubt, sein eigenes Geld zu drucken. Es ist verpflichtet, den zentralafrikanischen CFA-Franc (Franc de la Coopération Financière en Afrique) zu nutzen. Mehr als 60 Prozent der kamerunischen Währungsreserven müssen von der französischen Staatskasse gehalten werden. Das französische Militär kann soviele Basen in Kamerun errichten, wie es will, ohne dafür eine Erlaubnis von irgendjemandem zu benötigen. Frankreich hat das Vorkaufsrecht bei Mineraliengewinnung und staatlichen Großaufträgen.

Nicht nur Kamerun ist dieser Form des Neokolonialismus unterworfen. Angefangen mit dem, was einige Gelehrte nun als den Völkermord an den Bamileke in Kamerun bezeichnen, in den 1950ern, folgten systematische Ermordungen von den die Unabhängigkeit befürwortenden Führern – darunter Ruben Um Nyobe und Félix Moumie aus Kamerun, Barthélemy Boganda aus der Zentralafrikanischen Republik, Outel Bono aus dem Tschad, Sylvanus Olympio aus Togo und Thomas Sankara aus Burkina Faso. – So gelang es Frankreich, durch weitere Formen der Nötigung und durch Drohungen, die wesentlichen Bestandteile seiner kolonialen Infrastruktur intakt zu bewahren, wobei es sich scheinbar dem sich wandelnden internationalen Konsens anpasste, wie er in der 1960 UN-Resolution zum Ausdruck kam, die das Ende des Kolonialismus forderte. Während in ehemaligen britischen Kolonien viele Führer der Unabhängigkeitsbewegungen ihre Länder nach der Unabhängigkeit anführten, wie z.B. Kwame Nkrumah in Ghana, Jomo Kenyatta in Kenia, Milton Obote in Uganda und Kenneth Kaunda in Sambia, übergab Frankreich die Kontrolle an sein ehemaliges Kolonialpersonal und nannte das „Unabhängigkeit“. Diese ehemaligen Angestellten der Kolonialmacht wurden veranlasst, bilaterale Vereinbarungen mit Frankreich abzuschließen, die die obigen und andere Restriktionen beinhalteten.

Diese Arrangements und die Gewalt, um sie aufrecht zu erhalten, erregten 1999 öffentliche Aufmerksamkeit durch den Bestseller des französischen Aktivisten und Ökonomen François-Xavier Verschave La Françafrique, le plus long scandale de la République (Französisch Afrika, der längste Skandal der Republik). Die im Buch dokumentierten Verhältnisse sind außerhalb des Kreises französischsprachiger Aktivist*innen immer noch weitgehend unbekannt.

GWR: Gibt es externe Akteure, die den Kampf für Menschen- und Bürgerrechte im englischsprachigen Teil Kameruns oder die Bestrebungen für ein unabhängiges Ambazonia unterstützen? Wie verhalten sich z.B. das benachbarte Nigeria, die anglophonen Staaten Afrikas und die Staaten des Commonwealth, dem auch Kamerun angehört?

Seit den 1960er Jahren steht Nigeria infolge der französischen Beteiligung am Biafra-Krieg unter dem korrumpierenden Einfluss Frankreichs. Über Total, Peugeot und die Französisch-Nigerianische Handelskammer wurden nigerianische Politiker korrumpiert. Deshalb haben sie weggeschaut angesichts der Justizfarce im Nachbarland – während sie sich gleichzeitig beeilten, in der Elfenbeinküste, vier Länder weiter, zu intervenieren, wo Frankreich ihre Hilfe brauchte, um Gbagbo zu stürzen, der sich gegen Frankreich gewandt hatte. Aber das nigerianische Volk, darunter lokale und regionale Führungspersönlichkeiten, ist gegenüber ambazonischen Geflüchteten hilfsbereit, vor allem im Grenzgebiet, wo Angehörige derselben ethnischen Gruppen auf beiden Seiten der Grenze leben.

Das Wissen, dass es bis zum Ersten Weltkrieg ein deutsches Kolonialreich gab, ist in Deutschland schwach, weil die Dreifachkatastrophe von Zweitem Weltkrieg, Nazi-Diktatur und Shoah die Erinnerung dominiert und alles andere in den Schatten stellt. Das Gedenken an 100 Jahre Erster Weltkrieg im Jahr 2014 sowie die Debatte über den deutschen Völkermord an Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, aus dem später Namibia wurde, haben das ein wenig geändert. Doch selbst diejenigen, die wissen, dass auch Kamerun deutsche Kolonie war, kennen in der Regel keine Details.

GWR: Wie kann die deutsche Kolonialherrschaft in Kamerun charakterisiert werden? Gibt es herausragende Verbrechen?

Die deutsche Herrschaft war maßlos grausam. Auf die erste deutsche militärische Niederlage überhaupt in Afrika, die ihnen 1891 in Ambazonia durch Kuva, den „Mountain King“ zugefügt worden war, folgte ein Rache-Massaker an den Bakweri, der Ethnie Kuvas, das sie über Nacht zu einer Minderheit machte, so dass sie heute noch unter dem Bevölkerungsverlust leiden. Die Deutschen verfolgten im Norden Ambazonias eine ähnliche Politik wie die der „verbrannten Erde“, mit einem brutalen Kolonialkrieg gegen die Bafut, wobei sie die Stadt Mankon bis auf den Grund niederbrannten.

GWR: Wie wird die deutsche Kolonialherrschaft in Kamerun heute wahrgenommen? Ist sie sehr präsent oder in der Erinnerung durch die nachfolgende französisch-britische Periode überlagert?

Bevor ich diese Frage beantworte, muss ich klar stellen, dass der Ausdruck französisch-britische Periode irreführend ist, weil er impliziert, dass die französische Herrschaft zur selben Zeit wie die britische Herrschaft geendet habe. Aber das ist nicht wahr. Heute leidet das ambazonische Volk noch immer unter dem französischen Neokolonialismus. Wegen der Härte dieser Herrschaft ist die Erinnerung an die Schrecken des deutschen Kolonialismus hauptsächlich in historischen Büchern nachzulesen.

GWR: Wie ist das Verhältnis zum deutschen Staat infolge des Kolonialismus? Erhält Kamerun mehr Aufmerksamkeit von Deutschland im Vergleich zu Staaten, die keine deutschen Kolonien waren?

Deutschland widmet Kamerun keine besondere Aufmerksamkeit, vor dem Hintergrund, dass es eine ehemalige deutsche Kolonie ist. Die deutsche Kamerun-Politik, wie die gegenüber dem Rest Afrikas, beruht auf einem deutschen strategischen Interesse, und wenn es eine Vorgeschichte gibt, an die angeknüpft werden kann, wird sie genutzt.

Während der ersten drei Jahre des gegenwärtigen Kriegs hat Deutschland Militär und Polizei Kameruns ausgebildet. Das hatte nichts mit Deutschlands Kolonialgeschichte zu tun, sondern eher damit, dass Deutschland auf dem rohstoffreichen Kontinent strategisch Fuß fassen und die Migration aus Afrika von Europa fernhalten will, indem es die Grenzen der Festung Europa nach außen verschiebt. Deutschland führt ähnliche Trainingsmissionen in Mali, Niger, Djibouti, Somalia und anderen Ländern durch, vorgeblich im Rahmen von UN-Missionen, aber auch unter gelegentlicher Verletzung des UN-Mandats.

GWR: Deutschland ist zumindest in Westafrika ein enger militärischer Verbündeter Frankreichs, vor allem in Mali. Wie verhält sich Deutschland hinsichtlich des von Frankreich unterstützten Biya-Regimes?

Ein deutsches geheimes Militärprogramm zur Unterstützung des Regimes von Biya in Kamerun wurde 2019 in einer Bundestagsdebatte offen gelegt im Zusammenhang mit den endlosen massenhaften vom kamerunischen Militär begangenen Grausamkeiten und Massakern. Das Programm wurde dann beendet.

GWR: Unterstützt Deutschland nur die französische Machtpolitik in Afrika? Oder verfolgen der deutsche Staat und deutsche Konzerne eigene Interessen unabhängig von Frankreich oder auch gegen französische Interessen?

Deutschland verfolgt eindeutig sein eigenes strategisches Interesse. Frankreich ist, auch wenn es über die größte Zahl neokolonial-kontrollierter Republiken in Afrika verfügt, gegenwärtig bankrott. Während die militärische und diplomatische Maschinerie, die nötig ist, Frankreichs Kontrolle aufrecht zu erhalten, vom französischen Staat gestellt wird, sind die Profite aus diesen Kolonialexpeditionen größtenteils direkt in die Taschen der herrschenden Klasse geflossen.

Angesichts dieser Situation sind französische Politiker*innen dazu übergegangen, die französischen neokolonialen Territorien und die neokolonialen Regime dem höchstbietenden Käufer zu überlassen: wie z.B. das Öl Sudans chinesischen Unternehmen; Angolas Öl den Geschäftsleuten Gaydamak und Falcone, in dem was als Angolagate bekannt wurde; Djiboutis Land dem Militär von neun Ländern, darunter Deutschland, wodurch die größte globale Militärbasis der Welt entstand. Deutschland hat diese Gelegenheit genutzt, um ein breites Netzwerk von kleinen Kontingenten deutscher Truppen an elf strategisch wichtigen Punkten auf dem Kontinent zu schaffen, neun davon in französischen neokolonialen Republiken. Das erklärt, warum Deutschland nicht zögert, UN-Mandate zu verletzen, die es als Deckmantel nutzt, um nach Mali hineinzukommen und um sich daran zu beteiligen, lokale Aktivist*innen gegen den französischen Neokolonialismus auszuspionieren und anzugreifen.

Wie bei der Berliner Konferenz von 1884, bei der europäische Länder zusammenarbeiteten, um Afrika auszuplündern, während sie gleichzeitig ihre jeweiligen Interessen verfolgten, kollaboriert Deutschland wieder mit Frankreich, dem es gelungen ist, seine koloniale Infrastruktur auf dem Kontinent ins 21. Jahrhundert zu retten, um die schamlose Ausbeutung Afrikas fortzusetzen.

GWR: Die Covid-19-Pandemie wird in vielen Ländern für die Verstärkung staatlicher Repression genutzt? Wie wirkt sich das auf die Situation in Ambazonia aus?

Das Regime hat COVID-19 zur Waffe gemacht. Es hat wiederholt den Humanitären Flugdienst der Vereinten Nationen davon abgehalten, Gesundheitspersonal und angesichts von COVID-19 wichtige medizinische Vorräte zu den Menschen in Ambazonia zu transportieren, die sehr hart von Kameruns Auslöschungskrieg seit 2016 getroffen wurden.

Es hat sich auch geweigert, etwas gegen die extreme Überfüllung der Gefängnisse und Internierungslager zu unternehmen, wo es etwa 3000 der ambazonischen politischen Gefangenen festhält, was, wie Reuters am 9. Juli 2020 notierte, darauf hinausläuft COVID-19 als einen einfachen Weg zu nutzen, um politische Gefangene zu eliminieren, ohne internationale Empörung hervorzurufen.

Ein Schreckensschrei angesichts dieser Lage ist die kürzlich von 138 unserer inhaftierten Genoss*innen unterschriebene Petition, in der sie greifbare Schritte in Richtung Gerechtigkeit fordern, da sie sich angesichts der Unfähigkeit der kamerunischen Regierung, mit der COVID-19-Pandemie umzugehen, mit der Möglichkeit der de-facto-Massenhinrichtung konfrontiert sehen.

Sie fordern eine Menschenrechts-Untersuchungskommission des UN-Sicherheitsrats für die Konfliktregion. APOCSNET hat organisiert, dass ein Brief zur Unterstützung dieser Forderung der politischen Gefangenen unterzeichnet werden kann. Die hier verlinkte Kampagne richtet sich direkt an politische Entscheidungsträger*innen in drei Kontinenten, einschließlich Deutschlands und der EU. (1)

Wir bitten die Leser*innen dringend, diese Gelegenheit zu nutzen, um mit einer kleinen Aktion Jahrhunderten der hier beschriebenen Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken.

Vielen Dank für die Fragen und die Gelegenheit, Eure Leser*innen anzusprechen.

Interview und Übersetzung:

Gernot Lennert

 

Das Interview wurde im Juli 2020 per E-Mail geführt. Aus Platzgründen kann hier nur eine gekürzte Version abgedruckt werden. Das Interview in voller Länge und mit den für die Druckausgabe weggelassenen Anmerkungen wird in Deutsch und Englisch veröffentlicht auf graswurzel.net und www.dfg-vk-hessen.de

Weitere Infos über APOCSNET: https://ambazoniapocs.net