Kurbelkiste

Uns gehört die Zukunft

Neu im Kino: FUTUR DREI

| Juliane Kling

Foto: Edition Salzgeber

In seinem ersten abendfüllenden Spielfilm erzählt Faraz Shariat von Liebe, Selbstermächtigung und der Frage nach der eigenen Identität. Und setzt mit FUTUR DREI ein entschlossenes Statement für ein neues deutsches Kino, das kraftvoll und authentisch die Lebenswelt jugendlicher Zuwanderer*innen repräsentiert.

Ein blondierter Teenager streift durch die Hildesheimer Clubszene, vertreibt sich die Kleinstadtödnis mit Beats, Drinks und Sex. Er ist stolz und frei und offensiv. Seine iranischen Wurzeln bekommt er trotzdem regelmäßig zu spüren. „Woher kommst du eigentlich?“, lautet nicht von ungefähr der erste deutsche Satz im Regiedebüt von Faraz Shariat, das am 24. September in den Kinos startet. Fernab von konventionellen Erzählmustern entwickeln Shariat und sein Team darin eine empathische Filmsprache für die Migrationserfahrungen junger Erwachsener.

Als Sohn iranischer Eltern wächst Parvis (Benjamin Radjaipour) in einer schicken Neubausiedlung in Niedersachsen auf. Mutter und Vater sind vor Jahren nach Deutschland gekommen und haben hart für die Zukunft ihrer Kinder gearbeitet. Parvis genießt viele Privilegien und steht offen zu seiner Sexualität. Nach einem Ladendiebstahl muss er Sozialstunden in einem Wohnheim für Geflüchtete leisten. Dort lernt er das Geschwisterpaar Banafshe (Banafshe Hourmazdi) und Amon (Eidin Jalali) kennen, das aus dem Iran geflohen ist und auf seine Aufenthaltserlaubnis wartet. Die drei Jugendlichen freunden sich an und Parvis und Amon verlieben sich. Zu dritt treiben sie durch einen rauschhaften Sommer, der ihnen jedoch zunehmend ihre unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten bewusst macht.

Poetisch und ehrlich zeichnet Faraz Shariat das stark autobiografische Portrait einer Jugend zwischen Sehnsucht, Ungewissheit und Erwachsenwerden. Immer wieder durchbricht er dabei die Grenze zum Dokumentarischen, zeigt Homevideos aus seiner Kindheit und setzt seine Eltern für die Rollen von Parvis Mutter und Vater ein. Auch ästhetisch orientiert sich die Kamera einfühlsam an der Zerrissenheit der Protagonist*innen, spielt mit Farben, Überblendungen, Licht und Perspektiven. Die formale Nähe zu den Figuren schafft eine ungemeine Intimität, die weit über die Leinwand hinaus nachwirkt. Nichts wird behauptet, alles wird erlebt. FUTUR DREI ist nicht einfach ein Film über migrantische Millenials. Das Drehbuch ist ein Gemeinschaftsprojekt, in dem Faraz Shariat und sein Kollektiv Jünglinge ihre eigene Geschichte verarbeiten. Ein Teil von ihnen selbst steckt in Parvis, Amon und Banafshe, sie beobachten sie nicht von außen, sondern erzählen ihre Welt von innen heraus. Den Teddy Award als Bester Spielfilm auf der Berlinale 2020 haben sie deshalb völlig zu Recht erhalten.

Als sie einmal im Morgengrauen auf einem Parkhausdach liegen, sagt Parvis zu Amon und Banafshe, dass er aufgehört habe, sich Iraner zu nennen: „Ich glaube, ich bin viele Dinge.“ Genauso verhält es sich mit dem Film. FUTUR DREI handelt von der Zukunft einer Generation, die ihren Platz in Deutschland noch nicht gefunden hat. Von der Zukunft einer Gesellschaft, die Diversität endlich als Norm betrachtet. Und von der Zukunft eines Kinos, das queer, politisch und widerständig ist. Futur mal drei.

FUTUR DREI, Deutschland 2020, Regie: Faraz Shariat, mit Benjamin Radjaipour, Banafshe Hourmazdi, Eidin Jalali, 92 Min,  FSK: 16, Verleih: Edition Salzgeber

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.