Nils Jansen war von 2015 bis 2018 Geschäftsführender ver.di-Bezirksjugendvorstand NRW-Süd. Er ist einer der 2017 bei den Hamburger G20-Protesten am Rondenbarg Verhafteten, aber jetzt noch nicht Angeklagten. Mit ihm sprach für die Graswurzelrevolution Gaston Kirsche. (GWR-Red.)
GWR: Warum werden zuerst die jüngsten Angeklagten vor Gericht gestellt?
Nils Jansen: Offiziell, weil Verfahren gegen Jugendliche schneller bearbeitet werden müssen – nach über drei Jahren Verfahren ist das eine ziemlich dreiste Behauptung. In Wahrheit will die Staatsanwaltschaft, dass dieser Skandalprozess im Hinterzimmer abläuft. Durch den juristischen Trick, zuerst nur gegen Jugendliche zu verhandeln, kann die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen werden. Der Ausschluss der Öffentlichkeit geschieht offiziell zum Schutz der Angeklagten – genau diese wünschen sich aber explizit einen öffentlichen Prozess mit politischer Beobachtung.
Wie aufwendig ist die Prozessteilnahme?
Gerade für die zuerst angeklagten Kolleg*innen im Jugendprozess ist das eine enorme Belastung: Man erwartet von ihnen, trotz Schule, Ausbildung und Job monatelang jede Woche nach Hamburg und zurück zu fahren – zu einem Prozess, der dann auch noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Und das zum Höhepunkt einer ernsten Pandemie!
Warum finden die Prozesse nicht an den Wohnorten der Angeklagten statt?
Das wurde vom Gericht abgelehnt, mit der Begründung, dass es bei so vielen Zeugen enorm aufwändig sei, wenn diese durch die ganze Republik fahren müssten. Sicher erhoffen sich Polizei und Justiz durch solche Maßnahmen auch ein Einknicken der jungen Mitstreiter*innen vor Gericht. Was hier passiert, ist präventive Bestrafung und Maßregelung, ganz ohne dass je ein Urteil gesprochen wurde. Die Angeklagten sollen durch die ständigen Prozessfahrten und den Eingriff in ihre Ausbildung, ihr Abitur und ihr Studium eingeschüchtert werden. Nicht mit uns!
Das ist ein Testballon für die Zukunft und ein Angriff auf gemeinschaftliches Demonstrieren und gemeinschaftlichen Widerstand überhaupt. Sollte es wirklich zu einer Verurteilung nur wegen Teilnahme an einer Demo kommen, wie sich das die Staatsanwaltschaft wünscht, wird sich das gesamte Demonstrationsgeschehen in Deutschland nachhaltig verändern
Wie ist die Polizei bei G20 mit Euch umgegangen?
Wir wollten gemeinsam an den angekündigten Blockaden gegen Trump, Erdoğan und Co. teilnehmen, doch dazu kam es nicht. Nach nur 20 Minuten stoppte die Polizei unseren Demonstrationszug, dann ging alles blitzschnell. Von zwei Seiten wurden wir von dutzenden Polizisten und zwei Wasserwerfern angegriffen und unsere Demo regelrecht zerschlagen. Mindestens 14 Demonstrant*innen schwer verletzt, die ursprüngliche Darstellung der Ereignisse durch die Polizei war schnell durch ihre eigenen Videos widerlegt: Kein Beamter kam zu Schaden, die beiden beteiligten Polizeieinheiten dagegen sind für ihre Brutalität gegen links deutschlandweit berüchtigt: Die Spezialeinheit USK aus Bayern und die BFE Blumberg aus Brandenburg.
Wir wurden dann alle in eine so genannte Gefangenensammelstelle gebracht, die Zustände dort waren entwürdigend: Wir wurden in einen fensterlosen Container mit nichts als einer Holzbank und glatten weißen Wänden gesperrt. Wir alle mussten uns vor der Polizei nackt ausziehen, Frauen wurden besonders von der Polizei erniedrigt: Eine junge Kollegin wurde gezwungen, unter den Augen der Beamten ihren Tampon herauszunehmen, und bekam anschließend keinen neuen. Fast alle kamen nach über 35 Stunden in der Gefangenensammelstelle sogar noch in die JVA. Viele Teilnehmer*innen der Demo haben das Ereignis und die folgende Freiheitsberaubung von bis zu fünf Monaten noch nicht verarbeitet.
Wollt Ihr das Vorgehen der Polizei in der Gefangenensammelstelle in den Prozessen ansprechen?
Das Vorgehen der Polizei wird sicher einen wichtigen Teil der Prozesse ausmachen, es tut sich aber auch jetzt schon was: Direkt nach dem Gipfel sind wir rechtlich gegen die Grundrechtsverletzungen durch die Polizei vorgegangen. Jetzt gibt es die erste offizielle Bestätigung: Zumindest ein Teil der Freiheitsentziehung durch die Polizei und verschiedene Erniedrigungen wie das nackt ausziehen vor den Beamten waren rechtswidrig. Dafür bekommen jetzt erste Kolleginnen und Kollegen von der Polizei Schadensersatz. Das ist zumindest ein erster kleiner Teilerfolg.
Wie erfahrt ihr die Solidarität?
In- und außerhalb der Gewerkschaft haben wir aus der ganzen Bundesrepublik und darüber hinaus Solidarität zugesichert bekommen. Ende November gingen bundesweit hunderte Menschen am Aktionstag Gemeinschaftlicher Widerstand auf die Straße, dutzende kamen in Solidarität zum ersten Prozesstag am 3. Dezember. Das ist ein wichtiges Zeichen an den zuerst angeklagten jungen Demonstrant*innen: Ihr könnt wissen, ihr seid nicht allein!
Immer mehr Menschen wird auch die politische Bedeutung dieses Prozesses klar: Das ist ein Testballon für die Zukunft und ein Angriff auf gemeinschaftliches Demonstrieren und gemeinschaftlichen Widerstand überhaupt. Sollte es wirklich zu einer Verurteilung nur wegen Teilnahme an einer Demo kommen, wie sich das die Staatsanwaltschaft wünscht, wird sich das gesamte Demonstrationsgeschehen in Deutschland nachhaltig verändern: Wenn jeder Demonstrant Angst haben muss, etwa im Falle eines Handgemenges hinter Gittern zu landen – und zwar auch, wenn es von der Polizei ausging – werden sich viele von der Teilnahme an Kundgebungen, Demos oder Streiks abschrecken lassen. Das wäre ein gefährlicher Dammbruch und muss unbedingt verhindert werden. Lasst uns jetzt gemeinsam handeln, um das Versammlungsrecht zu schützen!
Vielen Dank, Nils!
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.