freunde und helfer

Weg mit dem § 114!

Unabhängige Untersuchungsinstanz für Polizeigewalt durchsetzen

| Ralf Dreis / Michael Wilk

Besser nicht berühren - Illustration: Dirk Sandbaumhüter

Am Montag, den 7. September 2020 fand die Verhandlung gegen den Graswurzelrevolution-Autor Dr. Michael Wilk (AKU-Wiesbaden) wegen angeblicher Widerstandshandlungen im Anschluss an eine Demonstration am 23. März 2019 nach §114 StGB vor dem Amtsgericht Frankfurt statt. Ein erster Prozess wegen Beleidigung in diesem Zusammenhang, hatte am 13. Januar 2020 gegen GWR-Autor Ralf Dreis (FAU) unter großer Anteilnahme solidarischer Menschen mit der Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage von 600 Euro geendet. Das Geld ging an ein Frauenhaus, das sich um unbegleitete Flüchtlingsmädchen kümmert. Die Graswurzelrevolution solidarisiert sich mit ihren Autoren. (GWR-Red.)

Am 23. März 2019 hatte in Frankfurt die Demo: „Solidarität! Gegen den Rechtsruck in Staat und Gesellschaft!“ stattgefunden. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis linker Gruppierungen. Tausende demonstrierten an diesem Tag gegen die Rechtsentwicklung in der Gesellschaft, aber vor allem für die Aufklärung des Frankfurter Polizeiskandals und rechter Netzwerke in staatlichen Institutionen. Anlass waren wiederholte Drohschreiben gegen die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, die mit „NSU 2.0“ unterschrieben waren. Başay-Yıldız hatte im Prozess gegen den rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) Opfer vertreten. In den Drohschreiben wurde ihre zweijährige Tochter mit dem Tode bedroht. Bei den Ermittlungen wurde aufgedeckt, dass ihre Daten von einem Computer im 1. Polizeirevier Frankfurt stammten. Außerdem wurde eine rechtsextreme Chatgruppe in der Frankfurter Polizei aufgedeckt. Mehrere Beamte wurden vom Dienst suspendiert, gegen mittlerweile 60 hessische Gesetzeshüter wird bzw. wurde wegen des Verdachts auf rechtsextremistische Umtriebe ermittelt.

Unangemessenes Polizeiaufgebot

Die von mehreren tausend Menschen besuchte Demo: „Solidarität! Gegen den Rechtsruck in Staat und Gesellschaft!“ im März 2019, wurde von einem empörend großen Polizeiaufgebot begleitet. Große Teile der Demonstration waren ständig, zum Teil dreireihig, eingekesselt. Mindestens vier Wasserwerfer ergänzten die Drohkulisse. Darüber hinaus wurde die Demonstration ununterbrochen gefilmt. Dieses Abfilmen ganzer Demonstrationen war in der Vergangenheit mehrfach von Gerichten als illegal eingestuft worden, was von der Polizei ignoriert wurde. Trotz dieser Widrigkeiten ging die Demo nach mehreren Stunden ruhig zu Ende.
Im Anschluss an die Demonstration kam es zu Festnahmen, zum Zweck der Personalienfeststellung einzelner Personen. Als kurz nach 17 Uhr müde und erschöpfte Demonstrant*innen auf ihre S-Bahn nach Wiesbaden warteten, wurde eine dieser Festnahmen in der U-Bahnstation Hauptwache direkt neben den Gleisen durch eine Baden-Württembergische BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) durchgeführt. Dies mit dem Ziel, wie sich später herausstellen sollte, einem anderen Demoteilnehmer, eine kurzfristige Vermummung nachweisen zu können. Bei einfahrender S-Bahn und ca. 200 Menschen auf dem Bahnsteig ein unverantwortlicher Einsatz. Die extrem ruppige Festnahme, bei der Menschen von Beamten vor die Brust und gegen den Kopf gestoßen wurde, löste lauten Protest und Beschimpfungen aus. Die Gruppe Wiesbadener folgte dem Festgenommenen und den Beamten die Treppe hinauf, wo sie erneut von Polizeibeamt*innen umringt wurden, die anschließend Durchsuchungen vornahmen und Personalien feststellten.

Eine Erfahrung, die bundesweit schon hunderte um nicht zu sagen tausende linke Demonstrant*innen gemacht haben. Gewalttätige Polizeibeamte genießen Straffreiheit, Demonstrant*innen, die sich gegen diese Einsätze wehren, werden verurteilt. Mit dem neuen § 114 als Freifahrtschein für die Polizei wird diese skandalöse Praxis weiter eskalieren.

Folgen von §114

In der Folge erhielt Ralf Dreis eine Anklage wg. Beleidigung; Michael Wilk wurde von vier Polizeibeamten beschuldigt, einen der ihren mit beiden Händen kräftig gegen die Brust und die Treppe hinauf gestoßen zu haben. Der Polizist sei dadurch ins Stolpern gekommen, verletzt wurde niemand. Michael Wilk bestritt nicht nur den Vorwurf, sondern sieht die Beschuldigung im Zusammenhang mit dem von ihm schon vor Ort gegenüber den Beamten kritisierten Einsatzgeschehen. Neben dem Einsatzablauf, „den es so nie hätte geben dürfen“, bezeichnete er das Verfahren gegen ihn – vor dem Hintergrund offensichtlich existierender rechter Netzwerke bei Polizei und Bundeswehr, den „Ermittlungspannen“ in Sachen NSU und NSU 2.0, der Flut von Drohbriefen und der zahlreichen Ermordeten – als ein Verfahren, dass geeignet sei, Kritik und Protest gegen diese Zustände einzuschüchtern, bzw. die berechtigte Kritik an den entsprechenden Strukturen in der Polizei zu relativieren. Zum Einsatz kam bei dem Verfahren der 2017 vom Gesetzgeber kreierte §114 (Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, StGB). Begründet wurde die Einführung, bzw. die Verschärfung der Gesetzeslage mit einer steigenden Anzahl von Gewalttaten gegen Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Mitglieder des Rettungsdienstes. Die Definition eines tätlichen Angriffs bei einer Diensthandlung kann ggf. breit interpretiert werden („Schubs-Paragraph“) und ist mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren bewehrt. Der zuvor bestehende und weiter gültige §113 (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) umfasst einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsentzug oder Geldstrafe. Beim im September 2020 stattgefundenen Gerichtsverfahren wiederholten die Beamten den Vorwurf. Zwei durch die Verteidigung ins Verfahren eingebrachte Filmaufnahmen (die eines Handys und einer Kamera), zeigten jedoch einen anderen Ablauf der Geschehnisse, die Behauptungen der Beamten konnten nicht ansatzweise aufrecht erhalten werden. Auch die Staatsanwaltschaft war gezwungen dies einräumen, zeigte sich jedoch flexibel und kreativ im Bemühen die Anklage zu retten. Eine im Filmverlauf später sichtbare Abwehrbewegung gegen die Hand eines Beamten, von der Dauer eines Bruchteils einer Sekunde und ohne jede Beeinträchtigung des Polizisten, diente nun zur Begründung des §114. Das Verfahren wurde zuerst vertagt, zwei Wochen später erfolgte ein Angebot der Einstellung gegen die Zahlung von 10.000 Euro, zahlbar an eine gemeinnützige Organisation. Eine Option, die nach langer Überlegung und auf Anraten der Verteidigung, gewählt wurde. Das Geld ging an medico international e. V. für Projekte in Rojava.

Zweierlei Maß

Wie schon im Prozess gegen Ralf Dreis deutlich wurde, zeigte sich auch im Verfahren gegen Michael Wilk, dass die in den Strafbefehlen gemachten Zeugenaussagen der beteiligten Polizeibeamten, zu großen Teilen aus Auslassungen, Halbwahrheiten und Unwahrheiten bestanden und die Gewalt während der Verhaftungsaktion eindeutig von der Polizei ausging. Eine Erfahrung, die bundesweit schon hunderte um nicht zu sagen tausende linke Demonstrant*innen gemacht haben. Gewalttätige Polizeibeamte genießen Straffreiheit, Demonstrant*innen, die sich gegen diese Einsätze wehren, werden verurteilt. Mit dem neuen § 114 als Freifahrtschein für die Polizei wird diese skandalöse Praxis weiter eskalieren. Wenn schon die Einstellung eines haarsträubenden Verfahrens 10.000 Euro kostet – ganz egal wohin das Geld geht – ist das Ziel des Ganzen mehr als klar. Es geht um Einschüchterung, es geht um Kriminalisierung, es geht darum, dass es sich alle dreimal überlegen,ob sie auf die nächste Demo gehen. Die Tatsache, dass im November 2019 in Hannover vermummte Nazis unter Polizeischutz demonstrierten und die Polizeiführung nach Kritik öffentlich erklärte, dies sei keine Vermummung, die Nazis wollten nur nicht als solche erkannt werden, macht den Anlass des Einsatzes in Frankfurt im Nachhinein noch fragwürdiger.
Seit Jahrzehnten bedrohen, schlagen, mordbrennen und morden Nazis. Mehr als 210 durch Rechtsradikale in Deutschland ermordete Menschen seit 1990, machen das Ausmaß des faschistischen Terrors mehr als deutlich. Fast täglich gibt es bundesweit Meldungen zu rechten Chatgruppen und Strukturen bei Polizei, Bundeswehr und Sicherheitsbehörden. Beim 1. Polizeirevier in Frankfurt, als auch beim 3. und 4. Polizeirevier in Wiesbaden, wurden Daten ausgespäht, um Menschen, die sich bundesweit gegen rechte Strukturen engagieren, aufs Übelste zu bedrohen. Beispiel für den hochgefährlichen und unerträglichen Zusammenhang faschistischer Aktivität und Teilen der Institution Polizei. Die Öffentlichkeit und Medien sind zunehmend sensibilisiert gegenüber Berichten von Polizeigewalt, Racial Profiling, Missbrauch des staatlichen Gewaltmonopols und der illegalen Verwendung von persönlichen Daten im Zusammenhang der Drohbriefe von NSU 2.0. Deshalb: Widerstand ist weiter notwendig – Einschüchtern lassen ist keine Option. Bringen wir den § 114 gemeinsam zu Fall. Setzen wir endlich eine polizeiunabhängige Instanz zur Untersuchung von Polizeigewalt durch.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.