Sprachgebrauch im Exil

B. Traven und Hannah Arendt

| Rolf Raasch

In ihrem jeweiligen Umgang mit dem Problem der Sprache in der Fremde stehen die Migrantin Hannah Arendt und der Migrant B. Traven beispielhaft für unterschiedliche Konzepte des Exils und des Gebrauchs der „eigenen“ und „fremden“ Sprache.

Geflüchtete, die im Exil angekommen sind, leben in einer Art Durchgangsstadium. Wer im Exil lebt, will vielleicht irgendwann einmal wieder zurück. Der anarchistische Autor B. Traven ist schließlich in Mexiko geblieben. Aber hatte er von Anfang an vor, zu bleiben?
Zunächst konnte er als Aktivist der Münchener Räterepublik am ersten Mai 1919 gerade noch einem Erschießungskommando der Rechten entkommen. Es wurde nach ihm gefahndet und die Motivation, unterzutauchen und Deutschland – später Europa – zu verlassen, war somit akut gegeben. 1924 in Mexiko angekommen, wollte er dort zunächst abwarten, um zu sehen, wie sich die Lage in Deutschland politisch weiter entwickeln würde, um bei der nächsten Gelegenheit wieder zurück zu kehren? Er blieb aber und hatte mit seinen mexikanischen Themen als vorgeblicher Autor nordamerikanischer Herkunft großen Erfolg. Spätestens mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 erschien eine Rückkehr nach Deutschland auf unabsehbare Zeit obsolet. Er war sich über die dortige Lage für Menschen wie ihn im Klaren, besonders nach Besetzung seines Verlages – der Büchergilde Gutenberg – durch SA-Horden und den Bücherverbrennungen. Mit der Ausbreitung des Nazimachtbereichs im Zuge des Zweiten Weltkrieges brach ihm auch noch der deutschsprachige Markt nach und nach weg.

Die ebenso aus Deutschland stammende Philosophin Hannah Arendt hat mit ihrer Schrift „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1) eine Totalitarismuskritik vorgelegt, die in ihrer Vehemenz gegen rechten und linken Autoritarismus durchaus von Libertären geteilt werden kann. Sie war schon früh vielsprachig und lernte Griechisch, Latein und Französisch in der Schule. Englisch lernte sie erst, nachdem sie 1941 als Jüdin vor den Deutschen aus Frankreich in die USA flüchten musste. Sie blieb bis ans Lebensende in den Vereinigten Staaten. Für sie war Englisch die Sprache des Exils, die ihr bei ihrer Ankunft noch recht fremd war und die erst gelernt werden musste.

Viele ihrer Werke liegen auf Deutsch und Englisch vor. Sie wurden von ihr nicht übersetzt, sondern jeweils noch einmal neu geschrieben. Sprachen waren für sie kein pures Ausdrucksmittel sondern prägend für das Denken. Einen philosophischen Gedanken auszudrücken bzw. zu denken, fiel ihr leichter auf Deutsch als auf Englisch oder Französisch. Diese Sprachen – so meinte sie – eigneten sich besser, politisches Denken auszudrücken. Deshalb wollte sie als Philosophin die deutsche Sprache auch im Exil nicht aufgeben. Sie bewegte sich zwischen den Sprachen jahrelang hin und her: Politische Gedanken auf Englisch, philosophische auf Deutsch. Es gibt Beispiele, wie sie dieselben Tatbestände auf Deutsch doppelt so lang ausgedrückt hat, wie auf Englisch. In beiden Texten steht dasselbe und doch etwas Anderes. Der deutsche Text ist mit Anklängen deutscher Metaphorik aufgeladen, die Hannah Arendt immer im Hinterkopf hatte. Überhaupt zog sie in ihrer Arbeit internationale Literatur heran, und die entsprechenden Textpassagen wurden in den Originalsprachen in ihr englischsprachiges Werk eingearbeitet. In der Einsprachigkeit sah sie sogar eine Gefahr. Pluralität der Menschen ohne Vielfalt der Sprachen war ihr undenkbar. Nur so sei eine vielfältige Denkweise überhaupt möglich. Meisterhaft schrieb sie in beiden Sprachen, für sie war Einsprachigkeit die „künstlich gewaltsame Vereindeutigung des Vieldeutigen“, also dem zeitgemäßen Denken nicht angemessen. (2)

So eindeutig klar die Entscheidung Hannah Arendts, die deutsche Sprache auch im Exil in ihrer Arbeit und ihrem Werk weiter zu verwenden, so scheinbar unklar ist bei B. Traven die Wahl der Sprachen im Sinne einer Verschleierung und Vieldeutigkeit. Schon zu Beginn seines zweiten Lebensabschnittes 1907 (Identitätswechsel von Max Feige zu Ret Marut (3)) wollte er als Amerikaner gelten und hatte gegenüber deutschen Meldebehörden angegeben, Ret Marut zu heißen und als Sohn von William und Helene Marut, geborene Ottarent, 1882 in San Francisco geboren zu sein. Auch gab er im Frühjahr 1916 im Einwohnermeldeamt in München an, aus San Francisco zu stammen. (4) Seit 1924 in Mexiko, führte Ret Marut den Namen B. Traven und seine Notizen auf Englisch. „The Bavarian of Munich is dead“, schrieb er am 26. Juli 1924 in sein Tagebuch. (5) Er wollte als Amerikaner gelten, sprach fortan Englisch und lernte Spanisch (beides sprach er mit hartem deutschem Akzent). (6) Er versuchte zunächst auch, als englischsprachiger Schriftsteller in den USA zu reüssieren, bot dort Texte an, aber ohne Erfolg.

Hatte er schon frühzeitig eine gezielte Migration nach Mexiko geplant, noch bevor überhaupt eine äußerliche Notwendigkeit gegeben war? In der deutschsprachigen anarchosyndikalistischen Presse, in der auch Ret Maruts Zeitschrift „Der Ziegelbrenner“ annoncierte, erschienen seit 1912/13 Berichte über die mexikanische Revolution. Um 1919/20 steigerten sich diese zu immer faszinierenderen Geschichten (7). Zu nennen wären mehrere Artikel in „Der Freie Arbeiter“, z.B. 1913 in Nr. 32: „Die anarchistische Bewegung in Mexiko“, übernommen vom Blatt „Wohlstand für alle“ in Wien, oder 1920 „Die kommunistische Anarchie in Mexiko“ in „Erkenntnis und Befreiung“.

Laut Augustin Souchy, selbst Anarchist und politischer Migrant im mexikanischen Exil, sahen politische und soziale Emigranten im nachrevolutionären Mexiko „ein Freiheits- und Wohlstandsparadies“ (8). Mexiko öffnete sich in erster Linie für Migranten aus Spanien, nach der Niederlage der Republik 1939/40, und eher zögerlich für Linke, die wegen der restriktiven Asylpolitik der USA dorthin ausweichen mussten. Für deutschsprachige Migranten war Mexiko erst ab 1938 ein nennenswertes Exilland, im Gegensatz zu Brasilien, Argentinien und Chile, wo, neben vergleichsweise wenigen emigrierten Juden und Antifas, angestammte deutsche Minderheiten dominierten. Diese konnten leicht vom Nationalsozialismus indoktriniert werden, da sie traditionell nationalistisch orientiert waren. In Mexiko hingegen spielten, aufgrund der erst späten Einwanderungswelle, hauptsächlich deutsche und österreichische (einige Hundert (9)) Antifaschist*innen eine Rolle.

Selbst als Flüchtling des Republikanischen Spanien mit spanischer Staatsbürgerschaft gelangte Souchy ab 15.4.1942 nur unter schwierigsten Umständen nach Mexiko. (10) Er beabsichtigte, in Acapulco Kontakt zu Traven aufzunehmen: vergeblich. Ein Brief an ihn blieb unbeantwortet, obwohl Souchy ihn seinerzeit an seinen Verleger in Stockholm – Axel Holmström – vermittelt hatte. Ein Indiz für Souchy, dass Traven seine Anonymität und wahre Identität unbedingt wahren wollte. Souchy berichtete im Künstlercafé „Tupinamba“ einmal, als das Gespräch auf Traven kam, dass dieser in Deutschland mit Ret Marut identifiziert worden sei. Er berichtet dort auch, dass Traven als „Staatsgegner“ die Entgegennahme eines Ordens beim mexikanischen Präsidenten, als Anerkennung für seine Mexikobücher, verweigert habe. (11)

Traven hielt sich in Mexiko von den deutschsprachigen Migranten (Egon Erwin Kisch, Anna Seghers, Alexander Abusch, Bruno Frei, Ludwig Renn, Gustav Regler u.a.) und ihren Treffpunkten fern, erst recht, als sich mit der Gründung des „Heinrich-Heine-Clubs“ und des „Lateinamerikanischen Komitees der freien Deutschen“ (Anfang 1943) sowie des Verlags „El Libro Libre“ (Auflagen der deutschsprachigen Bücher immerhin 2.000 Expl.) die Dominanz der sowjetkommunistisch dominierten Gruppierungen in der Szene noch weiter verstärkte. Zugleich war sein Status als Migrant aufgrund seiner politischen Haltung gegenüber der mexikanischen Revolutions-Regierung, die ihn aufgenommen hatte, unsicher. Zu diesem Zeitpunkt kann wahrscheinlich nicht mehr – wie im frühen mexikanischen Werk – von einer Übereinstimmung Travens mit den politischen Zielen der selbst ernannten mexikanischen „Arbeiterregierungen“ ausgegangen werden. Die beiden letzten Bände seines Caoba-Zyklus („Die Rebellion der Gehenkten“ und „Ein General kommt aus dem Dschungel“) können auch als Kritik an den unerfüllten Versprechungen der mexikanischen Revolution gelesen werden. Traven war sich der Tatsache bewusst, dass seine Kritik für die Regierung auch ein Abschiebungsgrund als unerwünschter Ausländer sein könnte.

B. Traven war in dieser Zeit als Autor nicht mehr so produktiv wie früher. Warum seine literarische Kreativität um 1940 scheinbar nachließ, wurde von manchen Biografen so interpretiert, als habe der alte Anarchist aus Enttäuschung über die „institutionalisierte Revolution“ in Mexiko keinen Sinn mehr darin gesehen, weitere Bücher zu schreiben. Für einen Migranten wie Traven, der Schriftsteller war, spielte jedoch der fehlende Kontakt zur literarischen Sprache wahrscheinlich die entscheidende Rolle. Wie bei Hannah Arendt hieß Exil, dass er mehrere Sprachen können musste – in seinem Fall Deutsch als Mutter- und Literatursprache, Englisch für seine offizielle Identität als Amerikaner, Spanisch als Alltagssprache im Ziel- und Gastland. Ab 1940 schrieb Traven seine späteren Geschichten für den amerikanischen Markt auf Englisch. Manche wurden ins Deutsche übersetzt. „Aslan Norval“ (1960), sein letzter Roman, der auf Deutsch geschrieben wurde, galt nicht gerade als großer literarischer Wurf. Sein Deutsch verblasste inzwischen, sein Englisch und Spanisch wurden aber nie perfekt. Der Traven-Forscher Guthke bemerkt dazu, dass es sich um einen Autor handele, der „weniger in als zwischen zwei Sprachen schreibt“. (12) Es verwundert daher nicht, dass im Nachlass deutsch-englische und englisch-deutsche Wörterbücher gefunden wurden.

Freiwillig und geplant oder durch die Umstände erzwungen, für seine Psyche muss jeder seiner Identitätswechsel einen Stress bedeutet haben, der umso höher gewesen ist, je weniger die Freiwilligkeit gegeben war. Max Feige (siehe Anm. 1), alias Ret Marut, alias B. Traven, wie viel Selbstverleugnung und psychische Not war auszuhalten, neben dem „Spiel“ mit Identitäten? Ebenso damit verbunden der Stress in Bezug auf die Wechsel der Sprachen (und damit auch kultureller Kompetenzen). Anders als bei Hannah Arendt, die sich klar zu ihrer sprachlichen Identität bekannt und mit ihr gearbeitet hatte, wurde Traven unsicher und es fiel ihm immer schwerer, sprachlich korrekte Texte zu abzuliefern. Er war nicht mehr zu hause in der einen und nicht recht zu Hause in der anderen Sprache und „laufe sogar Gefahr, seinem eigenen Werk selbst fremd gegenüber zu stehen.“ (13)

Nach 1945 war es kein Thema mehr, zurückzukehren, weil er inzwischen als B. Traven in Mexiko persönlich etabliert und weltweit ein Bestsellerautor geworden war. Auch hatte er hier privat sein Glück gefunden. Er lebte mit seiner mexikanischen Frau Rosa Elena Luján und ihren beiden Töchtern im eigenen Haus in Mexiko-Stadt. B. Traven hatte seine Lebensgefährtin autorisiert, nach seinem Tod die Identität mit dem deutschsprachigen Ret Marut öffentlich zu machen.

(1) Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt am Main 1955.
(2) Hahn, Barbara: Die „eigene“ und andere Sprachen. In: Blume, Dorlis; Boll, Monika; Gross, Raphael: Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert, München 2020, S. 153.
(3) Es gibt einige Indizien dafür, dass Ret Marut als Herrmann Albert Otto Max Feige am 23. Februar 1882 in Schwiebus geboren wurde. Exakte Beweise, wie z.B. Geburtsurkunde oder Kirchenregister usw. konnten bisher nicht herangezogen werden.
(4) Recknagel, Rolf: B. Traven. Beiträge zur Biografie. Verlag Philipp Reclam jun,, Leipzig 1965, S. 29.
(5) Guthke, Karl S.: B. Traven. Biographie eines Rätsels. Frankfurt am Main 1987, S. 255.
(6) Ebenda.
(7) Recknagel, Rolf: B. Traven. Beiträge zur Biografie. Leipzig 1965, S. 125ff.
(8) Souchy, Augustin: „Vorsicht: Anarchist!“. Ein Leben für die Freiheit. Kap: Auf Travens Spuren, S. 157.
(9) Pohle, Fritz: Das deutschsprachige Exil in Mexiko In: Hielscher, Martin (Hrsg.): Fluchtort Mexiko. Ein Asylland für die Literatur, Hamburg – Zürich 1992, S. 31ff.
(10) Souchy, Augustin: „Vorsicht: Anarchist!“. Ein Leben für die Freiheit. Luchterhand, Darmstadt und Neuwied 1978, Kap: Auf Travens Spuren, S. 130ff.
(11) Ebenda, S. 157.
(12) Guthke, Karl S.: Die Erfindung der Welt. Globalität und Grenzen in der Kulturgeschichte der Literatur. Narr Francke Attempo Verlag, Tübingen 2005, S. 493.
(13) Ebenda.

Literatur:
Baumann, Michael L.: B. Traven. Una Introducción (Übersetzung aus dem Englischen ins Spanische von Juan José Utrilla). Mexiko D.F. 1978 (Einführung B. Traven, Albuquerque, N.M. USA 1976). Kap. IV. La Cuestión Idiomatica, S. 154-169.
Blume, Doris; Boll, Monika; Gross, Raphael (Hrsg.): Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert. Piper Verlag, München 2020. Kap.: Hahn, Barbara: Die „eigene“ und andere Sprachen, S. 147-154.
Guthke, Karl S.: B. Traven. Biographie eines Rätsels. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1987.
Guthke, Karl S.: Die Erfindung der Welt. Globalität und Grenzen in der Kulturgeschichte der Literatur. Tübingen 2005. Kap. 15.: B. Traven „in einem fernen Land“, S. 461-484 und Kap. 16.: Im Niemandsland der Sprachen, S. 485-515.
Hielscher, Martin (Hrsg.): Fluchtort Mexiko. Hamburg – Zürich 1992. Darin: Guthke, Karl S., B. Traven. Ein literarisches Geheimnis, S. 16-28.
Raasch, Rolf: B. Traven und Mexiko. Ein Anarchist im Land des Frühlings – eine politisch-literarische Reise. Berlin 2006.
Recknagel, Rolf: B. Traven. Beiträge zur Biografie. Leipzig 1965.
Schmidt-Welle, Friedhelm: Mexiko als Metapher. Kap. 10.1 B. Traven: Von der anarchistischen Utopie zur Kritik der der mexikanischen Revolution, S. 169-176.
Souchy, Augustin: „Vorsicht: Anarchist!“. Ein Leben für die Freiheit. Kap: Auf Travens Spuren, S. 156-158.
Zeilinger, Johannes: Ein träumender Leichnam. B. Traven im Dschungel der Psychopathie. Berlin 2011.