Untragbares Gerichtsurteil

Willkürliche Verurteilung zweier Geflüchteter für den Brand im Lager Moria auf Lesvos

| You can’t evict Solidarity

Lesvos. Am 9. März 2021 wurden zwei minderjährige Personen auf der Insel Lesvos wegen „Brandstiftung mit Gefährdung von Menschenleben“ schuldig gesprochen und zu 5 Jahren Haft verurteilt. Sie gehören zu einer Gruppe von sechs Personen, die nach den Ereignissen vom 8. September 2020, als das Lager Moria bis auf die Grundmauern niederbrannte, festgenommen und angeklagt wurden.

Der Gerichtsprozess war von Unregelmäßigkeiten durchzogen und hat zentrale rechtsstaatliche Prinzipien der Fairness und Unschuldsvermutung verletzt. Bereits vor Beginn des Verfahrens war klar, dass die beiden Angeklagten schuldig gesprochen werden würden. Für die griechische Regierung müssen sie als Sündenbock für den Brand des Lagers herhalten. Die Verantwortung der EU und des griechischen Staats für die katastrophalen Zustände in den europäischen Hotspot Lagern, die durch den Brand erneut international mediale Sichtbarkeit bekamen, wurde nicht verhandelt. Zahlreiche weitere Fälle haben gezeigt, dass der griechische Staat die Gelegenheit nutzt, Geflüchtete, die für Proteste verantwortlich gemacht werden, zu kriminalisieren und ohne Beweise zu langen Haftstrafen zu verurteilen. So wurden bereits im Sommer 2017 die Moria 35 nach großen Protesten im Lager Moria willkürlich auf der Grundlage von Racial Profiling verhaftet und neun Monate später vor dem Obersten Gericht von Chios verurteilt.

Im aktuellen Fall der sogenannten Moria 6 wurden die beiden jungen Männer, die als Asylsuchende aus Afghanistan nach Lesvos gekommen und zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung vergangenen Jahres 17 Jahre alt waren, sechs Monate in Untersuchungshaft festgehalten. Während des Prozesses wurden Unterstützer*innen und Freund*innen der Angeklagten vor dem Gerichtsgebäude von der Polizei abgewiesen, mit Strafen belegt und mit weiterer Repression bedroht. Zugelassen wurden nur zwei Zeug*innen der Verteidigung, für die Anklage sagten 17 Zeug*innen aus, konnten jedoch keine stichhaltigen Beweise gegen die Angeklagten vorlegen. Lediglich zwei Polizeibeamte behaupteten, die Angeklagten anhand eines Videos identifiziert zu haben, das zwei Personen mit ähnlicher Kleidung von hinten zeigt, widersprachen sich jedoch in ihren Aussagen. Trotz Abwesenheit des Hauptzeugens – des Sprechers der afghanischen Community – dessen Aussage zur Verhaftung der zwei Angeklagten geführt hatte, wurde seine schriftliche Aussage als glaubwürdig erachtet. Am Ende wurden die beiden Angeklagten wegen „Brandstiftung mit Gefährdung von Menschenleben“ schuldig gesprochen und zu 5 Jahren Haft verurteilt, von denen sie zweieinhalb Jahre absitzen müssen. Freigesprochen wurden sie vom Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ – der gemeinsam mit dem Brandstiftungs-Vorwurf eine Strafe von 15 Jahren hätte bedeuten können. Ihre Anwält*innen des Legal Centre Lesvos werden gegen das Urteil Berufung einlegen. Der Gerichtsprozess von vier weiteren Personen, die wegen Brandstiftung in Moria angeklagt sind, wird am 11. Juni 2021 stattfinden.

Die Solidaritäts-Kampagne You can’t evict Solidarity und das Legal Center Lesvos unterstützen die Angeklagten und beobachten die Prozesse solidarisch. Unter cantevictsolidarity.noblogs.org werden Updates zu den Prozessen veröffentlicht, zusätzlich wird dringend um Spenden gebeten.

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