Vom Kult der Gewalt zur Kultur des Friedens

Ein Gespräch mit der Frauenfriedensarbeiterin Ellen Diederich

| Ellen Dietrich, Bernd Drücke

Ellen Diederich (geb. 1944) ist seit den 1960ern aktiv in der Frauen- und Friedensbewegung. Zusammen mit ihrer langjährigen Lebensgefährtin, der afrodeutschen Liedermacherin Fasia Jansen (1929-1997), bereiste die Antimilitaristin mit zwei Friedensbussen viele Länder und setzte sich für Frieden, Gewaltfreiheit und Emanzipation ein. Zusammen mit Fasia hat sie das Internationale Frauen-Friedensarchiv Fasia Jansen (IFFA) aufgebaut, in dem Publikationen und audiovisuelle Dokumente zu Frauen, Militär und antimilitaristischen Aktionen von Frauen gesammelt sind. 2021 wurde ein Teil des IFFA dem Archiv für alternatives Schrifttum (afas) in Duisburg angegliedert. (1) Mit der Zeitzeugin sprach der afas-Archivar Bernd Drücke für Radio Graswurzelrevolution. (2) Wir drucken Auszüge des Interviews in zwei Teilen ab. Die Fortsetzung erscheint voraussichtlich im Dezember in der Graswurzelrevolution Nr. 464. (GWR-Red.)

GWR: Ellen, du hast eine unglaublich spannende Lebensgeschichte. Ich will deshalb heute gar nicht so viele Fragen stellen, sondern dich bitten, einfach zu erzählen. Du hast viel erlebt und politische Arbeit geleistet. Erzähl bitte mal, wie alles anfing. Wie hast du dein Leben gelebt? Wie hast du dich politisiert?

Ellen Diederich: Ich wurde 1944 in Dortmund geboren, das war das Jahr, in dem das Ruhrgebiet besonders schwer zerbombt worden ist. Das hat mich sehr geprägt, auch wenn ich noch ein Baby war. Meine Mutter hat mir sehr viel berichtet über die Nächte und ihre Schwangerschaft. Die Nächte meines ersten Lebensjahres verbrachten wir in Bunkern. Ich habe mich sehr früh mit der Kriegssituation beschäftigt. Meine Mutter hat mit einer Kindergruppe ein Theaterstück gegen den Krieg gemacht. Ich war vier Jahre alt, und sie erzählte mir davon. Den Text konnte ich auswendig und habe das in der Küche nachgespielt. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Mein Vater und die männlichen Vorfahren waren Bergarbeiter. Mein Vater war im Widerstand gegen Hitler. Er musste nicht Soldat werden, weil er eine Beinverletzung hatte.
Wir zogen in eine ausgebombte Schule, die meine Eltern wieder aufgebaut haben. Zunächst war es ein Haus, in dem sich Menschen aus verschiedenen Ländern trafen und versuchten, die Feindbilder abzubauen. Als ich sechs Jahre alt war, wurde es ein Haus für junge Männer, die im Krieg und danach straffällig geworden waren, die das Elternhaus verloren hatten. Die sind dann, wenn sie aus dem Knast kamen, zu uns gekommen. Wir waren immer so 30, 40 Menschen zu Hause. Meine Eltern haben sich gekümmert um diese jungen Männer, meine Mutter hat gekocht für alle, mein Vater war sehr engagiert. Das Haus gehörte den Falken [Sozialistische Jugend Deutschlands – Anm. Red.]. Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher kam noch zur Eröffnung. Früh ist mein Vater mit der Arbeiterwohlfahrt in Verbindung gekommen, das heißt, es waren Hilfsaktionen, die von uns ausgegangen sind. Ich bin in diese politische Situation hineingewachsen. Wir waren nie so eine Kleinfamilie, es war immer etwas los, also die Schicksale dieser jungen Männer, die dann in der Stadt eine Ausbildung gemacht und bei uns gewohnt haben.
Ich bin früh bei den Falken aktiv gewesen, meine Eltern haben da Sommerzeltlager gemacht. Ich habe die mitgemacht und fand das spannend, also ein Zeltlager, das organisiert war wie ein Dorf mit Bürgermeister, mit Abgeordneten usw. Das fand ich interessant, bis zum ersten Ostermarsch. Früh wurden mir die Gefahren der atomaren Bedrohung bewusst. Ich las über die Erfahrungen der Opfer von Hiroshima und Nagasaki. Von den Gefahren der oberirdischen Atombombenversuche. Als ich 15 Jahre alt war, habe ich am ersten Ostermarsch im Ruhrgebiet teilgenommen. Wir gingen von Duisburg nach Dortmund. In dem Jahr sind die Falken noch mitgegangen, aber ein Jahr später wurden wir ausgeschlossen bei den Falken, weil wir an den Vorbereitungen der Ostermärsche teilgenommen haben. Viele junge Leute sind damals ausgeschlossen worden. Für mich war das vollkommen unverständlich. Mein Idol war Bertrand Russell. Mich hat beeindruckt, wie der etwa 80-Jährige sich wegtragen ließ bei einem der ersten Ostermärsche in England.
Ich konnte nicht verstehen, warum wir nicht mehr mitmachen sollten. Die SPD war umgeschwenkt und wollte sich nun doch an der NATO beteiligen. Das hatte zur Folge, dass diejenigen, die gegen diesen Kurs waren, ausgeschlossen wurden. Ich bin auch ausgeschlossen worden.
Zu dieser Zeit machte ich eine Lehre in einem Rechtsanwaltsbüro. Ich war gescheitert am Gymnasium, aber die Volkshochschule (VHS) wurde meine neue Ausbildungsstätte. Die VHS in Dortmund war sehr gut, es waren viele politische Veranstaltungen da, die hatten ein tolles Kinoprogramm. Für 50 Pfennig konnte man die besten Filme der Welt sehen. Es war eine runde Sache. Ich lernte andere Sprachen, Englisch, Schwedisch und Französisch.
In der Zeit kam dann aus einem der Zimmer in der VHS eine wunderbare Musik. Ich kannte diese Lieder nicht, aber fand sie faszinierend. Aus diesem Raum kamen einige junge Männer raus, und ich fragte: „Wer seid ihr denn?“ Sie sagten: „Wir sind die Jungenschaft vom 1. November 1929, die dj.1.11“, also die einzige Gruppe der Bündischen Jugend, die sich während des Faschismus mit den Linken zusammengetan hatte. Ich fand das faszinierend, fand die Lieder toll, und ich fragte, ob ich mal gucken könnte, was sie so machen. Aber bis dahin hatten die keine Mädchen aufgenommen. Großzügigerweise haben sie das gestattet, und von da an bin ich in eine sehr interessante Welt gekommen. Wir waren jedes Wochenende unterwegs, hatten bemalte Zelte wie die Samen in Schweden, Finnland und Norwegen. Wir sind durch halb Europa getrampt, haben Lieder aus der ganzen Welt gesammelt, sind zusammen zum Ostermarsch gegangen. Es war eine ungewöhnliche Art und Weise, so die Freizeit zu verbringen. Wir haben Theater gespielt, Stücke von Bertolt Brecht nachgespielt. Das war ein wichtiger Schritt in meiner Entwicklung.

Dein Leben ist stark verknüpft mit dem Leben von Fasia Jansen. Kannst du bitte erzählen, wer Fasia war, wie ihr euch kennengelernt habt, was ihr dann gemacht habt?

Ich habe Fasia zum ersten Mal beim ersten Ostermarsch gehört. Sie war vom ersten Ostermarsch an dabei. Da ist einiges entstanden nach dem Krieg, auch neue Lieder. Sehr viele Volkslieder waren total missbraucht worden von den Nazis. Mit dem Ostermarsch hat sich etwas entwickelt, dass neue Lieder gemacht wurden, gegen die Atombewaffnung, aber auch Friedenslieder. Wir haben dann die großen Friedensmärsche zusammen gemacht von Kopenhagen nach Paris, von Berlin nach Wien, von Dortmund nach Brüssel. Während dieser Märsche haben wir viele Lieder gesammelt. Fasia wollte immer, dass alle mitsingen konnten. Unterwegs haben wir Liederbücher gemacht.
Fasia habe ich bei meinem ersten Ostermarsch zuerst gehört und war vollkommen fasziniert von ihrer wunderbaren Stimme. Sie war eine Schwarze Deutsche, konnte eigentlich keine Noten lesen, sondern hat alles nach Gehör gemacht, konnte sehr gut Gitarre spielen, konnte ein Akkordeon in die Hand nehmen und fing an zu spielen. Sie hatte ein unglaubliches Ohr für Musik. Ich habe sie aus der Ferne kennengelernt als Sängerin des Ostermarsches, habe mir Platten gekauft von „Pläne“ [Schallplattenlabel – Anm. Red.], die damals viele Widerstandslieder aus allen möglichen Ländern zusammengestellt und Schallplatten herausgegeben haben. Was ich toll fand: Alle Sachen wurden übersetzt, also aus Italien, Frankreich, Großbritannien usw. Das war eine große Freude und Hilfe.
Wiedergetroffen habe ich Fasia dann beim ersten großen Friedensmarsch von Kopenhagen nach Paris 1981. Das war eine Fraueninitiative aus Skandinavien. Wir sind insgesamt sechs Wochen gelaufen, etwa 1.400 Kilometer. Als wir in Kopenhagen losgegangen sind, waren wir etwa 400 Leute, und etwa 10.000, als wir in Paris ankamen, was nicht einfach war. Wenn du unterwegs bist mit 10.000 Menschen, die brauchen z. B. eine Toilette, also hatten wir einen Toilettenwagen besorgt, das war wichtig. Das war teuer. Eine Frau hatte das Geld aufgetrieben, hat ihre Eigentumswohnung verkauft, um diesen Toilettenwagen zu finanzieren, und später dann, das war die Zeit, als die Feindbilder sich langsam etwas aufgelöst haben, wurde von diesem Marsch auch in der Sowjetunion berichtet. Als dort bekannt wurde, dass diese Frau ihre Wohnung verkauft hat, hat man dort Geld gesammelt, und sie konnte ihre Wohnung zurückkaufen. Das fand ich schön.
Wir waren Menschen aus allen möglichen Ländern, von Frauen initiiert. Männer und Kinder waren herzlich eingeladen mitzukommen, aber die Frauen haben die Organisation in der Hand behalten. Was auch interessant war, weil, also wenn man sonst vielleicht beim Ostermarsch oder anderen Friedensdemonstrationen war, dann hieß es immer relativ aggressiv: „Was stehst du da am Straßenrand? Reihʼ dich ein als Demonstrant!“ Die Frauen haben das anders gemacht, sie haben gewunken, wenn da Menschen am Fenster gesessen haben, so lange, bis die zurückgewunken haben. Es war interessant, welche Wohnungen auf einmal aufgingen, wo wir schlafen konnten. Das war am Beginn der großen Friedensbewegung in den 1980ern, eine sehr lebendige Sache. Da war eine Musikgruppe aus England, „The Fallout Marching Band“, die viele Lieder mitgebracht hat. Damit alle mitsingen konnten, haben wir versucht, während des Laufens ein Liederbuch zu machen. Das war Fasia wichtig. Sie hatte keine Scheu, ging unterwegs in die Rathäuser und hat gesagt: „Wir brauchen 1.000 Kopien, wir müssen dieses Liederbuch zustande bekommen“. Das klappte dann auch meistens.
Fasia stand morgens schon früh auf, hatte entweder ihr Akkordeon oder die Gitarre in der Hand und ist herumgegangen. Wir haben häufig in Zelten geschlafen. Sie war ein so lebendiger und freundlicher Mensch, auch bei den Schwierigkeiten des Lebens, die sie gehabt hat als Schwarzes Kind. Das kann man sich vorstellen, im faschistischen Deutschland, in Hamburg ist sie ab 1929 aufgewachsen. Ihr Vater war einer der ersten afrikanischen Diplomaten in Europa. Er hat in Hamburg gelebt und dort als liberianischer Generalkonsul gearbeitet. Ihre Mutter war Kindermädchen bei dieser afrikanischen Diplomatenfamilie. Dann hat sich eine Beziehung entwickelt zwischen dem afrikanischen Vater und der deutschen Mutter. Die afrikanische Familie musste zurück nach Liberia. Sie wollten Fasia mitnehmen, aber die Mutter wollte, dass Fasia bei ihr bleibt. Das war dann ein sehr schwieriges Leben. Fasias Mutter war alleinerziehend, das Kind war nicht in einer Ehe geboren, sie war alleine mit dem Kind, und dann ein Schwarzes Kind. Sie ist sehr verzweifelt gewesen, irgendwann wollte sie in die Elbe gehen mit Fasia. Zum Glück hat sie das nicht gemacht. Sie hat dann einen deutschen Mann gefunden, der auch im Widerstand gegen die Nazis war, der leider eine Zeit lang ins Gefängnis gekommen ist aufgrund seiner Widerstandsaktionen, aber der liebevoll mit Fasia umgegangen ist und eine Stütze war, sodass sie doch einigermaßen leben konnten. Als Fasia 14 Jahre alt war – damals war es üblich, dass die Mädchen im Alter von 14, 15 Jahren ein Jahr in einem Haushalt arbeiten mussten –, sagte man dann, dass einer deutschen Familie ein dunkelhäutiges Mädchen nicht zuzumuten sei. Sie sollte entweder in einem Keller mit an der Rüstung oder in der Küche im Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme arbeiten. Da ist sie dann hingekommen. Da waren vor allem Kriegsgefangene aus der Ukraine und anderen Ländern, die auch in dieser Küche gearbeitet haben. Die Frauen, die im KZ waren, waren polnische Jüdinnen. Fasia musste dann mit den anderen zusammen Kartoffelschalen kochen. Das war furchtbar. Dann hat man Fasia aufgefordert, zu einem Arzt zu gehen. Der hat ihr etwas gespritzt, von dem sie sehr krank geworden ist. Bis heute weiß keiner, was ihr da gespritzt wurde. Die Arbeit in dieser Lagerküche ist sehr anstrengend gewesen, auch psychisch. Sie hat sich angefreundet mit Kriegsgefangenen, die dort gearbeitet haben. Zum Glück hat sie überlebt. Als der Krieg zu Ende war, hatte sie lange Zeit damit zu tun, wieder einigermaßen gesund zu werden.
Sie war während ihres ganzen Lebens vielleicht fünf oder sechs Jahre immer wieder in Krankenhäusern, weil diese starke Herzkrankheit auch immer wiedergekommen ist. Das hat sie nicht davon abgehalten, Sängerin zu werden.
Sie war erst in einem antifaschistischen Chor in Hamburg, wo sie gelernt hat, zu singen und mit der Musik umzugehen. Das Geld hat sie sich verdient, indem sie auf Ausflugsschiffen in Hamburg Akkordeon gespielt hat. Dann hat sie sich entschieden: „Ich möchte Sängerin werden.“
Bei verschiedenen Treffen hat sie Anneliese Althoff aus Oberhausen kennengelernt, die aus einer antifaschistischen Familie kam; der Vater war im Widerstand. Die beiden haben sich angefreundet, und für Fasia war es trotz der nicht so guten Luft im Ruhrgebiet besser, nach Oberhausen zu gehen. Die Familie von Anneliese hat sie liebevoll aufgenommen. Anneliese und einige andere haben in der Zeit viel politische Arbeit gemacht. Sie waren in der kommunistischen Bewegung, sollten dann teilweise auch wieder verhaftet werden. Anneliese war kurz im Gefängnis, aber es ging dann so aus, dass sie doch weitermachen konnten mit ihrer Arbeit. Sie haben Friedensaktionen gemacht.
Fasia lernte andere Sänger kennen wie Dieter Süverkrüp, mit dem sie viel zusammengearbeitet hat. Sie haben die Lieder der Französischen Revolution zusammen gesungen, Friedenslieder gemacht, vor allem auch Lieder gegen die Atomgefahr. Bei den Ostermärschen sind sie zusammen gegangen und haben viel Bewegung in diese Märsche gebracht. Fasia war ein sehr freundlicher, fröhlicher Mensch. Sie konnte andere mitreißen. „Los, komm mit!“, das war einer ihrer Sätze, die sie oft gesagt hat. Man konnte sich ihr nicht entziehen, sie war so positiv gestimmt, dass man mitgehen wollte. Bei diesem langen Friedensmarsch haben wir uns dann wieder näher kennengelernt. Meine Tochter war auch mit, die beiden haben sich angefreundet. Nachdem wir mit dem Friedensmarsch in Paris waren, kam die Buchmesse in Frankfurt. Ich wohnte damals in Frankfurt, und Fasia hat in unserer Wohngemeinschaft übernachtet, bei uns gewohnt.
Fasia hatte die ganzen Jahre im Ruhrgebiet in den Arbeitskämpfen auch viel gemacht. Es war die Zeit, wo die Zechen und Metallbetriebe geschlossen wurden, auch Frauen-Betriebe. Fasia hatte die Kämpfe mitgemacht bei Hoesch, beim Schalker Verein usw.
Ich war eingeladen von den „Ruhrfestspielen“ [das älteste und zugleich eines der größten und renommiertesten Theaterfestivals Europas – Anm. Red.] zu einer Friedensveranstaltung, sollte einen Vortrag halten, und dann fragten mich die Leute, ob ich eine Idee für eine große Frauenveranstaltung am 1. Mai bei den „Ruhrfestspielen“ hätte. Da ich wusste, dass Fasia hier im Ruhrgebiet auch mit vielen Frauen-Initiativen gearbeitet hatte, habe ich das mit ihr besprochen, und dann hatten wir die Idee, dass wir eine Revue „Mit Herz und Verstand: Frauen aus dem Revier“ entwickeln könnten. Wir haben mit den Frauen-Initiativen Kontakt aufgenommen. Ich hatte eine Freundin aus Frankfurt, Hilde Wackerhagen, eine Schauspielerin und Kabarettistin, die ist zu allen Frauen-Initiativen gegangen und hat mit ihnen ihre Geschichte quasi als Theaterstück entwickelt. Das kam zusammen, und wir haben das als große Veranstaltung bei den „Ruhrfestspielen“ gemacht. Ein großer Erfolg, sehr schön.
Ich hatte zwischendurch mein Abi nachgemacht und in Marburg studiert. Ich wollte lernen, wollte wissen, warum so viele Sachen, die wir versucht haben, nicht hundertprozentig geklappt haben. Ich habe den ersten antiautoritären Kinderladen im Ruhrgebiet initiiert, wollte Wissen zusammenbringen und habe dann in Marburg am Fachbereich 03 [Gesellschaftswissenschaften und Philosophie – Anm. Red.], wo viele bekannte Leute wie Wolfgang Abendroth gelehrt haben, ein Studium gemacht.
Das Studium ging zu Ende, und ich war auf der Suche nach einem Job, erst in Berlin, wollte bei der Frauenzeitschrift „Courage“ anfangen, mit meinen Kindern zusammen nach Berlin gehen, aber dann bin ich stattdessen nach Offenbach gegangen zum Sozialistischen Büro (SB). Das SB war eine undogmatische linke Gruppe, hier hatten sich viele namhafte Intellektuelle organisiert, sie organisierten Aktionen und gaben Bücher heraus. Das Diskussionszentrum war der „Club Voltaire“ in Frankfurt. Dort habe ich zwei Jahre im Büro gearbeitet, habe viel gelernt, aber das war noch keine Situation für Frauen. Die ganze Linke war zu der Zeit nicht sehr frauenfreundlich. Dann bekam ich ein Angebot, in Oberhausen bei „Arbeit und Leben“ eine Stelle anzufangen. Ich hatte mit einem Stipendium der Gewerkschaft studiert und immer das Gefühl, dass ich auch wieder ein Stück zurückgeben muss ins Ruhrgebiet.
Also fand ich die Idee, wieder ins Ruhrgebiet zurückzugehen, gut. Ich hatte mit Fasia inzwischen eine sehr liebevolle Beziehung. Wir sind ein Paar geworden, meine erste Beziehung zu einer Frau. Ich habe keine lesbische Identität, sondern immer mit Männern und Frauen Liebesbeziehungen gehabt. Aber mit Fasia, das wurde dann sehr intensiv. Wir haben von da an 16 Jahre lang bis zu Fasias Tod 1997 zusammen gearbeitet und gekämpft. Wir waren bei den Weltfrauenkonferenzen in Nairobi und in Peking. Wir haben dort Orte geschaffen, wo Frauen aus so genannten Feindesländern in den Dialog kommen konnten. Also, wir haben Zelte dort installiert und Dialoge organisiert von Frauen aus Ländern, die im Krieg miteinander waren. Feindbilder abzubauen war eines unserer großen Ziele.
Dann bekamen wir diesen Friedens-Bus geschenkt. Es war ein schönes Los. Ich hatte Kontakt bekommen zu einer Stiftung in Texas, die finanziert wurde von einer US-amerikanischen Millionärin, die ihr Geld in die internationale Frauenbewegung gegeben, viele Sachen unterstützt und vor allem auch in Texas und Austin viele Aktionen organisiert hat. Das war beispiellos. Kurz vor der Frauenkonferenz hatte ich die Stiftung kennengelernt. Sie hatten mich zu einem Treffen nach Texas eingeladen.

Ihr seid dann mit dem Frauen-Friedensbus durch Amerika und Europa gefahren und habt die afroamerikanische Feministin Angela Davis und andere Frauen besucht?

Es waren zwei verschiedene Busse, einer war in Europa, und einer war in den USA. Diesen Bus fanden wir wirkungsvoll und gut, wir wollten nie ein Haus haben, aber dieser Bus war ein bewegliches Haus, mit dem wir überall hinfahren konnten, wo Hilfe gebraucht wurde, wo Aktionen stattfanden. Unser Ziel war nach der Weltfrauenkonferenz in Nairobi, wo viele Frauen noch aus den sozialistischen Ländern waren, uns weiter kennenzulernen. Wir hatten festgestellt, dass viele Feindbilder entstehen, weil wir zu wenig voneinander wissen. Wir wissen nicht: Wie lebt ihr denn? Wie sind die Arbeitsbedingungen? Wie geht ihr mit den Kindern um?
Dann haben wir gedacht, dass wir gerne da hinfahren und das wissen möchten. Ich bin dann vorher überall herumgefahren in die verschiedenen Länder, habe versucht, Kontakte zu knüpfen und zu gucken, ob die uns mit dem Bus empfangen würden, ob wir Ausstellungen und Veranstaltungen machen können.
Das ging alles. Losgefahren sind wir in England, von Greenham Common [eine Reihe von Protestcamps, die gegen die Aufstellung von Atomwaffen auf dem Militärgelände Greenham Common in Berkshire, England, errichtet wurden – Anm. Red.], wo Frauen schon seit neun Jahren jeden Tag Direkte Gewaltfreie Aktionen gegen die dortige US-Atombasis gemacht haben. Wir waren vorher schon mehrmals in England gewesen, weil dort der große Bergarbeiterstreik 1984/85 war und wir uns an den Protesten beteiligt haben. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher wollte die Form der Kohlebergwerke abschaffen und an deren Stelle atomare Bergwerke installieren. Damit waren wir nicht einverstanden.
Wir haben uns dort mit den Frauen angefreundet und sie unterstützt, haben von hier Lkws mit Lebensmitteln und Kleidern geschickt, weil es in England kein Streikgeld gab.
Wir sind also erst einmal von Greenham zu den Bergarbeiterfrauen gefahren und von da aus weiter in die Niederlande, haben das Anne-Frank-Haus in Amsterdam besucht. Wir haben unterwegs auch Politiker getroffen, auch den holländischen Außenminister, dann sind wir durch die Niederlande gefahren. Überall gab es Aktionen und Veranstaltungen, die wir machen konnten. Von den Niederlanden sind wir dann in die Bundesrepublik gefahren, dort war die Premiere des ersten Filmes über Fasia. Drei Jahre lang hat uns eine Filmcrew begleitet und daraus 1987 einen Film gemacht, über das Leben von Fasia, über ihre Geschichte, vor allem aber auch über unsere Aktionen, die wir hier in der Bundesrepublik gemacht haben. Der Film heißt „Fasia – von trutzigen Frauen und einer Troubadoura“.

Fortsetzung in der Graswurzelrevolution Nr. 464.

(1) http://afas-archiv.de
(2) Lothar Hill von MünsterTube hat das Gespräch gefilmt und in einem Dokumentarfilm verarbeitet: https://muenstertube.wordpress.com/2021/07/26/dr-bernd-drucke-radio-graswurzelrevolution-im-gesprach-mit-ellen-diederich/

Das Gespräch wurde mit Musik u. a. von Fasia Jansen angereichert und – aufgeteilt auf drei 55-Minuten-Sendungen – im Bürgerfunk auf Antenne Münster ausgestrahlt. Die Radio-Graswurzelrevolution-Sendungen sind abrufbar auf: https://www.nrwision.de/mediathek/sendungen/radio-graswurzelrevolution