Vom „Feld der Unehre“ und einem Kohlrüben-Denkmal

Zur Erinnerung an den Kriegsgegner Emil Julius Gumbel

| Silke

Der Mathematiker und Aktivist Emil Julius Gumbel setzte sich in der Weimarer Republik mutig gegen Krieg und Militarismus ein – allen rechten Hetzkampagnen zum Trotz. Vor 90 Jahren, im August 1932, wurde er von den erstarkenden Nazis von der Heidelberger Universität und aus Deutschland vertrieben. Silke erinnert in ihrem Beitrag an den jüdischen Sozialisten und Pazifisten. (GWR-Red.)

Emil Julius Gumbel, 1891 in München geboren, studierte dort Mathematik und Nationalökonomie und schloss bei Beginn des Ersten Weltkriegs gerade seine Promotion ab. Er erinnerte sich später: „Im Jahre 1914 war ich noch jung genug, um mir von all den patriotischen Reden, die ich um mich hörte, den Kopf verdrehen zu lassen. Ich meldete mich freiwillig. (…) Nach einem Jahr Kriegsdienst wurde ich auf Genesungsurlaub nach Hause geschickt und kehrte nicht mehr an die Front zurück. Ich war zum überzeugten Pazifisten geworden.“ (1)
Bereits im Herbst 1915 schloss sich Gumbel, der nun in Berlin lebte, dem pazifistischen Bund Neues Vaterland an, der späteren Deutschen Liga für Menschenrechte. 1918/19 engagierte er sich in der Räterevolution und musste ihre blutige Niederschlagung durch völkische Freikorps erleben. Dem anhaltenden rechten Terror widmete der Mathematiker seine aufsehenerregende Untersuchung „Vier Jahre politischer Mord“ (1922). Sie machte ihn zu einer der meistgehassten Personen in nationalistischen Kreisen: Als Antimilitarist, Sozialist und Jude erfüllte Gumbel gleich drei zentrale Feindbilder und sah sich heftigen Anfeindungen ausgesetzt.

Antikriegsrede als Auslöser

1923 nahm er einen Lehrauftrag für Statistik in Heidelberg an und habilitierte. Dass der entschiedene Kriegsgegner sein politisches Engagement auch hier fortsetzte, sollte ihn bald ins Fadenkreuz der rechten Studierenden rücken: Zum zehnten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs organisierte die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) am 24. Juli 1924 die Veranstaltung „Nie wieder Krieg!“ in der Heidelberger Stadthalle. Als Vorsitzender der DFG-Ortsgruppe sagte Gumbel in seinem Schlusswort: „Ich bitte die Anwesenden, zwei Minuten im Schweigen der Toten des Weltkrieges zu gedenken, die – ich will nicht sagen – auf dem Felde der Unehre gefallen sind, aber doch auf gräßliche Weise ums Leben kamen.“ (2) Die Äußerung löste in der konservativen Universitätsstadt Empörungsstürme aus, die von den völkischen Studentenverbindungen und der frisch gegründeten „Nationalsozialistischen Studentenschaft“ angefacht wurden. Innerhalb weniger Tage initiierten der Rektor der Universität und Gumbels Fakultät ein Disziplinarverfahren und setzten sich für seine Suspendierung ein. Der liberale badische Kultusminister Willy Hellpach lehnte dies ab, doch die Hetze dauerte noch monatelang an.

Vom Kommunalwahlkampf zu den „Gumbelkrawallen“

Nachdem sich die Situation in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre etwas beruhigt hatte, löste Emil Julius Gumbels Ernennung zum Professor im Sommer 1930 eine neue rechte Protestwelle aus. An die Spitze der Kampagne setzte sich der Allgemeine Studentenausschuss (AStA), in dem die Nazis 38 % der Sitze hatten und zusammen mit der völkischen „Großdeutschen Studentenschaft“ die Linie bestimmten. Zugleich stellte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) die Forderung nach Gumbels Suspendierung in den Mittelpunkt ihres Kommunalwahlkampfs, mobilisierte damit Tausende zu ihren Saalveranstaltungen und konnte ihren Stimmenanteil bei der Gemeinderatswahl am 16. November 1930 auf 36 % steigern. (3)
Die Lage eskalierte Anfang 1931, als sich der AStA unter Verweis auf Gumbels Anwesenheit weigerte, an der Universitätsfeier zur Reichsgründung teilzunehmen. Das brachte das Fass zum Überlaufen, und der Rektor löste den AStA kurzerhand auf, was die „Gumbelkrawalle“ nach sich zog: Am 21. Januar 1931 endete eine Kundgebung rechter Studierender mit der Besetzung der Alten Universität und mehrstündigen Auseinandersetzungen mit der Polizei; es folgten weitere völkische und offen antisemitische Großproteste gegen den Kriegsgegner.

Palmwedel und Rüben

Trotz der anhaltenden Angriffe ließ sich der Professor nicht von seinem antimilitaristischen Engagement abhalten, und am 27. Mai 1932 sprach er in einer internen Sitzung der Sozialistischen Studentenschaft. In Erinnerung an die Hungerwinter des Ersten Weltkriegs, in denen Rüben oft das einzige Nahrungsmittel waren, merkte Gumbel an, dass eine Kohlrübe als Kriegerdenkmal wohl passender sei als eine spärlich bekleidete Jungfrau mit einem Palmzweig. Drei Nazi-Studenten, die sich in die Versammlung geschmuggelt hatten, veröffentlichten die Äußerung, und erneut schlugen die Wellen hoch.
Welche Stimmung bei den faschistischen Massenprotesten herrschte, verdeutlicht der Aufruf der „Deutschen Studentenschaft“ und des NS-Studentenbunds zur Kundgebung am 24. Juni 1932 in der Stadthalle: „Deutsche Bevölkerung Heidelbergs, Kommilitonen, Kommilitoninnen, kämpft mit uns für die Entfernung dieses Vertreters übelsten Kulturbolschewismus und erhebt euren Protest gegen Gumbel, den Schänder deutscher Ehre!“ (4) Bei dieser Versammlung, die von 3.500 NS-Anhänger*innen besucht wurde, schwelgte der NSDAP-Reichstagsabgeordnete Johannes Rupp in Mordphantasien gegen den Statistiker nach der bevorstehenden Reichstagswahl.
Die Universität beantragte erneut Gumbels Suspendierung – diesmal mit Erfolg: Am 5. August 1932 wurde ihm die venia legendi entzogen. Damit war er einer der ersten jüdischen und oppositionellen Professoren, die von den Nazis von der Universität vertrieben wurden. Emil Julius Gumbel emigrierte nach Frankreich und lehrte ab dem Wintersemester 1932/33 in Paris und Lyon. Vor dem Einmarsch der Wehrmacht konnte er im Sommer 1940 in letzter Minute in die USA fliehen, wo er bis zu seinem Tod 1966 lebte.
In der BRD wurde der mutige Kriegsgegner nicht gewürdigt, auch wenn in jüngster Zeit einzelne Initiativen an ihn erinnern. Es ist dringend nötig, Emil Julius Gumbel dem Vergessen zu entreißen.

(1) zit. n. Gabriele Dörflinger, Emil Gumbel in Heidelberg, Heidelberg 2017, S. 4, http://histmath-heidelberg.de/txt/Gumbel/Gumbel-in-hd.pdf
(2) zit. n. Christian Jansen, Der „Fall Gumbel“ und die Heidelberger Universität. 1924–32, Heidelberg 1981, https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/13154/1/jansen.pdf
(3) vgl. Jansen, a. a. O., S. 27 und 36
(4) zit. n. Jansen, a. a. O., S. 69

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