die waffen nieder

„O du abscheuliches Westfalen!“

Protest gegen das G7-Treffen in Münster

| Wilhelm Achelpöhler

Am 3./4. November 2022 trafen sich in Münster die Außenminister*innen der G7-Staaten, um die Fortführung des Kriegs in der Ukraine zu planen. Dagegen regte sich auf den Straßen Protest. Auf der Demonstration gegen die G7-Konferenz sprach der Münsteraner Anwalt und Aktivist Wilhelm Achelpöhler.

Wir demonstrieren hier, während wenige Meter entfernt die Außenminister von Staaten tagen, die einen Krieg führen, in dem genau jetzt Menschen in der Ukraine sterben.

Die Außenministerinnen und Außenminister tagen im Friedenssaal, dort wo 1648 der Westfälische Frieden geschlossen wurde.

Warum tagen sie gerade dort? Der Ort ist ja bewusst gewählt. Ist Münster als Ort von Friedensgesprächen besonders geeignet?

Schon der französische Philosoph der Aufklärung Voltaire hatte da eine Idee und schrieb in einem Brief an Friedrich 2 von Preußen das folgende Gedicht:

 

O du abscheuliches Westfalen!

Du bietest weder kühlen Wein

Noch warmes Bett noch hübsche Magd.

Zwar Klöster gibt’s genug, allein

Nach Kneipen man vergeblich fragt.

Wer ohne Trinken leben will,

Und ohne Schlaf und Speise,

Der wähle sich dies Hundeland

Zum Ziel für eine Reise.

(…)

Ich seh’ nun ein, warum man hier,

verwünscht und abgeschieden,

Einst dem zerriss’nen deutschen Land

Das Recht gab und den Frieden!

Die Diplomaten kamen zwar,

Das Reich neu aufzurichten,

Doch schneller war die Einigung,

Vor so viel Not zu flüchten.

So schloss man hastig den Vertrag,

Zurecht geflickt zur Not,

Und floh die Stadt, verließ das Land

Aus Furcht vorm Hungertod.

Das war Voltaires Analyse des Westfälischen Friedens. Die Diplomaten der großen Mächte haben hier in Münster Frieden geschlossen, weil alle möglichst schnell wieder wegwollten.

Immerhin verhandelten sie vor dem Friedensschluss fünf Jahre lang, jetzt sind die Außenminister morgen schon wieder weg.

In der Wahl des Ortes, an dem der Westfälische Frieden geschlossen wurde, steckt ein ganz gewaltiger Machtanspruch. Deshalb ist die Anknüpfung an den Mythos des Westfälischen Friedens sehr aufschlussreich für die Machtpolitik der G7-Staaten und deshalb verdient gerade diese Tagung unseren Protest.

Es gibt andere Gründe für Münster als Tagungsort der G7. Außenministerin Baerbock, die ja „vom Völkerrecht herkommt“, erklärte: Münster ist mit dem Westfälischen Frieden ein Geburtsort des Völkerrechts. Das Treffen soll also daran anknüpfen, wofür der Westfälische Friede gemeinhin steht: der Westfälische Friede gilt als Geburtsstunde der Gleichberechtigung der Nationen, der Achtung der Souveränität der Staaten, als Ausdruck einer europäischen Friedensordnung. Und diese Friedensordnung wird jetzt an einem Ort beschworen, der dafür geeignet erscheint, der Friedenssaal des Rathauses.

Das ist ebenso falsch wie aufschlussreich.

Zunächst ist es falsch. Der Westfälische Frieden, das sind zwei Verträge. Einer zwischen dem Habsburger Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und dem französischen König, der in Münster geschlossen wurde, und ein Vertrag zwischen dem Kaiser und der schwedischen Königin, der in Osnabrück geschlossen wurde. In diesen Verträgen steht nichts von einer Souveränität der Nationen. Von „Souveränität“ ist in den Verträgen keine Rede, weil es an der Souveränität der Vertragsparteien keine Zweifel gab. Und Nationen im modernen Sinn gab es 1648 noch gar nicht.

Insoweit ist der Westfälische Frieden ein Mythos, wie der Politikwissenschaftler Andreas Osiander in einem berühmten Aufsatz vor mehr als 20 Jahren beschrieben hat. Den Aufsatz findet man in englischer Sprache auf den Seiten der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Dieser Mythos des Westfälischen Friedens entstand Ende des 18. Jahrhunderts, Anfang des 19. Jahrhunderts, als sich Napoleon daran machte, Europa nach der Französischen Revolution neu zu ordnen. Da entdeckten insbesondere konservative deutsche Geschichtswissenschaftler den Westfälischen Frieden erstmals als Gründungsdokument einer europäischen Friedensordnung. Der europäische Kontinent vor 1789 erscheint da als ein geordnetes System von Staaten, das von Zurückhaltung und Respekt geprägt ist und durch Napoleons expansionistischen Imperialismus bedroht wird. Der Westfälische Friede stand damit für einen Anspruch auf eine bestimmte Ordnung der Verhältnisse in Europa.

Genau an diesen Mythos des Westfälischen Friedens knüpft die Wahl des Tagungsortes für das G 7 Treffen an. Und deshalb ist die Wahl von Münster als Tagungsort der G7-Außenminister tatsächlich aufschlussreich.

Auch die G7 stehen für einen Ordnungsanspruch, nicht nur Europas, sondern in der Welt. Die Durchsetzung des eigenen Ordnungsanspruchs erscheint als Verteidigung einer Friedensordnung.

Was in Europa und in der Welt Frieden heißt, was legitime Souveräne und Sicherheitsinteressen sind, darüber entscheiden die Staaten der G7 und niemand anderes. Und das haben sie entschieden, in Jugoslawien, in Libyen, in Afghanistan im Irak und anderswo.

Russland hat sich mit dem Angriff auf die Ukraine an dieser Friedensordnung vergangen und deshalb sehen es die G7 als eine Frage ihrer Glaubwürdigkeit als Ordnungsmächte, diesem Angriff Russlands zu begegnen. Für die Glaubwürdigkeit des eigenen Ordnungsanspruchs lässt man in der Ukraine kämpfen. Und zwar nicht wie in Kuba, Vietnam oder Korea gegen einen Stellvertreter, sondern diesmal gegen den Feind selbst. Dazu führt man einen Wirtschaftskrieg, der Russlands Macht so schädigen soll, dass dergleichen nie mehr vorkommt. Und der zugleich der Welt demonstriert, dass es der Entscheidung ihrer Ordnungsmächte obliegt, wer zu diesem Welthandel zugelassen wird.

In der Wahl des Ortes, an dem der Westfälische Frieden geschlossen wurde, steckt deshalb ein ganz gewaltiger Machtanspruch. Deshalb ist die Anknüpfung an den Mythos des Westfälischen Friedens sehr aufschlussreich für die Machtpolitik der G7-Staaten, deren Außenminister dort tagen. Und deshalb verdient gerade diese Tagung unseren Protest.

Zum Schluss: meine Kritik an den G7 sollte niemand mit einer Parteinahme für die Politik Russlands, der Ukraine oder von sonst wem verwechseln.

Ich wünsche der Versammlung noch viel Erfolg.

Danke für die Aufmerksamkeit.