Gemeinschaftliches Wohnen liegt im Trend

| Elisabeth Voß

Lennart Herberhold: Zusammen! Wie Deutschland neues Wohnen ausprobiert. Büchner-Verlag, Marburg 2022, 20 Euro, ISBN 978-3-96317-300-4id22

Institute for Creative Sustainability (Hg.): Social-Ecological Cooperative Housing. Gemeinschaftliches, transformatives Bauen und Wohnen. ePDF/ePUB, zweisprachig Deutsch/Englisch, Jovis Verlag, Berlin 2022, 32 Euro, ISBN 978-3-86859-835-3

Heinz Feldmann: Praxishandbuch Leben in Gemeinschaft. partizipativ planen, bauen und wohnen. oekom verlag, München 2022, 28 Euro, ISBN 978-3-96238-361-9. Ergänzungen online: www.leben-in-gemeinschaft.com

Immer mehr Leute möchten nicht kleinfamiliär oder als Single leben, sondern suchen nach mehr oder weniger gemeinschaftlichen Wohnformen. Viele Wohngemeinschaften werden mit der Verschärfung des Wohnungsmarktes als eher pragmatische Zweckgemeinschaften gegründet, aber es scheint auch einen Aufwind an intentionalen Gemeinschaften zu geben – Gruppen, die gemeinsame Werte teilen und mit ihrem Zusammenleben realisieren möchten, und die in Netzwerken miteinander verbunden sind – beispielsweise Kommuja (politische Kommunen) und GEN Deutschland (Global Ecovillage Network).
Den steigenden Bedarf versuchen Dienstleister*innen wie Projektentwickler, Architektinnen und Gemeinschaftsberater*innen zu decken. „Raus aus der Nische – rein in den Markt!“ ist der Titel einer Broschüre der Stiftung trias, Untertitel: „Ein Plädoyer für das Produkt ‚gemeinschaftliches Wohnen‘. Mit einem Matching, wie es auch Partnerschaftsbörsen einsetzen, möchte das Startup bring-together Projekte und Suchende zusammenbringen. Auf der jährlich stattfindenden internationalen Immobilienmesse MIPIM im französischen Cannes wird erstmals Mitte März 2023 ein „Co-Liv Summit“ angeboten – es gibt nichts, das die kapitalistische Marktwirtschaft sich nicht einverleiben und zur Ware machen würde. In den folgenden Buchbesprechungen geht es um selbstorganisierte Wohnprojekte.

Auf der Suche nach Gemeinschaft

Lennart Herberhold fragt sich, wie lange er sich seine Wohnung in Hamburg noch leisten kann, streift den Gedanken an Alterseinsamkeit, und macht sich auf die Suche nach Alternativen. In „Zusammen! Wie Deutschland neues Wohnen ausprobiert“ stellt er fünf Projekte vor, die unterschiedliche Antworten geben auf Fragen wie: „Was ist Solidarität, und wie weit muss sie reichen? Wie viel Platz brauche ich wirklich? Was will ich mit anderen teilen?“ (S. 12). Wer sich von dem befremdlichen Untertitel nicht abschrecken lässt, bekommt erhellende Einblicke in vielfältige Formen gemeinschaftlichen Wohnens.
Das Dorf Hitzacker im Wendland war für 300 Bewohner*innen geplant: „Ein Drittel alte Menschen, ein Drittel junge Familien, ein Drittel Geflüchtete“ (S. 24). Nach einem jahrelangen Planungs- und Entwicklungsprozess leben heute 80 Menschen in der genossenschaftlichen Neubausiedlung, aber nur wenige Geflüchtete. Das Hausprojekt Viertel 8 in Mannheim konnte von den Bewohner*innen selbst erworben werden, um zu verhindern, dass es von einer Investorin an eine andere weiterverkauft wird. Die Stiftung trias erwarb das Grundstück und gab das Gebäude im Erbbaurecht an eine GmbH, deren Gesellschafterin ein Verein der Bewohner*innen ist. Eine Kombination aus GmbH und Verein hat sich auch das ebenfalls in Mannheim befindliche Projekt umBAU² gegeben, und sich dem Verbund des Mietshäuser Syndikat angeschlossen, das zweite Gesellschafterin der GmbH ist, als Absicherung gegen einen Weiterverkauf des Hauses. San Riemo in München ist das erste Neubauprojekt der Genossenschaft KooGro (Kooperative Großstadt). Als „atmendes Haus“ (S. 94) ist das Architekt*innenprojekt durch eine Flexibilität der Grundrisse gekennzeichnet, um sich verändernde Wohnbedürfnisse erfüllen zu können. Seit 25 Jahren leben in der Hamburger Wohngemeinschaft Brot und Rosen einheimische Christ*innen und Geflüchtete zusammen. Der kleinen Kerngemeinschaft, die ihr Einkommen teilt, haben sich jedoch keine Geflüchteten angeschlossen.
Neben diesen fünf Projekten gibt es einen Rückblick auf gemeinschaftliches Wohnen in den letzten Jahrhunderten und in der Berliner Kommune 2 im Jahr 1967. Auch wenn dies andere Wohnen keine Lösung für alle ist, kann es doch einen Beitrag zur Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum leisten, „in einem engen Zusammenspiel zwischen den Initiativen, den städtischen Behörden und Agenturen, die neue Projekte im Auftrag der Kommune beraten und begleiten.“ (S. 153). Ergänzt wird das empfehlenswerte Buch durch eine übersichtliche Literatur-, Film- und Linkauswahl.

Sozial-ökologisches, genossenschaftliches Wohnen

Das zweisprachige Buch „Social-Ecological Cooperative Housing. Gemeinschaftliches, transformatives Bauen und Wohnen“, herausgegeben vom id22: Institute for Creative Sustainability, ist nur digital zu haben. An Beispielen von Wohnprojekten – überwiegend in Berlin, ergänzt durch modellhafte Vorhaben in Wien, Basel, Zürich und Hannover – soll gezeigt werden, wie es mit nachhaltigeren Wohnformen gelingen kann, „nicht nur die Effizienz zu steigern, sondern auch dafür zu sorgen, dass Suffizienz in der Art und Weise, wie wir miteinander teilen, leben und arbeiten, eine zentrale Rolle spielt.“ (S. 8).
In einleitenden Beiträgen wird dies vertieft, sowie Fragen zu Genossenschaften, Gemeinschaft und Eigentum am Boden behandelt. Acht inhaltliche Beiträge beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven die Potenziale von Genossenschaften und welche Unterstützung diese für ihre volle Entfaltung bräuchten.
Abschließend wird auf die Dringlichkeit der behandelten Themen angesichts sich verschärfender Umweltkatastrophen hingewiesen und aus den vielfältigen praktischen Erfahrungen abgeleitete Forderungen formuliert, beispielsweise: Solarbau- und Gründachpflicht, Förderung gemeinschaftlichen Wohnens durch landeseigene Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften, Wiederverwendung von Baumaterialien, Vergabe öffentlicher Grundstücke nach niederschwelligen Konzeptverfahren, Fördermittel zum Erwerb von Genossenschaftsanteilen durch Grundsicherungsempfänger*innen, kommunales Vorkaufsrecht für gemeinnützigen Wohnungsbau etc. (S. 137ff).
Mit vielen Links zu weiterführenden Beiträgen und Organisationen bietet das Buch einen guten Einstieg in das weite Feld der Diskussion und Praxis von Nachhaltigkeit im Wohnbereich. Ich habe das Buch als ePDF erhalten und am Laptop gelesen. Um die internen und externen Links optimal nutzen zu können, empfiehlt es sich, die ePDF im Browser zu öffnen.

Gemeinschaftliche Wohnprojekte professionell entwickeln

Persönliche Erfahrungen als Wohnprojektmitgründer und Berater sind die Grundlage des „Praxishandbuch Leben in Gemeinschaft. partizipativ planen, bauen und wohnen“ von Heinz Feldmann. Der Autor lebt im Wohnprojekt Wien, das Barbara Nothegger im von ihm empfohlenen Buch „Sieben Stock Dorf“ beschrieben hat. In einer Rezension in der Berliner Umweltzeitung Rabe Ralf vom Juni/Juli 2018 hatte ich dazu geschrieben: Das Buch zeigt anschaulich, wie es einer großen Baugruppe von Mittelschichtsangehörigen gelingt, ihren Traum vom guten Wohnen in einem überschaubaren Zeitraum zu verwirklichen, und wie auch das Miteinander gelingen kann.“
Detailliert und praxisnah führt Feldmann durch die Phasen der Projektentwicklung, von der Entwicklung einer Vision über die Gruppenfindung und Gemeinschaftsbildung bis zur praktischen Organisation, Wahl einer geeigneten Rechtsform und Aufstellung von Finanzplänen. Er behandelt auch die Frage Neubau oder Umbau, und was im Zusammenleben beachtet werden sollte. Er bezeichnet dies als „eine Art ‚Kochbuch‘“ (S 16), in dem er recht direktiv darlegt, was warum wie getan werden sollte.
Vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen empfiehlt und bespricht der Autor Methoden wie Dragon Dreaming, Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck, Soziokratie und Systemisches Konsensieren, Gewaltfreie Kommunikation und den Gemeinschaftskompass von Eva Stützle.
Feldmann war Konzernmanager, bevor er nach einer Weltreise sein Leben grundlegend änderte. Dem Buch ist die Begeisterung für seine neuen Lebensziele anzumerken, allerdings habe ich an einigen Stellen auch ein Unbehagen gespürt angesichts einer gewissen Enge von professionellen Effizienzvorstellungen. Ungebrochen nennt er die Vor- und Nachteile bestimmter Gestaltungsmöglichkeiten, die meines Erachtens eher wertfreie Besonderheiten und keineswegs objektiv sind. So mögen es beispielsweise einige mit dem Autor als Nachteil ansehen, dass beim Mietshäuser Syndikat dauerhaft Miete gezahlt werden muss, auch wenn das Haus abbezahlt ist (S. 240), für andere ist gerade dies als Ausdruck von Wohngenerationen übergreifender Solidarität ausdrücklich gewünscht und insofern ein Vorteil gegenüber anderen Formen.
Durch seine hybride Form ist das Buch ein umfangreiches Kompendium, das auf beeindruckende Weise die Möglichkeiten der Kombination von Print und Online nutzt. Zu den Projektentwicklungsthemen enthält es Interviews mit Fachleuten, die online in einer Langfassung zu finden sind. Mit QR-Codes und praktisch nummerierten Links können Arbeitshilfen und weiterführende Medien abgerufen werden.