Ich würde auch gerne tanzen wollen

Pia Klemps Eintauchen in den feministisch-aktivistischen Alltag

| Hanna Poddig

Pia Klemp: Die Schrecklichen, Roman, maro verlag, Augsburg 2023, 208 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-87512-673-0

Pia Klemps Roman „Die Schrecklichen“ lässt die Lesenden eintauchen in den Alltag einer abgegessen-zynischen Feministin. Die Hauptfigur ist auf Privatpartys und in Clubs unterwegs, hat Affären und Freundinnenschaften, ist Teil eines Kollektivs, das ein autonomes Frauenhaus betreibt und streitlustige Aktivistin. Doch nicht auf jeden Streit, den die Hauptprotagonistin Gorgo führt, hat sie auch Lust. Es sind vielmehr die Normalitäten der Welt, in der wir leben, die sie zum Widerspruch zwingen.
Und so berichtet uns die Ich-Erzählerin von Selbstzweifeln, attestiert sich selbst, eine „arrogante, be- und ver-urteilende Arschkrampe“ zu sein. So skizziert sie beispielsweise eine ihrer Freundinnenschaften mit den Worten „Mit meiner Besserwisserei tue ich uns keinen Gefallen. Gäbe es ein Beziehungsamt, wäre mir das Sorgerecht für uns schon lange entzogen worden.“
Und doch ist es eben diese Freundin, die sich bei Gorgo – obwohl oder gerade weil die beiden aus ganz unterschiedlichen Lebensrealitäten kommen – hemmungslos über Probleme in ihrer Schwangerschaft auskotzen kann.
In kontroversen Dialogen debattieren die Charaktere des Buches darüber, wann und ob stets „das Patriarchat“ schuld ist am Verhalten von anstrengenden Typen. „Vielleicht kann Mark auch aus persönlichen Gründen merkwürdig sein und nicht immer nur, weil das Patriarchat ihn dazu gemacht hat. Meine Fresse, gibt es kein individuelles Recht, mal was so ganz unpolitisch zu verkacken?“
An anderer Stelle geht es darum, was ein politisch korrektes, aber ähnlich verachtendes Schimpfwort sein könnte, wie „Fotze“ es ist. Nachdem Schnepfe des Vogels wegen ausscheidet und Kratzbürste als zu wenig gemein verworfen wird, konstatieren die Freundinnen: „Also brauchen wir nur ein anderes Wort und machen darüber dann ein Abkommen im deutschsprachigen Raum, dass das von nun an die schlimmste Diffamierung von allen ist.“
Sie einigen sich auf Dachrinne.
Und dann gibt es auch noch Gorgos verkorkste Beziehungswelt. In der sie gleichzeitig aus Rollenbildern ausbrechen möchte, sie dann aber doch immer wieder gezielt reproduziert: Ernst genommen werden möchte, belächelt wird, aber um des lieben Friedens willen eben doch statt über Autorinnen und Revolutionen über Weltraumnahrung redet.
So sehr Gorgo in ihrer geistigen Eremitenhöhle leidet, sich für eine Versagerin hält, alle Versuche der Sinnfindung immer wieder anzweifelt, so deutlich wird aber auch, dass Wut uns weiterträgt und es zahlreiche Momente gibt, in denen es nur eine Antwort geben kann: Ein deutliches Nein.
Pia Klemp gelingt mit diesem Buch der Einblick in die Zerrissenheit von Menschen, die Ungerechtigkeit und Unterdrückung nicht akzeptieren können und wollen; die als ätzend wahrgenommen werden, weil sie ätzend sind, bei gleichzeitiger Verletztheit und Verletzbarkeit; die in den Zwängen dieses Systems gefangen sind und gerne dennoch auch und ohne sich verleugnen zu müssen, ein schönes Leben führen würden. Ein Porträt einer Person, die beobachtend und alleine daneben steht, obwohl sie eigentlich wirklich gerne tanzen wollen würde.