Filmbesprechung
„Bis zur Wiedervereinigung zeigten nur Schrebergärtner und Neonazis Deutschlandfahnen, dann liefen plötzlich fast alle mit Schwarz-Rot-Gold rum“, erinnert sich Navid, der sich schon seit seiner Kindheit in den 1980igern mit Rassismus auseinandersetzen musste: „Ich bin ja ein Schwarzkopf“.
Navid ist einer von fünf seit den 1990er Jahren in antifaschistischen Selbstorganisierungen Aktiven, die für den Dokumentarfilm „Antifa“ interviewt wurden. Sie reden darüber, was sie gemacht haben und warum. Sie machen sich Gedanken über eine Weiterentwicklung von antifaschistischen Aktivitäten. Da ist Torsten, der sich als Jugendlicher in Sachsen-Anhalt gegen Nazis erwehren musste. Laura ist in Ostberlin aufgewachsen und „von Geburt an politisch, weil ich in eine jüdische Familie geboren wurde“. Wenige Monate nach dem Zusammenbruch der DDR stand an einer Wand in ihrem Stadtteil der Name ihres Opas geschrieben, mit dem Zusatz: „Vergessen in Auschwitz zu Vergasen“. Sie warnte bereits Jahre vor der Selbstenttarnung des NSU in einem Artikel vor Terrorzellen aus der Neonaziszene. Kessy ist seit 1998 im apabiz tätig, dem antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin, auf dessen Materialien viele Medien zurückgriffen, als der NSU Thema war. Nina war bis 1995 in Rendsburg in der Antifa aktiv, auch in der Vernetzung im nördlichsten Bundesland, seitdem wohnt sie in Hamburg, und ist dort aktiv. Navid war von Göttingen aus auch an der AA/BO beteiligt, der ab 1992 von Gruppen aus elf Städten getragenen Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation.
Die Interviewten geben gerade durch ihre Unterschiedlichkeit gute Einblicke in die Sichtweisen und das Herangehen von Antifagruppen.
Unter Druck
Die Filmmacher waren in linken Film- und Videoarchiven unterwegs und haben auf Magnetbändern in VHS-Kassetten aufgenommenes Material und analoge Schwarz-Weiß-Fotos in ihre Dokumentation montiert. Von den Antifa-Aktivitäten gibt es nur wenig Filmmaterial, weil eine mögliche Verfolgung durch den Staat oder Neonazis als Drohung präsent war und ist. Die gegenüber Neonazis oft untätige Staatsgewalt fand die Aktivitäten linker Antifagruppen verdächtig. Navid schildert das Ermittlungsverfahren gegen die Autonome Antifa M in Göttingen, welche die größte autonome Organisierung initiierte: Die AA/BO. Im Juli 1994 wurden 15 Wohnungen, der linke Buchladen Rote Straße, ein Büro des AStAs in Göttingen durchsucht und Unmengen von Material beschlagnahmt. Zunächst wurde unter dem Vorwand der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, der später in den Vorwand der Bildung einer kriminellen Vereinigung umgewandelt wurde. Navid schildert Ermittlungen und Anklage als massive Beeinträchtigung. Angerufen wurde deswegen nur aus Telefonzellen, es gab vereinbarte Code-Wörter und wenig wurde schriftlich oder fotografisch festgehalten.
Die Ostberlinerin Laura erzählt: „Wenn ich vor die Tür ging, war ich immer bewaffnet, ich bin klein und schmächtig.“ Wenn sie in Brandenburger Kleinstädten aus dem Zug stieg, hätte sie „sofort 50 Nazis an der Backe“ gehabt. Sie beschäftigte sich damit, Nazistrukturen auszuforschen, deren Treffen zu beobachten, zu fotografieren. Sie gab sich unter falschem Namen als -NS-Sympathisantin aus. Sie nutzte ungenutzte Briefkästen von leerstehenden Wohnungen, klebte ihren Namen dran und konnte so mit Nazis schreiben. Auf diesem Weg kam sie an Listen mit Namen und Anschriften von Nazi-Gegner*innen heran. Diese Listen waren gefährlich – oft kam es dazu, dass dort Genannte an ihren Adressen angegriffen oder Autos beschädigt wurden.
Torsten schildert die Angriffe von Neonazis in seinem Alltag als Jugendlicher in den 90igern in Quedlinburg so anschaulich, dass die Selbstverständlichkeit, mit der er vom organisierten Selbstschutz spricht, naheliegend ist. Um nicht darauf zu warten, wieder angegriffen zu werden, fangen sie an, in Gruppen sofort dorthin zu fahren, wo ihnen ein Überfall in der Kleinstadt gemeldet wird, um „eine Ansage zu machen“. Einmal wird ein Konzert im Nachbarort abgebrochen, als eine größere Naziansammlung das Jugendzentrum überfallen will. Alle Konzertbesucher*innen kommen den Überfallenen zu Hilfe. Diese Gegenwehr hinterlässt Eindruck, „davon konnten wir eine Zeitlang zehren“, meint Torsten.
Gewaltfrage
Kessy erinnert sich an eine fantasievolle Aktion, mit der sie Daten von Nazis herausbekamen, von denen nur bekannt war, in welcher Wohnung sie sich aufhielten: Ein Kollege war für die Berliner Morgenpost unterwegs und kam an deren Werbejacken ran. Dann „bastelten wir uns ein Formular, wo man für ein halbes Jahr ein Gratisabo der Morgenpost gewinnen konnte – und die Nazis gaben in der Hoffnung auf einen Gewinn ihre Adressen an“.
Kessy spricht aber auch an, dass manchmal einige Antifas „frei drehten“, wenn es um Militanz gegen Nazis ging: „Da fragte ich mich schon, wissen die eigentlich, wogegen und wofür sie jetzt da stehen?“
Sie sei froh gewesen, wenn sich andere in Konfrontationen körperlich wehren konnten, was sie nicht konnte. Aber die Gewaltfrage ging eben über das Verhalten zur Selbstverteidigung hinaus. Navid erzählt, dass sie ein Mitglied ausschließen mussten, das bei einer Auseinandersetzung auf den Kopf eines am Boden liegenden Nazis eingetreten hatte. Er betont den Gruppenkonsens: Niemandem einen bleibenden Schaden zufügen, niemanden körperlich fürs Leben schädigen. Auch Thortsen erklärt nachdenklich: „Heute kann ich keine Nazis jagen – dann müsste ich mich ja durch die Stadt prügeln, bei den ganzen AfD-Wählern.“
Wünschenswert gewesen wäre, wenn der Film auch jemanden interviewt hätte, die/der in der Antifaşist Gençlik (1) aktiv war. Am 4. April 1992 attackieren Antifaschist*innen ein Treffen der neofaschistischen „Deutschen Liga für Volk und Heimat“. Im Laufe der Auseinandersetzung wurde deren Funktionär Gerhard Kaindl erstochen, mehrere andere Nazis wurden verletzt.
Polizei und Staatsschutz ermittelt gegen das Umfeld von Antifaşist Gençlik wegen Mordes und sechsfachen Mordversuchs, diese löste sich unter dem Repressionsdruck auf. „Der ‚Fall Kaindl‘ wurde in der autonomen Antifa-Bewegung der 1990er-Jahre breit diskutiert – mehrere Antifa-Broschüren befassten sich mit den Folgen sowie mit ethischen Fragen von antifaschistischem Selbstschutz, von Militanz und ihren Grenzen.“ (2)
Ein Verdienst des Films ist es, die Recherchearbeit, die neben Aufklärung auch Analyse der Nazinetzwerke und Kritik der Untätigkeit des Staates bedeutet, in den Vordergrund zu stellen. Antifa-Arbeit ist zum größten Teil gewaltfrei. Im Film wird allerdings mehr über Kampfsportübungen geredet als über diese wichtige Frage. Navid wird in einem Kampfsporttrainingsraum interviewt. So vermittelt der Film den fatalen Eindruck, dass aktive Beteiligung an Antifa-Gruppen nur etwas für junge, sportliche Leute ist.
Ärgerlich ist, wie der Film mit Archivmaterial linker Medienzentren und Ausschnitten aus Dokus umgeht: Da werden etwa Aufnahmen aus dem Film „Red Cops“ des selbstorganisierten Medienpädagogischen Zentrums, MPZ, Hamburg hineinmontiert. Die Red Cops waren Teil einer Jugendbewegung, die in den 80igern Gegenwehr gegen die Naziskinhead-Szene organisierte und sich nach der Ermordung von Mehmet Kaymakçı und Ramazan Avcı (3) durch Naziskins 1985 herausbildete (4). Anders als die Naziskinbewegung wurde diese von der Hamburger Polizei vor 1989 zerschlagen. An die für die Community der Eingewanderten aus der Türkei bis heute präsente Ermordung von Ramazan Avcı erinnert eine Initiative (5). Diese Kontextualisierung wäre wichtig, weil es in der DDR und auch in Westdeutschland schon vor 1989 Neonazi-Terror gab.
Auch die Antifa-Aktivitäten der 1970iger und 80iger werden nicht benannt, obwohl die Ansätze der 90iger daran anknüpften. So ging etwa die Antifa-Aktivität des Kommunistischen Bundes (KB) in Hamburg in den 70igern gegen die von Michael Kühnen mit seinen Adjutanten Christian Worch und Thomas Wulff geführte Hansabande vor, die 1983 verbotene „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“, ANS/NA (6).
Rostock-Lichtenhagen als Zäsur
Der Film beginnt mit der tagelangen gewalttätigen Belagerung der Zentralen Aufnahmestelle (ZASt) und dem daneben stehenden weiteren Hochhaus mit dem Arbeiterwohnheim in Rostock-Lichtenhagen 1992. Die schockierenden Bilder des brennenden Hochhauses mit der prägnanten Sonnenblumenseitenfassade, wo Nazis unter dem Beifall der Nachbarschaft Molotow-Cocktails in die Wohnungen werfen, sind zu sehen. Nina erklärt im Interview, wie sie im Fernsehen die Bilder der Angriffe gesehen hat und mit ein paar Antifas kurzentschlossen aus Rendsburg nach Rostock gefahren ist. Was im Film fehlt: Die Ohnmacht der Rostocker Antifas wie auch der wenigen Angereisten – zu denen auch der Autor gehörte. Tagsüber traute sich kein Antifa, in Rostock-Lichtenhagen zu demonstrieren: gegen einen Großteil der Bevölkerung?
Für mich war Rostock-Lichtenhagen eine Zäsur. Davor richtete sich Antifa gegen Nazikader und -schläger, danach ging es gegen die nationalistische deutsche Mehrheitsmeinung.
Rostock-Lichtenhagen nicht als Niederlage gegen die deutsch-nationale Gewalt zu benennen, ist ein Fehler, durch den die Erzählung des Films zu glatt wird. Für die Herausbildung einer anti-deutschen Orientierung bei vielen radikalen Linken und Antifas in den 90iger Jahren war die Debatte um Konsequenzen aus dieser Niederlage prägend (7). Die Debatte um antideutschen oder antiimperialistisch grundierten Antifaschismus führte 2004 zur Aufteilung der Autonomen Antifa M in zwei Nachfolgegruppen und bereits 2001 zur Auflösung der AA/BO und Neuorientierung entweder in Richtung „Interventionistische Linke“ oder zum Bündnis „Ums Ganze“.
Vieles wird im Film angerissen, was sich zu vertiefen lohnt. Das Kollektiv leftvision möchte den Film für Veranstaltungen in linken Räumen verleihen, damit er neben Kinovorführungen auch im Rahmen von Debatten, zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Antifa-Bewegung, gezeigt wird.
(1) https://unrast-verlag.de/produkt/antifa-genclik/
(2) https://anarchismus.at/blog-antifa/7449-der-fall-kaindl
(3) https://www.nd-aktuell.de/artikel/
1154528.migrantischer-widerstand-rastlos-gegen-rassismus.html
(4) Interview Perihan und Ünal: „Die Ermordung von Ramazan Avcı war ein Wendepunkt in der Migrationsgeschichte.“ Graswurzelrevolution 357, März 2011, http://www.graswurzel.net/357/avci.shtml
(5) „Ja, wir sind nicht am Ende“ Interview Ünal Zeran/RAI, Graswurzelrevolution 377, März 2013.
(6) Nachzulesen in der von der Antifa-Kommission des 1991 aufgelösten KB als Antifaschistische Gruppe Druschba Narodnych 1994 veröffentlichten Broschüre „1974–1994, Zwanzig Jahre Nazis in Hamburg“. https://www.nadir.org/nadir/archiv/Antifaschismus/Regionen/Hamburg/NaziBrosch_scr.pdf
(7) Antifa-Politik in Deutschland nach den Pogromen: Der rassistische Konsens, https://jungle.world/artikel/2012/34/der-rassistische-konsens