Am 25. August 2021 wurde Homayoun Sabetara, ein aus dem Iran geflohener Migrant, von der griechischen Polizei festgenommen, nachdem er ein Auto über die türkisch-griechische Grenze gefahren hatte. In einem unfairen Verfahren wurde er am 26. September 2022 wegen „Menschenschmuggels“ zu 18 Jahren Haft verurteilt. Seit seiner Verhaftung saß er drei Jahre im Gefängnis in Griechenland. Zum Zeitpunkt seiner Flucht aus dem Iran hatte er keine legale und sichere Möglichkeit, nach Deutschland zu gelangen, wo seine Kinder leben. Am 16. Dezember 2024 wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Sein Prozess vor dem Supreme Court wurde auf den 19. September 2025 verschoben. (GWR-Red.)
Graswurzelrevolution (GWR): Ihr habt euch als Solidaritätsgruppe gegründet, um Homayoun Sabetara, der in Griechenland wegen „Schlepperei“ angeklagt ist und in Haft saß, zu unterstützen. Was war zuvor passiert und was ist der aktuelle Stand?
Kampagne „Free Homa-youn“: Es ist Homayouns Tochter Mahtab Sabetara zu verdanken, dass der Fall ihres Vaters überhaupt an die Öffentlichkeit gelangte. Als Aktivistin der Woman-Life-Freedom*-Bewegung war sie in Berlin gut vernetzt und suchte sich Unterstützung, als sie von der Verhaftung ihres Vaters erfuhr. Homayoun war auf dem Weg zu ihr nach Berlin, als er hinter der türkisch-griechischen Grenze verhaftet wurde. Wir alle wussten bis dahin nicht, dass in Griechenland von jedem ankommenden Auto oder Boot mit Migrant*innen mindestens eine Person verhaftet und als „Schmuggler*in“ kriminalisiert wird. Das war 2021.
Homayoun hat immer gespürt, dass das Gericht rassistisch handelt und bereits eine Vorverurteilung gegen Migrant*innen mit seinen Anklagepunkten getroffen hat. Das Gericht bemüht sich nicht um Fairness und Menschlichkeit. Der Staatsanwalt hat die tatsächlichen Beweggründe von Homayouns Handeln nicht berücksichtigt.
Ab der Festnahme wurde Homayoun Sabetara immer in Haft gehalten. Zuerst über ein Jahr bis zu seinem Prozess, in dem er trotz mangelnder Beweise zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er ein Auto mit sieben weiteren Personen aus der Grenzregion nach Thessaloniki gefahren hat. Dann weitere zwei Jahre bis zum Berufungsprozess, in dem seine Strafe reduziert wurde, aber wieder kein Freispruch erfolgte. Das Gericht hatte es nicht geschafft, den einzigen Zeugen zu finden, auf dessen schriftlich festgehaltener Aussage Homayouns Verurteilung basiert. Er konnte nicht befragt werden, wie es für ein faires Verfahren Voraussetzung wäre. Wir ziehen das Verfahren weiter, bis es einen Freispruch gibt. Die nächste Instanz ist der Oberste Gerichtshof in Athen, an dem wir am 19. September 2025 den nächsten Termin haben.
GWR: Ihr habt von Beginn an den Gerichtsprozess von Homayoun begleitet. Wie habt ihr den Prozess in Griechenland erlebt?
Wir haben erlebt, dass in den griechischen Gerichten keine Verfahren stattfinden, die rechtsstaatlichen Standards entsprechen. Deshalb war es uns wichtig, für Homayouns Berufungsprozess die bestmögliche Rechtsvertretung zu finden und Prozessbeobachter*innen vor Ort zu haben. Allem voran stand immer das bange Warten, ob der Prozess tatsächlich stattfinden würde. Immer wieder wurde er vertagt. Für Homayoun bedeutete das eine ständige Ungewissheit, wann er aussagen muss, welche Entscheidung das Gericht dann treffen würde. Es bedeutete immer auch eine Verlängerung der Haftzeit. Das war psychologisch nur sehr schwer zu ertragen.
Homayoun hat immer gespürt, dass das Gericht rassistisch handelt und bereits eine Vorverurteilung gegen Migrant*innen mit seinen Anklagepunkten getroffen hat. Das Gericht bemüht sich nicht um Fairness und Menschlichkeit. Der Staatsanwalt hat die tatsächlichen Beweggründe von Homayouns Handeln nicht berücksichtigt. Dabei gab es keinerlei Beweise für organisierte Kriminalität, Gewinnstreben oder bewusste Gefährdung anderer Menschen.
Vor Gericht gab es keine adäquaten Übersetzungen. Ein Dolmetscher, den wir dem Gericht vorgeschlagen haben, wurde abgelehnt. Über weite Teile des Prozesses konnte Homayoun also nicht vollständig verstehen, was über ihn gesprochen und wie sein Fall verhandelt wurde. Das ist übrigens eine traurige Kontinuität seit seiner Festnahme.
Weiter hat das Gericht eine Aussage von Homayoun verwendet, die er nach seiner Festnahme bei der Polizei unter Gewaltanwendung und ohne Übersetzung unterschreiben musste. Im ganzen Prozess gab es einen einzigen Zeugen, der aber nie vor Gericht erschien. Seine widersprüchlichen Aussagen konnten so nie hinterfragt werden. Es ist rechtswidrig, sie dennoch zu verwenden. Das Gericht tat es trotzdem und verurteilte Homayoun auf dieser Grundlage erneut.
GWR: Homayoun wurde über drei Jahre in Haft gehalten. Was hat er von dieser Zeit berichtet?
In seiner Zeit in Haft hat Homayoun sich meist nur vorsichtig zu den Bedingungen geäußert, um seine Kinder nicht zu beunruhigen. Aber sein Gesundheitszustand wurde immer schlechter, physisch und psychisch, was klar auf die Haftbedingungen und unzureichende medizinische Betreuung zurückzuführen war. Er ist über 60 Jahre alt, hat seit mehreren Jahren Krebs und in der Haft eine schwere Lungenkrankheit entwickelt. Wir waren in zunehmender Sorge, dass Homayoun die Zeit in Haft nicht überleben würde.
Wir wussten vom Platzmangel in überfüllten Zellen, ungenügendem und schlechtem Essen, zu wenig Trinkwasser und einem Fehlen an Beschäftigungsmöglichkeiten. Er konnte sich nur selten bei seiner Tochter Mahtab melden, da er kein Telefon haben durfte. Es war nicht möglich, Briefe ins Gefängnis zu schicken oder aus dem Gefängnis zu versenden.
Nach seiner Entlassung auf Bewährung im Dezember 2024 hat Homayoun dann erstmals ausführlich über seine Erlebnisse in der Haft gesprochen. Das Ausmaß der körperlichen und psychischen Belastung in Haft ist vermutlich nicht nachvollziehbar, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Homayoun sprach von anderthalb Jahren in einem Kellerraum ohne Fenster, viel Drogenkonsum um ihn herum, sozialen Schwierigkeiten zwischen den inhaftierten Menschen.
GWR: Ihr schreibt, dass in Griechenland Migrant*innen mittlerweile die zweitgrößte Gruppe in den Gefängnissen sind. Welche Rolle spielt Knast im europäischen Grenzregime?
In den griechischen Gefängnissen hat Homayoun vor allem asylsuchende Menschen getroffen, die wie er als „Schmuggler“ kriminalisiert wurden, oder Personen, die wegen kleinerer Drogendelikte verurteilt worden waren. Nie waren es die tatsächlich Verantwortlichen, die lange Haftstrafen absitzen mussten. Das Gefängnis isoliert arme und marginalisierte Menschen. Es dient der Abschreckung.
Grundsätzlich wird in Europa eine Angst um Wohlstandsverlust mit einem Kampf gegen Migration beantwortet. Dadurch werden an den Rand gedrängte und vulnerable Personengruppen noch mehr zu Feindbildern gemacht. Griechenland geht dabei keinen Sonderweg in Europa, sondern setzt Ziele und Gesetze der Europäischen Union um.
Mit der hohen Zahl an Festnahmen und Anklagen als vermeintliche „Schmuggler“ weist der griechische Staat Erfolge vor, die finanzielle Zuwendungen rechtfertigen. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass es für den Großteil der Menschen keine sicheren Fluchtrouten nach Europa gibt. Sie müssen die abgeschotteten Grenzen überwinden, um ein Asylgesuch stellen zu können. Und genau dafür werden sie dann kriminalisiert.
Auch in Homayouns Fall wurde nicht berücksichtigt, dass er vordergründig ein Mensch auf der Flucht aus dem Iran auf dem Weg zu seiner Familie nach Deutschland ist. Um in Europa Asyl zu beantragen, musste er auf europäischen Boden gelangen. Für Homayoun bedeutete dies, nach mehreren Tagen im Wald in der Evros-Region, eine Entscheidung zu treffen: dort zu bleiben und zu sterben, oder dem Druck nachzugeben, ein Auto zu fahren, obwohl dies nicht vereinbart war. Der juristischen Konsequenzen war er sich nie bewusst.
Das System Knast ist ein wesentlicher Bestandteil der Festung Europa. Es hat viele Formen, sei es das tatsächliche Gefängnis, seien es Lager oder örtliche Eingrenzungen. So darf Homayoun auch jetzt aufgrund seiner Bewährungsauflagen Thessaloniki nicht verlassen. All diese Mechanismen sollen Menschen abschrecken, nach Europa zu kommen.
GWR: Ihr habt als Solidaritätsgruppe dafür gesorgt, dass der Fall Homayoun auch über Landesgrenzen hinweg Öffentlichkeit erfährt. Welche Rolle spielt eure Arbeit dabei, dass Homayoun aktuell zwar nicht freigesprochen, aber auf freiem Fuß ist?
„Schmuggler“-Verfahren in Griechenland mit Pflichtverteidigung dauern im Schnitt nur 17 Minuten. Es werden unverhältnismäßig hohe Haftstrafen von durchschnittlich 46 Jahren verhängt. Das hat eine Studie von borderline-europe gezeigt, einer Organisation die auch Homayoun von Anfang an begleitet hat. Wenn gute Anwält*innen genau hinschauen, gibt es für die angeklagten Personen bessere Urteile bis hin zu Freisprüchen. Diese haben sich in den vergangenen Monaten gehäuft, seit einige Gerichte anerkennen, dass Menschen, die Asyl suchen, nicht kriminalisiert werden dürfen. In Homayouns Fall haben wir als Kampagne vor allem mit dazu beigetragen, die Anwälte bezahlen und die Gerichtskosten für die Berufung decken zu können.
GWR: Die wenigsten haben eine Solidaritätsgruppe an der Seite, die Öffentlichkeit schafft und Druck macht. Wie kann Soli-Arbeit aussehen, die über den „Einzelfall“ hinausgeht?
Wir möchten betonen, dass Homayoun kein Einzelfall ist. Gleichzeitig haben wir die Chance gesehen, dem Thema ein Gesicht zu geben und Menschen emotional abzuholen. Aus unserer Sicht war das ein Erfolgsfaktor, vom Einzelfall ausgehend auf ein systematisches Problem aufmerksam zu machen.
Auch Netzwerkarbeit war für uns wichtig. Wir sind Teil des Captain Support Networks geworden, das Menschen und Organisationen zahlreicher Länder zusammenbringt, um Betroffene zu unterstützen und politische Arbeit zum Thema zu machen. Dort werden Ressourcen geteilt und Erfahrungen ausgetauscht.
Eine langwierige, aber auch wichtige Arbeit ist es, auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. Die Kriminalisierung von Migrant*innen und solidarischen Menschen wie Seenot-retter*innen basieren alle auf derselben europäischen Gesetzesgrundlage, dem Facilitators Package. Dieses ist gerade in der Überarbeitung und der aktuelle Änderungsentwurf sieht Verschärfungen statt Korrekturen vor.
GWR: Die Kriminalisierung von Migration trifft nicht nur Migrant*innen, sondern auch Menschen, die Strukturen der Solidarität aufbauen. In Polen stehen gerade fünf Aktivist*innen vor Gericht, weil sie Decken und Nahrung an Geflüchtete verteilt haben sollen. Welche Erfahrungen macht ihr in eurer Solidaritätsarbeit mit staatlichen Institutionen?
Bisher erleben wir mit der Art unserer Solidaritätsarbeit keine Repression. Die staatliche Gewalt trifft in unserem Fall Homayoun. Er erlebte seitens der Behörden Rassismus, Erniedrigung und körperliche Gewalt – so wie es auch andere Migrant*innen berichten.
Gleichzeitig wissen wir aber von vielen Menschen in unserem Netzwerk, die wegen ihrer politischen Arbeit kriminalisiert werden. Die europäische Politik arbeitet mit dem neuen Faciliators Package gerade darauf hin, dass schon Informationen rund um Migration als Beihilfe zur illegalen Einreise ausgelegt werden können. Die gleiche Gesetzgebung, die jetzt vor allem Migrant*innen trifft, kann zukünftig also auch vermehrt solidarische Menschen treffen und potenziell unsere Arbeit erschweren.
GWR: In Deutschland gibt es zwar Brandmauer-Demos mit hunderttausenden Teilnehmenden, aber wenig Praxis gegen Abschiebungen. Was braucht es von einer deutschen Linken in der gegenwärtigen Situation?
Aus unserer Sicht braucht es eine solidarische Haltung, die auch langfristig verschiedene Menschen und Thematiken mitdenkt, ohne davon abzuweichen oder der Gegenseite nachzugeben. Für viele aktuelle Probleme gibt es keine kurzfristigen Lösungen und es ist auch keine Verringerung der Komplexität in Aussicht. Jedoch sollten Themen wie Migration, Klima und soziale Gerechtigkeit immer Platz finden.
GWR: Was gibt euch Hoffnung in diesen Zeiten?
Der direkte Kontakt mit Homayoun, seit er nicht mehr im Gefängnis ist, hat uns viel Kraft gegeben. Persönlichen Kontakt mit einer Person zu haben, die während der eigenen gesamten Kampagne nie erreichbar war, hinterlässt ein positives Gefühl.
Wir bekommen auch viele Rückmeldungen, dass sie andere Menschen aktiviert hat, zu handeln und eigene Projekte zu starten oder bestehende zu unterstützen. Es gibt viele Menschen, die sich eine andere Welt wünschen und bereit sind, dafür aktiv zu werden.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.