Die UN Refugee Agency hat seit Anfang 2025 über 10.000 Ankünfte nach Europa über die zentrale Mittelmeerroute gezählt. Durch fragwürdige und menschenrechtswidrige Deals mit der Türkei, Tunesien, Libyen, Ägypten und Marokko versucht die EU, die Ankünfte zu verringern. Trotzdem schlagen weiter viele Menschen den Weg nach Europa ein.
Mit diesen Abkommen unterstützt die EU finanziell und logistisch die Sicherheitskräfte dieser Länder. Dies erweist sich einmal mehr als lebensgefährlich: Rassistische Hetze durch die Regierungen in Tunesien (1) und Libyen, die offen erklären, Migrant*innen nicht länger in ihren Ländern dulden zu wollen, haben in den letzten Wochen zunehmend zu Gewalt (2) gegen People of Color geführt. Diese Eskalation bringt noch mehr Menschen in lebensgefährliche (3) Situationen. Die EU trägt mit ihrer kontraproduktiven Politik zur Verschärfung der Lage bei. Angesichts dieser zunehmenden Bedrohung bleibt vielen Betroffenen oft nur die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer. Vonseiten der EU ist keine Solidarität oder Schutz zu erwarten.
Im Gegenteil: Am 11. März 2025 hat die EU-Kommission dem europäischen Parlament einen Plan zur Verschärfung (4) von Rückführungsregelungen vorgeschlagen, der nun beraten werden soll. Die Neuerungen ziehen in Betracht, Abschiebungsabkommen mit Drittstaaten zu ermöglichen, die Abschiebehaft in europäischen Ländern auszuweiten, mehr freiwillige Ausreisen zu erzwingen und Wiedereinreisesperren von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus einzuführen. Sogenannte Rückführungen, oder weniger beschönigt: Abschiebungen, betreffen Migrant*innen, die sich ohne regulären Aufenthaltsstatus in Europa aufhalten, also Menschen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, oder die ihr Visum überzogen haben. Die neue Regelung soll direkt anwendbar und gesetzlich bindend sein, sodass eine nationale Umsetzung nicht erforderlich wäre.
Die Reform sieht drei Möglichkeiten für Abschiebungen (5) vor. Sie sollen, wie bisher, in die Herkunftsländer der Betroffenen und in Transitstaaten möglich sein. Zusätzlich sollen Abschiebungen nun aber auch in beliebige Drittländer möglich sein, wenn mit einem Mitgliedstaat ein entsprechendes Abkommen abgeschlossen wird. Der entscheidende Unterschied ist, dass Migrant*innen nun ohne deren Zustimmung (6) in ein von der Regierung gewünschtes Land abgeschoben werden können – auch in Länder, in denen sie noch nie zuvor waren.
Die Kommission plant weitere Maßnahmen, wie die Abschaffung der bisher EU-weit einheitlichen Frist von sieben bis dreißig Tagen für die freiwillige Ausreise. Künftig sollen die Mitgliedstaaten selbst über die Fristsetzung entscheiden dürfen. Muss diese Frist von den EU-Staaten nicht mehr eingehalten werden, besteht zwar theoretisch weiterhin die Option zur freiwilligen Ausreise – praktisch ist sie aufgrund der massiven Fristverkürzung jedoch kaum noch umsetzbar. In der Folge können Betroffene der Abschiebehaft nicht mehr entgehen, da sie die Frist nicht einhalten können. Die sogenannte „freiwillige“ Rückkehr wird faktisch zur Zwangsrückführung.
Mitgliedstaaten sollen auch die Möglichkeit haben, durch Abschiebedeals mit Drittstaaten gefängnisähnliche Rückführungszentren (sogennante „return-hubs“) außerhalb der EU zu errichten. Dort sollen Menschen inhaftiert werden, gegen die ein Abschiebebescheid vorliegt. Gleichzeitig sieht die Kommission vor, Gründe für eine Abschiebehaft zu erweitern und die reguläre Haftdauer von sechs auf zwölf Monate zu verdoppeln. Juristisch gesehen ist die Haft eigentlich nur als allerletztes Mittel („ultima ratio“) einzusetzen, da es ein starker Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit eines jeden Menschen ist. Mit der geplanten Änderung der Haftgründe könnte die Inhaftierung von Schutzsuchenden nun also zur Norm werden, was klar im Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Grundrechten steht.
Mit der geplanten Änderung der Haftgründe könnte die Inhaftierung von Schutzsuchenden nun also zur Norm werden, was klar im Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Grundrechten steht
Die EU-Kommission (7) erklärte, dass die EU-Länder, die über externe „Rückführungszentren“ verhandeln, Grundrechte in diesen sicherstellen müssten. Viele Kritiker*innen sind sich aber der dramatischen Folgen für Grundrechte von Migrant*innen bewusst. Laut Wiebke Judith von Pro-Asyl haben „solche Deals massive finanzielle, politische und vor allem menschliche Kosten“. Auch Marta Welander, EU-Advocacy-Direktorin beim International Rescue Committee (IRC), sieht das Vorhaben der EU-Kommission kritisch: „Obwohl unklar ist, welche Form die von der EU vorgeschlagenen Rückführungszentren genau annehmen werden, wissen wir, dass die bestehenden Migrationsabkommen der EU mit Nicht-EU-Ländern dazu geführt haben, dass Tausende Flüchtende und andere Migrant*innen Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung und Tod ausgesetzt waren.“ Diese Befürchtungen sind begründet, wie die jüngste Eskalation der Gewalt in Tunesien und Libyen zeigt.
Es gibt keine kohärente Logik hinter der Externalisierung. Externe Grenzzentren wie die, die von Italien in Albanien errichtet wurden, haben sich bereits als kostspielig, rechtswidrig (8) und bürokratisch wie logistisch ineffizient erwiesen. Die italienische Regierung hat bereits dreimal versucht, im Mittelmeer gerettete, nicht-vulnerable Schutzsuchende aus sicheren Drittstaaten in Grenzzentren in Albanien unterzubringen, um sie in beschleunigten Asylverfahren innerhalb eines Monats direkt zurückzuschicken. Dagegen hat das zuständige Gericht in Rom jedoch in allen drei Fällen Einspruch erhoben und die Migrant*innen zurück auf italienisches Festland bringen lassen. Insgesamt können die Pläne der Kommission nur als aussichtslose Strategie interpretiert werden. Sie sind Ausdruck eines Rechtsrucks in Europa und diskriminieren politisch ungewollte Minderheiten. Die Reform kann nur als weiterer Schritt in Richtung Abschottung und menschenverachtende Politik verstanden werden.
Die gefährlichen Ergebnisse der Sondierungsgespräche in Deutschland
Seit den Sondierungsgesprächen (9) zwischen CDU/CSU und SPD Anfang März zeichnet sich ein deutlicher Kurswechsel auch in der deutschen Migrationspolitik ab. Die geplanten Maßnahmen folgen dem Trend der Verschärfung – mit erheblichen Konsequenzen für den Flüchtlingsschutz.
In den Gesprächen wurden mehrere Veränderungen vorgeschlagen. So sollen Zurückweisungen an den Grenzen Deutschlands ermöglicht werden, ohne dass ein Asylverfahren eingeführt werden muss. Dies stellt einen klaren Verstoß gegen EU-Recht dar und würde Migrant*innen zunehmend kriminalisieren. Bisher (10) ist eine Zurückweisung lediglich bei fehlenden Reisedokumenten oder Einreisesperren erlaubt. Österreich etwa hat bereits angekündigt, keine von Deutschland abgewiesenen Personen an der Grenze zu übernehmen, da Zurückweisungen von Migrant*innen grundsätzlich dem Dublin-Verfahren folgen müssten. Gleichzeitig sollen mehr Abschiebehaftplätze geschaffen und die Grenzkontrollen verschärft werden – immer mit dem Ziel, Asylsuchende noch vor der Einreise abzufangen. Diese Maßnahmen tragen zur weiteren Kriminalisierung von Migration bei und verstärken das Bild von Migrant*innen als Sicherheitsgefahr. Migration wird so noch mehr als Bedrohung dargestellt, und nicht als humanitäre Herausforderung.
Besonders schwerwiegend ist die geplante Aussetzung des Familiennachzugs (11) für subsidiär Schutzberechtigte, zu denen häufig syrische Geflüchtete zählen. Für zwei Jahre sollen sie keinen Anspruch mehr auf den Nachzug naher Angehöriger haben. Auch humanitäre Aufnahmeprogramme für gefährdete afghanische Staatsangehörige sollen eingestellt und nicht wieder aufgelegt werden. Ein weiterer Punkt ist die geplante Abschaffung (12) der erst kürzlich eingeführten Pflicht zur anwaltlichen Vertretung vor der Abschiebung (13) – ein Schritt, der die Rechte Betroffener sehr schwächt. Zudem soll die Liste sogenannter „sicherer Herkunftsstaaten“ erweitert werden: Indien, Marokko und Tunesien sollen künftig dazugehören, obwohl dort zahlreiche Gruppen wie religiöse Minderheiten, queere Menschen oder politische Aktivist*innen nicht sicher leben können. Um Abschiebungen durchzusetzen, will die Koalition verstärkt Druck auf Herkunftsstaaten ausüben – notfalls mit Sanktionen wie Visaeinschränkungen, Handelsbarrieren oder Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit.
Diese deutlich härtere vorgeschlagene Linie (14) markiert die schärfste Asylpolitik in Deutschland seit Jahrzehnten. Sie ist eine direkte Reaktion auf den zunehmenden Druck von rechts und stellt den Versuch dar, sich mit dem politischen Rechtsruck seit der Bundestagswahl im Februar 2025 zu arrangieren. Während die CDU sogar Asylzentren außerhalb Europas fordert, blockiert die SPD diesen Vorschlag bislang. Die Einigungen, die während den Sondierungsgesprächen festgelegt wurden, sind jedoch noch nicht bindend (15) und müssten erst in einem Koalitionsvertrag konkretisiert werden. Sollten diese Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, stünde eine tiefgreifende Aushöhlung grundlegender Menschenrechte bevor. Migration würde weiterhin als Bedrohung für die innere Sicherheit behandelt – ein Narrativ, das nicht nur entmenschlichend wirkt, sondern auch rassistische Diskurse reproduziert. Die Folge wäre eine Politik, die Diskriminierung, Ausgrenzung und letztlich auch Gewalt an Migrant*innen ermöglicht und Menschenrechtsverletzungen weiter befeuert.
(1) https://www.arabnews.com/node/
2594929/amp
(2) https://www.refugeesinlibya.org/post/drastic-outbreak-of-racist-violence-against-black-people-in-libya
(3) https://ilmanifesto.it/in-tunisia-scatta-la-caccia-ai-migranti-subsahariani
(4) https://www.proasyl.de/pressemitteilung/pro-asyl-zu-verschaerften-abschiebeplaenen-der-eu-kommission-absurd-und-unmenschlich/
(5) https://www.euractiv.com/section/politics/news/return-hubs-possible-under-new-eu-rules/
(6) https://euobserver.com/migration/ar58219782
(7) https://www.theguardian.com/world/2025/mar/11/plan-to-deport-more-people-from-eu-allows-prolonged-detention-say-critics
(8) https://www.proasyl.de/news/harte-vorschlaege-der-eu-kommission-mehr-haft-und-deals-mit-drittstaaten/
(9) https://www.proasyl.de/news/sondierungsergebnisse-menschenwuerde-menschlichkeit-und-menschenrechte-bleiben-auf-der-strecke/
(10) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/koalitionsvertrag-begrenzung-migration-100.html?utm_source=chatgpt.com
(11) https://www.reuters.com/world/europe/germanys-incoming-government-agrees-get-tougher-illegal-migration-2025-04-09/?utm_source=chatgpt.com
(12) https://www.politico.eu/article/germany-government-deal-migration-policy-cdu-friedrich-merz-spd/?utm_source=chatgpt.com
(13) https://taz.de/Nach-Reform-bei-Abschiebungen/!6006808/
(14) https://www.politico.eu/article/germany-government-deal-migration-policy-cdu-friedrich-merz-spd/?utm_source=chatgpt.com
(15) https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/asylrecht-zurueckweisungen-
100.html?utm_source=chatgpt.com
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.