die waffen nieder

Erfrischend antistaatlich

Ole Nymoens Buch gegen die Kriegstüchtigkeit könnte einen fröhlichen antimilitaristischen Neuanfang anstoßen

| Wilhelm Achelpöhler

Unbenannt

Ole Nymoen: Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde. Gegen die Kriegstüchtigkeit, Rowohlt, Hamburg 2025, 144 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-499-01755-1

„Für Deutschland kämpfen – never“, am Anfang stand dieser Artikel in der „Zeit“, in dem der 26-jährige Journalist Ole Nymoen Einspruch gegen den allgegenwärtigen Ruf nach mehr Kriegstüchtigkeit einlegte. Er wies darauf hin, dass im Krieg für die eigene Herrschaft gestorben wird. Das kann sich für die Herrschaft lohnen, die ihre Souveränität verteidigt oder gar ausweitet, den Einzelnen kostet Krieg freilich oft das Leben. „Der Sieg des eigenen Staates kann mit dem Leben erkauft werden, und umgekehrt kann das eigene Leben durch die Niederlage der Herrschaft gerettet werden“. Vergleichsweise klare Einsichten, die aber einen Sturm der Entrüstung auslösten, weshalb der Rowohlt Verlag Ole Nymoen bat, doch gleich ein Buch daraus zu machen. Und der begab sich dann gleich mit 144 Seiten bewaffnet in den publizistischen Schützengraben. Es ist ein in vielerlei Hinsicht verdienstvolles Buch.
Es ist ein klarer Gegenpol zu dem unerträglichen Kriegsgeflüster, das einem seit Beginn des Ukrainekriegs aus nahezu jeder Talkshow entgegenschallt. Ole Nymoen meidet jede Heuchelei. Sein Interesse („Ich will leben“) ist für ihn keine Erfüllung einer höheren Pflicht, also irgendwelcher Gewissensgebote oder religiöser Überzeugungen, er sieht sich vielmehr als „Internationalist“ und meint, dass ihn von Soldaten eines anderen Landes weniger trennt, als von seiner eigenen Herrschaft. Das war mal eine weit verbreitete Ansicht. In der Verfassung von Berlin gibt es z. B. bis heute den Art. 30 Abs. 2, der ganz ohne Gewissensentscheidung auskommt: „Jedermann hat das Recht, Kriegsdienste zu verweigern, ohne dass ihm Nachteile entstehen dürfen“. Ähnliche Regelungen gab es in Baden-Württemberg, Hessen und Bayern.
Gerade dieses unbedingte Bestehen auf dem eigenen Interesse – an nichts weniger als dem eigenen Leben – erscheint als etwas Unerhörtes. In einer Gesellschaft, wo sonst Individualismus, die Suche nach dem eigenen Vorteil als die höchste aller Tugenden gilt, wird Ole Nymoen angekreidet, dass er sein Leben nicht opfern will – für Deutschland. Ein Vorwurf, den er geschickt kontert: „Publizisten, die bereits in einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn den Weg zur Knechtschaft wittern, Ökonomen, die in der kleinsten steuerlichen Mehrbelastung des reichsten Prozents stalinistische Kollektivierung erahnen, sie alle halten diese unvergleichbare Einschränkung der Freiheit für eine objektive Notwendigkeit, der sie noch nicht einmal ein ‚leider‘ voranstellen“, heißt es auf Seite 69. „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen“, dieser in Zeiten des Nationalsozialismus in Hamburg zu Denkmalehren gekommene Spruch, scheint noch in vielen Köpfen zu stecken. Heute kommt er natürlich nicht mehr so martialisch daher wie in dem Soldatendenkmal aus dem Jahr 1936. Heute sehen seine Propagandistinnen aus wie die Besucherinnen eines Kirchentages oder die Mitglieder einer ukrainischen Folkloregruppe. Wie das Publikum der Sendung „Bosetti“ bei 3 SAT etwa, als dort am 16. März 2025 die Frage Pro und Contra sterben fürs Vaterland zwischen Ole Nymoen und Marina Weisband (Bündnis 90/Die Grünen) diskutiert wurde. Der gute Grund für den Krieg ist heute nicht mehr die Verteidigung des Vaterlandes mit Gottes Hilfe (Weltkrieg I) oder Nation und Rasse (Weltkrieg II), sondern der Erhalt der Meinungsfreiheit, mag die auch nur dann und auch nur solange gewährleistet sein, wie sie folgenlos bleibt.

Es ist ein klarer Gegenpol zu dem unerträglichen Kriegsgeflüster, das einem seit Beginn des Ukrainekriegs aus nahezu jeder Talkshow entgegenschallt.

Dabei steht die tatsächliche Bereitschaft zum Kriegsdienst in der Bevölkerung in bemerkenswertem Gegensatz zu den allgegenwärtigen Talkshow-Expert*innen. Je nach Umfrage sind nur 19 % oder 5 % der Bevölkerung tatsächlich zur Vaterlandsverteidigung bereit, wie Nymoen gleich am Anfang erfreut feststellt.
Im ersten Kapitel erläutert Nymoen den Sinn des Krieges, der den Staaten dazu „dient, ihre Machtansprüche zu erhalten und zu erweitern“ (S. 69), polemisiert auf sieben Seiten gegen Lenin, was diesem zwar nicht ganz gerecht wird, umso mehr allerdings den heutigen „Leninisten“. „Staaten sind für mich Herrschaftskonstrukte, deren Existenz für ihre Untertanen alles andere als funktional ist. […] Staatsbürger zu sein ist kein Glück, sondern ein Pech“, schreibt er auf Seite 59. Kein Wunder also, dass ihn Marina Weisband für einen Anarchisten hält. Anarchismus, ein Ziel, das ihr sympathisch sei, aber nur schrittweise erreicht werden könne, vermutlich mit Forderungen wie dieser im grünen Programm zur Bundestagswahl: „Für den potenziellen Verteidigungsfall braucht es schnelle Rekrutierungsmechanismen – unterstützt durch eine neue Form der Wehrerfassung“ (S. 154).
Im zweiten Kapitel seines Buches setzt Nymoen sich mit dem Unsinn des Krieges auseinander, vor allem aber mit dem Unsinn, die Politiker wie Blödelkünstler zum besten geben, wenn sie Kriegsdienst mit einer Analogie zu individuellen Notwehrlagen rechtfertigen. Nur dann, wenn ausnahmsweise ein Krieg nicht auf das Auswechseln der Herrschaft, sondern auf die Vernichtung einer Bevölkerung zielt, ist ein solcher Vergleich aus Nymoens Sicht gerechtfertigt, was freilich beim aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine nicht der Fall sei. Am Ende des Buches setzt er sich dann mit einigen bösen, aber durchaus exemplarischen Kommentaren auseinander, die er auf seinen Zeit-Artikel bekommen hatte.
Das Buch ist gut lesbar, gewürzt mit zahlreichen Bezügen zur Literatur.
Kurz und gut: das richtige Buch zur richtigen Zeit. Es könnte einen fröhlichen antimilitaristischen Neuanfang anstoßen, der angesichts der Entwicklung in der Welt und einer buchstäblich in die Jahre gekommenen „Friedensbewegung“ dringend notwendig ist.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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