Die sozialrevolutionäre indigene Bewegung der Zapatistas im südlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas trat am 1. Januar 1994 mit einem bewaffneten Aufstand erstmals öffentlich in Erscheinung. Der Name Zapatistas ist eine Reverenz an Emiliano Zapata, den libertär-sozialistisch inspirierten Protagonisten der Mexikanischen Revolution, in dessen Tradition sich die Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN, Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung) sieht. Seit Mitte Januar 1994 kämpfen die Zapatistas mit gewaltfreien, politischen Mitteln für die Rechte der indigenen Bevölkerung Mexikos, gegen neoliberale Wirtschaftspolitik und für autonome Selbstverwaltung. Siehe Schwerpunkt in GWR 485. Im folgenden Artikel berichtet Luz Kerkeling über die aktuellen Angriffe auf die selbstverwalteten Strukturen in Chiapas. (GWR-Red.)
Großgrundbesitzer*innen stehlen Land und Ernten und verbrennen Häuser, protegiert von staatlichen Kräften. Ziel ist die Zerschlagung der zapatistischen Autonomie. Zapatistas beraten klandestin ihre Selbstverteidigungsstrategien.
Chiapas, Mexiko. Ende September prangerte die Versammlung der Kollektive der autonomen zapatistischen Regierungen (span.: ACGAZ – die zivile Selbstverwaltungsstruktur der Bewegung) Provokationen und Übergriffe von Großgrundbesitzer*innen auf ihre Gemeinden an, die von staatlichen Kräften begleitet wurden: „Am 22. April, 12. Mai, 12. Juli und 29. August [2025] kamen 30 Personen aus dem offiziellen Landkreis Huixtán […], geschützt durch Bundesarmee und Bezirkspolizei von Ocosingo – zur Gemeinde Belén der kleinbäuerlichen Region des Caracol 8 von Dolores Hidalgo [einer von 12 autonomen Verwaltungssitzen, Anm.d.A.]. Dort leben unsere Compañeros der zapatistischen Unterstützungsbasis, die mit der Kollektivarbeit der Region, sowie den Arbeiten auf dem mit unseren nicht-zapatistischen Geschwistern gemeinschaftlich bewirtschafteten Mais-Bohnenfeld beauftragt sind. Dieses Stück Land ist seit 1994 wieder gewonnenes Land“. Als „wiedergewonnenes Land“ bezeichnen die Zapatistas ihre Landbesetzungen Mitte der 1990er Jahre, weil es ihren Vorfahren gewaltsam geraubt worden war. „Sie [die angeblichen Grundbesitzer, Anm.d.A.] zerstörten unsere Schilder und vermaßen das Land. Sie haben unsere Compañeros bedroht und drangsaliert, indem sie ihnen sagten, sie sollten das Land entweder im Guten oder im Bösen verlassen. […] Am 18., 20. und 22. September haben 15 Personen auf dem Stück Land Position bezogen. Am 20. September kamen erneut zwei Pickups der Bundesarmee, drei Pickups der Bezirkspolizei von Ocosingo, sowie vier Pickups der Generalstaatsanwaltschaft von Chiapas an. Sie [die angeblichen Grundbesitzer, Anm.d.A.] zerstörten und verbrannten die Häuser der beauftragten Mitglieder der zapatistischen Unterstützungsbasen, stahlen die jungen Maiskolben und diejenigen, die dort verblieben, stehlen weiter“.
Bei diesen Aktionen wurden den Zapatistas 47 Hektar Land geraubt. Die Zapatistas setzten sich für eine friedliche Lösung ein, was von den Aggressoren und den staatlichen Kräften jedoch ignoriert wurde.
„Wir haben versucht, mit ihnen in Dialog zu treten; sie sagten uns jedoch klipp und klar, dass die Regierung ihnen das Land bereits übertragen hat und sie die entsprechenden Rechtsdokumente besäßen.“

Solidarität mit den Zapatistas in San Cristóbal, Chiapas. Foto: Radio Zapatista
Hintergründe der Aggressionen
Die Pseudo-Argumentation der Großgrundbesitzer*innen und der drei Regierungsebenen ist absurd und basiert auf Lügen, da die Regierung in den 1990er Jahren zahlreiche Grundbesitzer für die von den Zapatistas und weiteren kleinbäuerlichen Bewegungen umverteilten Ländereien großzügig entschädigt hat. Der tatsächliche Grund für die Aggressionen ist kein lokaler Landkonflikt. Dieser ist nur ein Puzzle-Stein eines weitaus größeren Versuchs der Aufstandsbekämpfung, die von den Machthabern von der lokalen bis hinauf zur bundesweiten Ebene mit Desinformation, Bestechung, Korruption, Repression und Gewalt seit Jahrzehnten vorangetrieben wird. Aktuell nehmen die Angriffe sowie die Versuche, neoliberale „Entwicklungsprogramme“ wie Tagebau, Monokulturen, Super-Autobahnen, Infrastruktur- und Tourismusprojekte durchzusetzen, zu.
Seit 1994 kämpft die Bewegung um die EZLN unter der Parole „Land und Freiheit!“ gegen kapitalistische Ausbeutung, patriarchale Unterdrückung, rassistische Diskriminierung, fehlende Demokratisierung, die Gewaltherrschaft der ökonomisch- politisch-militärischen Eliten sowie die massive Umweltzerstörung. Die Zapatistas konnten so in den 1990er Jahren nicht wenige Ländereien der Großgrundbesitzer*innen – über 40.000 Hektar – zugunsten der marginalisierten, überwiegend kleinbäuerlich-indigenen Bevölkerung umverteilen. Zwölf Tage kämpfte die EZLN bewaffnet, seit Mitte Januar 1994 schweigen ihre Waffen.
Von Anfang an engagiert sich die Bewegung für eine umfassende Emanzipation aller marginalisierten Menschen. Es gelang ihr, aus eigener Kraft beachtliche selbstverwaltete Strukturen u.a. in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Frauenrechte, Ökonomie, Medien, Selbstverwaltung, autonome Rechtsprechung aufzubauen. Auf internationalem Niveau haben die Zapatistas inzwischen zu zig Kongressen eingeladen, um eine rebellische und emanzipatorische Globalisierung „von unten und links“ zu fördern. In ihrer Losung „Fragend gehen wir voran“ manifestiert sich der undogmatische Charakter der Bewegung.
„Viva el común! – Es lebe das Gemeinschaftliche“
Vor allem dank ihrer ausgeprägt basisorientierten Ausrichtung konnten die Zapatistas bis heute überleben, obwohl sie mehrmals totgesagt wurden. Die dominierende Ordnung Mexikos und der Welt analysieren und beschreiben die Zapatistas als eine Pyramide: Sehr Wenige beherrschen sehr Viele – selbstverständlich abgestuft, denn es gibt auch Profiteur*innen im „Mittelbau“ der Herrschaftspyramide. Ihre – nach eigenen Angaben – überwiegend gut funktionierenden rätedemokratischen Strukturen, in denen die Zapatistas nichts von einer autoritären Pyramide erleben wollen, haben sie 2023 nach jahrelangen Diskussionen und einer Selbstkritik, wie sie nur selten öffentlich von linksrevolutionären Organisationen zu hören ist, so verändert, so dass nun noch mehr Kompetenzen direkt an der Basis liegen (siehe Kasten), bei den Siedlungen und Dörfern.
Es geht den Zapatistas nun noch stärker um den Aufbau von solidarischer Gemeinschaftlichkeit („el común“), die sie aktiv voranbringen. Dazu lädt sie auch Menschen ein, die nicht Teil der Bewegung sind, aber selbstredend keine Anti-Zapatistas sein dürfen. So werden immer mehr Ländereien kollektiv bestellt – auch von solidarischen Nicht-Zapatistas. Gemeinsam mit den Zapatistas betreiben sie auf den Feldern kleinbäuerlichen Lebensmittelanbau und beteiligen sich an weiteren Gemeinschaftsprojekten. All das ist der herrschenden Klasse ein Dorn im Auge, denn so können Menschen den Fängen der zerstörerischen „Entwicklungsprojekte“ der Regierung sowie den Machenschaften des organisierten Verbrechens entrissen werden.
Solidarität
Das unabhängige Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas aus San Cristóbal, Chiapas, demaskiert die Strategie der politisch-ökonomischen Eliten in seinem Kommuniqué vom 30. September wie folgt: „Das Ziel war es, das zurückeroberte Territorium in Privatland umzuwandeln, was dazu führte, dass mindestens 13 Personen, allesamt Unterstützungsbasen der EZLN, sowie 40 nicht zur Zapatista-Bewegung gehörende Kleinbäuer*innen gewaltsam vertrieben wurden. Ihnen wurde das Land weggenommen, das ihre Lebensgrundlage und Arbeit darstellt, denn sie alle waren für die kollektive Arbeit in der Region und für die gemeinschaftliche Maisernte zuständig. […] Die Enteignung erfolgt im Rahmen der Kontinuität der Aufstandsbekämpfungsstrategie, was eine Provokation und direkte Konfrontation gegen die EZLN darstellt und das Leben und die Unversehrtheit der Menschen gefährdet, die in diesem Territorium leben. Die aktuelle politische Gewalt geht einher mit einem tiefgreifenden Enteignungsprozess, um das Territorium der Pueblos und Gemeinden von Chiapas endgültig den Interessen auszuliefern, die sich um die extraktivistischen Megaprojekte, die Megaprojekte der Infrastruktur, des Tourismus und der Energieindustrie gruppieren., auszuliefern. Wir fordern, dass die Unversehrtheit der Nicht-Zapatistas und der Unterstützungsbasen der EZLN sowie ihrer Territorien, in denen das Gemeinschaftliche und das Nicht-Eigentum aufgebaut werden, respektiert werden. Wir rufen die nationale und internationale Solidarität dazu auf, Maßnahmen zur Verteidigung des Lebens und des Territoriums zu ergreifen.“
Eine schnelle Antwort der Solidaritätsbewegung ließ nicht lang auf sich warten. In den ersten Oktobertagen veröffentlichten über 200 Gruppen und Kollektive – vor allem aus Mexiko und Europa Erklärungen, dass sie sich nicht von der mexikanischen Regierungspropaganda täuschen lassen. Sie deckten die wahren Hintergründe auf und stellten ihre unbedingte Solidarität mit den Zapatistas heraus. Auch öffentliche Protestaktionen wurden durchgeführt, vor allem in Mexiko-Stadt und den südlichen Bundesstaaten.
Das Netzwerk Europa Zapatista publizierte eine Protestnote, die von über 40 Organisationen und Kollektiven unterzeichnet wurde: „Seit dem bewaffneten Aufstand von 1994 haben die Zapatistas mit ihren Aktionen stets gezeigt, dass sie Frieden mit Gerechtigkeit und Würde schaffen wollen, durch ihr Engagement für die Verteidigung und den Aufbau einer autonomen Organisation, die von uns allen bewundert wird und ein Leuchtturm für unsere Kämpfe und Organisationen auf europäischem Gebiet ist. Das Projekt einer gemeinsamen Selbstverwaltung stellt ein Hindernis für die neo-entwicklungspolitische und assimilatorische Politik der aktuellen mexikanischen Regierung dar, die ‚das Indigene’ zulässt, solange es ihre tödliche Politik nicht in Frage stellt, und diejenigen marginalisiert und verurteilt, die weiterhin verlangen, Subjekte ihres eigenen Lebens zu sein und sich selbst zu regieren, mit Respekt vor Mutter Erde, und es wagen, ihre Freiheit zu erlangen und mit den Pyramiden [der Herrschaft] zu brechen.“
Leyla von der Solidaritätsbewegung aus Madrid betont im Interview: „Wir fordern die drei Regierungsebenen auf, die Autonomie der Zapatistas und die Ländereien, die sie 1994 in Würde zurückerobert haben, zu respektieren. Ländereien, die sie derzeit gemeinsam mit Brüdern und Schwestern bewirtschaften, die zwar keine Zapatistas sind, aber mit ihnen zusammenarbeiten, um sich eine würdige Zukunft außerhalb des kriminellen Netzwerks zu sichern, in das ein Großteil der indigenen Gemeinschaften geraten ist. Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass die jahrzehntelangen Friedensbemühungen durch diese Operationen zunichte gemacht werden, bei denen offenbar Konflikte zwischen indigenen Organisationen durch verschiedene staatliche Ebenen in Komplizenschaft mit dem organisierten Verbrechen geschürt werden.“
Die Zapatistas beraten sich
Es ist offensichtlich: Wieder einmal will die Regierung die Zapatistas nötigen, die Waffen erneut in die Hand zu nehmen, damit sie die Autonomie der rebellischen Gebiete endgültig militärisch zerschlagen kann. Die EZLN und ihre Basis beratschlagen nun, wie es weitergehen soll, wie die ACGAZ berichtet: „Unser Versuch, einen Dialog zu suchen, war vergeblich. Vielmals haben wir gesagt, wir wollen nicht den Krieg; was wir wollen, ist das Leben in Gemeinschaftlichkeit; sie zwingen uns jedoch dazu, uns zu verteidigen. Angesichts dieser Drohungen und gemäß der Übereinkunft der Vollversammlung der Kollektive der Zapatistischen Autonomen Regierungen haben wir vereinbart,uns zurückzuziehen, denn es muss geplant werden, sich zu verteidigen. […]
Compañeras und Compañeros Mexikos und der Welt, passt auf Euch auf. Vielleicht sehen wir uns noch oder nicht mehr. Es kann sein, dass wir uns zum letzten Mal auf diesem letzten Treffen im August [siehe Kasten] gesehen haben. Wir werden aufmerksam sein und in Kontakt und Euch auf dem Laufenden halten. Hoffentlich habt Ihr bei dem Treffen der Widerstände und Rebellionen im Semillero-Saatfeld all das verstanden, was wir dort gesagt haben, das heißt: die Suche nach dem Leben in Gemeinschaftlichkeit.“.
Weitere Infos unter:
www.ya-basta-netz.org /
www.gruppe-basta.de
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.