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Die gesellschaftlichen Bedingungen müssen von uns verändert werden

Signale aus der Nische: Kommuneinfotour 2006

| Uwe Kurzbein

Nach vielen Jahren scheint sich langsam herumzusprechen, dass das Leben in einer Gemeinschaft oder auch Kommune immer attraktiver wird. Das liegt sicherlich nicht an einem gesteigerten oder veränderten politischen Verständnis, sondern an den verschärften Realitäten. Das Thema Altwerden gehört dazu, genauso wie Arbeitslosigkeit oder schlicht weg auch die Schnauze von dieser zur Zeit erlebten Lage gestrichen voll zu haben.

Ich bin bei vielen Kommune-Informationstouren dabei gewesen, aber auf der letzten durch die Pfalz habe ich es deutlich erlebt: An vielen Stellen gärt es, machen sich Leute Gedanken um eine Alternative zu dem Bisherigen, neue Versuche und neue Gemeinschaften werden gestartet. Die Stimmung ist danach, die Zeit scheint zu passen und die Entschlossenheit zu wachsen. Die gesellschaftlichen Bedingungen müssen von uns dringend verändert werden.

Bonn, Mannheim, Wiesbaden, Kaiserslautern, Saarbrücken, Trier, die Weltbühne im Hunsrück und Bingen, also durch die Pfalz mit einem Dreamteam, 7 Frauen und 2 Jungs, die Quotenmänner gewissermaßen, vom 3. bis zum 13. März 2006.

Um es vorweg zu nehmen, es war eine Fachfrauentour in Sachen Kommunikation und dementsprechend für mich als Quotenmann urlaubsmäßig relaxend und sanft einschlafend, während unsere Fahrerin mit engelsanfter Hand den schweren Bus durch die Täler steuerte. Landschaftlich war diese Strecke für mich nicht so reizvoll. Fehlten mir doch die Ostseeküste, der weite Himmel, die brausenden Wellen und die heraufziehende Tiefdruckwalze. Da mache ich meinen Sweater auf und lasse den Wind in mich hinein, steige auf und fliege über die Schaumköpfe hinweg.

Als Antialkoholiker hatte ich auch keine Freude an den riesigen Weinbergen und dem überall angebotenen Pfälzer Wein. Früher, als ich noch im Saft schwelgte, da genoss ich den Weißen und den Roten in langen Zügen. Aber heute, nach 25 Jahren Kommune, wären diese Freuden nur Verdrängungen irgendwelcher Probleme, die ich zu feige bin anzugehen. Es ist erstaunlich: Um in der Kommune zu leben, ist es nicht erforderlich, bei Problemen sich die Hucke voll zu saufen oder sich das Gehirn mit Dope voll zu dröhnen.

Das Muster der Veranstaltungen ähnelt sich seit Jahren: ein Sketsch zur Auflockerung, eine Tondiashow und die Diskussion mit den interessierten Leuten in kleineren Runden. Die große Unsicherheit liegt für mich stets in den Sketschen, die ich schlecht auf die Witzigkeit und Passigkeit einschätzen kann.

Aber auch diese waren kurz und kabarrettmäßig durch gearbeitet, die Pointen saßen und der Einstieg flutschte. Wir wurden bei allen Veranstalterinnen mit Fürsorglichkeit aufgenommen und bewirtet.

Auf diesem Wege sei allen Initiatoren in den Veranstaltungsorten, die uns diese Veranstaltungen erst möglich gemacht haben, noch einmal gedankt.

Wenn auch nicht zu erwarten ist, dass nach solch einer Tour die Leute in die Kommunen kommen, so ist sie für mich schon dadurch gelungen, den Bazillus, die Idee zu verbreitern: “Es geht auch anders, eine andere Welt ist möglich, andere Werte sind erstrebenswert, andere Paradigmen lassen sich entwickeln!” .

Alles das wird in den Kommunen bereits ausprobiert und teilweise authentisch gelebt. Hier werden die Erfahrungen gemacht.

Das ist die eine Seite der Medaille, die interessiert aufgenommen wurde, und die wir, wenn wir nicht allzu sehr unser Licht unter dem Scheffel lassen, auch für uns glaubhaft verinnerlicht haben.

Die andere Seite der Medaille ist jedoch die unendliche Mühe in den sozialen Verhaltensformen, die wir mit anderen Werten versehen auch neu entwickeln müssen. Wenn es in der Kommune keinen Chef gibt und keine Richterin, ist es müßig z.B. sich über Recht und Nichtrechthaben zu unterhalten. Es ist müßig über Mein und Dein zu streiten, es ist müßig, andere zu bewerten.

Es ist schwer, zu allen Menschen, mit denen ich zusammenlebe, ein Verhältnis aufzubauen, das getragen von Achtung und Anerkennung ein solidarisches und glückliches Leben ermöglicht. Selbst nach den obligatorischen Probezeiten kommt es sehr wohl auch zu Missstimmungen, die verzweifeln.

“Nichts wie weg und wieder in die kleine eigene Bude. Tür zu und Kopf unter die Decke”. Gedanken, die auch ich oft genug habe. Unzufriedenheit und Depression haben mich oft wie in einen Sumpf hinuntergezogen. Ich muss mich auf die Vision besinnen, auf die Notwendigkeit aus diesem Schlamassel wieder herauszukommen, von dem ich übrigens keiner Gesellschaft die Schuld geben kann, sondern nur mir, anarchistisch, selbstbestimmt und autonom.

Das spielt sich im Inneren der Kommune ab. Aber wir leben nicht auf Inseln, auch wenn ich mir das manchmal wünsche. Gesellschaftlich mit unseren Nachbarn zusammen müssen wir die Lebensbedingungen ändern, die entscheidenden Fragen grundlegend anders stellen.

In Schwerin beteilige ich mich an dem Sozialforum für Westmecklenburg. In einem großen Vorbereitungskreis wird dieses Forum, für den 16. und 17. Juni 2006, intensiv von engagierten Menschen dieser Region vorbereitet. Viele Ansätze der Veränderung kommen hier zusammen.

Aus der Sicht meiner kommunalen Erfahrung bringe ich Fragen hinein:

Wieso brauchen wir mehr Wachstum?
Wieso müssen wir immer die Weltbesten sein?
Was brauchen wir eigentlich zum Leben?
Das Ende der Wachstumsspirale ist eine logische Konsequenz. Irgendwann ist das Ende erreicht. Und dann?
Was wollen wir eigentlich von “unserem” Staat?
Was heißt eigentlich Sozialstaat und wieso und wofür werden die Steuern erhoben? Wer soll sie bezahlen und wie werden sie verteilt?
Wieso hat der Staat eigentlich Billionen Schulden und diverse Zinsverpflichtungen?
In der linken Szene kommt immer wieder der Gedanke auf, auf Geld zu verzichten, oder auch Ersatzwährungen einzuführen.
Wieso soll Geld eine schlechte Erfindung sein?
Wie wird Arbeit belohnt?
Was ist eigentlich Arbeit?
Wer bestimmt, was Arbeit ist?
Ist wirklich alles Arbeit, was wir machen?
Was macht eigentlich der Wert eines Gegenstandes aus? Hat er überhaupt einen Wert?
Was gehört eigentlich mir, und was kann ich nur besitzen?
Wie will ich leben?
Will ich leben?
Lässt sich überhaupt in diesem Staat etwas anderes entwickeln? Oder sind wir auf Gedeih und Verderb diesem System ausgeliefert?
Was geben wir auf, wenn wir ein neues Experiment wagen?
Wie könnte es aussehen?
Unsere Vision von der Utopie?
Ist es sinnvoll, nur eine Utopie zu entwickeln?
Wie beschrieben: Wir sind schon auf dem Wege.

Anmerkungen

Uwe Kurzbein (* 1942) lebt in der Kommune Olgashof. Er ist Mitherausgeber von "Das Kommunebuch. Alltag zwischen Widerstand, Anpassung und gelebter Utopie" (Verlag die Werkstatt, Göttingen). In dem soeben im Karin Kramer Verlag Berlin herausgekommenen Buch "Bernd Drücke (Hg.): ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche" findet sich unter dem Titel "Jede Kommune ist anders" ein Interview mit ihm (S. 247-257).

Kommunen-Kontakte

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D-23966 Olgashof bei Dorf Mecklenburg
Tel.: 03841/7933-37
Fax: 03841/7933-38
Olgashof@aol.com

Im Seminar- und Ferienhaus sind noch Termine frei. Seminar- und Ferienhaus Olgashof Lehmofenbau, Holzkollektiv, Schlafplatzuntersuchungen, Ernährungsberatung, Holzspielzeug

Kommune Lutter
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D-38729 Lutter
Tel./ AB / Fax: 05383-8500
il.lutter@gmx.net
www.burg-lutter.de

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Kirchweg 1
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Fax: 05605/8007-40
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Aus der Selbstdarstellung der Kommune Niederkaufungen: "Wir wollen in der Kommune Niederkaufungen so viele Menschen werden, dass wir immer mehr in wesentlichen Bereichen menschlicher Grundbedürfnisse - Ernährung, Gesundheit, Wohnen und Bildung - tätig sein können. Auf dieser Grundlage wollen wir nicht nur für uns, sondern auch für andere ökologisch und sozialverträgliche Produkte und Dienstleistungen herstellen. Bisher wurden folgende Arbeitsbereiche aufgebaut: Tagungshaus Niederkaufungen (Seminarhaus), Komm-Menü (Großküche und Bio-Party-Service), Rote Rübe (Gemüsebaukollektiv), Hof Birkengrund (Bio-Hofkäserei und -Fleischproduktion), Die Wühlmäuse (Kita), Komm-Bau GmbH (Wärmedämmung und Innenausbau), Schlosserei (Bauschlosserei und Fahrradabstellanlagen), Schreinerei (Möbel- und Bauschreinerei), Näh- und Lederwerkstatt (Kinderpuschen, Rucksäcke und Lederbekleidung), Komm-Rat (Projektberatung), Tagespflege Lossetal (Betreuung alter Menschen)."

Weitere Infos und das Seminarprogramm der Kommune Niederkaufungen finden sich hier:
www.kommune-niederkaufungen.de

Weitere Kommunen: www.nadir.org/nadir/periodika/contraste/kommunen1.htm

Termine

Autoorganisationstreffen in Göttingen, 29.7. bis 5.8.06: www.autoorga-goettingen.net.tf

Themen des Autoorganisationstreffen: Kommunegründung, Selbstorganisation, Selbstversorgung & Freiräume

Schlafsaal für 100 Personen, Großes Gelände, für ein paar Zelte auch Platz vorhanden.

Die Workshops könnt ihr in verschiedenen Räumen in Göttingen anbieten.