Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist schon absurd, wenn mensch Schröder lügen hört, die US-Regierung plane derzeit keinen Angriff gegen den Irak. Dabei reicht ein Blick in das US-Nachrichtenmagazin TIME um zu begreifen wo der Hase langläuft. Es sei nicht die Frage ob der Irak angegriffen werde, sondern wann, ist dort zu lesen. Und spekuliert wird auf eine groß angelegte Invasion im Frühjahr 2003.

Vorgestern und gestern haben viele Menschen u.a. in Berlin gegen den US-Präsidenten demonstriert.

Die hiesigen TV-Kommentatoren waren – so kam es mir vor – geradezu traurig, dass die zuvor herbeigeredeten großen Krawalle in Berlin so nicht stattfanden. Und die Frankfurter Rundschau, die während des NATO-Angriffskriegs gegen Jugoslawien noch relativ kriegskritisch berichtet hatte? Sie hat sich – im Vorfeld des Bush-Besuchs – geweigert, eine bezahlte Anzeige von KriegsgegnerInnen, von rund 300 Organisationen/Friedensinitiativen und Einzelpersonen abzudrucken. Das Druck- und Verlagshaus Frankfurt a.M. GmbH teilte hierzu mit: “Aus verlegerischer Sicht möchten wir von einer Veröffentlichung in der Frankfurter Rundschau absehen.” Interventionen der KriegesgegnerInnen blieben erfolglos. Die Entscheidung der Verleger ist endgültig. Zur gleichen Zeit erschien in der FR eine Extra-Seite zum Bush Besuch mit dem Aufmacher “Welcome, Mr. President”. (FR, 18.05.2002)

In einer ersten Stellungnahme der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK) zur Berliner “Achse des Friedens”-Großdemo heißt es: “Deutliches Signal der Friedensbewegung am Vortag des Bush-Besuches: Rund 100.000 Menschen demonstrieren gewaltfrei gegen Kriegspolitik.”

Auch wenn es vielleicht ein paar Leute weniger waren, die Friedensbewegung hat am 22. Mai eindrucksvoll gegen die Kriegspolitik der US-Administration und der Bundesregierung demonstriert.

Die DFG-VK fordert(e) von der Bundesregierung, dass sie die Bundeswehr-Einheiten, die derzeit im arabischen Raum sowie vor der Küste Ostafrikas auf Einsatzbefehle warten, sofort abzieht. Ein Angriff auf den Irak oder auf andere zu “Schurkenstaaten” erklärte Länder wäre ein Verbrechen an der Menschheit. Der angebliche Krieg gegen den

Terrorismus richte sich tatsächlich gegen das Leben unschuldiger Menschen. “Statt militärisch aufzurüsten und sich den USA als globaler Hilfssheriff anzudienen, sollte die Bundesregierung zivile Formen der Konfliktbearbeitung propagieren und die ungerechten Verteilungsverhältnisse und die Ursachen von Gewalt bekämpfen”, forderte der DFG-VK Bundessprecher.

Die Protestaktionen gegen die Kriegspolitik der USA und der NATO wurden am 23. Mai durch regionale und lokale Demos, Kundgebungen und Aktionen fortgesetzt. In Berlin-Mitte zogen zehntausende Menschen “bush-trommelnd” bunt, laut und ausgelassen durch die Strassen.

Da ich nicht in Berlin war, hier ein Indymedia-Bericht vom 23. Mai: “Die auf der Demo transportierten Aussagen waren radikaler als die am Dienstag, der Altersdurchschnitt der Teilnehmenden jünger. Wieder waren viele phantasievolle Aktionen, Verkleidungen und Transparente zu sehen. Inhaltlich dominierte das Thema Krieg, aber auch neoliberale Globalisierung, Kapitalismus und Umwelt war Thema. Die Stimmung war friedlich und entspannt. Trotzdem kam es am Rande der Demonstrationen schon relativ früh immer wieder zu Provokationen der Polizei. Es gab mehrere Verhaftungen wegen Bagatelldelikten, als der Demozug den Schlossplatz erreichte, wo später die Abschlusskundgebung stattfand. Das gesamte Areal zwischen Friedrichstrasse und Schlossplatz war bereits von Polizei in Bürgerkriegsmontur abgesperrt – fast alle S- und U-Bahnhöfe in Mitte geschlossen. An den Polizeiketten am Rande der Demonstration gab es immer wieder kleinere Auseinandersetzungen. Trotzdem blieb es weitgehend friedlich, aber unübersichtlich. So war nicht für alle erkennbar, dass die Demo offiziell aufgelöst worden war. Die Menge entfernte sich nicht sofort vom Schlossplatz, es wurde weitergetrommelt … die Polizei versuchte, die Menge zu räumen, und ging dabei sehr konfus vor. So flogen Flaschen und Eier gegen Polizeiketten, die die Menschen von einer Seite des Platzes auf die andere getrieben hatten. Mehrmals stürmten Polizeitrupps in die Menge, wobei extrem brutal und wahllos auf alle, die nicht schnell genug wegrannten, eingeprügelt wurde. Bei den Auseinandersetzungen wurden u.a. die Scheiben von McDonalds und Kaufhof am Alex eingeworfen und im Lustgarten ein Busch angezündet. Immer wieder kamen Krankenwagen und mussten zum Teil erheblich verletzte DemonstrantInnen abtransportieren. Die Polizei verteilte Platzverweise und griff Leute aus der Menge heraus, bisher sind über 60 Festnahmen bekannt, Zahl steigend.”

Eigentlich sollte dieser GWR eine neue Ausgabe der Otkökü beiligen. Da aber unser Spendenaufruf in Otkökü Nr. 5 (GWR 267) nichts gebracht hat, wird die nächste erst nach der GWR-Sommerpause im September in der GWR 271 erscheinen. Wenn sich bis dahin die (finanzielle) Situation nicht positiv verändert hat, wird die sechste Ausgabe der türkisch-deutschen Vierteljahresschrift voraussichtlich die letzte sein. Während des GWR-Kongresses wird es einen Arbeitskreis geben, der sich u.a. mit der Situation der Otkökü beschäftigen wird (siehe Seite 10 f.).

Diesmal hätten wieder problemlos zwei GWR-Ausgaben gefüllt werden können. Vieles musste aus Platzmangel verschoben werden und so könnt Ihr Euch auf die nächsten Ausgaben und spannende Artikel – z.B. zu Georges Brassens – freuen. Für die GWR 271 planen wir u.a. Artikel zur Wahl am 22. September und zum Thema “Deutscher Herbst 1977 – 25 years after”. Redaktionsschluß: 10. August. Aber bis dahin habt Ihr viel Zeit um den Sommer zu genießen, in der GWR 270 zu stöbern, vom 14. bis 16. Juni den GWR-Verlagsstand auf den Linken Buchtagen Berlin im Mehringhof (Gneisenaustraße 2 a, Berlin-Kreuzberg) zu besuchen und vom 21. bis 23. Juni am rauschenden GWR-Fest in Münster teilzunehmen.

Einen heißen Sommer der Anarchie wünscht Euch und uns,