Liebe Leser*innen,

Der Krieg in Afghanistan geht weiter. Die Ausbeutungsbedingungen weltweit verschärfen sich. Die Klimakrise spitzt sich zu. Die Pandemie ist noch nicht beendet. Rechte Bewegungen sind in vielen Staaten auf dem Vormarsch. – Es scheint, als gäbe es nur schlechte Nachrichten, und als könnten wir nicht dagegen ankommen.
Aber es gibt auch Lichtblicke…

Massenhaft gegen Klimazerstörung #AlleFürsKlima

Schon in den letzten Monaten hatte die Klimabewegung immer wieder mit großen Demonstrationen und direkten gewaltfreien Aktionen gezeigt, dass sie – allen staatlichen Repressionsmaßnahmen zum Trotz und ohne sich von den pandemiebedingten Einschränkungen schwächen zu lassen – keineswegs in einer Flautephase ist. Mit den Protesten gegen die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) hat sie erst vor wenigen Wochen ein weiteres Signal der Stärke ausgesandt. Zehntausende waren vom 7. bis 12. September in München auf der Straße, um massenhaft, vielfältig und laut gegen die menschenverachtende und klimazerstörerische Politik der Autokonzerne zu protestieren, die sich bei der IAA ein Stelldichein gaben und sich und ihre Greenwashing-Versuche möglichst ungestört präsentieren wollten. Mit spektakulären gewaltfreien Aktionen begann schon der 7. September, als sich Kletteraktivist*innen von Brücken und Schildern auf allen Autobahnen rund um München abseilten und damit öffentlichkeitswirksam den gesamten Verkehr zum Erliegen brachten. Großblockaden am IAA-Gelände, Massenaktionen zivilen Ungehorsams und bunte Demonstrationen sorgten dafür, dass das gut polierte Image der Autokonzerne einige tiefe Kratzer davontrug und die massiven Schäden, die durch die Verkehrspolitik angerichtet werden, auch in den Massenmedien thematisiert wurden. Es hat tatsächlich funktioniert, „Sand im Getriebe der Autoindustrie“ zu sein und den Klima-Killern in die Suppe zu spucken!
Doch das war erst der Anfang.

Solidarisch gegen Repression

Ihre Fortsetzung fand die Anti-IAA-Kampagne zunächst beim Globalen Klimastreik am 24. September, als weltweit Hunderttausende auf die Straße gingen. Und mit weiteren bevorstehenden gewaltfreien Massenaktionen wie den Protesten gegen den Kohleabbau in Lützerath oder Waldbesetzungen geht die Bewegung in einen engagierten Herbst.
Und das, obwohl der Staat alle Register zieht, um die Aktivist*innen einzuschüchtern und die Bewegung auszubremsen. Brutale Polizeigewalt bei Demonstrationen – zuletzt bei der IAA – und bei den Räumungen der Waldbesetzungen, bei denen die Einsatzkräfte durch ihr Vorgehen sogar den Tod von Klimaaktivist*innen riskieren, gehören inzwischen ebenso zum erschreckenden Standard wie hohe Geldstrafen und absurde Gerichtsprozesse. Sogar vor der Behinderung und Kriminalisierung von Journalist*innen und Presseaktivist*innen schrecken die Behörden nicht zurück, zuletzt im Fall des GWR-Fotografen Pay Numrich, der wegen seiner Berichterstattung über eine VW-Blockade am 20. September als Teil der Aktion betrachtet, vor Gericht gezerrt, aber glücklicherweise freigesprochen wurde. Außerdem versuchen die Behörden, an der Danni-Aktivistin „Ella“ ein Exempel zu statuieren, indem sie schon seit November 2020 in Haft gehalten wird. Doch die Klimabewegung reagiert darauf mit Solidarität und fordert bei Kundgebungen überall ihre Freilassung – ab 1. Oktober zudem mit dem neuen Doku-Film „Ella“, der bundesweit gezeigt wird, um im Vorfeld des Berufungsprozesses den politischen Druck zu verstärken.

Reise für das Leben

Auch in anderen Bewegungen wird staatliche Unterdrückung genutzt, um gemeinsam neue Stärke und Gegenperspektiven zu entwickeln: Die Zapatistas haben sich – 500 Jahre nach Beginn der kolonialen Unterdrückung, aber auch 500 Jahre seit Beginn des indigenen Widerstands dagegen – auf den Weg gemacht, um ihre Vorstellungen von einem solidarischen, nichthierarchischen Miteinander mit der Gira por la vida, der Reise für das Leben, in die Welt zu tragen. Schon seit dem „Aufstand der Würde“ 1994 setzen sie im mexikanischen Chiapas ihr Ideal einer alternativen Gesellschaft jenseits von Kapitalismus, Macht und Patriarchat um. Bei ihrer Reise, die sie unter anderem nach Europa führt, wollen die Zapatistas ihre Vorstellungen mit anderen fortschrittlichen Bewegungen und Projekten teilen, Ideen austauschen und sich in einem Prozess gegenseitigen Lernens weiterentwickeln. Nachdem die zapatistische Delegation Mitte September in Wien angekommen ist, sind sie seit dem 23. September hierzulande in mehreren Gruppen unterwegs, um sich bis etwa 9. Oktober mit Aktivist*innen unterschiedlichster sozialer Bewegungen zu vernetzen. Bienvenidxs, compañerxs!

Widerstand aus der Küche

Wie politische Ideen in eine kollektive widerständige Praxis umgesetzt werden können, ist auch Thema unseres Schwerpunkts in dieser Ausgabe der Graswurzelrevolution. Mit kulinarischem Aktivismus und aufbauend auf dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe engagieren sich Soliküchen weltweit, auch wenn sie unterschiedliche Akzente setzen: Food Not Bombs protestiert gegen Militarismus und Krieg – in den USA bereits seit den frühen 1980er-Jahren, wie Keith McHenry beschreibt, im polnischen Szczecin seit den späten 1990er-Jahren. Ebenfalls gegen Armut und systematische Lebensmittelvernichtung geht die Anarchistische Lebensmittelhilfe aus Bochum vor, während die No Border Kitchen Lesvos die praktische Solidarität mit und unter Geflüchteten organisiert. Aktionsküchen wie Le Sabot unterstützen soziale Bewegungen bei Camps und Großprotesten. Egal wo und wie: Nichthierarchisch, staatskritisch und mit leckerem Essen sind sie aktiv gegen den kapitalistischen Normalbetrieb und zeigen gelebte Alternativen im Hier und Jetzt auf.
Aber auch jenseits der Suppentöpfe gibt es viele weitere spannende Artikel in dieser Ausgabe: Jacek Drozda führt seine Analyse des Post-Fußballs fort, diesmal mit dem Fokus auf Clubs und Initiativen, die sich der Kommerzialisierung widersetzen und eigene Wege der Fankultur gehen. CG berichtet über Anarchismus in der digitalen Welt und die Möglichkeiten einer selbstbestimmten Computernutzung, die sich durch Freie Software eröffnen. In „Alles in Ordnung“ widmet sich Mathias Schmidt diesmal „Tiny Houses“. Eine kenntnisreiche Bilanz der rund 20-jährigen NATO-Militärinvasion in Afghanistan und der seit langem absehbaren Niederlage zieht Christoph Marischka in seinem Beitrag „Realitätsverweigerung“. Über seinen neuen Film „Atomkraft Forever“, über die Dreharbeiten und Hintergründe spricht Regisseur Carsten Rau im Interview mit der GWR. Mit Vorträgen und Büchern will schließlich die Anarchist Bookfair in New York libertäre Perspektiven eröffnen und durch die Online-Veranstaltungen am 3. Oktober auch weltweiten Austausch ermöglichen, wie die Organisator*innen schildern.
Damit bietet sich der perfekte Übergang in die Libertären Buchseiten: Auf zwölf Seiten versuchen wir wieder, einen Einblick in spannende Neuerscheinungen zu geben und diese unter einem gewaltfrei-anarchistischen Blickwinkel zu beleuchten. Ein leseintensiver Herbst steht bevor!

GWR-Redaktion

P.S. Für Aktionen/Termine verweisen wir diesmal aus Platzmangel komplett auf unsere Webseite 
www.graswurzel.net unter der Rubrik Termine & Ankündigungen.