Beschreibung
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Gespräche mit Pınar Selek
Aus dem Französischen von Lou Marin
228 S. | 20,90 Euro | ISBN 978-3-939045-50-2
Die 1971 in Istanbul geborene Pınar Selek wurde vor allem aufgrund der Repression der türkischen Justiz, der sie seit über 20 Jahren ausgesetzt ist, bekannt. Guillaume Gamblin hat mit ihr intensive Gespräche geführt. Sie beschreibt darin ihre Kindheit, ihre Kämpfe an der Seite der Straßenkinder Istanbuls, der Prostituierten, der Kurd:innen und Armenier:innen. Sie trug in den 1990er-Jahren zur Entstehung einer antimilitaristischen Bewegung in der Türkei bei. Pınar Selek erzählt aber auch von Folter und vom Gefängnis. Mit ihrer ansteckenden Energie schildert sie den Aufbau eines Ateliers für Straßenkünstler:innen und berichtet von einer feministischen Kooperative und einer Plattform für soziale Ökologie. Sie lebt in Frankreich im Exil. Ihre Forschungen und ihr Engagement gelten grenzüberschreitenden sozialen Kämpfen und der Öffnung kreativer Wege in eine andere Gesellschaft. Der 2007 ermordete armenische Journalist Hrant Dink nannte sie liebevoll „die Unverschämte“.
Inhalt
Vorwort von Pınar Selek
Einleitung: Die tausend Leben der Pınar Selek. Von Guillaume Gamblin
Chronologische Eckpunkte
Kapitel I: (1971-1998)
„Auf der Straße habe ich das Leben gelernt.“
Kapitel II: (1998-2000)
„An dem Punkt hat der Albtraum begonnen.“
Kapitel III: (2001-2009)
„Das Gefühl, dass alles möglich ist.“
Kapitel IV: (2009 bis heute)
„Andere Länder jenseits der Grenzen schaffen.“
Nachwort von Pınar Selek: „Das Glück ist möglich.“
Epilog von Guillaume Gamblin: „Die Fortsetzung der Geschichte wird in der Gegenwart geschrieben.“
Danksagungen
Die Unverschämte. Nachwort von Guillaume Gamblin für die deutsche Ausgabe: „Der Prozess geht weiter … – und das Leben auch!“
Vorwort
Vorwort von Pınar Selek
Als ich erfuhr, dass ich am nächsten Morgen mein Land nur mit einem kleinen Köfferchen verlassen muss, setzte ich mich einen Moment in großer Ruhe vor dieses Köfferchen. „Leg da die Sachen rein, an denen du hängst …“, hatte mir mein Vater gesagt. Ja schon, aber das sind doch so viele … Wie kann man ein ganzes Leben in einen Koffer packen? Vielleicht, wenn man sich dafür Zeit nimmt, wäre es möglich, eine symbolische Sammlung zu schaffen, und der Koffer wäre selbst Teil dieses Kunstwerks. Aber nein, ich hatte keine Zeit. Letztlich habe ich nichts in den Koffer getan, abgesehen von einigen Fotos von Menschen, die mir wichtig waren. Aber das ist auch nicht so schlimm: All das, was ich hinter mir gelassen habe, hat eine von mir unabhängige Existenz … Das Leben geht weiter, das Wasser fließt. Als Guillaume mir von seinem Projekt erzählte, habe ich an diesen Koffer gedacht. Ist es möglich, eine Biografie in einen Koffer zu packen? Ich hatte solche Vorschläge von Verleger*innen oder Journalist*innen immer zurückgewiesen; ich hatte Angst, von einer Dynamik erfasst zu werden, die ich nicht mehr kontrollieren könnte, mein Leben zu einem Film werden zu lassen, der mir nicht mehr gehören würde. Aber eines Tages sagte mir Guillaume, dass er meine Biografie schreiben wollte, um sie in der Zeitschrift Silence zu veröffentlichen, die meine Bewegungszeitung hier in Frankreich war, in der ich mich zu Hause fühlte. Dieser Vorschlag hat mich gerührt. Ich habe ohne nachzudenken zugesagt, denn ich habe das Ergebnis als Resultat unseres Treffens betrachtet und ich wollte die Lesart meines Lebens entdecken, die Silence machen würde. Ich wollte erfahren, was von mir inmitten dieses historischen Netzwerks alternativer Kämpfe in meinem neuen Exilland noch nachhallte. Und ich habe zugestimmt, weil ich mich in vertrauensvoller Atmosphäre fühlte. Und ich hatte recht: Mein breites Lächeln hat es mir bestätigt. Dieses Lächeln blieb auf meinem Mund, als ich begann, das Buch durchzublättern. Die Arbeit war anstrengend. Umso mehr, als das Buch aus fünf oder sechs Interviews hervorging, die in nur kurzer Zeit durchgeführt wurden, zwischen den Kämpfen, den Todesdrohungen, die ich erhielt, dem Mut und der Angst. Sicher würde ich das für mich anders aufschreiben, aber ich habe nun das Niedergeschriebene mit der inneren Bewegung gelesen, die den intensiven Austausch widerspiegelt, den wir nun seit mehreren Jahren führen. Sie, liebe Leser*innen, werden sehen, dass ich nur ein kleines Pünktchen in einem großen Gemälde bin, mit all den Widersprüchen, die verschiedene Welten und widerstreitende Dynamiken beherbergen. In diesem Gemälde gibt es den grenzenlosen Horror, aber auch den Widerstand. Und der ist nicht nur ein Detail. Glücklicherweise! Ich bin Teil eines großen Erfahrungsschatzes des kollektiven Schaffens, innerhalb eines durch die institutionalisierte Gewalt verdreckten und zerrissenen Raumes. In diesem neuen Raum des Kampfes, der Liebe, der Freundschaft, des Lebens öffne ich meine Türen, um ein wirkliches Gespräch zu beginnen … Treten Sie ein …