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Machbarkeitswahn

... und scheinbare Freiheiten. Feministische Kritik an Gen- und Reproduktionstechniken

| Sarah Althäuser

Diese Publikation der Wiener Aufedition ist ein mutiges, herausforderndes Unterfangen. Ist es doch in einer Zeit neoliberaler Politik geradezu ein Tabu geworden, solidarische Formen eines entschiedenen gewaltfreien Widerstandes zu entfachen, der sich bewusst gegen die Tendenzen der Selektion: "lebensunwertes" Leben auszumerzen, stellt.

Die neun Autorinnen dieser Textsammlung, feministisch orientierte Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen aus Bereichen der Natur- und Gesellschaftswissenschaften, warnen vor den fatalen Auswirkungen der konkreten Umsetzung der neuen Technologien der Biomedizin. “Generations- und Geschlechterverhältnisse können künftig vom Labor aus umstrukturiert und neu geschaffen werden.” (S. 50) Sowohl für die Betreiber als auch für die KonsumentInnen ist die Biomacht “produktiv” geworden, darin liegt wohl ihr Anreiz, meint Lisbeth N. Trallori in ihrem Essay “Nieder mit den Technopatriarchat! – Hintergründe einer Revue unerfüllter Desiderata” (S. 43-54).

Trallori stellt die interessante Frage, weshalb der Frauenwiderstand gegen den Machbarkeitswahn der neuen Gen- und Reproduktionstechnologien so stark zurückgegangen ist.

Denn in der Zeit vor dem Manifestwerden der Neuen Technologien (seit Beginn der 90er Jahre) hatte sich die Neue Frauenbewegung um die Auseinandersetzungen und Verwirklichung der Selbstbestimmungsrechte der Frauen konstatiert. Es ging um den gewaltlosen, entschiedenen Kampf für eine souveräne, körperliche und soziale Unabhängigkeit. Dieses war außerdem eine deutliche Kampfansage der Frauen gegen die Politik der Biologisierung. “Sie protestierten gegen ihre Vereinnahmung als “Gebärmaschinen” und zogen in die Schlacht gegen die biologistischen Zuschreibungen und reproduktiven Normen, gegen Kirche, Staat, Medizin und (Ehe) Männer.” (S. 44) Sie wandten sich gegen jegliche Diskriminierungen, kämpften gegen das Abtreibungsverbot und traten für die Entkriminalisierung von Frauen ein. Der Slogan “Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine!” tangiert in Bezug auf eine befreite und zugleich selbstverantwortete Sexualität und Lebensplanung die Ablösung von den Vorstellungsmustern der “Zwangsmutterschaft” innerhalb der patriarchalischen Gesellschaft.

Warum kam es dennoch zur Aufspaltung und technologischen Unterhöhlung der politischen Selbstbestimmungsrechte?

Die Reproduktionsmediziner traten vornehmlich im Namen des weiblichen Selbstbestimmungsrechts auf. Das fand/findet bei vielen Frauen Anklang. Zwar war die juristische Bastion der “Zwangsmutterschaft”, zu dem Zeitpunkt der Manifestierung der Neuen Reproduktionstechnologie weitgehend gefallen. Aber es hatte sich zugleich eine andere Strategiedebatte innerhalb der Frauenbewegung herausgebildet. Diese besagte, dass “für die Frauenbefreiung eine technologische Auslagerung von Schwangerschaft und Geburt aus dem Körper letztendlich notwendig wäre.” (S. 45) Es bildete sich innerhalb der Frauenbewegung eine Gegenströmung heraus. Die Neuen Reproduktionstechnologien wurden von vielen nun als eine Möglichkeit begrüßt, die Frauen gänzlich “von der Tyrannei der Fortpflanzung zu befreien”. Diese diametralen Strategieentwicklungen innerhalb der Bewegung trugen in einem nicht unerheblichen Maße dazu bei, dass die Vorherrschaft des Technopatriarchats sich gesellschaftlich, strukturell stark befestigen konnte.

Sozialdarwinismus – im Gewande der (Bio)Ethik

Mittlerweise ist in das gängige Alltagsverständnis der Menschen die “Macht der Normalisierung” eingedrungen. Die Biowissenschaften definieren die Kriterien für die pränatale und postnatale Daseinsberechtigung. “Prävention heißt das Gebot der Stunde, dem sich niemand entziehen kann.” (S. 51)

Unrentables Leben gilt nicht als erstrebenswert; d.h. die Vermeidung eines Lebens mit Behinderungen wird forciert. Dies trifft auf allgemeinen gesellschaftlichen Konsens, zumal primär eine “ökonomisch vorteilhafte, leidfreie Existenz angestrebt wird … Qualitative Normen des Nachwuchses sollen durch ein genetisches Check-up gewährleistet werden.” (S. 51) Diese Politik der Selektion befestigt außerdem die Verortungen der unterschiedlichen Kategorisierungen von Menschen. “Lebens- und fortpflanzungswürdig ersten Grades sind die Angehörigen der oberen und mittleren Klassen weißer Hautfarbe in den Metropolen. Ihnen kommen die medizinischen Fortschritte der Genforschung zugute…” (Ingrid Strobl, Gentechnologie: Instrument der Auslese, zit. b. Trallori, S. 51) – Im Gegensatz zu der Rassenhygiene im NS-Staat wird die selektive Entscheidung über das, was als “lebenswert” oder “nicht-lebenswert” definiert wird, individualisiert und auf die zelluläre Ebene vor-verlagert. “Verantwortliches Handeln” für die Einzelnen bedeutet vorrangig, dass sie die Gesellschaft keineswegs mit “falschen Genen”, mit Krankheiten oder einem “mangelhaften” Nachwuchs belasten dürfen.

Gibt es kein Entrinnen aus diesem Labyrinth der Herrschaft des Technopatriarchats? Diese Frage wird m.E. von den Autorinnen zu wenig berücksichtigt. Hinsichtlich der Analyse und systemkritischen Auseinandersetzung – mit dem Ziel die Konstellationen der Biomacht und die Politik der Selektion zu entmythologisieren – hat dieses Buch eindeutig seinen qualitativen Charakter.

Britta Cacioppo (Hg.), Machbarkeitswahn und scheinbare Freiheiten. Feministische Kritik an Gen- und Reproduktionstechniken, Aufedition, Wien, 2003, 96 S., 10 Euro.

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