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Wird die Elfenbeinküste zum nächsten Ruanda?

Genese des ivorischen Rassismus und die Rolle der französischen Diplomatie und Armee beim Absturz des westafrikanischen Landes in den Bürgerkrieg

| Brother John

Die Kriege in Afrika sind brutal, fordern ständig neue Menschenleben und haben komplexe Entstehungsursachen. Linke und Libertäre wenden oft den Blick ab oder greifen auf schablonenhafte Erklärungen zurück, die den Realitäten oft nicht gerecht werden. Am Beispiel des gegenwärtigen Krieges in der Elfenbeinküste wird das deutlich. Dass Frankreich eine neokoloniale Politik betreibt, ist richtig. Als Erklärungsmuster allerdings reicht das nicht aus: es gibt auch eine Realität des kriegstreibenden ivorischen Rassismus und die Bereitschaft zum antiweißen Pogrom. (Red. Marseille)

Sie wollten eigentlich auf ein Rebellencamp zielen, hieß es in Kreisen der Regierung der Elfenbeinküste um Präsident Laurent Gbagbo am Samstag, 6.11.04, nachdem zwei Sukhoi-Flugzeuge, gesteuert von weißrussischen Söldnern, losfeuerten. Es war der dritte Tag einer Militäroffensive gegen das von Rebellen besetzte Bouaké im Norden. Wie um die Zielgenauigkeit ihrer veralteten militärischen Ausrüstung unter Beweis zu stellen, traf die ivorische Luftwaffe aber nicht die Rebellen, sondern ein direkt daneben befindliches Camp der französischen Armee, die als “Operation Licorne” (Einhorn) mit UN-Unterstützung (insgesamt 11.000 Soldaten, davon 50% französische Armee) die Einhaltung des Friedensvertrages von “Linas-Marcoussis” überwacht. Ergebnis des Angriffs mit ungenauem Zielwasser: neun tote französische Militärs, 22 Verletzte. Irrtum oder Kalkül?

Direkt nach den Gefechten um die Lufthoheit über Bouaké dachte Chirac, der Herr über den “Frieden” von “Linas-Marcoussis” und über die immensen wirtschaftlichen Interessen Frankreichs in den südlichen und südwestlichen Teilen ihrer Ex-Kolonie in Westafrika (Kaffee, Kakao, Kautschuk, Öl), wohl, er müsse jetzt den ivorischen Untertanen mal seine neokoloniale militärische Macht demonstrieren und gab am späten Samstagnachmittag Order zum Angriff seiner französischen Truppen. Drei noch verfügbare Hubschrauber der ivorischen Armee (FANCI, Forces d’armée nationale de Côte d’Ivoire) sowie die zwei Sukhoi-Flugzeuge wurden in der politischen Hauptstadt Yamoussoukro (in Gbagbos Herrschaftsbereich) zerstört; in der Küstenmetropole Abidjan besetzte die französische Armee den Internationalen Flughafen. Damit kann FANCI vorläufig ihre Offensive gegen die Rebellen im Norden des seit 2002 zweigeteilten Landes nicht mehr aus der Luft unterstützen.

Doch es sieht eher so aus, als wäre Chirac mit seinem Militärschlag den provokatorischen Strategien von Laurent Gbagbo und seinen Todesschwadronen, den “Jeunes Patriotes”, die wie eine Art Parallelregierung den südlichen Teil der Elfenbeinküste regieren, auf den Leim gegangen. Chirac hatte wohl geglaubt, seine militärische Machtdemonstration könne die verfeindeten Kräfte des Landes zurück in die gemeinsam und konsensuell gestaltete Regierung bomben, wie es das Abkommen von Marcoussis sowie weitere Folgeabkommen in Accra/Ghana (Accra I-III) vorsahen. Doch er hat nur Öl ins Feuer gegossen. Präsident Gbagbo nämlich gibt sich in solchen Momenten einen antikolonialen Anstrich und schickt seine Jungmilizen vor, um sich zu rächen. So auch diesmal, als die Jeunes Patriotes nach den französischen Angriffen eine pogromartige Stimmung in Abidjan und anderen Städten entfachten, die sie mit prächtig und radikal wirkenden antikolonialen Phrasen schmückten. Alle vier französischen Schulen in Abidjan wurden geplündert, eine “Jagd auf Weiße” begann. In den französischen Stadtvierteln zogen die Jungmilizen von Haus zu Haus, um alle von Weißen bewohnten Häuser zu plündern. Es kam zu gewaltsamen Angriffen, Vergewaltigungen, allerdings wenig direkten Morden (offenbar eine Anweisung an die Pogromisten von oben). Viele französische Familien, die schon lange in der Elfenbeinküste lebten, mussten mit Hubschraubern oder von schwarzen Freunden gerettet und außer Landes gebracht werden, oft in letzter Sekunde. Bis zum 14. November waren mehr als 5.000 der rund 15.000 in der Elfenbeinküste lebenden französischen StaatsbürgerInnen sowie AusländerInnen aus 63 weiteren Ländern (Weiße und Schwarze) über eine Luftbrücke oder Linienmaschinen nach Frankreich geflüchtet (vgl. ein Bericht in “Le Monde”, 15.11.). Auch wenn wir über die Flucht zusätzlicher 870 Manager großer internationaler Konzerne und ihrer Familien wohl wenig Tränen vergießen werden, kann nicht übersehen werden, dass hier ein nationalistisch aufgeladener, angeordneter negativer Rassismus am Werke ist, der bereit ist, zivile Weiße als Geiseln für eine gescheiterte französische Diplomatie und Militärpolitik zu nehmen.

Nun kommt wiederum der Legitimation der französischen Armeeeinheiten nichts so gelegen wie eine Bedrohung ihrer im Lande befindlichen “französischen Staatsbürger”. Damit wird dann wiederum die sich anschließende Repression legitimiert, bei der die französische Armee in den Städten Yammoussoukro, Port Boué, Koumassi, Treichville das Feuer auf die ivorischen Plünderer eröffnet hatte. Dabei wurden allein in Yamoussoukro bisher über zehn Ivorer getötet und Hunderte verletzt. Auch in Abidjan wurde in die Menge geschossen (evtl. dort von der ivorischen Polizei), sieben Tote waren zu beklagen. Die französische Diplomatie liegt in Scherben, das Land rutscht in den Bürgerkrieg.

Gbagbos Truppen hatten im Vorfeld der Offensive die Nordzone rund um Bouaké infiltriert. Eine Armeeeinheit von FANCI sei von UN-Truppen festgenommen worden, hieß es am Freitag, 5. November, aus französischen Militärkreisen, während in der ivorischen Regierungspresse bereits gejubelt wurde, seit Frei-tagnachmittag werde in Bouaké gekämpft. Schon mehrfach hatte Präsident Gbagbo die Festlegungen der Verträge von Marcoussis und Accra übergangen und Rebellenvertreter in seiner “Regierung des nationalen Konsens” immer wieder verprellt. Die sich als neutral gebende französische Regierung fordert mit Unterstützung der UN, die ihnen am Samstag, 6.11., vom Sicherheitsrat gleich noch mal bestätigt wurde, dass neben der Einbindung von Rebellenvertretern der sogenannten “Forces Nouvelles” ins Innen- und Verteidigungsministerium auch tiefgreifende Reformen in Angriff genommen werden, insbesondere eine Redefinition der Nationalideologie der “Ivorité”, welche Gbagbo dahingehend auslegt, in den BewohnerInnen im Norden des Landes sowie unter Bauern und ArbeiterInnen der Kakaoplantagen (ca. 2 Millionen, ursprünglich kamen viele davon aus Burkina Faso, leben aber schon seit Jahrzehnten in der Elfenbeinküste, im Bürgerkriegsfall am stärksten vom Genozid bedroht) eher AusländerInnen als BürgerInnen der Elfenbeinküste zu sehen. Doch es ist auch nicht zu übersehen, dass Gbagbo einige Argumente auf seiner Seite hat: die Rebellen ließen sich nicht, wie im Abkommen Accra III vorgesehen, darauf ein, erste festgelegte Schritte eines Prozesses der Entwaffnung ihrer Streitkräfte umzusetzen. Und Paris hat am 25.8.2003, bei einem Angriff der Forces Nouvelles, bei dem zwei französische Soldaten getötet wurden, anders reagiert als jetzt bei den Angriffen der Regierungstruppen, nämlich gar nicht. Misst Chirac mit zweierlei Maß?

Paris war seit dem Aufstand der Rebellen im September 2000 durch seine Diplomatie von Marcoussis an einem “Frieden” interessiert, der die französischen Wirtschaftsinteressen im Süden des Landes schützt, um fast jeden Preis, auch um den einer realen Sezession. Darauf stützt sich die Popularität der antikolonialen Parolen und des Kriegsgeschreis der “Jeunes Patriotes”. Die französische Diplomatie und die französischen Streitkräfte haben sich in eine Sackgasse manövriert: faktische Sezession oder Bürgerkrieg? Das ist die gegenwärtige Alternative, die in Wirklichkeit darauf hinausläuft, dass sich Chirac derzeit seinen eigenen Irak organisiert. (1)

Nicht gestellte Fragen

Für die französische Regierung ist es zuweilen nützlich, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die hegemonialen Interessen der USA zu richten. Die Kultivierung eines gesellschaftlichen Antiamerikanismus verhindert unangenehme Fragen zur französischen Außenpolitik. Zehn Jahre nach dem Genozid in Ruanda breitet sich noch immer ein Mantel des Schweigens über die französischen Massenmedien, was die Rolle und die Beihilfe des französischen Staates betrifft (alle Schlächter der damaligen Hutu-Regierung zum Beispiel wurden von der französischen Armee ausgebildet). Auch andere Fragen werden öffentlich nicht gestellt: Was macht Frankreich eigentlich heute in Birma (Myanmar), einer der schlimmsten Militärdiktaturen überhaupt? Wie kommt es, dass der chinesische Diktator ins französische Parlament eingeladen wird?

Warum hat es Chirac so eilig, die zweifelhafte Präsidentschaft Algeriens zu legitimieren?

Ivorische Nation und Weltmarkt

Seit seiner Unabhängigkeit ist die Elfenbeinküste, die frühere Perle des französischen Kolonialreiches, das wirtschaftlich bedeutendste Land Westafrikas. Sein Wirtschaftswachstum, das heute geschwunden ist, basierte hauptsächlich auf dem Export von Kakao, Kaffee und Baumwolle. Ihr langjähriger Präsident, der in Frankreich ausgebildete Félix Houphouët-Boigny, der – wie er sich nannte – “aufgeklärte Diktator”, verkörperte bis zu seinem Tod am 7.12.1993 zugleich das neokoloniale Konzept Französisch-Afrikas, “Françafrique”, wie es Foccart und de Gaulle entworfen hatten. In einem Land, das aus einer Vielzahl von Bevölkerungsgruppen bestand, war es Houphouëts Aufgabe, eine nationale “ivorische” (nach dem frz. Namen Côte d’Ivoire) Identität zu begründen, eine Kunst-Nationalität, die es so vorher noch nie gegeben hatte. Dazu verteilte er die staatlichen Einnahmen aus dem Agrarexport an eine hierarchisierte politische Klientel um, welche die Einheitspartei PDCI (Parti démocratique de Côte d’Ivoire) konstituierte.

Houphouët privilegierte dabei innerhalb der Hierarchie seine eigene Bevölkerungsgruppe (die katholisch sozialisierten Baoulé) sowie seinen Familienclan bei der Vergabe von Schlüsselpositionen in der Regierung. Aber er band durch sein Klientelsystem auch andere an sich, insbesondere die islamischen Bevölkerungsgruppen im Norden des Landes. Politisch wurde das abgesichert durch ein repressives Einparteiensystem.

Die Partei des heutigen Präsidenten, FPI (Front populaire d’Ivoire), etwa war verboten und Gbagbo saß im Gefängnis. Frankreich unterstützte dieses Regime, deswegen ist es heuchlerisch, wenn Chirac heute dem Gbagbo-Regime faschistische Tendenzen unterstellt, auch wenn das noch so richtig sein mag.

Im Zuge der jüngsten Weltwirtschaftskrise und dem Preisverfall von Kakao und Kaffee auf dem Weltmarkt reichten die Einnahmen aus dem über ein Staatsmonopol abgewickelten Agrarexport nicht mehr aus, um die politischen Klienten des Houphouëtschen Systems zu befriedigen. Um das System aufrecht zu erhalten, nahm die ivorische Regierung Zuflucht zu Krediten und tappte mit einer panischen Flucht nach vorn in die Schuldenfalle.

1981 legten der Internationale Währungsfonds und die Weltbank unter dem Druck Frankreichs dem Land erstmals einen Wirtschaftsplan zur Anpassung an die realen Preisniveaus vor, um die Inflation zu stoppen. Bereits 1987 war das Land gezwungen, die Rückzahlung der Kredite zu stoppen. Trotzdem gingen Kreditaufnahmen bei der Weltbank in horrender Höhe weiter und bezeugten das Scheitern des Wirtschaftsplans. 1994 wurde die neokoloniale Währung, der “Franc CFA” (früher hieß das: “Colonies Françaises d’Afrique”, heute: “Communauté Financière Africaine”, wie praktisch!) um 50 Prozent abgewertet und Frankreich übernahm in seinem ehemaligen kolonialen Hinterhof offiziell die Rolle der Vormundschaft zur Durchsetzung der Interessen der Institutionen von Bretton Woods. Ein neuer struktureller Anpassungsplan des Währungsfonds wurde entworfen. Er war weit rigider als seine Vorläufer und zielte darauf ab, das Klientelsystem zu zerschlagen und die Elfenbeinküste dadurch auf den Weg zur neoliberalen Globalisierung zu schicken (was, unter anderem, die Abwicklung des Staatsmonopols zur Konsequenz hatte).

Verarmter Klientelismus unter neoliberalen Bedingungen

Der Nachfolger Houphouëts, des “Alten”, hieß Henri Konan Bédié. Um sein Regime zu stabilisieren, benutzte dieser persönliche Freund Chiracs das Konzept der “ivorischen Identität” dazu, die Verteilung der Staatseinnahmen auf die Bevölkerungsgruppen im Süden des Landes zu konzentrieren.

Das war nun, unter neoliberalen Bedingungen, eine Art System des “verarmten oder marginalisierten Klientelismus”. Die Elfenbeinküste führte dadurch eine rassistische Segregation ein. Am 8.12.1994 wurde ein neues Wahlgesetz beschlossen, nach welchem eine Reihe von Kandidaten von den Wahlen ausgeschlossen wurden, weil ihre “Ivorität” angeblich unzureichend sei. Am 23.12.1998 schloss ein neues Gesetz über Grund und Boden so genannte “Nicht-Ivorer” davon aus, Landrechte geltend machen zu können. Tausende Bauernfamilien aus Mali und Burkina Faso wurden von ihren Parzellen vertrieben. Auch hier ist es wieder heuchlerisch, wenn Chirac von Gbagbo eine Reform der rassistischen und nationalistischen Ideologie der Ivorität fordert, auch wenn das noch so richtig sein mag, wenn Geschichte und Entwicklung dieser Ideologie in den Kontext neokolonialer und neoliberaler Politik gestellt werden.

Houphouët hatte Angst vor seinen eigenen Militärs. Er stützte sich mehr auf die französische Armee denn auf seine eigene, deren Entwicklung er bewusst vernachlässigte. Konan Bédié war nicht so feinsinnig. Er ließ sich von Yannick Soizeau, einem Mitarbeiter des französischen Geheimdienstes DGSE, eine Präsidentengarde aufbauen. Bald hatte die verschuldete Elfenbeinküste aber kein Geld mehr, um seine Militärs zu bezahlen. So kam es am 24.12.1999 zum ersten Militärputsch des im Vergleich zu den Nachbarn in der Region bis dato relativ stabilen Landes und brachte die zwielichtige Figur des General Robert Gueï an die Macht. Der regierte das Land nach den Gesetzen der “Ivorität” und der Korruption.

Am 4. und 5. Juli 2000 gingen Hunderte von Gueïs Soldaten auf die Straße und forderten einen “Kriegsschatz” als Belohnung für ihre Beteiligung am Militärputsch. Es kam zu Plünderungen und Morden. Auch die Armee wurde von der Segregation betroffen. “Nicht-ivorische” Militärs wurden entlassen und bald auch verfolgt. Viele von ihnen flüchteten ins nördliche Nachbarland Burkina Faso.

Bei den vom Militärdiktator im Oktober 2000 plötzlich gewährten Präsidentschaftswahlen wurden 14 der 19 gemeldeten Kandidaten aufgrund unzureichender “Ivorität” nicht zugelassen, darunter Konan Bédié (der somit Opfer seiner eigenen Ideologie wurde) und der Kandidat der nördlichen Regionen des Landes, des RDR (Rassemblement des républicains), Alassane Ouatarra. Bereits am 22. Oktober 2000, dem Abend des ersten von zwei vorgesehenen Wahlgängen, proklamierte sich General Gueï selbst zum Wahlsieger, obwohl er weniger Stimmen bekommen hatte als Laurent Gbagbo, der Kandidat der FPI (Front populaire ivorien). Gbagbo, von den französischen Sozialisten (PS) und Premierminister Rocard lange Zeit, im Grunde bis zur jüngsten Entwicklung unterstützt (Gbagbos Partei ist Mitglied etwa der sozialdemokratischen “Sozialistischen Internationale”!), fühlte sich stark genug, die Bevölkerung zum Aufstand aufzurufen. Doch die Stimmung war bereits so rassistisch aufgeheizt, dass die blutigen Unruhen nach ethnischen Linien verliefen. Am 27.10.2000 wurde ein Massengrab mit 57 Leichen entdeckt. Die Verantwortung für das Massaker wurde der Polizei angelastet, die von den Bété, der Bevölkerungsgruppe Gbagbos (im Südwesten des Landes ansässig), dominiert wird.

Der Höchste Gerichtshof erklärte Gbagbo schließlich zum Wahlsieger. Gbagbo sicherte seine Regierung durch eine Akzentverschiebung der ivorischen Ideologie zum Vorteil der Bevölkerungsgruppen des Südens, besonders seiner eigenen Gruppe (den Bété) und zum weiteren Nachteil des Nordens. In der Elfenbeinküste entstanden mehr und mehr Todesschwadronen, darunter die Pro-Gbagbo-Milizen (besonders die Bewegung der “Jeunes Patriotes”), die in Kooperation mit der Bété-Polizei agierten. (Auch bei der jetzigen Eskalation haben die Bété-Milizen im Südwesten Bauern aus dem Norden getötet, 1500 Menschen sind in dieser Genozid-gefährdeten Region in den ersten Kriegstagen nach Liberia geflüchtet.)

Der Bürgerkrieg

Am 7.1.2001 scheiterte ein Militärputsch gegen Gbagbo. Am 19.9.2002 forderte ein weiterer Aufstand aus den unteren Rängen der Militärs Hunderte von Toten. Dabei wurde Robert Gueï ebenso umgebracht wie Gbagbos Innenminister, Emile Boga Doudou. Die Aufständischen kamen diesmal aus dem Norden des Landes und übernahmen die Kontrolle der im Norden gelegenen Stadt Bouaké. Sie waren militärisch gut ausgerüstet und bezahlten ihre Einkäufe in den örtlichen Geschäften mit Bargeld. Diese Tatsache ließ bei den ivorischen Nationalisten den Verdacht aufkommen, die Aufständischen seien vom Ausland bezahlt, besonders von Blaise Compaoré, dem Präsidenten Burkina Fasos.

Anführer der Aufständischen war Sergeant Tuo Fozié. Durch den Aufstand wurde die ivorische Armee, die FANCI (Forces armées nationales de Côte d’Ivoire), auf wenige Einheiten dezimiert, quasi ein Relikt der Vergangenheit, das heute durch Söldnerstrukturen (Weißrussen, Ukrainer, aber auch schwarze Kämpfer aus dem Bürgerkriegsland Liberia) aufgepeppt wird. Sofort wandte sich die Regierung Gbagbos an Frankreich und bat unter Verweis auf franco-ivorische Abkommen aus dem Jahr der Unabhängigkeit 1961 um militärischen Schutz (das verschweigt Gbagbo gegenwärtig gerne, ist aber eine Tatsache: er hat seine “neokolonialen” Truppen selbst ins Land gerufen, bildlich gesprochen, sie waren ja schon dort stationiert!). Nach kurzem Zögern ließ Frankreich am 22.9.2002 die Operation Licorne (“Einhorn”) anlaufen. Die französischen Truppen stoppten den Vormarsch der Rebellen von Norden her und festigten die Teilung des Landes. Am 30.9.2002 entsandten westafrikanische Länder Friedenstruppen.

Die Rebellion, anfangs nur militärisch sichtbar, offenbarte eine politische Struktur: die “Mouvement patriotique de Côte d’Ivoire” (MPCI) unter Vorsitz von Guillaume Soro, einem ehemaligen Studentenführer. Zwei weitere Bewegungen erschienen in der Folge auf der Bildfläche, die “Mouvement patriotique du Grand Ouest” (MPIGO) (Nachfolger von General Gueï, die ihn rächen wollen), und die “Mouvement pour la justice et la paix” (MJP) (ein Ableger der MPCI im Süden des Landes). Am 27. November 2002 besuchte der französische Außenminister Dominique de Villepin Abidjan, die ivorische Hauptstadt. Bei der Gelegenheit wurde Alassane Ouattara, der Oppositionspolitiker, freigelassen. Die MPCI forderte von Frankreich “strikte Neutralität” im Bürgerkrieg.

Vom 15.-24.1.2003 brachte die französische Diplomatie alle Beteiligten an einen Tisch, die Verhandlungen endeten mit dem “Friedensvertrag von Linas-Marcoussi”, das von allen Bürgerkriegsparteien unterzeichnet wurde. Gbagbo, der Präsident blieb, weigerte sich aber immer wieder, das Innenministerium und das Verteidigungsministerium an einen Vertreter der MPCI zu übergeben, wie es das Abkommen vorsieht. Schließlich einigten sich die Beteiligten während einer Krisentagung in Accra, Ghana, doch noch über den Eintritt der Rebellen in die ivorische Regierung. Die Rebellen benannten sich um in “Forces nouvelles”. Gbagbo nahm den Unwillen der Rebellen, den Entwaffnungsschritten nachzukommen, in der Folge als Vorwand beständiger Brüche des Waffenstillstands.

In der Tat sind die ivorischen Nationalisten nicht dazu bereit, die Grundlagen von Linas-Marcoussis anzuerkennen, denn diese verlangen eine Revision der nationalistischen Ideologie der “Ivorität” (vor allem eine Anerkennung der nördlichen BürgerInnen und der MigrantInnen als “Ivorer”), des Wahlgesetzes sowie des Gesetzes über Grund und Boden. Deswegen hat die antikoloniale Rhetorik Gbagbos überhaupt keine emanzipatorische Grundlage und darf linken oder libertären BeobachterInnen nicht die Sinne trüben.

Am 25. und 26. März 2004 endete in Abidjan eine friedliche Protestdemonstration der den Rebellen nahe stehenden Opposition MJP, welche die Umsetzung der Beschlüsse von Marcoussis forderte, in einem entsetzlichen Blutbad. Mehrere hundert Tote fielen der vereinten Repression aus Resten der Armee, den parallel agierenden Todesschwadronen und Pro-Regierungs-Milizen Gbagbos zum Opfer. Guillaume Soro, der Generalsekretär der MPCI, drohte daraufhin mit der endgültigen Zweiteilung des Landes. Im Gegenzug forderten die Anhänger Gbagbos ultimativ die Entwaffnung der Rebellen. Nur mit Mühe konnte damals noch ein Abrutschen in den Krieg verhindert werden, wie es sich jetzt wieder abzeichnet.

Französische Interessen versus Gbagbo

Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als hätte sich die französische Armee zwischen zwei verfeindete Kräfte gestellt, um ein Gemetzel zu verhindern.

Aber eine solche Sicht negiert die Tatsache, dass die alte Kolonialmacht selbst Partei war und ist, denn ihre multinationalen Unternehmen besaßen (und wollen auch nach Abreise der 870 Managerfamilien in Zukunft wieder besitzen) nahezu die gesamten ökonomischen Ressourcen des Landes: Kakao, Kaffee, Kautschuk, Telekommunikation, Öl, Elektrizität, Bewässerung. Automobilimporte, der Bausektor usw. werden zu einem großen Teil von französischen Gesellschaften dominiert. Die Nachfolger des Frankoafrikaners Houpouët (der übrigens in der Normandie begraben ist), und auch Gbagbo, verdanken ihre Macht den französischen Wirtschaftsinteressen.

Aber Gbagbo hat seit seinem Machtantritt einen gewissen Willen zur Autonomie gezeigt. Er hat seine Intention deutlich gemacht, nach dem Auslaufen von Ausbeutungskonzessionen, die bisher wie selbstverständlich an französische Multis vergeben wurden, gegen Ende 2004 internationale Angebote zu berücksichtigen. So ist zum Beispiel für den Bau einer dritten Brücke in Abidjan das chinesische Angebot dreimal billiger als das des französischen Bauriesen Bouygues. Schon im Jahr 2002 hatte zudem George W. Bush erklärt, dass die Elfenbeinküste dem “African Growth and Opportunity Act” beitreten kann, einer Handelsorganisation, die derzeit 36 afrikanischen Staaten privilegierte Wirtschaftsbeziehungen mit den USA ermöglicht. Das Verhältnis Gbagbos zu Frankreich ist so ähnlich wie das von Milosevic gegenüber den Westmächten oder Husseins gegenüber den USA: eine gewisse Tendenz zu ökonomischer Eigenständigkeit in der Staatspolitik unter restriktiven Bedingungen und eine antikoloniale und antiimperialistische Rhetorik verdecken innere Repression und nationalistische Ideologie. (2)

Wenn also Jacques Chirac nun in einer für Staatsmänner typischen Weise von der Gefahr des Abgleitens in “ein System, das nur in der Anarchie (sic!) oder in einem Regime faschistischer Art enden kann” (3), spricht, brauchte es vorher schon die Destabilisierung und die Krise der multinationalen Konzerne Frankreichs und anderer westlicher Staaten im Land. Der “schwarze Nazismus” (Chirac) Gbagbos hat die Regierung Frankreichs solange nicht gestört, wie die französischen Profite gesichert waren. Die französische Diplomatie spielt den Vermittler auf beiden Seiten, verteilt die Risiken an die Bürgerkriegsparteien und versichert sich am Ende, mit seinen nationalen Interessen auf jeden Fall auf der Seite des Siegers zu stehen.

(1) Quellen zu aktuellen Ereignissen vgl. Jean-Dominique Merchet: Comment la France a été prise au piège ivorien, Libération, 8.11., S. 2f.; T.H.: L'impasse de Marcoussis, Libération, 8.11., S. 3; Jean Chatain: La Côte d'Ivoire s'embrase, Humanité, 8.11., S. 3; Camille Bauer: Les trois raisons principales du blocage, 8.11., S. 3; Nouvelles tensions entre les présidents Chirac et Gbagbo, Le Monde, 15.11., Internet-Ausdruck.

(2) Quellen zum historischen Teil vgl. Olivier Leclercq: Maintien de la paix ou guerre coloniale, in: Le Monde libertaire, 16.1.2003; Ph. Leymarie: "Françafrique" à l'anciènne, in: www.monde-diplomatique.fr/index/pays/cotedivoire; Ingolf Ahlers, Lothar Heimberg: Elfenbeinküste, in: Nohlen/Nuscheler (Hg.): Handbuch der Dritten Welt, Bd. 4 Westafrika und Zentralafrika, S. 143-171; Michel Sahuc: République cacaotière de Françafrique, in: Le Monde libertaire, 27.5.2004; Eine kassierte Unabhängigkeit, Freitag, 8.10.2004, S. 5.

(3) Chirac zit. nach Le Monde, 15.11.2004, Internet-Ausdruck.