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„Imperiale Träume“

Die EU, die Türkei, Militarismus und Kriegsdienstverweigerung

| Rudi Friedrich

Im Dezember 2004 beschlossen die Regierungschefs der Europäischen Union (EU), Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Nun, nach der Ablehnung des EU-Verfassungsvertrages durch die französische und niederländische Bevölkerung, wird dies wieder in Frage gestellt. Vor allem konservative Kräfte, wie z.B. die CDU-Chefin Angela Merkel, reaktivieren das neu-alte Feindbild des Islam.

Eine Arbeitsgruppe des ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari rechnete vor, dass nach einem Beitritt der Türkei langfristig 2,7 Millionen Menschen aus der Türkei in die Europäische Union einwandern würden und dies eine Islamisierung Europas zur Folge hätte – ein Argument, was schon angesichts der Zahl von 450 Millionen EinwohnerInnen in den 25 EU-Mitgliedsländern reichlich absurd ist.

Unstrittig ist hingegen bei Regierenden aller Couleur, dass die Türkei stärker in die EU eingebunden werden soll. Schon jetzt sind die wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen (über die NATO) eng geknüpft. Das soll gestärkt werden. Die BefürworterInnen eines Beitritts zur EU sehen Europa schon als „Global Player“, der den USA in der islamischen Welt eine eigene Sicherheitspolitik für den Nahen und Mittleren Osten entgegensetzen könnte.

Tatsächlich würde die EU mit einer in 20 Jahren anvisierten Mitgliedschaft der Türkei weit in den Südosten reichen, um ihre strategischen Interessen bis in die Region des Kaukasus zu verfolgen.

Hinter diesen Interessen tritt die Durchsetzung notwendiger Veränderungen in der Türkei weit zurück.

Besonders augenfällig wurde dies im Vorfeld der Entscheidung der EU-Regierungschefs. Da sprach der Erweiterungskommissar Verheugen davon, dass es keine systematische Folter mehr in der Türkei gäbe.

Die türkische Menschenrechtsstiftung sieht das anders. Sie listete in ihrem Bericht für 2003 detailliert auf, welche Foltermethoden angewandt worden sind, und erläutert: „Wir können nicht zu dem Schluss kommen, dass die Zahl der Fälle von Folter abgenommen hat. Herauszustellen ist vielmehr, dass sich die Foltermethoden geändert haben. Beispiele zeigen, dass sich die Sicherheitskräfte bemühen, keine sichtbaren Zeichen zu hinterlassen, eine Folge der kürzlich verabschiedeten Gesetze.“ (1)

Auch andere von der türkischen Regierung in Gang gesetzte Reformen sind mehr Schein als Sein. So wurde mit Blick auf die EU im Jahre 2002 das Verbot der kurdischen Sprache aufgehoben. Seitdem dürfen Fernseh- und Radiosendungen in Kurdisch ausgestrahlt werden, an privaten Schulen ist Kurdischunterricht zulässig, nicht hingegen an öffentlichen Schulen und in Universitäten. Aber selbst diese eingeschränkten Möglichkeiten werden durch administrative Maßnahmen verhindert, so dass die Menschenrechtsstiftung folgert: „Kurdisch oder andere Minderheitensprachen sind aufgrund bürokratischer Widerstände bislang nicht garantiert.“ (2)

Die Ausgrenzung großer Teile der Bevölkerung wird also fortgesetzt, und weiter wird das Militär im Osten der Türkei eingesetzt, um jeden Widerstand mit Gewalt zu beenden.

Die Verhandlungen mit der EU führten auch dazu, dass die Stellung des „Nationalen Sicherheitsrates“ beschnitten wurde. Er war vom Militär geführt worden und hatte der Regierung immer wieder Beschlüsse diktiert. Das Generalsekretariat des Sicherheitsrates, von einem Militär geführt, konnte geheime Verordnungen erlassen. Das ermöglichte dem leitenden Sekretär, wie ein zweiter Premierminister hinter den Kulissen zu agieren. Mit der Reform soll der Nationale Sicherheitsrat nur noch eine beratende Funktion ausüben.

Die Zahl der zivilen Mitglieder wurde erhöht, die Vollmachten des Generalsekretariats wurden erheblich eingeschränkt, geheime Verordnungen sind nicht mehr zulässig. Aber das Militär besitzt nach wie vor gesetzliche, wirtschaftliche und politische Möglichkeiten, um seine Macht zu erhalten. (3)

Coskun Üsterci, lange Jahre in antimilitaristischen Gruppen in der Türkei aktiv, schreibt dazu: „Mit einem Beitritt zur Europäischen Union verbindet sich zum einen das Interesse der Türkei, imperiale Träume zu verwirklichen. Es würde ihre Rolle und Macht im Kaukasus und dem Nahen Osten stärken. Zum anderen werden die mit einem Beitritt zur Europäischen Union verbundenen Möglichkeiten für eine wirtschaftliche Entwicklung als Werkzeug gesehen, um in der Region auch dauerhaft wirtschaftlich eine Vorreiterrolle spielen zu können. Angesichts solcher Potentiale werden gar so lästige Aufgaben, wie die Verbesserung von ‚Demokratie‘ und Menschenrechte in Kauf genommen. Die (…) Gesetzesänderungen sind diesem Hintergrund zu verdanken.“ (4)

Die mit über 500.000 Mann zweitgrößte Armee der NATO wird dabei nicht nur eigene machtpolitische, sondern auch wirtschaftliche Interessen im Auge haben. Schließlich ist das Militär einer der größten Kapitaleigner des Landes. Über die 1961 gegründete Organisation OYAK, die eigentlich eine Hilfskasse für Offiziere ist, baute die Armee eine der größten Holdings des Landes auf. Dazu gehören zahlreiche Betriebe, Banken und Beteiligungen in den verschiedensten Zweigen der Wirtschaft. (5)

Bewegung schien es vor allem in Bezug auf Zypern zu geben. Die seit 1974 bestehende Spaltung in einen türkischen Norden und einen griechischen Süden sollte – so das erklärte Ziel – mit einem Referendum im Mai 2004, kurz vor der Aufnahme Zyperns in die EU, beendet werden. Dazu hatte der UN-Generalsekretär Kofi Annan einen Plan vorgelegt, der zwar eine gemeinsame Bundesregierung, Flagge und Hymne vorsah, aber unter diesem Dach hätte es zwei selbstständige Staaten gegeben, mit jeweils eigener Außen- und Wirtschaftspolitik. Das türkische Militär auf Zypern sollte von 30.000 auf 6.000 Soldaten reduziert werden. Die soziale Frustration insbesondere der jungen Generation im Norden Zyperns hatte sich im Jahre 2003 in massiven Protesten und Kundgebungen entladen. Viele setzten auf den Plan der UNO, damit auch Nordzypern Teil der EU wird. Davon versprachen sie sich ein Ende der allgegenwärtigen Korruption und Vetternwirtschaft und einen wirtschaftlichen Aufschwung, vor allem durch Tourismus. Dementsprechend stimmte im Norden eine Mehrheit für den Plan, der griechische Süden hingegen lehnte ihn mit großer Mehrheit ab – mit vorwiegend chauvinistischen Argumenten.

Das türkische Militär hatte gegen den UN-Plan zwar Bedenken geäußert, ihn aber nicht abgelehnt. Die türkische Regierung unterstützte den Annan-Plan, um die Chancen der Türkei auf einen EU-Beitritt zu erhöhen. (6)

Die Zurückhaltung des Militärs mag zunächst erstaunen. Die vermeintliche militärische Bedrohung durch Griechenland wurde immer mit der Situation in Zypern in Verbindung gesetzt. Hier wurden nationalistische Forderungen bedient, und die Armee konnte sich als Hüterin der Nation, als Schutz aller Türken darstellen. Gleichzeitig sprach aber wohl wenig gegen den Plan der UN, wäre doch damit der Zugang zur EU erkauft worden – zu einem guten Preis: Die Präsenz des türkischen Militärs in Zypern hätte fortbestehen und gerade im wirtschaftlichen Bereich ausgebaut werden können.

So müssen alle Reformen auf dem Hintergrund macht- und wirtschaftspolitischer Interessen gesehen werden. Sicher gibt es an einigen Stellen Veränderungen, die nicht nur kosmetischer Natur sind. Aber letztlich wird insbesondere das türkische Militär bei allem darauf achten, dass die eigene Stellung zumindest gewahrt bleibt.

Situation der KriegsgegnerInnen

In besonderer Weise trifft diese Situation KriegsgegnerInnen in der Türkei. In der Vergangenheit wurde wiederholt öffentliche Kritik des Militärapparates strafrechtlich verfolgt, als „Distanzierung des Volkes vom Militär“ oder als „Beleidigung des Militärs und der Sicherheitskräfte“. Zum anderen wurden Kriegsdienstverweigerer von Militärgerichten wegen Befehlsverweigerung oder Desertion auch mehrmals bestraft, weil sie sich z.B. dem Tragen einer Uniform widersetzten oder nicht zum Dienst erschienen. Ihre Verfolgung stellte sich als ein nicht endender Kreislauf von Verweigerung, Anklage und Verurteilung dar, da die Wehrpflicht erst erlischt, wenn der Militärdienst vollständig abgeleistet worden ist.

Mit der Reform des Strafgesetzbuches, die im Juni 2005 in Kraft trat, wurden die wesentlichen Strafverfolgungsgründe erneut in das Strafgesetzbuch mit aufgenommen. Der neue Art. 301 besagt, dass die „Beleidigung der Türken, der Republik und öffentlicher Institutionen“ unter Strafe gestellt wird. Der Straftatbestand der „Distanzierung des Volkes vom Militär“ findet sich nun in Art. 318, wonach „Aktivitäten, Aufforderungen und Empfehlungen, die das Volk vom Militärdienst distanzieren, oder entsprechende Propaganda mit sechs Monaten bis zu zwei Jahren Haft bestraft“ werden. Und schließlich stellt Art. 319 die „Aufwiegelung zum Ungehorsam“ unter Strafe, also z.B. die Aufforderung an Soldaten, bestimmten Befehlen nicht nachzukommen oder den Kriegsdienst zu verweigern.

Der neue Artikel 305 stellt zudem Verstöße „gegen die grundsätzlichen nationalen Interessen“ unter Strafe. Darunter werden u.a. die Unteilbarkeit des Landes wie auch die nationale Sicherheit verstanden. Hülya Ücpinar, Rechtsanwältin aus Izmir, schreibt dazu: „Jede Behinderung der Kriegführung wird unter diesen Artikel fallen. Es können somit Äußerungen darunter fallen, die den Rückzug der türkischen Streitkräfte aus Zypern fordern oder für eine Lösung des Konflikts werben, wie auch Äußerungen zum Völkermord an den Armeniern während des 1. Weltkrieges.“ (7)

Somit ist weiterhin damit zu rechnen, dass öffentliche Äußerungen von KriegsgegnerInnen, die sich für die Kriegsdienstverweigerung einsetzen, andere zur Verweigerung aufrufen oder eine friedliche Lösung anmahnen, strafrechtlich verfolgt werden.

Kriegsdienstverweigerer in Haft

Seit April 2005 spitzt sich die Situation zu. Am 8. April wurde der Kriegsdienstverweigerer Mehmet Tarhan festgenommen und einberufen (vgl. nebenstehenden Artikel). Da er jede Zusammenarbeit mit dem Militär verweigert, wurde er wegen „Ungehorsam vor versammelter Mannschaft“ angeklagt. Der Prozess dauert noch an, dennoch wurde er am 9. Juni vom Militärstaatsanwalt aus der Haft entlassen. Das Zentralbüro für Rekrutierung in Ankara, mithin der Generalstab, ließ ihn jedoch nicht gehen, sondern schickte ihn sofort erneut zu „seiner“ Einheit, womit der Kreislauf von Einberufung, Verweigerung, Anklage und Haft ein zweites Mal eingeläutet worden ist.

Zudem trug die Gefängnisleitung des Militärgefängnisses in Sivas dazu bei, dass Mehmet Tarhan von Mitgefangenen misshandelt wurde. Den Mitgefangenen wurde erzählt, dass er ein Terrorist sei. Der gewaltfreie Anarchist wurde anschließend ohne Begleitung in die Zelle gebracht, wo ihn die anderen Gefangenen zusammenschlugen, ihn mit dem Tode drohten und erpressten. Hier wollten sich die Wärter offensichtlich nicht selbst die Hände schmutzig machen – auch eine Form der staatlich legitimierten Folter.

Mehmet Tarhan ist schwul und hat dies auch wiederholt öffentlich erklärt. Das allein wäre für das türkische Militär eine gute Gelegenheit gewesen, ihn auszumustern und damit eine politische Auseinandersetzung zu vermeiden. Das türkische Militär geht nach wie vor davon aus, dass Homosexualität eine psychosexuelle Pathologie ist. Das Männerbild der Türkei sieht Homosexualität als unsoldatisch, abweichend, weibisch, „andersartig, fremd und ausländisch“ an, was eben keinem türkischen Mann gut zu Gesicht stehe. (8)

„Homosexuelle, die mit einem Attest wegen ‚psychosexueller Störung‘ abgestempelt werden, sind in ihrem künftigen Arbeits- und sozialen Leben materieller und moralischer Diskriminierung sowie Rechtsüberschreitungen ausgesetzt“ (9), schreibt die schwul-lesbische Organisation KAOS GL.

In der Türkei gibt es inzwischen etwa 50 erklärte Kriegsdienstverweigerer. Nur einige von ihnen wurden in den letzten Jahren einberufen und strafrechtlich verfolgt. In anderen Fällen zog es das Militär vor, selbst keine Initiative zu ergreifen, um damit auch zu vermeiden, das Thema stärker in die Öffentlichkeit zu bringen. Mit Mehmet Tarhan soll offensichtlich ein abschreckendes Exempel statuiert werden: Er kann vom Militär sehr leicht als „andersartig und fremd“ stigmatisiert werden.

Darauf könnte auch hindeuten, dass andere Kriegsdienstverweigerer, die am Rande seines Prozesses vorläufig festgenommen worden waren, bislang nicht in ähnlicher Weise behandelt werden. Dennoch steht diese Drohung immer im Raum und kann jederzeit Realität werden.

Europarat und Kriegsdienstverweigerung in der Türkei

Bislang ist nicht absehbar, dass sich an der beschriebenen Situation mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen irgendetwas ändern würde, zumal die EU-Kommission gegenüber der türkischen Regierung die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung nicht als Bedingung formuliert hat.

Auch die Zugehörigkeit der Türkei zum Europarat und wiederholte Aufforderungen des Europarates, ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung einzuführen, werden ablehnend beschieden. Zuletzt hatte der Generalstab des türkischen Militärs im Frühjahr 2004 noch einmal ausdrücklich klargestellt, dass die Türkei das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkennen wolle.

Darüber hinaus wird diese Frage nun auch vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof thematisiert. Im Juni 2004 nahm er nach über sieben Jahren eine Klage des türkischen Kriegsdienstverweigerers Osman Murat Ülke an.

Osman Murat Ülke hatte am 1. September 1995 öffentlich verweigert und seine Einberufungspapiere verbrannt. Ein Jahr später wurde er zwangsweise einberufen und zum Militär gebracht. Nun war er vom Kreislauf der Einberufung, Verweigerung, Verurteilung und erneuter Einberufung betroffen. So wurde er sieben Mal zu insgesamt mehr als 60 Monaten Haft verurteilt. Inzwischen wird er vom Militär in Ruhe gelassen, kann aber jederzeit erneut einberufen und bestraft werden.

Osman Murat Ülke hatte in seiner Klage vor allem ausgeführt, dass seine Gewissensfreiheit verletzt worden sei und die wiederholten Bestrafungen ein Verstoß der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstellten.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof beschloss nun, sich nur mit der Frage der Gewissensfreiheit auseinander zu setzen, also mit dem Artikel 9 der EMRK: „Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.“

Über alle anderen von Osman Murat Ülke eingebrachten Argumente wird damit nicht verhandelt werden. (10)

Noch ist keineswegs sicher, wie das Gericht entscheidet. Die gängige Praxis ist nämlich, dass mit der Gedanken- und Gewissensfreiheit eben nicht das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gemeint ist. So jedenfalls interpretieren es alle Staaten, die sich darauf berufen, dass nach Artikel 4 der Konvention Zwangsdienstleistungen militärischen Charakters ausdrücklich gestattet sind, jeder Staat mithin eine Wehrpflicht durchsetzen darf. Deshalb sind die Beschlüsse der Parlamentarischen Versammlung des Europarates oder der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen noch nicht einklagbare Empfehlungen an die Staaten.

Wenn das Gericht dieser Praxis folgt, wird es die Klage von Osman Murat Ülke ablehnen. Nur wenn es anders entscheidet, ergäben sich daraus weitere Konsequenzen: Andere türkische Kriegsdienstverweigerer hätten die Möglichkeit, sich darauf zu berufen.

Asyl und Kriegsdienstverweigerung

Im März 2005 kamen über 11 % der Asylsuchenden aus der Türkei. Angesichts der dort immer noch vorherrschenden kulturellen und sprachlichen Unterdrückung und zahlreicher Menschenrechtsverletzungen ist dies nicht erstaunlich. Ihre Chancen, in Deutschland Asyl zu erhalten, sind äußerst gering. Mit Verweis auf innerstaatliche Fluchtalternativen und auf die positiven Äußerungen der EU-Kommission lehnen deutsche Behörden und Gerichte ab. Vielfach findet noch nicht einmal mehr eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Asylgründen statt.

Das spiegelt sich auch in den Verfahren von Kriegsdienstverweigerern aus der Türkei wider, die Asyl beantragt haben. Eine gängige Begründung der deutschen Behörden ist, dass die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerung keinen Asylgrund darstellt. Aber auch eine zusätzliche Verfolgung wegen öffentlicher Äußerungen – selbst die Vorlage von Unterlagen, dass in der Türkei deshalb eine Anklage anhängig ist – reicht den Gerichten nicht mehr aus.

Insgesamt hatten etwa 300 Wehrpflichtige mit türkischer Staatsbürgerschaft in den letzten Jahren in Deutschland, den Niederlanden, Dänemark und England öffentlich den Kriegsdienst verweigert. Sie fordern die Anerkennung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung in der Türkei wie auch Asyl für Kriegsdienstverweigerer.

Mehrere Aktionen waren von der Gruppe der türkisch/kurdischen Verweigerer in Deutschland mit Unterstützung der DFG-VK, und von Connection e.V. durchgeführt worden, auch zur Unterstützung von Mehmet Tarhan. Anfang 2004 richtete die Gruppe zudem eine Unterschriftenkampagne an das Bundesamt, um damit die Forderung auf Asyl für Kriegsdienstverweigerer zu unterstützen. Das Bundesamt lehnte eine nähere Auseinandersetzung damit ab.

Schluss

Soll die Türkei der EU beitreten (können) oder nicht? Das ist schon vom Grundsatz her die falsche Frage. Wie sich zeigt, verbinden sich mit dem Beitritt in erster Linie macht- und wirtschaftspolitische Interessen auf beiden Seiten, die an verschiedenen Konfliktpunkten austariert werden. Zugeständnisse an eine kritische Öffentlichkeit, die die Durchsetzung der Menschenrechte zum Prüfstein machen will, dienen eher der Legitimierung – auch wenn sie positive Auswirkungen haben werden.

Das ist der Hintergrund für die weiterhin dringend notwendigen Aktivitäten gegen Krieg und Nationalismus. Die Auseinandersetzung muss weiter geführt werden, in Deutschland wie in der Türkei. Letztlich wird es nur dann eine Chance auf Veränderungen geben, wenn auch ein stärkerer Druck von unten mobilisiert und öffentlich gemacht werden kann.

(1) Insan Haklari Dernegi vom 26. Februar 2004

(2) ebenda

(3) vgl. Coskun Üsterci: Türkei: Exportschlager Militär; aus: Friedrich/Pflüger: In welcher Verfassung ist Europa, Grafenau 2004, S. 99

(4) ebenda, S. 98f.

(5) vgl. Andreas Berger u.a.: Der Krieg in Türkei Kurdistan, Göttingen 1998, S. 27

(6) vgl. Justus Leicht: Zypern: Volksabstimmung über den Annan-Plan, 22. April 2004, www.wsws.org/ de/ 2004/ apr2004/ zype-a22.shtml

(7) Hülya Ücpinar: Was erwartet Kriegsdienstverweigerer mit dem neuen türkischen Strafgesetzbuch; aus: Rundbrief "KDV im Krieg", Offenbach, Januar 2005, S. 8f.

(8) vgl. Militärdienst und Männlichkeit in der Türkei; aus: Rundbrief "KDV im Krieg", Mai 2001

(9) KAOS GL: Freiheit für den Totalverweigerer Mehmet Tarhan!; aus: Rundbrief "KDV im Krieg", Mai 2005, S. 15f.

(10) Der Beschluss ist abgedruckt in Rundbrief "KDV im Krieg", Offenbach, Januar 2005

Weitere Informationen

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