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Die Dritte Welt im 2. Weltkrieg

"Unsere Opfer zählen nicht", ein Dokument aus Sicht der Kolonialisierten

| Markus Beinhauer

Am 3. Oktober 1935 überfiel eine riesige Streitmacht der italienischen Armee ohne Kriegserklärung Äthiopien, nachdem Mussolini am Tag zuvor in Rom verkündet hatte, dass die dort lebenden Menschen “in den Augen der ganzen Welt nicht wert seien, zu den zivilisierten Völkern zu gehören” (1). Im Dezember 1937 schlachteten die japanischen Truppen nach dem Überfall auf Korea und die Mandschurei im Massaker von Nanking ca. 20.000 ChinesInnen ab (2). Trotzdem beginnt in der europäischen Geschichtsschreibung der 2. Weltkrieg im September 1939. Hier wird augenfällig, wie notwendig das Buch “Unsere Opfer zählen nicht” ist, da die Auswirkungen dieses Krieges auf Länder außerhalb Europas und der USA bisher kaum Berücksichtigung fanden. Mit dem Ende des 2. Weltkrieges verhält es sich ähnlich.

Selbst mit der Kapitulation Japans am 15. August 1945 waren die Kriegshandlungen nicht überall beendet. Auf den Philippinen setzten Partisanen ihren Befreiungskampf 1945 nahtlos fort. Der Krieg in China endete erst 1949 mit dem Sieg von Maos revolutionärer Volksarmee. Der Krieg um Vietnam schließlich, eine Folge des 2. Weltkriegs, sollte noch fast drei Jahrzehnte andauern.

Auch die deutsche Linke, insbesondere die Internationalismusbewegung, hat den weitreichenden Konsequenzen für die 3. Welt kaum Beachtung geschenkt.

Ob in Papua-Neuguinea, im Sudan, in Brasilien, Laos, überall tobte der Weltkrieg, riss Abertausende in den Tod, zerstörte ziviles Leben, verseuchte die Natur und hinterließ bis heute Spuren. Auf fast allen Kontinenten rekrutierten die kriegsführenden Armeen Kolonialsoldaten. Ob das “Pacific Island Regiment” aus Neu-Guinea, die “Indian National Army” oder die zentralafrikanischen “Forbes Francaises Libres”, alle, die hier kämpften, wurden in der Regel nicht entschädigt, erhielten keine Rente. In vielen Ländern wurden ZivilistInnen zu Hilfsdiensten für die Armeen verpflichtet. “Wie schnell die angeblich so zivilisierten Weißen jegliche Achtung vor Recht und Gesetz ablegten” (John Waiko, S. 321), entsetze die Menschen in Neuguinea, nachdem das australische Militär alle Männer zu Kriegsdiensten zwang. Immer wieder wurde den Menschen nach jahrzehntelanger Kolonialzeit die Unabhängigkeit versprochen, um sie zum Soldatenleben zu bewegen. EinwohnerInnen der Inselgruppe Neukaledoniens kämpften aufgrund des Versprechens der Erlangung der Bürgerrechte für das Freie Frankreich in der libyschen Wüste gegen italienische und deutsche Truppen.

Es ist ein Verdienst des Rheinischen JournalistInnenbüros, mit seiner Arbeit eine Geschichtsschreibung von unten betrieben zu haben, die diesem Anspruch gerecht wird. “Wir wollten die Geschichte der Dritten Welt im Zweiten Weltkrieg soweit wie möglich aus der Perspektive der Kolonialisierten beschreiben.

Ihre Stimmen zu sammeln und zu Gehör zu bringen, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs ‘von unten’ zu beleuchten, ist eines der Hauptanliegen diese Buches.” (S. 22) Dies ist trefflich gelungen. Immer wieder wird öffentliche Geschichtsschreibung erfolgreich demaskiert. Ein Beispiel: In der TV-Dokumentation “Der Krieg im Pazifik” in der Reihe “ZDF-History” von Guido Knopp wird behauptet, die meisten umkämpften pazifischen Inseln seien unbewohnt gewesen. Das entlarvt sich als eine unglaubliche Verfälschung, liest mensch das Kapitel über Ozeanien.

Eine naive Darstellung der Dritten Welt als ausschließliches Opfer wird vermieden. So waren “die Kolonialisierten nicht bloß Opfer. Einige nationalistische und antikoloniale Bewegungen sympathisierten offen mit der faschistischen Kriegsallianz” (S. 19). Die Geschichte von Amin al-Husseini, dem Großmufti von Jerusalem, ein aktiver Unterstützer der Nazipolitik und beteiligt am Holocaust, belegt das.

Immer wieder wird der Rassismus kritisch unter die Lupe genommen. Sei es die Selektion von schwarzen französischen Kriegsgefangenen durch deutsche Truppen (S. 145), die Trennung von Blutkonserven von Farbigen durch das US-amerikanische Rote Kreuz (S. 156) oder der rassistisch begründete Ausschluss von Aborigines aus den australischen Truppen (S. 364).

An Faktenreichtum ist das Buch kaum zu übertreffen: ob über die Kolonialpläne der Nazis, den Zusammenhang von Weltkriegsveteranen und Befreiungsbewegungen, über kaum bekannte Kriegsgebiete im Nahen Osten, in Afrika, Asien, Ozeanien und Südamerika oder die Menschenversuche der japanischen Armee. Z.B. wird detailreich innerhalb eines Kapitels über den Streik bolivianischer Minenarbeiter 1942 gegen die billigen Zinnausfuhren für die US-Rüstungsindustrie, die Kämpfe des brasilianischen Expeditionskorps bei Monte Castello (Italien) im Februar 1945 oder das Leben des im KZ Neuengamme ermordeten antikolonialistischen Widerstandskämpfers Anton de Kom aus Surinam berichtet. Die unterschiedlichsten Fakten verwirren gelegentlich, geben in ihrer Summe allerdings ein interessantes Gesamtbild.

Einige Berichte von ZeitzeugInnen sind in ihrer militaristischen Sprache und Logik für AntimilitaristInnen schwer erträglich. So bedauert der Afroamerikaner Erskine Moore mit verletztem Stolz: “Wir waren gut ausgebildet, kampfbereit und wollten nach Übersee, aber wir mussten in Arbeitseinheiten dienen, als Quartiermeister, Lastwagenfahrer.” (S. 156) Und Sprichwörter wie: “Wenn ein Krieger auf dem Schlachtfeld stirbt, ist ein anderer zur Stelle, um seinen Platz einzunehmen” (S. 377) von den Maoris, bleiben, egal von wem formuliert, abstoßend.

Das Rheinische JournalistInnenbüro hat mit dem hervorragend recherchierten Band ein Dokument von unschätzbarem Wert vorgelegt, in dem der 2. Weltkrieg aus der Sicht der Kolonialisierten betrachtet wird.

Ein fundiertes Nachschlagewerk, das in keiner öffentlichen Bibliothek fehlen sollte. Es wird sowohl publizistischen wie auch wissenschaftlichen Anforderungen gerecht. Noch nie zuvor sind so detailreich die Auswirkungen des 2. Weltkriegs auf die 3. Welt im Zusammenhang aufgezeichnet und erläutert worden (3).

Hierbei gelingt der Spagat, unterschiedlichste Kriegsschauplätze zu beleuchten, Hintergründe aufzuzeigen und Motive zu analysieren, ohne in unzulässige Vergleiche abzurutschen.

Das umfangreiche Bildmaterial und die schöne Gestaltung sorgen für ein angenehmes Lesen.

(1) Womit der "Duce" nicht ganz unrecht hatte, schließlich wurde die Annexion später vom Völkerbund legitimiert.

(2) Augenzeugenberichte hierzu erstmals ins Deutsche übersetzt, Seite 228ff.

(3) Es erschienen bisher lediglich Studien zu einzelnen Aspekten des Themas.

Rheinisches JournalistInnenbüro: Unsere Opfer zählen nicht. Die Dritte Welt im 2. Weltkrieg, Assoziation A, Berlin 2005