nachruf

Theo Hengesbach ist tot

Erinnerungen an unseren Freund und Mitstreiter Theo Hengesbach (geboren am 15. Juli 1954 in Altenhellefeld/Sauerland, gestorben am 15. November 2009 in Dortmund)

| Helga Weber & Wolfgang Zucht, mit Hilfe von Renate Frerkes-Lerche zur Auffrischung der Erinnerungen

Wir sind erschüttert und traurig, weil Theo Hengesbach so früh und unter langem Leiden an Krebs gestorben ist. Theo, ein fast immer freundlicher Mensch - engagiert, umsichtig, einfallsreich, hilfsbereit, begeisterungsfähig und trotz seiner ruhigen Art andere mitreißend, motivierend und Mut machend.

Kindheit und frühe Jugend verbrachte Theo bei zwei Tanten, die – so wie früher oft üblich – zur Entlastung seiner Eltern beitrugen, deren Einkommen nicht für Hausbau und den Unterhalt für drei Kinder ausreichte. In dem kleinen Dorf gab es kaum Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung für Jugendliche, bis die Katholische Junge Gemeinde Räumlichkeiten und Geld organisierte und die 14- bis 16-Jährigen ansprach. So entwickelte sich eine KJG-Gruppe, in der Theo seine Wurzeln hatte. Zu ihr hielt er auch noch Kontakt, nachdem er in Arnsberg das Gymnasium besuchte.

In 1973 schloss sich Theo der Amnesty International Gruppe Arnsberg an, die sich u.a. für Kriegsdienstverweigerer und Totalverweigerer in Arnsberg und Umgebung einsetzte.

Arnsberg als Sitz des Kreiswehrersatzamtes war besonders geeignet für die Unterstützungen von KDVern, die oft noch vor ihrer Anerkennung eingezogen wurden, häufig abgeholt durch die Feldjäger.

Auch Theo verweigerte und wurde zunächst abgelehnt. Es folgten der Einzug zur Bundeswehr, mehrere Arreststrafen wegen Befehlsverweigerung und schließlich noch drei oder vier Monate Zivildienst beim Roten Kreuz in Arnsberg (Essen auf Rädern).

Während dieser Zeit schrieb er ungezählte Berichte über Erlebnisse und Tagesabläufe heim, aber auch “Anweisungen”, was in den Arnsberger Gruppen zu organisieren sei.

In der AI-Gruppe kam Theo durch die Geschwister Monika und Josef Geue mit dem Versöhnungsbund und der Graswurzelrevolution in Berührung. Anfang März 1974 gründeten er und vier enge Freunde und Freundinnen die Gewaltfreie Aktionsgruppe (GA) Arnsberg, die sich schnell vergrößerte, sofort wegen der brisanten Situation von KDVern Aktionen durchführte und innerhalb eines Monats “für die Bevölkerung ein Begriff wurde”. Beispielhaft ihre ersten Aktionen für Michael Sturm aus Arnsberg, der bereits in zwei Instanzen abgelehnt war und mit Einberufung noch vor dem nächsten Prüfungstermin rechnen musste. Einen ganzen Monat lang wurden jeden Samstag Flugblätter verteilt, mit dem Verband der Kriegsdienstverweigerer zusammengearbeitet und zum Schluss eine Demo zum KWEA durchgeführt, zu der über 150 TeilnehmerInnen kamen. Ein erster Bericht der GA Arnsberg von Renate Frerkes und Theo Hengesbach erschien in der GWR Nr. 8 im Frühling 1974 und es lässt sich vermuten, dass dieser intensive Einsatz samstägliches Flugblatt-Verteilen, direkte Briefe an zuständige Behörden, Aufforderungen an einige Parteien zur Stellungnahme oder Solidarität u.v.m. sowie das Auftauchen eines Richters des Verwaltungsgerichtes, der unerkannt während der Aktion Michael Sturm befragte und ein Vorziehen seines nächsten Prüfungstermins andeutete – als Erfolg erlebt und gewertet wurde und so mit ausschlaggebend war für Theos weiteres Engagement über Jahrzehnte hin, wenn auch während seines Berufslebens für mehr als 30 Jahre im Bereich der Gemeinwesenarbeit in Dortmund.

Unsere erste Begegnung mit Theo war etwa in 1974 bei einem Treffen der Gewaltfreien Aktionsgruppen. Da war er gerade 19 oder 20 Jahre jung. Theo und die GA Arnsberg brachten sich intensiv in die Anfänge der bundesweiten Koordinierung und die Entscheidungsprozesse über Ziele und Aktivitäten der Gewaltfreien Aktions- und Graswurzelgruppen ein.

Sie wollten sich für eine friedliche, solidarische und gewaltlose Welt einsetzen, wollten lernen, wie man das alles lernt und den Mut hat, auch danach zu handeln, politische Durchsetzungskraft zu entwickeln und in der Gruppe gleichberechtigt zu agieren.

Wie in vielen Berichten in der GWR und dem INFOrmationsdienst für gewaltfreie Organisatoren nachzulesen ist, war es Theo und der Gruppe wichtig, Veränderungen am eigenen Ort zu bewirken. Deshalb begann auch die Arbeit gegen den Thoriumhochtemperaturreaktor (THTR) Hamm-Uentrop zunächst vorsichtig, um den örtlichen Leuten nichts überzustülpen.

Aber der Druck auf diese Gruppen, intensiver gegen AKWs zu arbeiten, war groß. In der Presse wurden die Pläne für über 190 mögliche neue AKW-Standorte bis 2050 diskutiert! – Theos regelmäßige, oft vier- und mehrseitige Berichte, Netzwerkideen und Aktionsauswertungen im o.a. INFO über mehr als 19 Ausgaben hin – und auch die Gründung einer Aktionsgemeinschaft gegen den Bau von Atomkraftwerken in Sundern-Altenhellefeld über die GA Arnsberg hinaus – spiegeln dies lebhaft wider.

1975 begann Theo in Dortmund das Studium der Sozialarbeit, wobei er sich durch Anregungen aus Studien- und Freundeskreis zunächst auf Themen wie Altenarbeit und Sterben in öffentlichen Einrichtungen konzentrierte.

Das Mobilisieren gegen den geplanten THTR-Atomreaktor und bald der Stromzahlungsboykott nahmen fast mehr Zeit in Anspruch als Studium und Privates – verbunden mit der Angst, das zeitaufwendige Studium könnte neben dem zeitaufwendigen Organisieren nicht zu schaffen sein.

Trotzdem, Theo blieb beim Organisieren, suchte nach Auswegen aus dem Drang zur Platzbesetzung (“Was machen wir mit all den Plätzchen – Mätzchen?”) sowie den heftigen Diskussionen in allen Bürgerinitiativen mit den K-Gruppen (1976/77). Er griff die Initiativen der Hamburger Pastoren auf, die begonnen hatten, Einzugsermächtigungen bei den Stromversorgern zurückzuziehen – im Vorgriff auf Einbehaltung von Teilen der Stromrechnungen, allerdings nicht gegen die EVUs, sondern gegen die Regierung gerichtet.

1977 erschien die Broschüre “Kein Atomkraftwerk mit unserem Geld! – Stromgeldverweigerung als gewaltfreier Widerstand gegen Atomenergie” von Theo Hengesbach und Michael Schweitzer. Weitere AutorInnen waren: Renate Frerkes, Rainer Hambücher, Wolfgang Hertle, Lutz Mez, Michael Schroeren und Wolfgang Zucht.

1979 folgte die Broschüre “Stromgeldverweigerung – Perspektiven und künftige Probleme” von Theo Hengesbach und der gegen viele AKWs tätigen Rechtsanwältin Wiltrud Rülle – jeweils in hohen Auflagen.

Am Ende seines Studiums, 1979, erschien Theos nächste Broschüre “Ziviler Ungehorsam und Demokratie – Überlegungen am Beispiel der Ökologie-Bewegung”. Im Vorwort sagte er – vorausschauend – u.a.: “Die Auseinandersetzungen um die in Gorleben geplante Wiederaufbereitungsanlage und Endlagerstätte für Atommüll haben begonnen. … ein Thema … (das) uns noch lange beschäftigen wird. … Diese Arbeit will einen Beitrag zur Diskussion über den Zivilen Ungehorsam (leisten) …. eines der wichtigsten, aber auch eines der vernachlässigtsten Themen der politischen Gegenwart.”

Das Buch hat mit seinen fast 9.000 verkauften Exemplaren in der Ökologiebewegung viel zum Verständnis und zur Einsetzbarkeit von Zivilem Ungehorsam beigetragen.

Aber er hat nicht nur geschrieben. Wir erinnern uns, dass die Gruppe bei Aktionen und an Infoständen ein handbetriebenes Vervielfältigungsgerät dabei hatte. So konnten sie gleich an Ort und Stelle zur Information der Bevölkerung und für die Presse Erklärungen drucken und aktuell berichten, was sich bei der Demo abgespielt hatte und um welche Probleme es ging.

Theo hatte auch unglaubliche Fähigkeiten, Fachliteratur für die Gruppen- und BI-Arbeit unter die Leute zu bringen. – Damals war das Buch “Zum richtigen Verständnis der Kernenergie – 66 Fragen – 66 Erwiderungen” aktuell. Theo bestellte bei uns immer gleich 20 Stück davon. Innerhalb kurzer Zeit hatte er sie alle verkauft und bestellte neu. Immer wieder.

Eine kleine Kuriosität war für uns Theos Begeisterung für Karl May. Er bestellte jede Neuerscheinung bei uns. Bei gelegentlichen Diskussionen über diesen Schriftsteller wurde kritisiert, dass man in seinen Büchern immer mal auf Stellen stoße, die eine gewisse Überlegenheit der Europäer gegenüber anderen Ethnien, wie beispielsweise den Indianern, zum Ausdruck bringen.

Aber Theo war ein genauer Kenner der Bücher von Karl May und konnte nachweisen, dass es sich um Ausgaben handelte, die Verfälschungen und Manipulationen enthielten.

Nachdem er dann im Kreuzviertelverein arbeitete, sind wir uns nur noch selten begegnet, gelegentlich bei den Jahrestagungen des Versöhnungsbundes.

Aber wir erlebten dann seine wunderbare Gabe, Freundschaft aufrecht zu erhalten. Zu fast allem, worüber wir je gemeinsam heiß diskutiert, geträumt oder gelacht hatten, fand Theo einen Weg, mit uns in Kontakt zu bleiben: Er sandte uns ungezählte Zeitungsartikel über Gandhi, M.L. King, Joan Baez, soziale Bewegungen in aller Welt, alte Freunde, politische Ereignisse und vieles mehr. – Immer waren sie mit kleinen Randbemerkungen oder Bitten um unsere Reaktion versehen. – Und das über mehr als 30 Jahre hin.

Regelmäßig sandte er uns die Pressenachrichten und Informationen über die Arbeit des Kreuzviertelvereins. So wussten wir: Er gründete und moderierte seit 1980 die “Dortmunder Altentreffen”, die sozialpolitische Fragen aus der Sicht älterer Menschen diskutierten. Seine “Kreuzviertel-Gespräche” zu aktuellen Themen hatten eine Laufzeit von 18 Jahren. In den 80er Jahren setzte er sich u. a. erfolgreich für die Rettung des Südwestfriedhofs, für einen verbesserten Schutz von Mieterinnen und Mietern vor Wohnungsspekulation und für den Erhalt der Tremoniasiedlung ein, die er uns bei einem Besuch zeigte.

Theo hatte sich sehr früh der Verbesserung der Wohnsituation älterer Menschen verschrieben und in 1989 in Dortmund eine der ersten drei Wohnberatungsstellen in Deutschland aufgebaut, aus denen über 100 in NRW geworden sind. Dazu gehörten auch kommunale Altenarbeit und erfolgreicher Einsatz für den Ausbau barrierearmer Wohnungen. Seine engagierte, unermüdliche und einflussreiche Arbeit war von einem langen Atem geprägt und ging weit über die kommunale Ebene hinaus. 1994 gründete er zusammen mit anderen die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsanpassung e.V. und 1999 in Dortmund die Landesarbeitsgemeinschaft Wohnberatung NRW, deren Sprecher er seitdem war.

Zu seinen Aufgaben gehörten u.a. Kontakte zum Landtag und zu Ministerien, etwa die Mitwirkung bei Gesetzesanhörungen und in Fachgremien. Mehr unter www.kreuzviertel-verein.de.

Die Vorsitzende des Kreuzviertelvereins schreibt in ihrem Nachruf u.a.:

“Wir trauern um Theo Hengesbach. Er war seit 30 Jahren mit Leib und Seele in unserem Verein und als Sozialarbeiter im Kreuzviertel tätig. Den Kreuzviertel-Verein würde es ohne ihn nicht geben. Theo Hengesbach hat den Ausschlag zu dessen Gründung nach seinem Studium der Sozialarbeit und seinem Anerkennungsjahr gegeben, das er zum Teil in der Katholischen Heilig-Kreuz-Gemeinde im Kreuzviertel geleistet hatte. Er war gefragter Experte in vielen gerontologischen Fragen und brachte sein Wissen als Referent und Moderator bei Fachveranstaltungen, Projekten und verschiedenen landespolitischen Fachgremien ein.

Theo Hengesbach bezog immer deutlich und kompromisslos Position, ohne verletzend zu sein, und erfuhr vielleicht auch deswegen großen Respekt und Anerkennung – auch und gerade von denen, die er kritisierte. Er behandelte alle Menschen gleich und fand zu den meisten von ihnen einen tiefen Zugang. Dabei stellte er sich selbst nie in den Vordergrund.

Er war ein glühender Verfechter der Gemeinwesenarbeit und setzte sich unentwegt für die Belange der Menschen ein, auch weit über gerontologische Fragestellungen hinaus. Dies tat er auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen und auch persönlich. Theo Hengesbach hatte immer ein offenes Ohr und wurde von vielen Menschen kontaktiert – als Helfer, Ratgeber, Experte oder Vermittler. Er brachte die Menschen und die Themen zusammen.

Theo Hengesbach verstarb am 15.11.09 an den Folgen einer Krebserkrankung. Über die Schwere seiner Krankheit hat er kaum gesprochen und bis zuletzt im Rahmen seiner Möglichkeiten für das gearbeitet, was ihm wichtig war – sozialpolitische Einflussnahme für das Wohl der Menschen und die Arbeit des Kreuzviertel-Vereins. Wir haben mit Theo Hengesbach einen einzigartigen und unersetzbaren Menschen verloren, der uns persönlich und fachlich unendlich fehlen wird und sprechen ihm tiefe Dankbarkeit für all das aus, was er für uns und andere geleistet hat.”

Der katholische Gedenkgottesdienst in der Heilig-Kreuz-Kirche wurde von einem Pastor gehalten, der aus der Zeit des Stromzahlungsboykottes mit Theo befreundet war und ihn in den letzten Wochen oft besucht hatte. Eine würdevolle Predigt, die durchtränkt war von dieser persönlichen Beziehung und Betroffenheit.

Theo hatte sich gewünscht, auf dem Südwestfriedhof Dortmund, im Stadtteil seiner über 30-jährigen Aktivitäten, beerdigt zu werden. Und auch, dass anschließend die Trauergäste zu einer “großen Sause” im Gemeindehaus zusammenkommen, essen, trinken und der kleinen Kapelle lauschen sollten. 250 bis 300 waren es wohl. Es war zutiefst berührend, den 15 oder 20 sehr bewegenden Geschichten und Eindrücken über die vielen individuellen Beziehungen zu Theo zu lauschen.

Von FreundInnen, NachbarInnen, KollegInnen, Menschen aus Vereinen, Ministerien, Komitees, die in überraschender Offenheit über ihre Begegnungen sprachen.

Einige waren vor Begegnungen mit ihm gewarnt worden, weil man sich nicht gegen ihn durchsetzen könne.

Andere sprachen davon, was sie aus der Misere, so lange einem Krankenhaus “ausgesetzt” zu sein, gelernt hatten: sofort abnehmen, um nicht in die Situation einer schlimmen Erkrankung zu kommen. Ein Sprecher würdigte nicht nur Theos Lebenswerk, sondern auch seine Lebenspartnerin, die über einen solch langen Zeitraum die Kraft aufgebracht hatte, ihn zu begleiten und für ihn und seine Rechte zu kämpfen, wo ihm die Kraft fehlte, die letzten zwei qm Privatraum zu verteidigen.

Ein früherer Chefarzt einer Klinik war erschüttert und beschwor die ZuhörerInnen, auf jeden Fall für die Rechte von PatientInnen zu kämpfen.

Da waren auch viele Beiträge, die mit Schmunzeln und Lachen quittiert wurden, wenn sie Theo im Gesagten wieder erkannten.

Sehr bewegend sprach ein Mann über die politischen Auseinandersetzungen mit Theo und die Überraschung, dass Theo trotzdem ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm haben konnte.

Die meisten Beiträge betrafen die 30 Jahre von Theos Gemeinwesenarbeit.

Es war aber auch für die Gäste interessant, von Horst Blume und Helga Weber aus Theos frühen Jahren zu hören.

Auch uns fehlt Theo.

Wir werden die Erinnerungen an ihn bewahren.