Politische Videospiele und virtuelle Gewalt

Der Umgang der "Friedensbewegung" mit Videospielen. Ein Debatten-Beitrag

| Michael Schulze von Glaßer

„Meine Interessensgebiete lauten: Philosophie und Ballerspiele... Meine Freundin findet beides doof. Na gut, eins davon ist erwiesenermaßen verstörend, macht aggressiv und dumm im Kopf... Aber was ist denn das Problem mit Ballerspielen?“ So beginnt eine Geschichte des Poetryslammers Torsten Sträter.

Millionen Menschen spielen Videospiele, die gewalthaltige Konflikte thematisieren oder verherrlichen. Die US-Armee benutzt Egoshooter, um die natürliche Tötungshemmung bei (zukünftigen) SoldatInnen abzubauen. Wie sind politische Videospiele zu bewerten? Eine Frage, über die wir in dieser GWR eine kontroverse Diskussion beginnen. (GWR-Red.)

Laut einer Erhebung der „Gesellschaft für Konsumforschung“ betrug der Umsatz mit Videospielsoftware in Deutschland allein im ersten Halbjahr 2013 rund 752 Millionen Euro. Für das Gesamtjahr rechnet die Branche mit einem Umsatzwachstum um 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

31,5 Millionen BundesbürgerInnen spielen heute virtuelle Spiele. Videospiele, die gewalthaltige Konflikte thematisieren erfreuen sich dabei besonderer Beliebtheit. Die „Friedensbewegung“ tut sich im Umgang mit dem noch jungen Medium schwer. Oft herrscht aufgrund häufiger negativer Berichterstattung über „Killerspiele/Ballerspiele“ eine – auch allgemein in Deutschland weit verbreitet – sehr ablehnende Grundhaltung gegenüber Videospielen, die Gewalt darstellen. Dabei beschränkt sich die Kritik nur auf die äußere Darstellung der Spiele und übersieht ihren politischen Gehalt. Die mediale Darstellung von Gewalt kann auch positiv sein.

Im Herbst 2013 erschien das US-Videospiel „Grand Theft Auto V“ und sorgte für einen Skandal: in einer Mission muss der Spieler einen an einen Stuhl gefesselten Informanten foltern. Der Spieler kann wählen ob er den Gefesselten mit Stromschlägen malträtiert, ihm mit einer Rohrzange die Knochen zertrümmert, seine Zähne mit einer Zange herauszieht oder ihn beim Waterboarding das Gefühl gibt zu ertrinken. Wer sich nur die Folter-Szenen anguckt, könnte das Spiel wegen seiner exzessiven Gewalt-Darstellung verdammen. Einige Menschenrechtsgruppen protestierten tatsächlich und bewiesen damit, dass sie sich mit der Spiel-Mission nicht genug auseinandergesetzt haben. Denn die grausame Folter-Szene ist eigentlich eine Szene gegen Folter: der Spieler quält den Gefesselten im Auftrag des „Federal Investigation Bureau“ (FIB), welches klar an den US-Geheimdienst FBI angelehnt ist. Der Geheimdienst hat den Gefangenen von der „International Affairs Agency“ (IAA) – dem CIA-Pendant im Spiel – entführt, um einen Fall zu lösen und sich damit weitere Regierungsgelder zu sichern. Der Gefolterte – eigentlich nur ein Fernseh-Techniker – soll einmal für einen mutmaßlichen Terroristen eine TV-Anlage installiert haben, dessen Gesicht kennen und ihn für den Geheimdienst identifizieren. Nicht nur, dass dem Spieler schnell klar wird, dass ein vollkommen Unschuldiger gefoltert wird, er wird auch nur gefoltert weil FIB und IAA um Gelder konkurrieren und ihnen jedes Mittel recht ist um sich gut darzustellen. Am Ende soll der Spieler den Gefolterten schließlich sogar töten – was die Figur des Spielers aber nicht macht. Man bringt das Folter-Opfer stattdessen zum Flughafen und sagt ihm er solle verschwinden. Was aber noch viel wichtiger ist: auf dem Weg zum Flughafen erklärt die Figur des Spielers, das Folter unmenschlich und sinnlos ist. Die Gefolterten würden alles – auch Ausgedachtes – sagen, um der Folter zu entgehen: „Folter taugt nicht zur Informationsbeschaffung!“

Den Gefolterten fordert die Figur des Spielers auf, die Tortur öffentlich zu machen: „[E]s gibt Leute in der Regierung und den Medien, die glauben, dass Folter ein Mittel zum Zweck ist. Sie glauben, dass man damit was erreicht. Wir müssen ihnen zeigen, dass das Schwachsinn ist. Mit Folter macht man sich keine normalen Freunde und man bekommt auch keine Informationen.“ So konfrontiert die Folter-Mission in „Grand Theft Auto V“ die Spieler mit der aktuellen US-Regierungspraxis. Das ab 18-Jahren freigegebene Spiel führt vor Augen wie grausam und sinnlos Folter ist. Trotz der virtuellen Darstellung grausamer Gewalt handelt es sich also um Anti-Folter-Szenen mit aufklärerischer Wirkung.

Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade im Genre der sehr beliebten Militär-Shooter, welche oft realitätsnahe Szenarien schildern, eine Kriegs- und Gewalt-Verherrlichung stattfindet. Die allermeisten Spiele dieses Genres verbreiten Neokonservative Aussagen und werben für Krieg sowie Waffentechnik. Doch auch hier gilt es die Spiele nicht von vornherein abzulehnen: es gibt auch immer wieder Spiele wie „Call of Duty – Black Ops 2“, die zwar in Teilen kriegsverherrlichend und chauvinistisch sind, in denen moderne Waffentechniken – etwa autonome Drohnen – aber negativ dargestellt werden. Und es gibt sogar Shooter, in denen der Spieler zwar als Soldat unzählige virtuelle Gegner erschießen muss, dies sowie der gesamte Militär-Einsatz im Nachhinein aber als großer Fehler geschildert und ein klares Statement gegen Militär-Interventionen präsentiert wird – etwa „Spec Ops – The Line“.

Die „Friedensbewegung“ muss ihre Vorbehalte gegen virtuelle Gewalt-Darstellungen überwinden. Es gilt, sich die einzelnen Spiele im Detail anzugucken und differenziert zu urteilen. Die unsachliche „Killerspiel/Ballerspiel“-Diskussion um Videospiel-Gewalt hat mittlerweile dazu geführt, dass viele Spielerinnen und Spieler auf Kritik sehr sensibel reagieren. Und wissenschaftlich konnte trotz unzähliger Studien bisher nie bewiesen werden, dass die virtuelle Darstellung von Gewalt auch vermehrt reale Gewalt zur Folge hat (oder ob virtuelle Gewalt sogar einen katalysierenden Effekt hat). In jedem Fall muss die Kritik an Videospielen über ihre reine Darstellungsform hinausgehen. Die Inhalte und politischen Aussagen der Spiele müssen im Zentrum stehen. Dafür bedarf es sicherlich auch noch weiterer Forschungen: im deutschsprachigen Raum gab es bisher kaum inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem Medium „Videospiel“. Dabei gehört diesem Medium die Zukunft.

Der Autor beschäftigt sich auf seinem YouTube-Kanal „Games’n’Politics“ – www.youtube.com/user/gamesandpolitics – mit politischen Aussagen in Videospielen und hat auch zur geschilderten Folter-Mission in „Grand Theft Auto V“ ein Video veröffentlicht. Im März 2014 erschien im PapyRossa-Verlag sein Buch „Das virtuelle Schlacht – Videospiele, Militär und Rüstungsindustrie“.